Die Rechte ist im Aufwind. Dies wird nicht nur in den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen sichtbar, sondern auch in der Verschärfung des Asylrechts und in rassistischen Kampagnen gegen Geflüchtete sowie Angriffen auf die Finanzierung des Sozialstaats. Diese autoritären »Kipppunkte«, die zunehmende Entrechtung von Migrant*innen und die Erosion der sozialen Grundlagen der Demokratie, bilden einen Zusammenhang. Die Rede von einem »Kontrollverlust« in der Migrationspolitik begleitet nicht nur die Abkehr der CDU/CSU von der Ära Merkel, sie bereitet auch den Boden für eine autoritäre Entwicklung, die die Gesellschaft grundlegend verändern soll. Dabei sind es nicht nur die AfD und die unter Friedrich Merz weiter nach rechts rückende Union (vgl. Becker in diesem Heft), die Geflüchtete und People of Color als politische Projektionsfläche nutzen und diese pauschal unter rassistischen Generalverdacht stellen, sondern auch relevante Teile der bürgerlichen Medien sowie Regierungsparteien. Deren populistische Verbiegungen nach rechts schaden nicht nur den direkt Betroffenen, sondern unserer Gesellschaft als Ganzer. Denn Forderungen nach Kürzungen des Bürgergelds sowie die Hetze gegen Migrant*innen, die als »Sozial­schmarotzer« diffamiert werden, und die Diskussionen um die Bezahlkarte für Geflüchtete[1] sind Beispiele dafür, wie die Ablehnung von Migrant*innen zur Rechtfertigung von Sozialabbau genutzt wird. Diese Entwicklung macht deutlich: Es braucht dringend eine andere, eine solidarische Perspektive, die den Fokus auf den Schutz und die Rechte aller Menschen legt. Doch wie kann diese aussehen?

Für einen Perspektivwechsel ist es entscheidend, diese autoritären Politiken sowie die Entrechtung von Migrant*innen, Geflüchteten, migrantisch gelesenen Menschen sowie anderweitig Marginalisierten nicht als isolierte Probleme zu sehen, sondern als Teil einer größeren Entwicklung. Um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, um Widerstand zu organisieren und soziale Bewegungen miteinander verbinden zu können, brauchen wir eine solidarische Erzählung. Dabei können das Selbstverständnis als »Gesellschaft der Vielen«, das rassistische Vorstellungen von ­einer homogenen Gesellschaft überwindet, und migrantische bzw. diasporische Kämpfe mit hiesigen um faire Arbeit, Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung zusammengedacht werden. Denn wer Migration nicht als Normalität und Bestandteil dieser Gesellschaft begreift, fördert die gesellschaftliche Spaltung, autoritäre Tendenzen und am Ende die Zerstörung der Demokratie. Die Einschränkung sozialer Rechte beginnt häufig bei denen, die ohnehin von der Gesellschaft marginalisiert und entrechtet werden. Wer Migrant*innen Rechte verweigert, sie illegalisiert, schafft also den Boden dafür, dass auch anderen Gruppen Rechte vorenthalten sowie demokratische und wohlfahrtsstaatliche Standards ausgehöhlt werden. Der Umgang mit Migration ist daher nicht nur eine soziale Frage, sondern auch ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie.

Migration als Testfeld für autoritäre Entrechtung

Dabei beobachten wir derzeit unterschiedliche Prozesse der Entrechtung und autoritären Kontrolle: Seit dem 7. Oktober 2023 kommt es zu massiver Polizeigewalt, Repressionen und pauschalisierenden Einschränkungen des Demonstrationsrechts in Verweis auf die vermeintliche Staatsräson, wie etwa gegenüber palästinasolidarischen und anderen marginalisierten Gruppen zu beobachten ist (vgl. Ullrich in diesem Heft), während in Deutschland zeitgleich bereits seit Jahrzehnten eine mangelnde Sicherheit für Jüd*innen vor antisemitischen Anschlägen offensichtlich ist (siehe Anschläge wie in Halle). Wir sollten diese Politiken der Stigmatisierung, der Verbote und Entrechtung, der Gewaltausübung und des fehlenden Schutzes vor Gewalt sowie das Gegeneinander-Ausspielen als eine Art Laboratorium betrachten: Autoritäre Praktiken werden ausprobiert, selektiv eingesetzt und zugleich normalisiert.

Einen weiteren Schub autoritärer Entrechtungspolitik konnte als Antwort auf das Gewaltverbrechen in Solingen im August 2024 beobachtet werden. Die Bundesregierung verschärfte die Asylgesetzgebung, das Waffengesetz und Maßnahmen gegen den Islamismus, was einen Zusammenhang zwischen Asyl, Islamismus und Waffen suggeriert und die rechtsextreme Bedrohungslage, in der wir uns befinden, quasi außen vorlässt. So werden Kausalketten konstruiert, die auf rassistischen Narrativen beruhen. Während laut Verfassungsschutz die Anzahl von rechtsextremen Straftaten steigt und sogar im Innenministerium vor der extremen Rechten gewarnt wird, häufen sich die Schlagzeilen um die Verwicklung von Militär und Polizei in rechtsextremen Netzwerken und der Entwendung von Munition und Waffen. Dennoch wird so getan, als ob Haut- und Haarfarbe entscheidende Marker für Extremismus seien.[2] Doch anstatt für den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhalt Jugend, Präventions- und Sozialarbeit zu leisten, wird der Zugang zu grundlegenden Rechten wie Arbeit, Bildung und Wohnen als Exklusivrecht verhandelt und für Geflüchtete erschwert.Damit wird ihr Ankommen in dieser Gesellschaft quasi verunmöglicht. Das geht einher mit einer wachsenden Kriminalisierung und Stigmatisierung, die weit über die betroffenen Gruppen hinaus Wirkung zeigt. Es entsteht ein politisches Klima, das Entrechtung und autoritäre Kontrolle normalisiert. Hier ist ein Zusammenspiel von neoliberalem Zentrum und der extremen Rechten zu beobachten. Letztere hat den Diskurs derart vereinnahmt, dass es angetrieben von der Union bis zum BSW zu einem Überbietungswettbewerb kommt: mit immer extremeren und absurderen Forderungen wie nach der Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen und in Drittstaaten, was de facto der Abschaffung des Asylrechts gleichkommt. Es wird ein Bedrohungsszenario kreiert und Panikmache betrieben. Dabei sollten die Ursachen für die »Überlastungen« von Kommunen und soziale Verwerfungen in der Unterfinanzierung der Städte und Gemeinden, in der Privatisierung sozialer Infrastrukturen und im allgemeinen Sozialabbau und Investitionsstau gesucht werden. Inflation, Wohnungsnot, die Krise des Gesundheitswesens sowie schlechte Arbeitsbedingungen haben wenig mit Migration, aber viel mit mangelnder und schlechter Sozial- und Wirtschaftspolitik zu tun. Um das zu kaschieren, arbeiten sich die meisten politischen Parteien lieber an einem gemeinsamen Feindbild, an der »unkontrollierten« Einwanderung, ab. Während die Bundesregierung und die EU immer mehr extrem teure Abkommen mit Ländern »gegen den Fachkräftemangel« abschließen (z. B. mit Georgien, Marokko und Indien), werden Menschen, die nach Deutschland migrieren oder flüchten, wie Arbeitsunfähige oder -unwillige behandelt. Statt gesellschaftlicher Teilhabe werden viele in Lagern isoliert, ihnen werden Sprachkurse verwehrt, bürokratische Hürden gestellt und staatliche Hilfestellung allzu oft verweigert. Während über 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung vorgesehen sind, werden Gelder für Sozial- und Bildungsprojekte gekürzt. Statt in Abschiebung, Abschottung und bilaterale Abkommen zu investieren, müsste vielmehr in Strukturen der verbesserten Aufnahme, in das Bildungs- und Arbeitswesen sowie den sozialen Zusammenhalt investiert werden. Von den im Juni 2024 in Kraft getretenen und überfälligen Einbürgerungserleichterungen profitieren leider nur die Wenigsten.

Dabei zeigt die Art und Weise, wie ukrainische Geflüchtete in Deutschland aufgenommen wurden, dass es möglich ist, menschenwürdige Bedingungen zu schaffen, wenn der politische Wille vorhanden ist. Die Option eines schnellen und unbürokratischen Zugangs zu Bildung und Arbeit sollte für alle Schutzsuchenden gelten. Doch sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene hat man in den letzten Jahren Fluchtbewegungen aus Drittstaaten zunehmend kriminalisiert. Das jüngste Beispiel: die im November 2024 verabschiedete Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems – kurz GEAS. Vorgesehen sind »Asylschnellverfahren«, die Einführung von »Pre-Entry-Screenings« sowie eine Ausweitung der internationalen Kooperationen zur Abschottung der EU. Diese Neuerungen bedeuten mehr Abkommen mit autoritären Staaten, die weitere Aushöhlung des Asylrechts, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse sowie von Lagern mit haftähnlichen Bedingungen, wie wir sie bereits von Moria auf Lesbos oder anderen »Hot Spot Centern« an den Außengrenzen der EU kennen. Die Verschärfung des Asylgesetzes sowie intensivere Kontrollen an den Außengrenzen gehen mit verstärktem Racial Profiling und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz einher, die nachweislich sexistischen wie rassistischen Logiken unterliegen. Das zunehmend militarisierte Grenzregime ist zugleich ein Laboratorium für die Erprobung von Techniken der autoritären Kontrolle. Diese Formen der Entrechtung wirken sich nicht nur auf die Gesellschaften im Globalen Norden aus, sondern haben auch weitreichende Folgen für die Länder des Globalen Südens, etwa durch illegale Pushbacks oder bilaterale Verträge mit autoritären und menschenrechtsverachtenden Regierungen. 

Die derzeitig überall in der EU zu beobachtende Entrechtung von Migrant*innen und Geflüchteten kann als ein zentrales Merkmal autoritärer Politik verstanden werden. Die systematische Einschränkung von Freiheits- sowie sozialen Rechten trifft häufig zuerst solche Bevölkerungsgruppen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt und zeitgleich zum Gegner und Sündenbock erklärt werden. Maßnahmen zur Entrechtung von Migrant*innen und Geflüchteten sind gezielte politische Interventionen, die auf einen autoritären Gesamtumbau der Gesellschaft verweisen. Es werden immer wieder grundlegende Rechte auf dem Feld der Migration verhandelt und verweigert, wodurch die Unterwanderung demokratischer Werte und autoritärer werdender Politiken erprobt und normalisiert werden. In Deutschland sind sie die Vorboten einer erneuten Kampagne zur Aushöhlung des Sozialstaats. Merz’ Union steht in den Startlöchern für eine Neuauflage der Agenda-2010-Politik. Diesmal geht es nicht nur um die Schleifung der Arbeitslosenversicherung, sondern um eine Verlängerung der Arbeitszeiten, den Umbau des Renten- und Tarifsystems und einen Frontalangriff auf die Rechte von Mieter*innen. Die derzeitigen rassistischen Kampagnen schaffen ein Klima, in dem eine solche Politik wieder mehrheitsfähig werden könnte. SPD, FDP und Grüne sind demgegenüber durchaus aufgeschlossen – entgegenzusetzen haben sie dem insgesamt wenig.

Die Unterstützung, die besonders Entrechtete und deren Kämpfe für Teilhabe erhalten, zeigt an, inwieweit eine Gesellschaft bereit ist, für die von ihr proklamierten Werte wie Freiheit und Solidarität tatsächlich einzustehen. Die Art und Weise, wie wir mit Migrant*innen und Geflüchteten umgehen, ist ein Spiegelbild unseres Verständnisses von Gerechtigkeit. Das systematische Verletzen von grundlegenden Rechten ist nicht nur ein Verstoß gegen internationale Menschenrechtsnormen, sondern untergräbt auch die Grundfesten einer Demokratie. Es ist daher Zeit für einen Perspektivwechsel: Migration ist eine Kraft der Demokratisierung, Gradmesser für eine solidarische »Gesellschaft der Vielen« und eine verbindende Kraft unserer sozialen Kämpfe für eine gerechtere Gesellschaft.

Migration verbindet Kämpfe

Migration ist ein verbindendes Element in den Auseinandersetzungen um soziale Gerechtigkeit. Migrantische Bewegungen sind ein integraler Bestandteil von Kämpfen um bessere Bildung, bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen, gegen Diskriminierungen, Polizeiübergriffe, für mehr Demokratie etc. und machen deutlich: Der Kampf für die Rechte von Migrant*innen ist immer auch einer für die Rechte aller Menschen in einer Gesellschaft. In Städten, wo etwa der Mangel an bezahlbarem Wohnraum besonders spürbar ist, zeigt sich dies daran, dass die Verdrängung von Wohnungslosen und Menschen mit niedrigem Einkommen in die schlechter ausgestatteten Randbezirke eng verbunden mit der Ausgrenzung von Geflüchteten ist, die dort oftmals in Massenunterkünften eingepfercht werden. Häufig werden »soziale Brennpunkte« aktiv geschaffen, etwa durch schlechte Verkehrsanbindungen, eine in Kauf genommene Verwahrlosung des öffentlichen Raums und Einsparungen bei sozialen Einrichtungen sowie anderen öffentlichen Diensten. Entstehen Probleme und Spannungen, wird die Schuld dann bei den Betroffenen dieser Politiken gesucht und verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt. Der Kampf für das Recht auf Wohnen ist daher auch ein Kampf gegen soziale Ausgrenzung und gegen Rassismus und zeitgleich einer gegen die Spaltung unserer Gesellschaft.

Migration als demokratisierendes Element

Migrant*innen und Geflüchtete haben immer wieder dazu beigetragen, bestehende undemo­kratische Strukturen und Ausgrenzungen zu hinterfragen und zu kritisieren. So haben Migrant*innen schon in den 1970er-Jahren zum Teil gegen den Willen der Gewerkschaften ihr Wahlrecht in den Betrieben durchgesetzt und Seite an Seite mit ihren deutschen Kolleg*innen für bessere Löhne gekämpft (vgl. etwa Cafaro u. a. 2023). Heute fordern sie das politische Wahlrecht in dem Land ein, in dem sie seit Jahrzehnten leben und arbeiten. Geflüchtete haben mit der Einforderung ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit, Menschenwürdige Unterbringung und Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen nicht nur für den Erhalt der Bewegungsfreiheit aller gekämpft, sondern machen mit ihren Kämpfen immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen und demokratische Verpflichtungen aufmerksam. Dies zeigt, dass Migrant*innen und Geflüchtete nicht nur passive Profiteur*innen demokratischer Errungenschaften sind, sondern diese auch aktiv einfordern und ausweiten. Migrationsbewegungen sind ein demokratisierendes und verbindendes Element, das Gesellschaften in ihren Versprechen ernst nimmt. In der Bundesrepublik sind zahlreiche Beispiele von sozialen Bewegungen und Kämpfen zu finden, in denen Migrant*innen und Geflüchtete mehr soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft erkämpft haben, die sich auf alle gesellschaftlichen Schichten auswirken. Denn Forderungen nach politischer Repräsentation, gerechten Löhnen und Renten, gegen zu hohe Mieten, für Bildung und Arbeit sowie Bewegungsfreiheit für alle sind Forderungen, die auf Leerstellen in einer Demokratie aufmerksam machen.

Migration verteidigen

Die zunehmende Entrechtung von Migrant*innen und Geflüchteten ist ein Symptom einer allgemeinen autoritären Entwicklung in unseren Gesellschaften, die es aufzuhalten gilt. Ja, es braucht Migration, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu bewältigen. Ja, es braucht Migrant*innen, damit die Wirtschaft weiter am Laufen gehalten werden kann, denn ohne sie würde sie zum Erliegen kommen. Doch wir sollten sie nicht allein aus ökonomischen Erwägungen verteidigen. Es braucht eine linke Perspektive und positive Erzählung, die den dystopischen autoritären Entwicklungen etwas entgegensetzt. Migration muss als das verstanden werden, was sie ist: ein demokratisierender, verbindender und elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Maximilian Pichl schrieb in einem Artikel: »Im Parlament gibt es aktuell eine riesige Repräsentationslücke für Menschen, die eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik haben wollen.« (Pichl 2024) Dem würde ich hinzufügen: Es gibt eine Repräsentationslücke für Menschen, die die »Gesellschaft der Vielen« als Ausgangspunkt nehmen und wissen, dass es um menschenrechtliche Grundsätze, aber auch um unsere Gesellschaft als Ganzes geht. Wir verteidigen auch unsere »Gesellschaft der Vielen«. Migration spielt dabei eine zentrale Rolle als verbindendes Element in den Kämpfen für eine gerechtere, solidarischere und soziale Gesellschaft.