Die Tage zu planen, Zeit zu finden für die Organisation des Alltags und der Zukunft, ist häufig Hexenwerk. Wer sorgt für sich und andere? Öffentliche Institutionen wurden verschlankt – oft nur ein anderes Wort für ausgehungert. Die Frage nach einer gerechten Organisation reproduktiver Arbeit, ein Kern des Feminismus, ist in Neoliberalismus und Krise verschoben: Lassen sich Menschen – Frauen – finden, die die Reproduktion für weniger Geld erledigen? Neue Spaltungen ziehen sich um den Globus – auch zwischen Frauen.

Doch wann ist das eine Krise? Nur 51 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland gehen davon aus, ihren Job bis zum Alter von 67 Jahren durchhalten zu können (DGB Index »Gute Arbeit«). Wer sein Leben lang für ein durchschnittliches Einkommen gearbeitet hat, wird allenfalls eine Rente auf Grundsicherungsniveau erreichen. Die Anzahl psychischer Erkrankungen steigt; gleichzeitig übt das Gesundheitssystem enormen Druck auf Menschen aus, die wegen Erschöpfung nicht mehr arbeiten können – auf psychosoziale Versorgung warten Betroffene oft zu lange. Menschen leben mit der Krise – ab wann wird das eine Krise der gesellschaftlichen Reproduktion? Das Feld ist fragil genug, dass es zum Spielfeld widersprüchlicher Zukunftsentwürfe wird. In der Bearbeitung der Reproduktionskrise wird um Hegemonie gerungen. Konservative versuchen, die Reproduktion zu regieren: Elternzeit, Betreuungsgeld, Haushaltshilfen für Mütter, die in den Beruf zurück wollen, Diskussionen um Rentenaufstockung, Pflegezeiten, Ausbau von Kindergartenplätzen für unter Dreijährige und Steuervergünstigung für Familien, die ihre Kinder durch die Großeltern versorgen lassen.

Die Maßnahmen eint, dass sie einzig darauf zielen, Erwerbsbeteiligung und Leistungsfähigkeit zu steigern: durch (Re)Integration von Frauen, insbesondere von Hochqualifizierten in Lohnarbeit, Verkürzung von Schul- und Studienzeiten und die unerbittliche Mobilisierung ›stiller Reserven‹: Vordenker des Neoliberalismus wie der Schweizer Ökonom Gerhard Schwarz entdecken die »vergessenen 40 Prozent« (NZZ, 29.9.2012) unbezahlter (Frauen-)Arbeit als ungenutztes Potenzial der Nationalökonomien – ein »unterschätzter Wohlstand« (ebd.). Das Plädoyer ähnelt – auf gespenstische Weise – den Argumentationen feministischer Ökonomiekritik, die seit den 1970er Jahren auf die Notwendigkeit unbezahlter Haus- und Sorgearbeit für kapitalistische Verwertungsprozesse hinweist. Die Forderung, Arbeit umfassend umzuverteilen und die mit einer hierarchischen Arbeitsteilung einhergehenden sozialen Spaltungen zu überwinden, wird kurzerhand entwendet.

Das Feld ist auch von unten umkämpft. Privatisierung und Vermarktlichung gesellschaftlicher Daseinsvorsorge ist Anlass und Ausgangspunkt für Kämpfe um eine (Wieder-)Aneignung des Öffentlichen: Bildungsstreiks, Initiativen für ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum und auf ein würdiges Leben im Alter, gewerkschaftliche Auseinandersetzungen im Pflegebereich für eine gemeinsame Organisierung von Krankenschwestern, Patienten und Angehörigen ebenso wie die Proteste gegen Privatisierung im Gesundheitswesen für höhere Löhne und Anerkennung von ErzieherInnen oder Zusammenschlüsse von (illegalisierten) Hauarbeiterinnen und den von ihrer Arbeit abhängigen Auftraggeberinnen, Initiativen für eine Rekommunalisierung von Wasser, Strom, Gas sowie für entgeltfreien öffentlichen Nahverkehr. Hier liegen Entwicklungschancen – eine Verbindung von guter Arbeit mit einem demokratischen, sozialen Öffentlichen. Die neuen Demokratiebewegungen und Occupy haben nicht nur den Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe, sondern auch Fragen individueller und gesellschaftlicher Reproduktion erneut und anders auf die Tagesordnung gebracht.

Wie kann die Krise der Reproduktion zum Ausgangspunkt einer Transformation werden, die reproduktive Praxen nicht mehr ausbeutet, sondern ins Zentrum alternativer Gesellschaftsgestaltung stellt? Die Idee einer Reproduktionsökonomie, in der sich Bedürfnisse und Ökonomie qualitativ entwickeln können, aber nicht mehr quantitativ wachsen müssen, öffnet Möglichkeiten, alternative Praxen zu entwerfen, kollektive Räume auszuloten und die vielfältigen existierenden Kämpfe zu bündeln.