Ohne BVG keine Mobilitätswende in Berlin. Der Nahverkehr muss ausgebaut werden, massiv. Aber schon jetzt schafft es das Unternehmen kaum, das bestehende Angebot zu halten und muss Taktzeiten auf vielen Linien einschränken. Es fehlt vor allem an Fahrer*innen: Allein um den regulären Fahrplan weiterhin anzubieten, bräuchte es 350 zusätzliche Beschäftigte. In den nächsten Jahren gehen aber sehr viele der knapp 5000 Fahrer*innen in den verdienten Ruhestand – viele fahren danach als Mini-Jobber weiter, um den Notstand zu lindern und zugleich die übersichtliche Rente zu verbessern. Für den dringend benötigten Ausbau wären also Tausende neue Beschäftigte nötig, die das Lenkrad übernehmen.

Doch die BVG hat Schwierigkeiten beim „recruiting“. Der Job ist ein Knochenjob und stressig. Die Straßen sind oft verstopft, die Busspuren zugeparkt oder von Lieferdiensten verstellt. Dazu überall Baustellen. Fahrzeiten können oft nur unter großem Stress eingehalten werden, Pausen fallen weg, am Ende sind die Verspätungen dennoch groß. Wie hoch der Druck und die Arbeitsbelastung der sind, erfährt man im persönlichen Gespräch mit den BVG-Beschäftigten. Oft ist die Stimmung im Verkehr aggressiv, manch Autofahrer trägt seinen „persönlichen Kulturkampf“ auf der Straße aus, erzählt eine Fahrerin. Ihre Schlussfolgerung: Der ÖPNV brauche „mehr Platz“ auf den Straßen. 

Stundenlanges Sitzen und Stress, dazu die Wechselschichten, die einen gesunden „Schlafrhythmus vernichten“[i] und die Alltagsplanung und Familienleben erschweren – die Krankenstände sind entsprechend hoch. Es sei dann doch eher ein „Job für alleinstehende und gesunde“ Menschen ohne Sorgeverpflichtungen. 

Seit der Pandemie hat sich herumgesprochen, dass es diese „systemrelevanten“ Jobs sind, die die Gesellschaft am Laufen halten, und nicht die Autofabriken oder die Banken. Demgegenüber ist das derzeitige Einstiegsgehalt von rund 2000 Euro brutto „recht bescheiden“, jedenfalls nicht attraktiv genug, um Beschäftigte für diesen belastenden Job zu gewinnen. Schon gar nicht Frauen, um die doch vermehrt geworben wird.

Die BVG bemüht sich erfolgreich, ihr Image zu verbessern. Ihr Auftritt in der Öffentlichkeit und in Sozialen Medien ist smart und witzig. Sie signalisiert Weltoffenheit, wirbt mit Genderstern und Diversity für Quereinstieg und Karrierewege. Nach außen sieht das gut aus, doch im Inneren des Unternehmens tobt der Kulturkampf. 

Die BVG signalisiert Weltoffenheit, wirbt mit Genderstern und Diversity, doch im Inneren des Unternehmens tobt der Kulturkampf.

Da ist die BVG nur Abbild der gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Belegschaft ist durchaus bunt zusammengesetzt. Doch Beschäftigte berichten: Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze oder LGBTIQ treffen in den Betriebshöfen und Werkstätten auf einen „tief verankerten“ Chauvinismus, Sexismus und Rassismus. Natürlich ist der nicht unwidersprochen, sondern umkämpft. Von oben wird Liberalität verordnet, nur kommt die vor Ort nicht so einfach an. Altgediente Fahrer, die Vorurteile und Grenzüberschreitungen nicht vor Publikum zeigen, sondern „wenn keiner hinschaut“, wüssten, wie sehr sie gebraucht werden und dass sie wegen "Kleinigkeiten nicht belangt“ werden. Ein Kulturwandel braucht Zeit. Dennoch musste die Vorstandsvorsitzende Eva Kreienkamp, selbst offen lesbisch, im April dieses Jahres gehen, weil sie dem Unternehmen noch einen langen Weg hin zu mehr Toleranz gegenüber queeren Lebensformen bescheinigt hatte. „Es darf nicht passieren, dass Betroffene aufgeben und sagen: Meine Energie ist weg, ich habe keine Lust mehr“, sagte sie im März in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“. Dabei sprach sie eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit aus. 

Noch immer werden die Fahrzeuge von recht wenig Frauen gefahren, auch gibt es wenig queere Menschen oder Männer, die nicht den üblichen Geschlechterbildern entsprechen. Das hat natürlich mit den schweren Arbeitsbedingungen und dem belastenden Schichtsystem zu tun, die schwer mit Sorgeverpflichtungen zu vereinbaren sind. Aber auch Sprüche, dass Frauen oder „Schwuchteln“ nicht hinter das Steuer eines 29-Tonnen-Busses gehören, tun ihr Übriges. Wenn frau Rat sucht, wird ihr schon mal empfohlen, sich „einfach ein dickeres Fell“ zuzulegen. Das geht schon in der Ausbildung los, etwa bei den Quereinsteiger*innen. Letztere sollen in wenigen Wochen diverse Prüfungen bestehen und werden dann sogleich in den Fahrdienst geworfen. Nach nur kurzer Zeit mit einem erfahrenen Lehrfahrer sollen sie teilweise mehr als 20 Linien fahren, mit ständigen Streckenveränderungen aufgrund von Baustellen. Da braucht frau harte Nerven. Nicht wenige versuchen, sich die Strecken in der Freizeit anzueignen. 

Schwäche zu zeigen kommt nicht gut an, schon gar nicht in der Probezeit. Schlimmer noch sind Krankschreibungen, die mitunter hart geahndet werden: Da der Krankenstand sehr hoch ist, versucht manch untergeordnete Personaler*in das Problem durch Härte zu lösen: „Zweimal krankgemeldet, da stimmt doch was nicht, bitte zum Personalgespräch“. Teilzeit gibt es, sie wird aber nicht gern gesehen, weil der Personalmangel so groß ist. Auch persönliche Bedürfnisse bei der Einteilung der Schichten gelten als „Extrawurst“. Auf den Betriebshöfen herrsche in Punkto Arbeitskultur die Devise „Nur die harten kommen in‘ Garten“, erzählt eine Beschäftigte. Ihren Namen möchte sie lieber nicht veröffentlicht sehen. Miese Zustände allüberall? Natürlich nicht, das Bemühen um eine Verbesserung ist deutlich. Doch zu häufig wird auf den Druck der Verhältnisse mit zusätzlichem Druck reagiert. 

Zu häufig wird auf den Druck der Verhältnisse mit weiterem Druck reagiert.

In der Summe muss sich die BVG nicht wundern: "Die Fluktuation bei den fertig ausgebildeten Fahrern ist hoch“, so BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt jüngst im Tagesspiegel. Intern kursiert die Zahl, das bis zu 60 Prozent derjenigen, die eine Ausbildung bei der BVG absolviert haben, den Job wieder hinschmeißen. 

Um das zu ändern, ist eine bessere Personalbemessung zentral. Dafür muss sich die Kultur ändern, auch die Arbeitskultur. Andere Schichtpläne, mehr Pausen, eine angemessene Bezahlung, eine geringere Arbeitszeit, Möglichkeiten für Teilzeit, technische Hilfen (GPS), wie es sie auch in anderen Nahverkehrsbetrieben gibt. Und ja, auch die alltägliche Auseinandersetzung mit überkommenen Strukturen und Vorurteilen. Ver.di wird nun entsprechende Tarifforderungen für verbesserte Arbeitsbedingungen an die BVG stellen. Die Verhandlungen werden entscheidend sein für die Zukunft des ÖPNV. Doch ein Umsteuern kostet Geld. Da ist auch der Senat gefragt. Vielleicht braucht es endlich eine Unternehmensabgabe für den Nahverkehr, im fachdeutsch Drittnutzergebühr, um eine neue Einnahmequelle zu generieren. Diese „blinden Passagiere“ zur Kasse zu bitten, brächte deutlich mehr ein. Denn wir alle können uns das Scheitern der Mobilitätswende nicht leisten.

[i] Die folgenden Zitate basieren auf qualitativen Interviews , die ich mit sieben BVG-Fahrer*innen bzw. Quereinsteiger*innen sowie drei Gewerkschafter*innen im Laufe des Jahres geführt habe.

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