Das zivilgesellschaftliche Bündnis #unteilbar ruft zu einem "Sommer der Solidarität" und zum Kampf gegen Ausgrenzung und rechte Hetze auf. Den Auftakt machte am 6. Juli ein Aktionstag in Leipzig mit 7500 Menschen, am 24. August ist eine Großdemo in Dresden geplant. Auf der Demonstration in Leipzig forderte Theaterregisseur Volker Lösch mehr Mut zur Konfrontation und mehr Phantasie im Kampf gegen Rechts. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut:
Seit 2001 inszeniere ich unter anderem am Staatsschauspiel Dresden. "PEGIDA" hat dort mit der AfD einen politischen Arm bekommen. Das bedeutet, dass Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Chauvinismus nun auch parlamentarisch vertreten werden. Aber der Widerstand gegen diese Kultur der Ausgrenzung und Verächtlichkeit ist größer geworden. Was in Dresden in den letzten Jahren an außerparlamentarischem Engagement gegen Rechts entstanden ist, macht Mut. 2015 habe ich Dresden als "Stadt ohne Haltung" bezeichnet. Heute würde ich sagen: Dresden ist die "Stadt der zwei Haltungen". Man gehört entweder dem einen oder dem anderen Lager an. Und es ist deutlich zu spüren: In den nächsten Jahren wird es ums Ganze gehen. Soll man deswegen, wie es so viele machen, weiterhin die Energien ins "Reden mit den Rechten" stecken? Soll man, wie es der ehemalige Bundespräsident Gauck fordert, mehr Toleranz in Richtung rechts entwickeln? Ich sage: Nein, das soll man nicht. Ich stelle immer wieder fest, dass es Rechten gar nicht um Austausch, um Diskussion, um Argumentation, um Kontroverse und schon gar nicht ums Zuhören geht. Sondern um Schuldzuschreibungen, die Benennung von Sündenböcken, um Angstmache und die Verbreitung falscher oder einfacher Erklärungsmuster. Rechten geht‘s ums Rechthaben. Das Reden für und mit Rechten verharmlost die Bedrohung von Rechts. Das Erstarken der rechten Bewegungen hat auch damit zu tun, dass viele in der Mitte keine klare Position zu Rassismus und Ausgrenzung einnehmen. Dass entschiedene Haltungen gegen Hass und rechte Hetze, gegen militante Strukturen und gegen rechte Gewalt fehlen. Dass Halbherzigkeit, Stille und Relativierungen die Reaktionen auf Bedrohungen sind. Wenn die zivilgesellschaftliche als auch politische Mitte keine klare Sprache gegen Rechts spricht, dann fühlen sich Demokratie- und Menschenfeinde legitimiert, immer selbstbewusster, lauter und gewalttätiger aufzutreten. Es kann aber nicht sein, dass Menschen, die sich für Seenotrettung, Menschenrechte oder Geflüchtete engagieren, Morddrohungen erhalten, kriminalisiert oder eingesperrt werden! Es kann nicht sein, dass nach dem Mord an einem engagierten Politiker nicht von Rechtsterrorismus gesprochen und nicht entschieden gegen rechte Netzwerke vorgegangen wird! Es kann nicht sein, dass nach den Vorkommnissen in Chemnitz von Konservativen gefordert wird, dass der Linksextremismus bekämpft werden soll! Es kann nicht sein, dass Vereinen und Initiativen, die sich gegen Rechts engagieren, auf Betreiben der AfD die Fördergelder gestrichen werden! Es kann nicht sein, dass das schon beschämend zurückgestutzte Asylrecht - ich erinnere an den Anfang der Neunziger, als ein rechter Mob in Rostock und Hoyerswerda die Regierung angeblich dazu zwang - dass unter Mithilfe zweier grün-schwarzer Regierungen letzte Woche im Bundesrat dieses traurige Asylrecht noch weiter abgebaut wird! Es kann nicht sein, dass im Bundestag Begriffe sagbar, in unseren großen Zeitungen Dinge lesbar sind, die noch vor wenigen Jahren nur Rechtsradikale und Nazis ausgesprochen haben! Es kann nicht sein, dass rechte, antisemitische und rassistisch motivierte Gewalt zunimmt, und der Sachsen-anhaltinische CDU-Fraktionsvorsitzende eine schwarz-braune Koalition mit der AfD vorschlägt! Es kann nicht sein, dass konservative Kräfte in Sachsen immer noch leugnen, dass es ein großes Problem mit dem Rechtsextremismus gibt! Es kann einfach nicht sein, und das ist ein handfester Skandal, dass Teile der CDU-Sachsen mit der rassistischen AfD immer noch ein Bündnis planen! Der öffentliche Diskurs hat sich auch deshalb nach rechts verschoben, da die etablierten Parteien zu oft in dieser Frage versagen. Und weil sie mit ihrer rein ökonomisch orientierten Politik keine Antworten auf die großen Fragen finden, in trauriger Abhängigkeit von einem weltweit dominierenden kapitalistischen System, in dem Vereinzelung, Anonymität, Zukunftsangst und Überforderung zum Alltag gehören. Und da von unserer marktgläubigen Regierung nicht gegengesteuert wird, wird die Vermögensungleichheit weiter zunehmen. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern auf den Arbeitsmärkten wird täglich größer, denn die Einkommen aus Kapital steigen nach wie vor stärker als die aus Arbeit. Wir können inzwischen wieder von einer Klassengesellschaft in Deutschland sprechen. Und obwohl viele wissen, dass es notwendig ist, diese Gesellschaftsform zu verändern, eine Form, die mit ihren Identität und Gemeinschaft zersetzenden Energien zu viele ausschließt, obwohl sie wissen, dass diese Veränderung die Hauptwaffe gegen Rechts sein kann, fehlt es den etablierten Parteien an Mut, Entschlossenheit und Phantasie, um unsere Gesellschaft der Ungleichheit und Unsolidarität radikal zu verändern. Aber es gibt Menschen, die wissen was zu tun ist. In meiner Dresdner Inszenierung "Das Blaue Wunder" kommen diejenigen zu Wort, die zeigen, wie man sich gegen Rechts engagieren kann. Sie sind reale Vertreterinnen und Vertreter eines größer werdenden Bevölkerungsanteils der Stadt, die es nicht mehr hinnehmen, den Diskurs den Menschenfeinden zu überlassen. Und sie beweisen mit ihren Aktionen, dass es sich lohnt, aktiv zu werden. Gleichzeitig sagen sie aber auch: Wir müssen mehr werden. Denn es reicht nicht mehr, nur Zeitung zu lesen. Es reicht nicht mehr, nur zu fordern und zu appellieren. Es reicht nicht mehr, nur kritische Bücher zu lesen und Reden zu halten. Es reicht nicht mehr, nur "Heute Show" und "Die Anstalt" zu sehen. Es reicht nicht mehr, nur Kommentare im Netz zu posten. Es reicht nicht mehr, nur auf Facebook und Twitter Kritisches weiterzuleiten. Es reicht nicht mehr, Politiker doof und Politik sinnlos zu finden. Es reicht nicht mehr, nur einen Tag im Jahr gegen die AfD zu demonstrieren. Es reicht nicht mehr, nur wütend, verbittert oder empört zu sein. Denn es steht zu viel auf dem Spiel. Die Werte, die uns wichtig, die für eine lebenswerte Gesellschaft für alle unverzichtbar sind, könnten in ein paar Jahren nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr gelten. Deshalb müssen wir aktiver werden. Politisch sichtbarer und damit spürbarer sein. Mehr eingreifen und regelmäßiger protestieren. Die Verantwortung für unser Gemeinwesen ernsthaft übernehmen und konsequent danach handeln. Wem eine offene Gesellschaft wirklich wichtig ist, der muss sich mehr denn je für sie engagieren! Aber was kann man konkret tun? Engagement ist überall willkommen. In antirassistischen Initiativen, Geflüchtetenorganisationen, in den Seenotrettungsvereinen, in Gewerkschaften, in Nachbarschaften, queerfeministischen Bewegungen, Bündnissen gegen Verdrängung und Wohnungsnot, bei Initiativen gegen den Pflegenotstand, bei "FridaysForFuture", "Ende Gelände", gegen "Stuttgart21", in NGOs, in künstlerischen Gruppierungen oder in Planungs- und Orga-Gruppen für Demonstrationen. Wir können neue Bündnisse schaffen, wie vor zwei Wochen im Hambacher Forst die "Ende Gelände"-Protestierer mit "FridaysForFuture", uns in unseren Protesten ergänzen und somit vergrößern. Überall gibt es Anknüpfungspunkte. Ich engagiere mich seit 10 Jahren gegen "Stuttgart21", und das ist inzwischen eine politische Bewegung geworden. Wir stehen auch in Stuttgart für Demokratie, gegen Militarisierung, gegen Ausgrenzung, den Ausverkauf der Städte und für internationale Solidarität. Erfinden wir mehr neue Formen, tun wir uns zusammen und bilden wir große Solidaritäten! Aber auch im privaten und öffentlichen Umfeld ist Aktivität angesagt. Ob in der Familie, dem Bekannten- und Freundeskreis, ob in der Straßenbahn oder im Sportverein: treten wir den Vereinfachern, den Unwissenden, den Verharmlosern und den Hassern entgegen. Werden wir nicht müde zu erklären, dass Migration ein nicht mehr wegzudenkender Teil unserer Gesellschaft ist, dass die Würde des Menschen wichtiger ist als Profite von Konzernen, dass jeder Mensch einzigartig ist und dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Und wenn gar nichts mehr geht, müssen wir diejenigen schützen, die niemand mehr schützt. Handfest und konkret, mit zivilem Ungehorsam und der schieren Präsenz von Tausenden von Körpern. Und wir können natürlich das tun, was viele immer wieder und immer öfter tun: auf die Straße gehen. Der Aktivismus und Protest der Straße wird in den nächsten Jahren die wichtigste politische Kraft werden. Denn eine gerechte und solidarische Gesellschaft kann nur von unten entstehen. Wenn wir alle, die Vertreterinnen und Vertreter der außerparlamentarischen, der zivilgesellschaftlichen Gruppen selbstbewusst zusammenhalten, dann entfalten wir eine Kraft, an der die Politik nicht vorbeikommen kann. Wir werden sie dazu bringen, das Notwendige und Richtige zu tun! Wir alle sind wahrscheinlich wichtiger für die Gesellschaft, als wir es uns zugestehen. Und verantwortlicher für unsere Zukunft, als wir es vielleicht sein wollen. Wir sollten die Herausforderungen für eine liberale und offene Gesellschaft annehmen, wenn wir die Demokratie als noch nicht erledigt betrachten. Wir haben die Gesellschaft, die wir uns schaffen. Geben wir die Öffentlichkeit, die Parlamente, die Straße . Geben wir die Diskurshoheit nicht ab an diejenigen, die vorgeben, dass es uns stark macht, wenn wir gegen Schwache vorgehen. Engagieren wir uns für eine solidarische Gesellschaft der Vielen ohne Angst! Der zivilgesellschaftliche Druck, unsere Protestenergie ist die Kraft der Stunde! Unsere Rechte sind auch die Rechte aller anderen. Sie sind global, grenzenlos und universell gültig. Ein gutes Leben müssen alle haben dürfen. Und deshalb ist unsere Solidarität - unteilbar!
Mit Rechten reden?
Im Herbst stehen Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Es drohen neue Wahlerfolge der AfD. Doch es gibt auch Widerstand.