Der Europäische Betriebsrat von General Motors hat in der Vergangenheit mit wechselndem Erfolg versucht, die Konkurrenz zwischen den Beschäftigten der verschiedenen Standorte einzudämmen, Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. Wie hat sich die globale Krise seit 2007 auf diese Bemühungen ausgewirkt?
Seit dem letzten europäischen Rahmenvertrag 2010 zur Restrukturierung hat sich etwas verändert. Der Europäische Betriebsrat (EBR) wurde vom Management teilweise bewusst umgangen; und angesichts der massiven Überkapazitäten hat das Management die Strategie gefahren, die lokalen Gewerkschaften und Betriebsräte unter erheblichen Druck zu setzen. So wurde beispielsweise im letzten Jahr unter den Bedingungen einer Schließungsdrohung von der Gewerkschaft in England lokal verhandelt und ein Lohnverzichtabkommen vereinbart, um den die nächste Generation Astra zu bekommen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass diese nur an maximal einem weiteren Standort gefertigt werden dürfe. Das ist unglaublich und zeigt, wie weit manche Gewerkschaft, aber eben auch das Management, in der Krise zu gehen bereit ist.
Das sind ja eigentlich zwei Formen der Betriebsratsarbeit, die im Widerspruch zueinander stehen: Auf der einen Seite die lokalen Betriebsräte, die mit ihren Werksleitern zu Verhandlungen antreten und dann Zugeständnisse machen sollen, um überhaupt eine Investition zu bekommen. Und auf der anderen Seite der Europäische Betriebsrat, der eine Standortsicherung für alle und bestimmte Mindestbedingungen bei den Beschäftigungsverhältnissen durchsetzen will, die dann in allen Werken gewahrt werden.
Ja. Das Problem ist: Dem EBR fehlen rechtlich die Druckmittel. Wenn das Management einfach unter Bruch sämtlicher Informations- und Konsultationsrechte des Europäischen Betriebsrats seine Interessen durchsetzen kann, was kann der EBR wirklich dagegen tun? Hier besteht eine klare Regelungslücke im europäischen Betriebsratsrecht. Der Opel-Standort Antwerpen wurde unter Bruch von Informations- und Konsultationsrechten und eines Vertrags geschlossen. Es gab rechtlich zumindest kaum eine wirksame Interventionsmöglichkeit. Und wenn in Zeiten massiver Überkapazitäten auch europäische Aktionstage in ihrer Durchschlagskraft begrenzt sind, wird es schwierig. Dann bleibt eigentlich nur noch eine, allerdings nicht zu unterschätzende Möglichkeit, nämlich öffentlich europaweit durch Kommunikation Druck zu entfalten. Zu einer ehrlichen Betrachtung gehört aber auch, dass wir zugeben müssen, dass es in so einer Auseinandersetzung immer schwierig war und ist, europaweit beispielsweise zu streiken. Da sind die Rechtsgrundlagen in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich, und da muss schon wirklich viel passieren, damit es überhaupt dazu kommt, dass die Belegschaften rausgehen obwohl sie wissen, dass sie damit vielleicht ihren Arbeitsplatz riskieren
Aber gerade mit den europäischen Aktionstagen ist es ja zeitweise gelungen, das zu durchbrechen.
Ja, aber auch die europäischen Aktionstage waren ja weniger Streikaktionen. Die schwedischen Kollegen haben immer gesagt, sie können aufgrund ihrer Gesetzeslage nicht einfach streiken. Und wir können es ja de facto auch nicht bzw. nur in der Tarifauseinandersetzung oder wenn es um einen Sozialtarifvertrag geht. Wenn die Produktion für zwei Stunden für den Europäischen Aktionstag unterbrochen wurde, so war das mehr oder weniger immer auch eine vom Management tolerierte Aktion. Wenn die Kollegen von Abmahnungen bedroht werden, wird das alles schwieriger, oder wenn wir von mehreren Tagen Produktionsstillstand sprechen würden. Und nicht zu vergessen: In Zeiten von Unterauslastung lacht sich das Management schief, wenn die Gewerkschaften damit ihm quasi die Kosten abnehmen. Das wird gerne von selbsternannten ‚revolutionären Gruppen‘ verdrängt. Die Bedeutung der Aktionstage liegt auch weniger in ihrer Wirksamkeit als Streik als darin, die europäischen Belegschaften zu gemeinsamen Handeln zu bewegen und öffentlichen Druck zu erzeugen. Neben der öffentlichen Wirkung war immer das wirkungsvollste Mittel zur Durchsetzung unserer Forderungen, nicht lokal zu verhandeln. Im Grunde ist der europäische Betriebsrat so stark wie seine einzelnen Bestandteile, das heißt die in ihm vertretenen Standorte und Gewerkschaften. Wenn an einem Standort ohne Absprache Zugeständnisse gemacht werden, dann wird der Europäische Betriebsrat nachhaltig geschwächt. Deswegen denke ich, die europäische Gewerkschaftsvernetzung, auch jenseits des EBR, wäre strategisch wichtig. Sie hat in der Vergangenheit mangels Ressourcen nicht ausreichend stattgefunden. Und nachdem der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) in industriAll aufgegangen ist, scheint es mir, sind überhaupt keine Ressourcen mehr dafür da.
Wieso?
Bei den Verhandlungen des EBR mit der Unternehmensleitung war früher der EMB direkt dabei. Und das ist auch wichtig, denn die Dachorganisation gilt bei allen Gewerkschaften in allen Ländern eher als eine übergeordnete, unabhängigere Organisation, die auf alle Interessen an allen Standorten gleichermaßen achten muss. Daher wurde seine Rolle als Koordinator bei Konflikten zwischen den Vertretern der einzelnen Standorte auch eher akzeptiert. Aber das findet nicht mehr statt. Anscheinend gibt es nun andere Strategien und Schwerpunkte und die – zugegeben immer knappen – Ressourcen werden wohl woanders eingesetzt. Das schwächt auch die Durchsetzungskraft des EBR und die Rolle der Gewerkschaften in strategischen Auseinandersetzungen und bei Restrukturierungen.
Siehst Du das unmittelbar im Zusammenhang mit der Fusion zu industriAll?
Ja, klar. Das hatte schon massive Veränderungen zur Folge. Mir ist beispielsweise nicht bekannt, dass es noch einen Topf gibt, aus dem die Koordinierungsarbeit bei Unternehmensrestrukturierungen bezahlt werden kann bzw. scheint es so, dass hierfür einfach niemand mehr zuständig ist. Das war mal anders. Das ist auch der Unterschied bei uns zu der Auseinandersetzung in 2010. Heute spielt industriAll keine Rolle mehr. Das halte ich für politisch nicht akzeptabel und schädlich. Gerade heute, wo wir vor Werksschließungen stehen, da gibt es keinen Akteur auf der europäischen Gewerkschaftsebene. Wir müssen uns nur vergegenwärtigen, dass wir bei den europäischen Automobilherstellern vor einem Dammbruch stehen: Überkapazitäten sollen bereinigt werden, Werke bei Opel, PSA, Renault, Fiat, Ford stehen in Ländern wie Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien zur Disposition. Das ist weit und breit auf der europäischen Gewerkschaftsebene kein großes Thema. Es gab mal einen Beschluss des EMB, dass in solchen Fällen eine europäische gewerkschaftliche Koordinierungsgruppe des EMB eingerichtet werden muss, damit der jeweilige EBR nicht alleine agieren muss. Das gibt es offenbar nicht mehr.
Wie gehst Du mit dem Widerspruch um, dass Du auf der einen Seite als Betriebsratsvorsitzender besonders die Interessen der Beschäftigten in Rüsselsheim vertreten musst und andererseits als Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats die Interessen aller Beschäftigten von General Motors in Europa?
Ich kann die Arbeitsplätze in Rüsselsheim nicht sichern, indem ich in einen Unterbietungswettbewerb gehe. Das ist ja die Illusion. Außerdem schauen wir in Rüsselsheim immer über den Tellerrand. Wir haben ja nicht nur ein Werk, sondern auch andere Bereiche und schauen ohnehin mehr auf das Ganze. Klar ist, wir können die Probleme nur im Rahmen von Gesamtverhandlungen lösen. Mein Freund Rudi Kennes aus Antwerpen hat einmal den richtigen Satz geprägt: Durch solche lokalen Zugeständnisse kannst du dir nur Zeit kaufen. Er hat Recht behalten. Als es um Antwerpen ging, hat das Management Bochum umworben. Jetzt, nur zwei Jahre später, ist Bochum auf deren Liste. Vielleicht ist das nächste Mal der Standort in England dran, der dieses Mal genutzt wurde, um lokal Zugeständnisse zu erhalten.
Aber der Unterbietungswettbewerb existiert ja de facto. Zugeständnisse an das Management sind sowohl auf lokaler Ebene als auch durch die europäischen Rahmenverträge gemacht worden.
Wir konnten ihn bei GM/Opel zumindest deutlich begrenzen. Und eine Erfahrung ist auch, dass alle sogenannten Standortwettbewerbe faktisch vorher entschieden waren. Das Management hat eine Strategie und setzt dann die Gewerkschaften an den Standorten unter Druck. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass durch einen solchen „Wettbewerb“ die vom Management vorher festgelegten Entscheidungen verändert worden wären. Es wurde nur ein Preis dafür gezahlt. Aber wahr ist auch, dass überzogener Radikalismus, also immer nur Nein sagen und Veränderungen ablehnen, am Ende dazu führen kann, dass ein solcher Standort in seiner Zukunft gefährdet wird. Das ist eben auch eine Seite der Globalisierung der Produktion. Verlagerungen dieser Art werden vom Management nicht kurzfristig gemacht. Das Management in diesen amerikanischen Konzernen hat ein langes Gedächtnis. Du wirst einfach bei der nächsten Produktgeneration nicht mehr berücksichtigt – und das ist dann das Ende, lange bevor es überhaupt zu einer öffentlichen Auseinandersetzung kommt. Das können wir derzeit in Brasilien beobachten, in São José dos Campos. Das Werk dort steht kurz vor dem Aus. Neue Produkte werden von GM in neue Werke in Brasilien investiert. Die dortige ‚linke‘ Gewerkschaft lehnt es beispielsweise seit Jahren ab, sich auf ein Arbeitszeitkorridormodell einzulassen. Obwohl ein solches Modell auch Beschäftigung sichern kann, wenn man es richtig verhandelt.
Wird das Werk in Bochum jetzt auch aus politischen Gründen dichtgemacht?
Die Auswahl von Standorten erfolgt nach unserer Kenntnis immer nach verschiedenen Kriterien. Nicht nur, weil ein Betriebsrat angeblich zu sehr linksradikal ist. Außerdem ist es Tatsache, dass Opel und die Automobilindustrie als Ganzes in Europa massive Überkapazitäten haben. Da entsteht Druck auf die Standorte. In Bochum muss man außerdem unterscheiden zwischen der Rhetorik, die von manchen gepflegt wird, und dem, was tatsächlich vom Betriebsrat getan wird. Allein die Vereinbarungen am Standort Bochum in den letzten zehn Jahren zeigen eine enorme Flexibilität seitens des Betriebsrats. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet kann man auch sagen, hier sind erhebliche Zugeständnisse gemacht worden und trotzdem soll das Werk jetzt zugemacht werden. Also so einfach ist das eben nicht erklärt, warum welcher Standort in den Fokus des Managements gerät. So werden beispielsweise vom Management auch Marktanalysen über die Auswirkungen einer Schließung gemacht. Ein Grund warum so viele Werke in Belgien geschlossen wurden und werden. Der Markt ist zu klein, sprich die Auswirkungen gering. Aber im Falle Bochum scheint dies beim Management keine Rolle zu spielen. Hier geht es auch darum, das erste Mal seit ca. 50 Jahren ein Fahrzeugwerk in Deutschland zu schließen. Aber die Rahmenbedingungen haben sich auch zu Ungunsten der Arbeitnehmervertretung verschoben. Opel hat mehr als ein Werk an Kapazität zu viel, hängt finanziell direkt am Tropf von Detroit und ist ohnehin in Deutschland als Marke erheblich angeschlagen. Da ist nicht mehr viel Spielraum für eine wirkungsvolle Kampfrhetorik.
Ich denke, dass die Stammwerke häufig die besseren Karten haben, weil sie ökonomisch und politisch ein größeres Gewicht haben. Außerdem ist mein Eindruck, dass GM in Europa eine langfristige Strategie verfolgt, die Produktion an Niedriglohnstandorte in Osteuropa zu verlagern. Es ist ja interessant, dass auf der einen Seite immer von Überkapazitäten die Rede ist, aber andererseits durchaus neue Kapazitäten geschaffen werden.
Die Stammwerke haben aus zwei Gründen eine stärkere Position. Einmal weil sie im Falle Opel direkt mit der Marke verbunden sind und zum anderen wenn sich am gleichen Standort ein Entwicklungszentrum befindet. Beides braucht sich gegenseitig, stärkt aber eben auch die Produktion am Hauptsitz. Ja, GM glaubt immer noch, dass nur da, wo Arbeitskosten gering sind, am besten produziert werden soll. VW ist das Gegenbeispiel. Entscheidend ist eben auch, wo die Autos verkauft werden sollen. Nur in Polen und Rumänien produzieren und in Deutschland von den hohen Margen profitieren, funktioniert aber nicht. Richtig ist, es werden weiter Kapazitäten in Osteuropa geschaffen was das Problem verschärft.
Wie ist die Entscheidung für die Schließung des Werks in Antwerpen gefallen?
Die ist schon viele Jahre früher gefallen.
Also vor der Krise von 2008?
Ja. Das stand schon 2004 fest. GM macht so etwas langfristig. 2004, 2005 wurde Bochum und Antwerpen wechselseitig unter Druck gesetzt, um Zugeständnisse zu erhalten. So sollte Bochum dazu gebracht werden, die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu erhöhen und die Standards nach unten zu fahren. Aber damals waren erst Azambuja und Antwerpen im Visier von GM. Azambuja war der Versuch, die Widerstandskraft des europäischen Betriebsrats zu testen. GM dachte, es ist leichter, mit einem kleinen Werk am Rande von Europa anzufangen. Ausgerechnet dort trafen sie aber auf einen langanhaltenden Widerstand und die größte Auseinandersetzung, die der EBR geführt hat. Wir hatten mehrwöchige rollierende Aktionen geplant und durchgeführt an allen europäischen Standorten; anders als sonst immer nur zwei bis drei Standorte pro Tag über ca. drei Wochen. Für mich war das eine sehr interessante Geschichte, wie wir diesen Kampf um Azambuja geführt haben. Das war schon toll. Und jeder hat ehrlich gesagt, was er liefern kann und was nicht. Keine hohle Kampfrhetorik für den 1. Mai. Wir haben gefragt: Wer kann sich wie beteiligen? Und dann haben wir die Werke in drei Aktionsklassen eingeteilt. Für die polnischen Kollegen wäre beispielsweise eine Produktionsunterbrechung nicht machbar gewesen. Anstatt Vorwürfe zu machen, haben wir die dortigen Bedingungen in der Strategie berücksichtigt und sie effektiv beteiligt. Sie haben dann während der Pausen Belegschaftsversammlungen und eine aktive Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Wir haben überall an den Standorten Flugblätter verteilt, Medien genutzt etc. Im Grunde ist dies in erster Linie über den EBR gelaufen. Aber auch hier gilt wieder: Wo sind die Ressourcen der Gewerkschaften auf europäischer Ebene? Warum können die Gewerkschaften in so einem Konflikt nicht sagen, das ist ein zentraler Konflikt für uns alle, da stellen wir jemanden von Gewerkschaftsseite ab, der hilft und koordiniert. Das hat es so nie gegeben. Natürlich haben wir viel Unterstützung erhalten, gerade von der IG Metall – und vieles davon auf dem ‚kleinen Dienstweg‘. Aber es gibt eben keine Strategie und kein generelles Okay dafür.
Eine Tendenz in den gegenwärtigen Umbrüchen ist, dass die Produktionssysteme flexibler werden. Zum Teil können heute schon Modelle verschiedener Fahrzeugklassen auf der gleichen Produktionslinie produziert werden. Wie wirkt sich das auf die Standortkonkurrenz und die Beschäftigten aus? Mir scheint, dass einerseits in den einzelnen Werken eine höhere Kapazitätsauslastung möglich ist, weil eine nachlassende Nachfrage nach einem Modell leichter durch die Produktion eines anderen Modells kompensiert werden kann. Damit erhöht sich vielleicht einerseits die Beschäftigungssicherheit, und die extreme Schwankung der Arbeitszeiten könnte reduziert werden. Andererseits sinkt die Hürde für Werksschließungen und Produktionsverlagerungen. Es wird eben nicht mehr für jede Fahrzeugklasse eine eigene Produktionslinie oder ein eigenes Werk gebraucht. Die anfangs oft niedrige Kapazitätsauslastung an neuen Produktionsstandorten in den emerging markets ist auch nicht mehr ein so großes Problem, solche Investitionen rentieren sich schneller.
Richtig. Die Verlagerungsmöglichkeiten sind ja schon seit Jahren durch globale Fahrzeugarchitekturen gegeben und werden noch stärker werden. Der Vorteil ist, die Werke sind besser ausgelastet. Du vermeidest diese Sägezahnprofile, kannst aber eben weltweit gegeneinander ausgespielt werden. Anderseits macht es wirtschaftlich keinen Sinn, Fahrzeuge mit großen Volumina weit weg vom Absatzmarkt zu fertigen. Das ist graue Theorie. Deshalb verfolgt GM schon aus Eigeninteresse im Prinzip eine Strategie des build where you sell, also produzieren wo verkauft wird. Gewerkschaften sagen manchmal heute noch, wir wollen an unserem Standort ein Modell exklusiv produzieren. Aber bei den heutigen Plattformstrategien produzierst Du nie ganz exklusiv. Selbst wenn ich heute den Opel Insignia in Europa exklusiv herstelle, dann weiß ich, dass der im nächsten Jahr in China als Buick produziert wird, dass er auch in Nordamerika produziert werden kann. Und die darunter liegenden Produktionssysteme sind ja alle mehr oder weniger kompatibel. Was heißt das für gewerkschaftliche und betriebliche Strategien? Wir müssen nicht nur in Europa, sondern auch global miteinander reden. Ein Grund warum wir gemeinsam mit der amerikanischen Gewerkschaft UAW und dem früheren Internationalen Metallgewerkschaftsbund, an einer globalen Arbeitnehmervertretung arbeiten.
Was wäre jetzt notwendig, um die Internationalisierung auf Gewerkschaftsseite voranzutreiben?
Wenn wir ehrlich sind, hat das alles natürlich Grenzen. Aber trotzdem, ich würde aus meiner Erfahrung pragmatisch zwei Schritte für wichtig halten. Das erste ist: Wir müssen in Ländern, wo die Gewerkschaftsrechte schwach sind, konsequent unabhängige Gewerkschaften unterstützen. Da muss viel mehr passieren und auch Ressourcen investiert werden. Und der zweite strategische Punkt: Wir müssen in einen Dialog eintreten und fragen: Was ist eine faire Kapazitätsauslastung und -verteilung? Was sind denn die Grundprinzipien, nach denen die Produktion verteilt werden müsste? Ob wir das um- und durchsetzen können, ist eine ganz andere Frage. Für mich gehört aber als Voraussetzung dazu, dass man die Dinge beim Namen nennt, dass man um Interessenkonflikte nicht drum herum redet. Wenn man das nicht kann, wenn jeder sein eigenes Spiel macht, dann riskiert man eben auch, dass man verliert. Gewerkschaften müssen sich daran gewöhnen, offen über ihre Interessenkonflikte zu reden, anstatt andere zu dämonisieren oder so zu tun, als ginge es nur um die Auseinandersetzung mit der Kapitalseite. Manchmal ist uns das gelungen, zum Beispiel in den Jahren 2004 und 2005 mit unseren polnischen Kollegen. Wir haben dann wirklich darüber geredet: Wer hat welche Produktionskapazität? Wie viele Arbeitsplätze müssen gesichert werden? Wie können wir irgendwie zusammen kommen? Wir haben geklärt, nach welchen Prinzipien wir vorgehen wollen, wie jeder sich mit seinen Interessen wiederfinden kann. Das war keine Garantie für Erfolg, aber eine wichtige Basis. Wenn Du diese Debatte nicht führst, gerade auch zwischen so genannten Hoch- und Niedrigkostenstandorten, dann wird eine gemeinsame Strategie nie möglich sein. Die polnische Gewerkschaft hat sich ab diesem Zeitpunkt immer an unsere Abmachungen gehalten. Vorbildlich. Und das hat viel Vertrauen auf beiden Seiten geschaffen.
Obwohl sie ja wahrscheinlich kostenmäßig in der besten Lage waren.
Sie hätten einfach sagen können: Die Produktion kommt ja sowieso quasi automatisch zu uns. Aber sie haben auch gelernt, dass auch sie unter Druck gesetzt werden. Billig ist nie billig genug. Es gibt immer noch einen, der billiger ist.
Ab März 2007 gab es den GM Workers Blog im Internet, eine Plattform, bei der die Beschäftigten der verschiedenen Standorte miteinander kommunizieren konnten. Eine hervorragende Einrichtung, wie ich finde. Doch der Blog, der beim EMB angesiedelt war, existiert nicht mehr. Warum?
Einerseits wollten dort bestimmte Leute persönliche Fehden austragen. Nach dem Motto, Du kannst im Web alles, über Leute lügen, sie beschimpfen usw. Wir brauchten eine Netiquette und haben deshalb nicht alles automatisch veröffentlicht. Und dann war weder beim EMB noch bei uns ausreichend Zeit, so einen Blog wirklich dauerhaft zu betreiben. Aber was politisch viel entscheidender war: Das Sprachproblem, eigentlich müsste es eine gemeinsame Sprache geben, über die man kommuniziert: Englisch oder Spanisch. Aber das ist realitätsfern. Die Akzeptanz des Blogs als nicht vom EMB oder einer Gewerkschaft gesteuerten und kontrollierten Kommunikation wurde von vielen europäischen Gewerkschaften skeptisch beäugt. Und damals war die neue Webkultur dieser Art von Kommunikation für viele Gewerkschaften und Beschäftigte noch fremd. Zudem ist Transparenz ja von manchen nicht immer gewollt. Der Blog ist damals noch nicht flächendeckend in ganz Europa angenommen worden und erforderte einfach zu viel Arbeitskapazität, die keiner hatte. Aber der Umgang damit war auch von Land zu Land unterschiedlich. In Belgien hatte die sozialistische Gewerkschaft einen großen Vorteil daraus gezogen, denn sie hat ihn wirklich als eine offene Kommunikationsplattform genutzt. Der belgische Teil des Blogs war ein Beispiel dafür, was man daraus hätte machen können. Aber man darf eben auch nicht vergessen, dass öffentliche Foren vom Management auch gelesen werden können. Für Strategiedebatten hätte es eines geschützten Bereichs bedurft. Alles in allem denke ich immer noch, das war eine innovative Sache.
Linke kritisieren häufig das Konzept des Co-Managements durch Gewerkschaft und Betriebsräte, aber auch den Ruf nach besseren Managern. Wie siehst Du das?
Ohne meinen Vorgänger, Klaus Franz, hätten wir in der Krise 2009 nicht den Brückenkredit bekommen, und dann wäre Opel wegen des GM-Bankrotts in die Insolvenz gegangen. Hätte er sich nicht dafür einsetzen sollen, was eigentlich der Job des Managements hätte sein müssen? Außerdem wird bei dieser Kritik vergessen, dass das Betriebsverfassungsgesetz uns ja quasi rechtlich auch zu einer Kooperation zwingt. Betriebsräte sind immer beides: Gegenmacht und Kooperationsakteure. Eine andere Sache ist es, wenn wie im Falle Opel ein Betriebsratsvorsitzender in der Öffentlichkeit zum ‚Mister Opel‘ wird. Dies war nur möglich, weil es eben bei Opel ein schwaches Management gab und es auch Aufgabe des Betriebsrats ist, Einfluss zu nehmen auf die Produktentwicklung, auf die Produkte. Ohne diesen kann ein Unternehmen schnell in eine Schieflage geraten oder Werke am Ende leer stehen, weil kein Produkt da ist oder es zu spät kommt. Dafür haben wir ja auch die Unternehmensmitbestimmung. Aber richtig ist, dass Betriebsräte keine Ersatzmanager sein können, weil sie damit auch in Interessenkonflikte geraten und weil sie immer nur über Umwege versuchen können, Einfluss zu nehmen. Wir steuern nicht das Unternehmen, es sei denn wir bekämen endlich auch eine wirtschaftliche Mitbestimmung. Fakt ist, ohne ein kompetentes Management werden in diesem Wirtschaftssystem Arbeitsplätze gefährdet. Und war ist ebenso, dass auch über jahrzehntelange Zugeständnisse ein Unternehmen nicht gerettet wird.
Was sagst Du, wenn das Management von Betriebsräten Zugeständnisse fordert, die das Niveau des Flächentarifvertrags unterschreiten?
Die Existenz eines Flächentarifvertrags bedeutet schlicht und einfach: Die Probleme dürfen nicht nur betrieblich gelöst werden. Betriebsräte können solche Zugeständnisse nicht alleine machen, sondern die Gewerkschaft muss hinzugezogen werden. Und die IG Metall achtet darauf, was das für Auswirkungen auf den Flächentarifvertrag und den Rest der Industrie hat. Es geht auch um faire Wettbewerbsbedingungen. Das ist hier anders als in den USA oder in Spanien und England und das ist gut so. Deshalb können hier die Verhandlungen auch nicht geführt werden wie in den USA mit der amerikanischen Gewerkschaft. Die IG Metall wird keine dauerhafte Unterschreitung des Tarifvertrags akzeptieren – egal wie viele Schecks das Management für die Kollegen für die Zeit nach Rückkehr zur Profitabilität anbietet. Das den Vertretern von GM immer wieder zu erklären, ist ein schwieriger Prozess. Sie haben beispielsweise die Vorstellung, dass man jahrelang keine einzige Lohnerhöhung mehr zahlt bis wieder Gewinne gemacht werden. Das geht nicht. Unabhängig davon, dass ich es nicht für zumutbar halte, wäre es auch politisch nicht umsetzbar. Die Belegschaften hier haben 20 Jahre Verzicht hinter sich. Der erste Standortvertrag ist 1993 gemacht worden, weit vor meiner Zeit. Die Leute haben die Schnauze voll.
Das Gespräch führte Thomas Sablowski für die Redaktion. Eine gekürzte Fassung erschien in LuXemburg 1/2013, 47ff.