Aber auch andernorts wurde deglobalisiert. Staaten wie China begannen sich stärker abzukapseln; zum Zweck verstärkter Kontrolle wurde etwa die digitale Kommunikation hinter der „Great Firewall“ in nationale Netzwerke und Plattformen gedrängt. Die Globalisierung befand sich also bereits vor der Corona-Pandemie unter Druck. Sie schritt nur noch langsam voran, in einigen Bereichen fand sogar ihr Rückbau statt. Dies ist eine überraschende Wende. In der Diskussion der 1990er und 2000er Jahre galt die globalisierte Welt gemeinhin als eine Art neue transnationale Konstellation. Krisen, Widersprüche, Grenzen und Ungleichheiten der Globalisierung wurden zwar immer wieder diskutiert. Die Globalisierung selbst galt aber als evolutionär voranschreitend und kaum umkehrbar. Seltener wurde über Tendenzen oder Projekte der „Deglobalisierung“ (Bello 2005) diskutiert, „Antiglobalisierer“ wurden meist als „strange fellows“ wahrgenommen (Leggewie 2003, 54). Erst jüngst kamen stärker auch Rückschläge und Gegentendenzen in die Diskussion (Crouch 2018), Begriffe wie „Reshoring“ – das Rückholen von ausgelagerten Produktionsstufen – kamen in der Wirtschaftspresse in Mode. Der „Corona-Schock“ (Menzel 2020) brachte eine neue Dynamik in diese Gemengelage.

Globalisierung: Ein Bestimmungsversuch

Doch zunächst zum allgemeinen Verständnis: Globalisierung kann in einer grundständigen Definition als „Zeit-Raum-Kompression“ verstanden werden (Harvey 1990, 240ff). Technologischer Fortschritt und wirtschaftliche Liberalisierung überwinden räumliche Distanzen. Hierdurch werden nicht nur der Kapitalverwertung neue Möglichkeiten eröffnet, sondern auch neue grenzüberschreitende soziale Interaktionen und Verknüpfungen („entanglements“) ermöglicht. Globalisierung hatte demnach schon immer verschiedene Gesichter.

  1. Den zentralen Treiber bildete technologische Innovation. Die Geschwindigkeit von Transport und Telekommunikation hat sich im Verlauf der Geschichte gesteigert: vom Segelschiff über den Dampfer bis zum Passagierflugzeug; von der Postkutsche über das Telegramm bis zur E-Mail. Große Distanzen wurden immer schneller überwunden.
  2. Dabei herrschte eine enge Fusion von Technologie und wirtschaftlicher Liberalisierung, die darauf zielte, das technologische Potenzial für die Kapitalverwertung nützlich zu machen. Ein bekanntes Beispiel ist die Funktionsweise von Aktien- und Währungsmärkten. So ist es heute mit wenigen Mausklicks möglich, milliardenschwere Spekulationsgeschäfte zu platzieren und so in kürzester Zeit immense Profite zu erzielen.
  3. Globalisierung war dabei stets auch ein politisches Projekt. Es bedurfte politischer Akteure, die die wirtschaftlichen Liberalisierungsprozesse vorantrieben und auf Dauer stellten. Die Freihandelsideologie des British Empire oder auch die neoliberale Wende seit der Reagan-Administration in den USA (1981–1989) waren somit ebenfalls Globalisierungstreiber; Institutionen des Weltregierens wie die Welthandelsorganisation WTO schrieben eine liberale Weltwirtschaftsordnung fest.
  4. Globalisierung war nur durch „globalisierte Menschen“ (Scherrer/Kunze 2011, 13) möglich, die sich in transnationalisierten Räumen bewegen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist etwa, dass Migrant*innen große Strecken hinter sich bringen, aber weiterhin enge Netzwerke zu ihren Herkunftsorten aufrechterhalten. Solche Dynamiken lassen sich bereits in früheren Phasen der Globalisierung beobachten: Etwa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als Überseechines*innen großzügig befestigte Wohntürme (Diaolou) in ihren Heimatorten finanzierten, um ihre Angehörigen vor Gewalt zu schützen.
  5. Zuletzt bedingte der Globalisierungsprozess einen stetigen Verbrauch an Ressourcen. Technologische Innovation war etwa eng mit der Nutzung neuer Energieträger verbunden. Die Dampfschiffe und Eisenbahnen verfeuerten Kohle, Automobile und Flugzeuge verarbeitetes Erdöl. Der steigende Naturverbrauch wurde zum Globalisierungsmotor.

Zusammengefasst: Globalisierung hat unterschiedliche Facetten, die es schwer machen, das Phänomen treffsicher zu analysieren (vgl. das Standardwerk von Altvater/Mahnkopf 1996). Werden einzelne Faktoren überbetont, erscheint sie wahlweise als Naturgewalt oder bloßer politischer Diskurs.

Globalisierung: Damals und heute

Doch nicht nur über den Charakter, sondern auch über den Anfangspunkt der Globalisierung scheiden sich die Geister. Meist werden zwei unterschiedliche Erklärungsmuster vorgebracht: Die eine Strömung bezieht sich auf die Phase seit den 1980er Jahren, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Globalisierung zeichne sich durch einige markante Neuheiten aus: Internationalisierung der Finanzmärkte, Aufstieg transnationaler Konzerne, digitale Informationstechnologien; die internationalen Verknüpfungen erreichen eine historisch neue Qualität (Cox 1987, 273ff). Die zweite Strömung sieht Globalisierung eher als einen fortlaufenden Prozess, der mit dem europäischen Kolonialismus im langen 16. Jahrhundert begann und sich später mit dem British Empire vertiefte und auf diese Weise ein weltweites System produzierte (Wallerstein 2000, 71ff, 221ff). Viele heutige Phänomene – etwa globale Wertschöpfungsketten – haben aus dieser Perspektive ihre kolonialen Vorläufer, so zum Beispiel in der Arbeitsteilung beim Schiffbau des 17. Jahrhunderts, der stark auf internationale Ressourceninputs (Holz, Flachs, Teer) setzte. Beide Sichtweisen haben Erklärungskraft. Denn eine zentrale Erkenntnis ist, dass Globalisierung niemals geradlinig und evolutionär ablief, sondern in Schüben (Chase-Dunn 2006). Es gab immer wieder Phasen von staatlichen Konflikten und des Zerfalls der (liberalen) Weltwirtschaftsordnung. So war die Phase zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein erster Höhepunkt der Globalisierung. Das British Empire garantierte zollfreien Handel in großen Teilen der Welt, eine Folge der Industrialisierung und Landnahme waren „ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen“ (Marx/Engels 1974: 466) in Amerika und Ozeanien. Allerdings zerbrach die Ordnung in zwei Weltkriegen und führte zu einer Phase der Deglobalisierung und der Entstehung neuer Wirtschaftsblöcke. Der Weltmarkt wurde erst Mitte der 1950er Jahre wiederhergestellt, der Welthandel erreichte erst wieder in den 1960er Jahren eine ähnliche Tiefe wie in der Vorkriegsepoche. Die Phase seit den 1980er Jahren war letztlich nur ein erneuter Globalisierungsschub, der jedoch eine neue transnationale Konstellation produzierte. Diese transnationale Konstellation zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass der Nationalstaat in der Kapitalakkumulation als wichtigster Referenzrahmen an Bedeutung verlor. Die Neuheit der „neuen internationalen Arbeitsteilung“ (Fröbel et al. 1977) bestand vor allem darin, dass industrielle Wertschöpfungsstufen systematisch in Niedriglohnländer ausgelagert wurden. Gleichzeitig erschlossen die großen transnationalen Konzerne weltweit neue Märkte und eröffneten Standorte. Die Tragweite dieses Umbruchs wird ersichtlich, wenn einige Grunddaten betrachtet werden. Heute gibt es weit über 100 000 transnationale Konzerne, Ende der 1960er Jahre waren es noch knapp über 7 000. Der Welthandel erreichte 2019 rund 19 Billionen US-Dollar (1960: 123 Mrd. USD) und wird heute zu rund einem Drittel innerhalb von großen Konzernen abgewickelt. Werden die Handelsströme in den Zuliefernetzwerken noch hinzugezählt, kommt deutlich über die Hälfte zusammen. Die Investitionsströme wuchsen ebenfalls gewaltig. Im Jahr 1970 lagen sie noch bei 12 Mrd. US-Dollar, um in den 2010er Jahren um die 2-Bio.-USD-Grenze zu schwanken; große Bestände von ausländischen Direktinvestitionen von über 36,5 Bio. US-Dollar zeugen von einer tiefen Verflechtung der Weltwirtschaft. Besonders dynamisch haben sich die globalen Finanzmärkte entwickelt. Im Jahr 2019 wurden täglich 6,6 Bio. US-Dollar im Forex-Markt (Foreign Exchange Market) umgesetzt. Mit der starken Transnationalisierung veränderten sich auch die internationalen Spielregeln und Kräfteverhältnisse. Die organisierte Arbeiterbewegung geriet in vielen Ländern in die Defensive (Silver 2005, 202ff), nationalstaatliche Regulierungen wurden poröser und von internationalen Arrangements ergänzt. Auch wenn das Bild eines ohnmächtigen Staates überzeichnet ist, ging die jüngste Globalisierungswelle doch sehr weit. Sie wurde nicht nur durch neue Technologien (Digitalisierung) unterfüttert, sondern hat auch große Bevölkerungsgruppen in ihrer kosmopolitischen Weltsicht geprägt. Diese Dynamik wurde als so tiefgreifend bewertet, dass sie manchem Beobachter als unumkehrbar galt (Beck 1997, 17ff; Robinson 2004).

Die Vielfachkrise der transnationalen Konstellation

Doch diese Analyse könnte sich heute als Trugschluss entpuppen. Denn die jüngste Globalisierungswelle scheint vorüber, die transnationale Konstellation steht unter Druck. Es lassen sich unterschiedliche De-Globalisierungsimpulse beobachten. Sie gehen meist mit handfesten gesellschaftlichen Konflikten einher. Diese (De-)Globalisierungskonflikte werden paradoxerweise von der Globalisierung hervorgerufen, stellen diese gleichzeitig aber infrage und tragen zu einer Verlangsamung, zur Stagnation oder sogar zu einem Rückbau der grenzüberschreitenden Verknüpfungen bei. Für ein besseres Verständnis der Deglobalisierungstendenzen lohnt es, die eingangs dargestellten Facetten der Globalisierung (Technologie, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Ökologie) in Erinnerung zu rufen. Zunächst ist der US-amerikanische Staat mit der Regierung Trump (vorerst) als verlässlicher Garant weiterer Liberalisierungsschritte ausgefallen. Die großen Projekte wie die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und TPP (Trans-Pacific Partnership) wurden gestoppt, Institutionen wie die WTO geschwächt (Schmalz 2018, 326ff). Seit 2018 befinden sich die USA zudem in einem Wirtschaftskrieg mit China, durch den neue Handelsbarrieren zwischen den beiden größten Volkswirtschaften aufgebaut wurden. So wurden allein rund 250 Mrd. USD an US-Einfuhren mit Zöllen belegt. Dieser Konflikt hat durchaus auch eine wirtschaftliche Grundlage. Denn die Widersprüche der Globalisierung entladen sich. Bereits seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 ist deutlich, dass extreme globale Ungleichgewichte in Handel und Finanzen die Weltwirtschaft prägen und zu Krisen beitragen. Gerade die USA hatte gegenüber China bis 2018 eine negative Leistungsbilanz von über 488,5 Mrd. USD aufgetürmt. Die Vertiefung des Handels- und Investitionsverkehrs schreitet nicht mehr reibungslos fort. Die jüngsten Konflikte könnten zu einem verstärkten Decoupling zwischen den USA und China beitragen. Die ungleichen Strukturen in Handel und Finanzen setzen auf soziale Ungleichheiten auf. Diese sind beim US-amerikanisch-chinesischen-Verhältnis relativ offensichtlich. Während in den USA massiv Industriejobs verloren gingen, wurden gerade in der Exportindustrie in China Wanderarbeiter*innen zu niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen beschäftigt (Schmalz et al. 2017). Die Politisierung dieser Verhältnisse erfolgte dann von rechts. Der Wahlsieg von US-Präsident Trump 2016 in den Bundesstaaten des Rust Belt, dem deindustrialisierten „Rostgürtel“ in der Region der Großen Seen im Nordosten der USA, ist auch auf die Stimmen der Arbeiterschaft zurückzuführen, die besonders unter den Folgen der Deindustrialisierung (Arbeitslosigkeit, Verfall von Infrastruktur, etc.) litten. Hinzu kommen Konflikte um die technologische Infrastruktur der Globalisierung von Datenströmen. Die Sanktionen gegen die chinesischen Netzwerkhersteller Huawei und ZTE und die Maßnahmen gegen chinesische Apps wie TikTok und WeChat zeigen nicht nur, dass die Idee einer grenzenlosen Netzwerkgesellschaft eine Illusion war, sondern auch, dass die großen Tech-Konzerne die Märkte abgesteckt haben und eng mit nationalstaatlichen (Sicherheits-)Interessen verstrickt sind. Letztlich ist es nicht mehr undenkbar, dass technologische Innovation ihre Treiberfunktion für die Globalisierung (wie auch in Zeiten der Weltkriege) verliert und abgekoppelte Innovationszentren (Westen vs. China) entstehen. Zuletzt stellt auch die Klimakrise den Globalisierungsprozess vor neue Probleme. Die fossilen Energieträger, die für Verschiffung, Gütertransport und Flugverkehr verfeuert werden, müssen massiv reduziert werden und können in einigen Bereichen (Flugverkehr) nicht umstandslos durch alternative Energiequellen ersetzt werden (Deutscher Bundestag 2020). Die Fridays-For-Future-Demonstrationen können damit auch als ein Weckruf an ungebremste Globalisierungsfantasien verstanden werden, stellen ihre Forderungen doch gerade auch stark globalisierte – und damit umweltschädliche – Produktionsnetzwerke infrage. Die Vielfachkrise der transnationalen Konfiguration war also bereits vor der Covid-19 Pandemie angelegt. Ihre Auswirkungen waren letztlich nur ein weiterer Schock, der viele Probleme offenlegte und verschärfte. Der Welthandel brach im zweiten Quartal 2020 um rund 18,5 Prozent ein. Für die Direktinvestitionen wird ein Rückgang von 30 Prozent für 2020 vorausgesagt. Dabei sind einige Branchen, wie der Flugverkehr, besonders stark betroffen. Hinzu kommt eine Debatte um die Risikodiversifizierung in globalen Wertschöpfungsketten. Offshoring soll diversifiziert werden, einzelne Stufen (Reshoring) sollen womöglich sogar zurückgeholt werden. Die politischen Konflikte zwischen den USA und China haben sich in der Krise eher noch verschärft, wie die Äußerungen Trumps zum Ursprung des „chinesischen Virus“ illustrieren. Kurzum: Die Deglobalisierungstendenzen werden Weltwirtschaft und Weltpolitik auch nach der Pandemie prägen.

Selektive De-Globalisierung als politisches Projekt

Die politische Situation ist dabei paradox. Auf dem Höhepunkt der transnationalen Konstellation war die Kritik an der Globalisierung ein Alleinstellungsmerkmal der politischen Linken. Organisationen wie Attac dominierten die globalisierungskritische Debatte mit Themen wie der Finanztransaktionssteuer oder der Kritik an Steueroasen und Freihandelsabkommen (Grefe et al. 2002). Doch in den vergangenen Jahren hat die politische Rechte, die in der globalisierungskritischen Diskussion lange Zeit eine randständige Position einnahm, das Thema in der öffentlichen Diskussion besetzt. Sie hat nicht nur andere Themen (Migration, „Islamisierung“, Sicherheit etc.) in den Mittelpunkt des Globalisierungsdiskurses gerückt. Die Rechte hat auch Kritikpunkte der globalisierungskritischen Linken politisch gewendet, so z. B. die ursprünglich gegen den „Neoliberalismus“ gerichtete Kritik an Freihandelsabkommen als nationalistischen Kampf gegen unfairen Standortwettbewerb neu erfunden. Die rechte Erzählung verschiebt dabei den Fokus. Politisch wird eine neue Spaltungslinie konstruiert: Eine übermächtige multikulturelle und transnationale Elite übe einen zersetzenden Einfluss auf Heimat und Nation aus (Gauland 2018). Wirtschaftspolitik diene der Durchsetzung nationaler Interessen. Die ökologische Krise wird hingegen von den meisten rechten Parteien geleugnet. Umweltgesetze gelten aus dieser Warte als eine Art Hemmschuh für nationalen Wohlstand. Durch die Regierung Trump ist diese Politik zur prägenden politischen Kraft geworden. Die linksgerichtete Globalisierungskritik hatte bisher eine andere Stoßrichtung. Es ging primär um eine umfassende Re-Regulierung – je nach politischer Façon war diese als erster Schritt einer antikapitalistischen Agenda gedacht – der Globalisierung. Die Institutionen der Global Governance sollten reformiert und demokratisiert werden, das UN-System gegenüber den Bretton-Woods-Institutionen aufgewertet, die liberalisierten Finanz- und Warenmärkte sowie transnationale Konzerne reguliert und regionale Wirtschaftsinstitutionen gestärkt werden (Biesecker et al. 2004). Die globalisierungskritische Bewegung sah sich dabei nicht als Anti-Globalisierungsbewegung, sondern als Bewegung für eine alternative Globalisierung (altermondialisme). Wie diese Vision konkret aussehen würde, blieb bis auf einzelne Projekte (Finanztransaktionssteuer etc.) eher vage, existierte doch eine Vielzahl von politischen Positionen zum Thema. Eine Stimme, die sich bereits früh konkreter äußerte und auch von der Stoßrichtung hervorstach, war Walden Bello. Er forderte „De-Globalisierung“ und damit „eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen zurück auf die nationale und lokale Ebene“ (Bello 2005, 66). Neben einer Reform der Bretton-Woods-Institutionen, die von der globalisierungskritischen Bewegung recht einhellig gefordert wurde, setzte Bello auf eine Art Subsidiaritätsprinzip: weg von einer einseitigen Orientierung auf komparative Kostenvorteile, hin zu mehr Binnenmarkt und einer Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie einer Einschränkung der Marktmacht der transnationalen Konzerne. Hierbei sollte auch ein gewisses Maß an Protektionismus (z. B. in der Landwirtschaft) eine Rolle spielen, ging es Bello doch auch um eine nachhaltige Entwicklung im globalen Süden. Das Projekt einer De-Globalisierung gewinnt vor dem Hintergrund der Vielfachkrise der transnationalen Konstellation an Aktualität. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat zu einer neuen Konjunktur geführt. Plötzlich ist das „Ende der Globalisierung“ (Die Zeit, 13.05.2020) in aller Munde. Ein gemeinsamer Tenor ist, dass zumindest geprüft werden sollte, ob strategisch wichtige Produktionszweige (z. B. medizinische Grundstoffe) wieder nach Deutschland zurückgeholt werden sollten. Diese Debatte ist jedoch einseitig. Die Marktmacht und Profitorientierung von privaten transnationalen Konzernen (und damit verbunden etwa die Verschmutzung von Grundwasser durch die nach Indien ausgelagerte Antibiotikaproduktion und daraus folgenden Resistenzen) steht bisher nicht zur Disposition. Es geht primär um Risikominimierung. Aber die Krise verschiebt die Grenzen des Denk- und Sagbaren. Ein politisches Projekt einer selektiven Deglobalisierung, durch das sozial-ökologische Standards und staatliche Intervention aufgewertet werden, wird im Umfeld von Krisen und Abschottung diskursfähig. Dies liegt freilich nicht nur an den Disruptionen im Warenhandel und auf den Kapitalmärkten; vielmehr rückt die Dringlichkeit des sozial-ökologischen Wandels die Globalisierung in ein anderes Licht. Aus der hiesigen Perspektive ist ein Wandel ohne Reformen auf der EU-Ebene nicht denkbar. Denn es gibt kaum ein Politikfeld, das so solide vergemeinschaftet ist wie die Außenwirtschaftspolitik. Zentrale Instrumente wie Außenzölle wurden von den EU-Staaten schon mit der Zollunion 1968 aus der Hand gegeben. Die EU operiert jedoch gerade in diesem Bereich als ein „Globalisierungsakteur mit imperialen Ambitionen“ (Bieling 2010, 221), der die Liberalisierung des Investitionsverkehrs, des staatlichen Auftragswesens und des Agrarhandels immer wieder in Verhandlungen zu „WTO-plus“-Freihandelsabkommen (z. B. das EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen) einbringt. Eine progressive Agenda hieße, diese Außendimension der EU infrage zu stellen und ein Gegenprojekt zu formulieren. Selektive Deglobalisierung würde daher nicht nur eine Revision von bestehenden Handelsabkommen (z. B. eine Ergänzung durch soziale und ökologische Klauseln), eine effektive Implementation von Klimazöllen sowie von Kapitalverkehrskontrollen bedeuten. Auch eine progressive Industriepolitik, die gezielte Investitionsprogramme zum sozial-ökologischen Umbau der Infrastruktur, die Schaffung europäischer Staatsunternehmen und eine strategische, EU-weite Planung von Wertschöpfungsketten umfasst, könnte hier eine Rolle spielen. Eine solche Reorientierung könnte als Einstiegsprojekt für eine gesellschaftliche Transformation dienen, die mit der ungebremsten Profitlogik bricht. Es bleibt freilich das Dilemma, dass die EU sich als nur schwer reformierbar erwiesen hat. Doch die Tür für einen Wandel wurde durch die Covid-19-Krise einen Spalt weit aufgestoßen: intern durch den umfangreichen Wiederaufbaufonds und extern durch den Druck, auf den Aufstieg Chinas industriepolitisch zu reagieren. Es wird darauf ankommen, diese veränderten politischen Spielräume zu nutzen.