Das Jahr 2017 hat weltweit mit feministischen Protesten begonnen: Der Einspruch gegen die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde am sichtbarsten von den women’s marches artikuliert – und zwar nicht nur in den USA. In Polen konnte der Widerstand gegen die Einschränkung reproduktiver Rechte vonseiten der rechtsnationalen Regierung weitergetragen werden, und von Buenos Aires über Istanbul bis New Delhi brachte der 8. März Hunderttausende auf die Straße. Auch hierzulande hatte es jahrzehntelang keine vergleichbaren Demonstrationen anlässlich des internationalen Frauentags gegeben.
Gleichzeitig gelingt es rechten Parteien und Bewegungen, in der fortdauernden organischen Krise des Neoliberalismus einen verbreiteten und zum Teil berechtigten Unmut aufzunehmen, zu artikulieren und mobilisierungsfähig zu machen: Unmut über eine Gesellschaft, die die Anliegen der Vielen mit Füßen tritt und in der obszöner Reichtum einhergeht mit wachsenden Existenznöten und sozialen Ungleichheiten; Unmut über eine Gesellschaft, in der demokratische Strukturen und Verfahren ausgehöhlt wurden und in der anhaltender Flexibilitäts- und Marktdruck für die allermeisten Dauerstress bedeutet, es praktisch unmöglich macht, Lohnarbeit, Reproduktionsnotwendigkeiten und sonstige Ansprüche ans Leben ins Lot zu bringen. Diese »Bruchstellen des Neoliberalismus« (Goes 2017) werden von der Rechten wirkungsvoll aufgenommen, so dass sie zuweilen den sichtbarsten Pol des ‹Widerstands› gegen den Status Quo zu bilden scheint. Mit ihrer Mobilisierung gegen «Genderwahn», «Frühsexualisierung» und «Ehe für alle» organisiert sie Angriffe auf Errungenschaften der Frauenbewegung und von LGBTIQs sowie auf all jene, die dem Bild heterosexueller, weißer ‹Normalbürger› nicht entsprechen wollen oder können. Indem sie national-soziale, scheinbar einfache Lösungen anbietet, die auf ein vermeintlich homogenes und harmonisches Kollektiv rekurrieren, drängt sie emanzipatorische Kräfte in die Defensive.
Innerhalb der gesellschaftlichen Linken hat diese Konstellation ein verstärktes Nachdenken auch über die eigenen Praxen angeregt und vorhandenen Ansätzen alltagsorientierter, verbindender und organisierender Politiken breitere Aufmerksamkeit beschert. Außerdem hat sie – auf verquere Art und Weise – die Frage nach der Bedeutung von Klassenverhältnissen prominent und neu auf eine linke Agenda gesetzt. Das geballte Nacheinander des Aufstiegs der AfD in Deutschland, des BREXIT in Großbritannien und schließlich des Sieges von Donald Trump in den USA hat die Diskussion aufgedrängt, warum auch Teile der Arbeiterklasse ihre Frustration mit den uneingelösten Versprechen des Neoliberalismus am besten durch rechte Parteien und Bewegungen ausgedrückt sahen (vgl. u.a. Candeias 2017 und Debatte zu Eribon auf LuXemburg Online 2016).
Wieso gelingt ausgerechnet der Rechten die Artikulation eines Anti-Neoliberalismus? Was hat dies mit den linken Politiken der letzten Jahrzehnte zu tun? Und vor allem: Wieso lassen sich Feminismus und Frauenbewegung – aka ›Genderwahn‹ – so problemlos als Teil des verachteten Establishments angreifen? Was bedeutet all das für künftige feministische Antworten, wie könnte ein Feminismus aussehen, der sich diesen Fragen stellt, gar eine feministische Klassenpolitik formuliert?
Die Linke: zu wenig Klasse, zu viel ›Gedöns‹?
Die gesellschaftliche Linke habe die soziale Frage vernachlässigt und sich stattdessen mit ‹Identitätspolitiken› beschäftigt, lautet eine in den letzten Monaten oft formulierte Kritik. Sie habe zu sehr auf Feminismus und andere vermeintliche Randgruppenthemen orientiert und sogar dazu beigetragen, dem Erfolg der Rechten den Weg zu bereiten. Beides ist so sicherlich nicht haltbar. Dass die Linke jedoch den Zugang zu großen Teilen der arbeitenden Klassen wie der Erwerbslosen verloren hat, ist eine Tatsache. Dies gilt speziell für soziale Bewegungen und die sogenannte Emanzipationslinke, aber in der Tendenz auch für die partei- und gewerkschaftsorientierte Soziallinke. Auch sie bewegt sich oft in akademisierten und tendenziell professionalisierten Zusammenhängen, schafft es noch zu wenig, die alltägliche Bedrängnis vieler Menschen so aufzunehmen, dass sich diese angesprochen fühlen. Und dies trifft keinesfalls nur für überwiegend männliche Beschäftigte in den ehemaligen Industriezentren zu, sondern für migrantische Servicekräfte genauso wie für prekär beschäftigte Wissensarbeiter*innen. Auch für sie sind linke Praxen überwiegend kein Bezugspunkt.
Falsch ist jedoch, dass diese ›Entfremdung‹ einem zu viel an rosa-lila-grünen Themen geschuldet sei. Im Gegenteil: Bis heute haben es feministische und migrantische Perspektiven genauso wie ökologische Fragen kaum in den Kanon der politischen Linken (und nur zum Teil in den der Bewegungslinken) geschafft. Sie werden teils wohlwollend, aber oft abgrenzend und abschätzig als «Gedöns» verhandelt. Eine systematische Verschränkung linker ‹Kernthemen› mit feministischen Anliegen steht aus, sodass ‹Frauenpolitik› weiterhin als Spartenproblem verhandelt wird, die mit der Kritik an Arbeitsverhältnissen, Umverteilungsfragen und Finanzkrise nichts zu tun hat. Diese Trennung gilt es zu überwinden und entsprechende Ansätze in der Entwicklung einer feministischen Klassenpolitik nach vorn zu stellen.
Feminismus auf dem Prüfstand
Wiederum richtig ist, dass innerhalb feministischer Kämpfe – auch in denen, die über einen bürgerlichen Feminismus hinausgehen – die Anliegen sowohl vieler ‹nicht-weißer› Frauen*, aber eben auch vieler Frauen* aus sozial marginalisierten Verhältnissen kaum vorkommen. Die Themen der Frauen- und Umweltbewegung, die Kämpfe um gesellschaftliche Akzeptanz und Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensweisen, ob nun von LGBTIQs oder von Migrant*innen, haben sich von den Belangen und Lebensrealitäten vieler Leute entfernt. Zum Teil wurden sie ‹enteignet›, selektiv in hegemoniale Projekte eingebunden – wie beispielsweise Forderungen nach einer Frauenquote in Dax30-Unternehmen, Diversity-Programme für Führungspersonal, aber auch das Elterngeld, von dem Besserverdienende überdurchschnittlich profitieren. So erscheinen sie eher als Versuche, Karrierezugänge für hochqualifizierte, flexible und leistungsbereite Individuen zu schaffen, wurden faktisch zu Eliteprojekten. Im Zuge dessen haben sich Teile der oben genannten Bewegungen auf das Feld von Anerkennungspolitiken drängen lassen und es vernachlässigt, ihre Anliegen systematisch als Fragen sozialer Gerechtigkeit aufzuwerfen, Armut, Ausgrenzung und Marginalisierung als zentrale Momente von Sexismus und Rassismus zu thematisieren und Geschlechterverhältnisse als (gesamt-)gesellschaftliche – auch ökonomische – Strukturkategorie zu analysieren.
Auch deshalb konnten Emanzipations- und Freiheitsgewinne verschiedener sozialer Bewegungen relativ unkompliziert ins neoliberale Projekt integrieren werden, weil der Eindruck entstehen konnte, sie ließen sich innerhalb des Kapitalismus voll realisieren. ‹Diversität› ist zu einer ausgeklügelten Machttechnik neoliberaler Hegemonie geworden. Genau deshalb scheint es vielen so plausibel, eine Rebellion gegen den Status quo als Kampf gegen die «versifften 68er» und ihre vermeintliche politische Korrektheit zu führen.
Feminismus als Komplizin des Neoliberalismus?
Nancy Faser ist die wohl prominenteste Vertreterin dieser (Selbst-)Kritik, die sie in Grundzügen bereits seit der Jahrtausendwende formuliert (2001; vgl. auch Haug 1998). Angesichts des Trump-Schocks hat sie ihre Thesen zugespitzt, spricht von einer »Komplizenschaft«, die der Feminismus mit dem «progressiven Neoliberalismus» (2017, 72) eingegangen sei. Er habe sich ohne Widerstand vereinnahmen lassen und damit soziale Gerechtigkeit von Vielfalt getrennt, Letztere neoliberal und individualisiert verkürzt. Es bedürfe einer grundlegenden Erneuerung. Auch Sarah Leonard, Redakteurin von The Nation und feministische Aktivistin in den USA, sieht in der gegenwärtigen Krise und für die US-amerikanische Situation die Notwendigkeit, aber auch die Chance, feministische Politiken neu aufzustellen – einen »Feminismus der 99 Prozent« zu entwickeln (2017).
Auf diesem Weg des Auslotens von Perspektiven eines inklusiven Feminismus gilt es, die skizzierten Mechanismen passiver Revolution und neoliberaler Einbindung (selbst-)kritisch zu reflektieren, jedoch bisherige feministische Praxen nicht mit allzu großer Geste vom Tisch zu wischen – wie es die Diagnose von Fraser teils nahelegt. Nicht nur gab es wichtige Fortschritte, die zu verteidigen sind. Es gab immer und gibt nach wie vor auch andere, subalterne Formen feministischer Kämpfe, die in der Ära eines von Hilary Clinton bis Christina Schröder verkörperten business feminism irgendwie spielverderberisch daherkamen und deshalb ein Schattendasein gefristet haben. In vielen auch hierzulande geführten Auseinandersetzungen sind soziale Fragen mit rassistischer Diskriminierung und geschlechtlicher Benachteiligung untrennbar verquickt: seien es autonome Frauen*häuser und Projekte gegen sexualisierte Gewalt, antirassistisch-feministische Organisierungen wie das Respect-Netzwerk, die Selbstorganisierung von geflüchteten Frauen*, Gruppierungen, die sich als Alternativen zum Mainstream der schwul-lesbischen Bewegung verstehen, aber auch in zahlreichen Auseinandersetzungen um prekäre Arbeit, schlechte Löhne und Altersarmut in sogenannten ›Frauenberufen‹. An all diese Praxen gilt es anzuschließen, in einen ernsthaften Dialog zu treten und auch die jeweils eigenen Politiken weiterzuentwickeln, statt Gefahr zu laufen, sie in der Kritik erneut unsichtbar zu machen.
Warum Anti-Feminismus die Unzufriedenheit bündelt
Mindestens so wichtig ist jedoch die Frage, warum es für viele so plausibel ist, die Übel des autoritären Neoliberalismus mit Anti-Feminismus zu bekämpfen. Warum kann sich der Frust mit dem System so gut an «Gendermainstreaming» und «Ehe für alle» heften und wird dann gegen jene gewendet, die davon tatsächlich oder meist nur vermeintlich profitiert haben? Welche Bedürfnisse von Teilen der subalternen Klassen werden hier aufgenommen? Und inwiefern kommt darin auch ein Moment der Rebellion gegen die Momente selektiver Integration des Neoliberalismus zum Ausdruck?
Arlie Russel Hochschild geht in ihrem letzten Buch «Fremd im eigenen Land» diesen Fragen nach. Anhand von Gesprächen mit Trump-Wähler*innen im Mississippi-Delta schildert sie deren Wahrnehmung, jemand habe ihnen «am Tor zur Mittelschicht ins Gesicht geschlagen» (2016). Gesellschaftlicher Aufstieg gleicht in dieser Weltsicht einer Art Warteschlange, in die man sich jahrelang geduldig einreiht, während sich dauernd jemand vordrängelt. Ständig sind es andere, denen der Neoliberalismus im entscheidenden Moment den Vortritt lässt – so die Empfindung. Die nachvollziehbare Wut darüber, nach unzähligen leeren Versprechungen immer noch nicht ‹dran› zu sein, wendet sich in einer konformistischen Revolte gegen jene, die tatsächlich oder in den allermeisten Fällen eben nur imaginiert und wenn, dann häufig nur auf symbolischer Ebene vom Neoliberalismus profitiert haben.
Anfang der 1980er Jahre veröffentlichte das Projekt Sozialistischer Feminismus einen Text über Geschlechterverhältnisse und sozialistische Frauenpolitik, demzufolge «die Siege die Male der Herrschaft [tragen], unter denen sie erstritten wurden». Mit Blick auf die damals diskutierte proletarische Verteidigung kleinfamiliärer Lebensverhältnisse heißt es dort weiter: «Jedes Stück Privatheit ist auch eine Flucht vor kapitalistischen Produktionsverhältnissen […] Die Verteidigung der Frauenunterdrückung [als Hausfrauen] wäre damit ein Element der spezifischen Form, in der die Arbeiterklasse gegen das Kapital antritt.» (PSF 1984, 83)
Blicken wir vor dem Hintergrund dieser Überlegung auf die heutige Situation, wäre das leicht modernisierte Festhalten an oder das ‹Zurückfordern› der heterosexuellen Kleinfamilie vonseiten der Rechten (auch) als ein solches widerständiges Moment gegen eine durchökonomisierte Lebensweise zu lesen oder als solches zu entziffern. In der tendenziellen Aufhebung oder Infragestellung der starren Kleinfamilie, wie sie für den Fordismus charakteristisch war, sind offensichtlich verschiedene Emanzipationsgewinne eingeschrieben: sowohl die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen*, aber auch die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, also eine gewisse Entheterosexualisierung und Wahlfreiheit dieses Arrangements sowie implizit die These einer sozialen Konstruktion von Geschlecht. Gleichzeitig gehen damit aber verschärfte Formen des Verwertungsdrucks einher und eine häufig auf Erschöpfung hinauslaufende Doppelbelastung, wenn im sogenannten Adult-worker-Modell alle Erwachsenen erwerbstätig sein sollen und es auch müssen. Außerdem bedeutet dies Privatisierung und Individualisierung, denn die Kleinfamilie wurde ja nicht gegen plurale und vergesellschaftete Sorgearrangements getauscht, sondern gegen nicht mehr zwangsläufig abstammungsmäßig begründete Haftungsgemeinschaften. Eine ‹Verteidigung› des familialen Schutzraums und darin auch traditioneller Weiblichkeitsideale ist also ein widerständiges Moment gegen neoliberale Durchdringung, unbedingte Flexibilisierung und fortschreitende Verabschiedung der Gesellschaft aus der Verantwortung für die Bedingungen sozialer Reproduktion. Aus (queer-)feministischer Perspektive kann das natürlich keinesfalls bedeuten, den «Schutz der Familie» zu propagieren, aber doch das Widerständige daran ernst zu nehmen. Anders versteht man nicht, warum rechte oder auch christlich-konservative Angebote so attraktiv sind (vgl. Hajek 2017).
Diese Betrachtung ermöglicht einen anderen Blick auf die zunächst plausibel erscheinende These, die (Queer-)Feministinnen hätten mit ihren Forderungen zum Erfolg der Rechten beigetragen. Denn weder stimmt es, dass Feministinnen an deren Aufwind schuld sind, noch trifft es zu, dass dieser mit den – auch durch die Frauenbewegung erkämpften – veränderten Lebensweisen nichts zu tun hätte. Die von Feministinnen erstrittene Gleichberechtigung hat im Neoliberalismus die alleskönnende, rund um die Uhr aktive Familienmanagerin an die Stelle der ‹unempanzipierten Hausfrau› gesetzt. Es ist aber Erstere, die heute vielen zur Belastung wird, und zwar auf eine verquere Art sowohl Frauen als auch Männern, die diesen Funktionswandel jenseits des ökonomischen Drucks auch als Abwertung ehemaliger Rollenvorstellungen und Qualifikationen, als Erschütterung ihres Selbstbewusstseins und emotionaler Sicherheiten erleben. Rechte Familienideologie lässt sich vor diesem Hintergrund auch als eine Reaktion auf diese als ‹feministisch› und eben nicht als ‹neoliberal› wahrgenommenen Veränderungen verstehen. Dass es der Rechten gelingt, für ‹antifeministische› Positionen über das im engen Sinne rechte und reaktionär-rassistische Milieu hinaus Zustimmung zu erzielen, hat damit zu tun (vgl. u.a. Dück 2017).
Wo Feminismus im Alltag (anders) ansetzen könnte
Auf der Suche nach neuen feministischen Praxen und Politiken stellt sich also die Frage, an welche Erfahrungen und Momente des Alltagsverstands ein klassenpolitisch orientierter Feminismus anknüpfen kann. Nur so lässt sich der Blick auf gemeinsame Veränderungsperspektiven richten. Die zentrale Frage lautet dann: Welche Bedürfnisse werden im rechten Diskus aufgegriffen und wie könnten sie auch anders zur Kenntnis genommen, umgearbeitet und emanzipatorisch gewendet werden?
Ein Beispiel: Im Rahmen eines von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützten Kiez-Organisierungs-Projekts (vgl. Pieschke 2017) fand in diesem Sommer eine Bürger*innenversammlung unter der Überschrift statt: «Was wollen und können wir in unserem Wohnbezirk gemeinsam verändern? Was treibt uns am meisten um?» Nachdem unterschiedliche Themen gestreift worden waren, kam (unvermeidlich?!) die grade fertiggestellte, angrenzende Flüchtlingsunterkunft zur Sprache: «Die haben einen nagelneuen Spielplatz und einen riesigen hohen Zaun um ihr Haus,» platzte es aus einer alleinerziehenden jungen Mutter heraus. Erst nach und nach gelang es herauszuarbeiten, worin der neidvolle Blick eigentlich gründet sowie die Vorstellung, es handle sich um ein unzulässiges Privileg der dort ansässigen Flüchtlinge, ‹eingesperrt sein› zu dürfen. Für diese alleinerziehende, voll berufstätige Mutter scheint eine Situation, in der Kinder gefahrlos, gar unter Aufsicht von Wachpersonal spielen können, paradiesisch gegenüber der gelebten Realität, in der man entweder permanent präsent ist – was angesichts des übervollen Alltags Stress bedeutet – oder ständig bangen muss, die fünfjährige Tochter könnte aus dem offenen Innenhof des Wohnblocks ‹wegkommen› – eine durch die aktuellen Sicherheitsdiskurse massiv geschürte Angst vieler Eltern. Ein selbständiges, aber abgesichertes Spielen scheint in der Flüchtlingsunterkunft – anders als im eigenen Wohnblock – sorglos möglich. Hier bricht sich ein nachvollziehbarer Wunsch in der Form rassistisch geprägten Konkurrenzdenkens Bahn: «Warum kriegen ‹die› das und ‹wir› nicht?» Es entwickelte sich ein Gespräch über die Frage, wie sich ‹Sicherheit› im Wohnumfeld ‹herstellen› lässt – jenseits meterhoher Zäune. Wer hat ähnliche Ängste und Bedürfnisse? Wie könnten sich Mütter in dem Block zusammentun? Wer könnte noch einen Blick auf die im eigentlich schönen grünen, aber eben offenen Innenhof spielenden Kinder haben?
Kämpfe gegen (sexuelle) Gewalt und darum, sich gefahrlos ohne Belästigung im öffentlichen Raum bewegen und aufhalten zu können, sind originär feministische Anliegen. Dass die Karte des Kinderschutzes immer schon von rechts gespielt wurde, ermäßigt das Anliegen im Kern nicht. Wieso also nicht darüber nachdenken, wie feministische Debatten um «selbstorganisierte Sicherheit» (vgl. Brazzelle 2017) so geführt werden können, dass sie aus linken Szenezirkeln heraustreten, die Anliegen von Menschen wie dieser Mutter, aber natürlich auch von geflüchteten Frauen* aufnehmen und vielleicht irgendwann auch für sie anschlussfähig werden? Von einem Kieztreffen wie diesem bis zu einem Ende der Angst ist ein weiter Weg. Was es zeigt, ist aber, dass wir uns als Linke zunächst die Mühe machen müssen herauszufinden, welche Ansprüche und Bedürfnisse es im Einzelnen sind, die sich im rechten Sprechen so gut artikulieren lassen. Nicht immer ist dies schon klar. Es gilt Formen zu finden, diese zunächst wahrzunehmen und dann idealerweise anders zu artikulieren undzu bearbeiten. Hier ist viel Übersetzungsarbeit zu leisten (vgl. Steckner 2017).
Feminismus für alle – Feminismus erneuern
Für die Frage nach einer feministischen Klassenpolitik stellt sich die Frage: Welche unserer bisherigen Forderungen nehmen eigentlich wessen Anliegen auf? Und gelingt es uns, das, was wir erreichen wollen, so zu kommunizieren, dass es überhaupt ‹gehört› werden kann? Wie können wir unsere Projekte so anlegen, dass sie die Anliegen der Vielen repräsentieren?
Hier sind nicht zuletzt Erkenntnisse der frühen Intersektionalitäts-Debatten zentral. Audre Lorde, schwarze Poetin und feministische, lesbische Aktivistin, wies wie viele andere darauf hin, dass «Gleichstellung» für schwarze Frauen noch nie ein überzeugendes feministisches Narrativ war, schon wegen der schlagenden Offensichtlichkeit der Unterschiede zwischenFrauen* (1984). Davon lässt sich für eine Debatte um feministische Klassenpolitik lernen, denn es ist diese Erfahrung, die Frauen* auch hierzulande machen: «Diese Debatten haben mit meinem Leben nichts zu tun.» Sie konstruieren ein Kollektiv Frau, das als Erfahrungsraum keine Bedeutung und vor allem keine handlungsermächtigende Form hat. Wenn als feministisch vor allem Quoten für Führungspositionen und belehrende Sprachregeln wahrgenommen werden, Kämpfe gegen prekarisierte Arbeit oder für einen erweiterten Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende aber nicht, dann ist es kein Wunder, dass der Feminismus als Eliteprojekt erscheint.
Die Kritik an Aspekten feministischer Kämpfe lässt sich vor diesem Hintergrund etwas anders formulieren, nämlich weniger: Die Feministinnen haben das und das nicht berücksichtigt, sondern: Welche Alltagserfahrungen von Frauen* (nicht-weißen, sozial marginalisierten, Trans-Frauen u.a.) sind darin nicht abgebildet? Und vor allem durch welche Praxen, veränderten Diskussionsräume und Bündnisse lässt sich das ändern?
Wer ist die Arbeiterklasse? Intersektionale Klassenanalyse
Nehmen wir diese Perspektive ein, wird deutlich, dass die in der gegenwärtigen Debatte verbreitete These, es gehe um einen Widerspruch zwischen Identitäts- auf der einen und Sozial- oder Klassenpolitik auf der anderen Seite, nirgends hinführt und doppelt schief ist. Es handelt sich nicht um zwei unterschiedliche und unterschiedlich zu bearbeitende Probleme: die Anliegen von sozial marginalisierten Menschen hier und von Frauen*/LGBTIQ/Migrant*innen dort. Dieser vermeintliche Gegensatz ist vielmehr selbst Ausdruck des Problems, Ausdruck sowohl einer Klassenanalyse, die zu kurz springt, als auch einer verkürzten Analyse von Geschlechterverhältnissen (und von Rassismus). In der Auffassung davon, was Klassenverhältnisse ausmacht, dominiert die Vorstellung, Klasse stelle sich allein in der Produktionssphäre im engen Sinne her. Meist geht der Blick über die Lohnarbeit nicht hinaus. Gleichzeitig gibt es in der Sprache der Klassenanalyse keine Begriffe, mit denen sich Diskriminierungserfahrungen, die sich nicht (allein) aus der Stellung im Gesamt der Produktionsverhältnisse ergeben, überhaupt formulieren ließen: alltägliche rassistische Erniedrigung und sexistische Abwertung.
Betrachten wir Heteronormativität und Geschlechterverhältnisse als «Produktionsverhältnisse» und von Beginn an als «fundamentale Regelungsverhältnisse» (Haug) in allen Lebensbereichen, wird deutlich, dass Geschlecht nicht ein weiteres, wenn auch gleichgewichtiges Unterdrückungsverhältnis ist – so die Tendenz in vielen Debatten um race, class and gender–, sondern ein Moment von Klassenverhältnissen selbst, ein Arrangement, die gesellschaftliche Arbeitsteilung und damit Herrschaft zu organisieren. Dazu gehört auch die innere Spaltung der Klasse, für die die Ordnung der Geschlechter eine zentrale Rolle spielt. Die Spaltung beispielsweise in diejenigen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten, und jene, für die dies überwiegend miterledigt wird, oder in diejenigen, die sich in ihren Bildungsbiografien für einen Facharbeiterberuf entscheiden, und jene, die – für die Hälfte des Gehalts – in den sozialen Diensten tätig werden, und folglich in diejenigen, die auch nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit noch gut leben können, und jene, die keine existenzsichernde Rente beziehen werden. All das sind Fragen der Geschlechterverhältnisse und entsprechend keine den Klassenverhältnissen äußerliche Formen der Herrschaft, die es in der Analyse zu verschränken gilt, sondern deren integraler Teil.
Ähnlich steht es um den Rassismus, den Stuart Hall als ein Medium bezeichnet, „durch das die weißen Fraktionen der Klasse ihre Beziehungen zu anderen Fraktionen und damit zum Kapital selbst leben“ (1994, 133). Er analysiert ihn als eine Form, mit der diese ins Herrschaftsprojekt eingebunden werden und mit der ihre Zustimmung zu diesem Projekt organisiert wird. In diesem Arrangement tauscht sich die Einbindung bzw. Zustimmung gegen Privilegien und Freiheiten, bestimmte Handlungsoptionen, die anderen nicht zugänglich sind – dieses Arrangement stellt die ‹Eingebundenen› somit gegen die anderen Teile der Klasse. Nur wenn diese Differenzen und unterschiedlichen Erfahrungen explizit benannt werden, lassen sie sich perspektivisch bearbeiten.
Die Durchzogenheit der Klassenverhältnisse durch Einbindung und Spaltungen entlang von Kategorien wie Hautfarbe oder Geschlecht legt die Latte für solidarisches Handeln hoch. Dies ist es jedoch, worauf eine feministische oder intersektionale Klassenpolitik zielt: Es gilt danach zu fragen, welche Politiken es ermöglichen, diese Verhältnisse zu überwinden; und zwar «alle Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes […] Wesen ist» (Marx), und auf dem Weg dahin, nicht Teile der Klasse auf Kosten anderer zu ermächtigen.
Zur Klasse werden? Den Widerspruch strategisch bearbeiten
Eine präzise und aktuelle Klassenanalyse ist für dieses Unterfangen zentral, aber nur die halbe Miete. Entscheidend ist nicht nur, wie sich die Klasse angesichts von Digitalisierung, Hightech-Kapitalismus, Prekarisierung und Flexploitation verändert und ausdifferenziert, sondern wie sie unter diesen veränderten Verhältnissen (auch veränderten Einbindungsformen) überhaupt zur Klasse wird. Unter Bezug auf Gramsci betont Hall (1989, 70), dass «die sogenannte Einheit der Klasse nie a priori unterstellt» werden kann, sondern »Klassen, obwohl ihnen bestimmte, ähnliche Existenzbedingungen gemeinsam sind, gleichzeitig durch gegensätzliche Interessen gespalten sind und im Zuge ihrer historischen Formierung segmentiert und fragmentiert wurden. Die Einheit der Klasse schließt also notwendigerweise Vielfalt ein und muss auch erst produziert werden.«
Die Frage nach diesem «making of class» (E.P Thomson) öffnet für heutige Debatten den Blick: Wenn der Klassenkampf der Klasse notwendigerweise vorausgeht, wie kann es dann gelingen, dass die Klasse in tatsächlichen Kämpfen zusammenfindet, um Unterdrückung zu beenden und damit überhaupt erst zur Klasse wird – zur «Klasse für sich selbst» (Marx)? Welche Praxen und Politiken können das leisten? Wie müssen sie beschaffen sein, insbesondere unter Bedingungen, unter denen es den Subalternen an einer gemeinsamen Sprache und überwiegend auch an Verständnis hinsichtlich gemeinsamer Interessen fehlt und unter denen es in ihrem Alltagsleben kaum Orte der Begegnung, der gemeinsamen Lebensgestaltung gibt, in denen solche gemeinsamen Anliegen zu erfahren und zu entwickeln wären? Was könnte in solch einer Situation Bezugspunkt kollektiven Handelns sein?
Die Politiken oder Praxen, in denen sich alle Herrschaftsverhältnisse bündeln und in einem Schwung aufheben lassen, gibt es nicht. Es ist offen, was in einer gegebenen Situation das jeweils handlungsleitende Gemeinsame sein kann, wie es zusammen zu formulieren ist und vor allem wie es so zu formulieren ist, dass nicht exklusive Solidarität dabei herausspringt, sondern Einheit in Differenz.
Die Frage, wie sich in je unterschiedlichen Kontexten gemeinsame Interessen so herstellen lassen, dass sie zum kollektiven Handeln befähigen, war immer schon eine zentrale Frage der Arbeiterbewegung. Gayatri Chakravorty Spivak hat sie in den 1980er Jahren aus feministisch-postkolonialer Perspektive und in Kritik am Klassenreduktionismus wie am westlichen Feminismus reformuliert und dafür den Begriff «strategischer Essentialismus» geprägt. Spivak ging von dem Dilemma aus, dass politische (Selbst-)Repräsentation ohne die Formulierung von Kollektivsubjekten nicht auskommt, da ein Handeln ‹in Einheit› notwendig ist, um bestehende Machtverhältnisse erschüttern zu können. Solche Kollektivsubjekte wiederum gehen mit Essentialisierungen einher. In dem Maße, wie entlang bestimmter Erfahrungen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, wächst die Gefahr, dass andere Erfahrungen, insbesondere Differenzen innerhalb von Gruppen, dethematisiert werden und so potenziell (neue) Ausschlüsse entstehen. Das betrifft ‹die Klasse› ebenso wie ‹die Frauen›. Um überhaupt handlungsmächtig zu werden, kommen wir aber um eine temporäre – eben strategische – Essentialisierung nicht herum (Spivak 1990; vgl. auch Bringmann 2017).
Verbindende Perspektiven und populare Praxen
Die Entwicklung einer feministischen Klassenpolitik muss mit diesem doppelten Problem umgehen. Für hiesige Debatten heißt dies zunächst, den Blick für innere Differenzen überhaupt zu schärfen. Hier haben nicht nur die marxistische Klassentheorie, sondern auch große Teile des Feminismus Leerstellen. Es bedeutet außerdem, sich des selbstverständlichen Umgangs mit den eigenen Privilegien gewahr zu werden und diese in einem schmerzhaften Prozess perspektivisch zu «verlernen» (Spivak), um zu wirklich Verbindendem kommen zu können. Dazu gehört es auch, die entsprechenden Debatten eines postkolonialen und Queer-Feminismus überhaupt fundiert zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Becker 2017). Schließlich gilt es über Formen und Bedingungen nachdenken, unter denen jeweils unterschiedlichen Erfahrungen von Abwertung und Marginalisierung überhaupt kollektiv sprechbar werden, und zwar so, dass sie nicht zu erneuter Erniedrigung und Ohnmacht, sondern zu gemeinsamem Handeln befähigen könnten. Das Sprechen über «Scham» könnte hier eine «Triebfeder für eine intersektionale Klassenpolitik» darstellen, wie Volker Woltersdorff (2017) es vorschlägt.
Dennoch: die verschiedenen Dimensionen der Produktion- und Reproduktion von Herrschaft lassen sich niemals ‹in Gänze› bearbeiten. Im Gegenteil, der (oben formulierte) Anspruch, Herrschaft intersektional zu erfassen und so zu bearbeiten, dass nicht neue Ausschlüsse produziert werden, läuft auch Gefahr, lähmend zu sein, da keine politische Praxis diesem Anspruch voll genügen kann. Populare Politiken lassen sich so kaum entwickeln.
Wie kann es also gehen? Transformationsstrategien lassen sich ohnehin nicht am grünen Tisch entwerfen, sondern müssen an bestehende Kämpfe, Auseinandersetzungen und Sammlungsbewegungen anschließen, müssen in diese intervenieren. Unterschiedliche bereits bestehende feministische Praxen und Forderungen wären also daraufhin zu befragen, wessen Anliegen darin bereits aufgehoben sind, wo sie gegebenenfalls um eine klassenpolitische Perspektive ‹angereichert› werden können, aber eben auch, wie systematische Ausschlüsse zu vermeiden sind. Nicht die Gesamtheit der unterschiedlichen Erfahrungen müsste zu jeder Zeit in allen Forderungen und Politiken abgebildet sein, sondern im Fluchtpunkt des gemeinsamen Handelns, in den zu gestaltenden gesellschaftlichen Bedingungen eines demokratischen Allgemeinen, wären die Anliegen der Vielen aufzunehmen (vgl. Demirović 2017). Eine solche geteilte Perspektive besteht heute bestenfalls in Ansätzen, es gilt sie konkret zu entwickeln und im gemeinsamen Ringen darum Raum für die Befriedigung ganz unterschiedlicher Bedürfnisse zu schaffen.
In Debatten um feministische Organisierungsperspektiven in Care-Kämpfen wird seit einiger Zeit in diese Richtung diskutiert. So wird beispielsweise die Forderung nach einer kostenfreien und demokratisch organisierten sozialen Infrastruktur in allen Care-Bereichen als gemeinsame Perspektive gesetzt und entwickelt (vgl. z.B. Winker 2015, Fried/Schurian 2017, u.v.a.). Hier bestehen vorsichtige Ansätze für eine feministische Klassenpolitik – auch wenn mit diesem Begriff bisher nicht gearbeitet wurde. So wurde, in Diskussionen und Politiken rund um das Netzwerk Care Revolution beispielsweise die strategische Entscheidung getroffen, einen Schwerpunkt feministischer Organisierung in einem Feld auszumachen, das mit den Auseinandersetzungen um Haus- und Sorgearbeit ein zentrales Aktionsfeld feministischer Bewegungen ist, in dem außerdem Privatisierung und Marktdruck in der alltäglichen Lebensführung krisenhaft erfahrbar werden, in dem angesichts internationaler Arbeitsteilung und »global care chains« (Hochschild) rassistische Spaltung und Diskriminierung eine zentrale Rolle spielen und in dem schließlich ein Schwerpunkt auch gewerkschaftlicher Kämpfe der letzten Jahre lag – diese strategischen Überlegungen hatten genau das Ziel: Ansätze popularer feministischer Politik zu entwickeln, die Alltagssorgen aufnehmen, um konkrete Verbesserungen ringen und gleichzeitig eine grundlegende Umordnung von Geschlechterarrangements wie Produktions- und Lebensweisen verfolgen. Solche konkreten verbindenden Politiken sind sehr voraussetzungsvoll, aber einige Hürden wurden bereits genommen (vgl. Fried/Schurian 2016 und Hajek 2017).
Wie ein solcher popularer, klassenpolitischer (und postkolonial-antirassistischer) Feminismus aussehen könnte, lässt sich auch anhand einer Debatte weiterentwickeln, die seit einigen Jahren in den USA geführt wird. Die Bewegung für »Reproductive Justice« (reproduktive Gerechtigkeit) kritisiert die gängige feministische Praxen rund um das Thema sexuelle Selbstbestimmung – ebenfalls ein zentrales Feld feministischer Kämpfe – als verkürzt. Aus der Perspektive von ›nicht-weißen‹ Frauen* formulieren sie unter anderem, die Notwendigkeit und Möglichkeit, nicht allein auf das uneingeschränkte Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu fokussieren. Für viele – insbesondere indigene und schwarze Frauen* – sei angesichts von Rassismus und eugenischen Bevölkerungspolitiken das Recht, Kinder zu bekommen, ähnlich prekär wie das Recht, ungewollte Schwangerschaften zu beenden (vgl. Roig 2017, Hentschel 2017). Insofern müsse reproduktive Gerechtigkeit auch das Recht aufs Kinderkriegen einschließen.
Im Sinne einer feministischen Klassenpolitik wäre dieser Gedanke aufzunehmen und für hiesige wie US-amerikanische Verhältnisse eine weitere Perspektive stark zu machen: Dort wie hier müsste es in Kämpfen um sexuelle Selbstbestimmung nicht nur für indigene und schwarze, sondern auch für viele sozial marginalisierte ‹weiße› Frauen* darum gehen, um Bedingungen zu ringen, unter denen es tatsächlich für alle möglich wird, Kinder zu bekommen, so sie es denn wollen. Das bedeutet, nicht nur deren Geburt, sondern auch deren Großwerden mit allem sozial und gesellschaftlich abzusichern, was dazugehört: angemessene Arbeitsverhältnisse sowie Wohn- und Lebensformen, Entprekarisierung, Beratung, Kinderbetreuung, Bildungsangebote und vieles mehr als Fluchtpunkte feministischer Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung. Denn nur, wenn es diese Angebote ausreichend für alle zur Verfügung stehen, lässt sich im Zusammenhang mit der Wahl zwischen Schwangerschaftsabbruch und Kinderkriegen überhaupt von wirklicher Entscheidungsfreiheit sprechen.[1]
Trotz allem: Klasse als strategischer Kristallisationspunkt
In den genannten und weiteren feministischen Kämpfen gilt es also, eine klassenpolitische Perspektive explizit einzuziehen oder herauszuarbeiten, ohne dass diese dominiert oder in einem traditionalistischen Sinne Klassenfragen als übergeordnet zu begreifen oder prioritär zu behandeln – was in Debatten um feministische Klassenpolitik nachvollziehbar immer wieder als Sorge geäußert wird. Die Aufgabe eines klassenpolitischen Feminismus (oder einer Linken, die diesen entwickeln will) müsste als also darin bestehen, zunächst existierende Kämpfe und Forderungen daraufhin abzuklopfen, wo implizite oder explizite Ausschlüsse produziert werden bzw. an welchen Stellen sich klassenpolitische Perspektiven im Feminismus stärken ließen.
Dazu gehört die wichtige Frage, wie sich die unterschiedlichen Teile der Klasse, die sich daran beteiligen sollten, gewinnen lassen – insbesondere jene, die es angesichts der bisherigen feministischen wie sonstigen politischen Debatte nicht gewöhnt sind, ihre Probleme auch als Klassenprobleme wahrzunehmen, bzw. jene, die es angesichts der bisherigen Debatte um soziale Fragen nicht gewöhnt sind, ihre Probleme auch als Geschlechterfragen zu denken? Hier gilt es Formen zu entwickeln, mit denen unterschiedliche Anliegen aufgegriffen und auch als Klassen- und Geschlechterfragen und in diesem Sinne als gemeinsame Identität reformuliert werden können.
Statt Klassen- oder Identitätspolitik brauchen wir also eine Klassen- als Identitätspolitik – eine Politik, in der die Aufhebung der Klassenverhältnisse in einem nicht reduktionistischen Sinne zum gemeinsamen Bezugspunkt wird und an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Feldern jeweils unterschiedlich bearbeitet werden kann, aber eben doch mit einem gemeinsamen Ziel, die dabei entstehenden Bedingungen gemeinsam und demokratisch für alle zu gestalten – und mit einem deutlichen Antagonismus gegen herrschende Politiken und Spaltungsversuche (vgl. Demirović in diesem Heft).
Politisch ließen sich so über den Feminismus hinaus unterschiedliche Bewegungen in einer neuen Klassenpolitik aufeinander beziehen, um in dieser Vielheit einen «verbindenden Antagonismus» (Candeias 2017) zum Neoliberalismus zu bilden, der auch der Rechten das Feld streitig macht. In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation erscheint ein inklusiver Feminismus oder eine feministische Klassenpolitik als mobilisierungsfähiger Gegenpol nicht nur zu einem aggressiven Anti-Feminismus, sondern auch zu einem autoritären Projekt von ‹oben› und ‹rechts› insgesamt. Ein vielversprechender Anfang ist, dass sich in einer solchen Bewegung, die sich auch gegen einen liberalen Feminismus à la Clinton wendet, der Protest gegen die Regierung von Donald Trump bündeln konnte und bisher am deutlichsten sichtbar wurde. Ganz nach der Losung der Intersektionalitäts-Theoretikerinnen gilt es deshalb auch hierzulande, leidenschaftlicher als bisher für die Perspektive «Feminism is for everyone» zu werben.
In diesen Text sind viele Diskussionen eingeflossen, die rund um die Gründung des Gesprächskreis Feminismus der Rosa-Luxemburg-Stiftung geführt wurden, u.a. mit Lia Becker, Alex Wischnewski, Kerstin Wolter, Mario Candeias, Katharina Pühl, Silke Veth, Melanie Stitz, Hannah Schurian und Susanne Hentschel.