Das Private ist (noch nicht) politisch
Die Tatsache, dass Care-Arbeit in privater Verantwortung liegt und in der scheinbar natürlichen Zuständigkeit von Frauen, macht Veränderungen in diesem Bereich seit jeher kompliziert. Räumliche Vereinzelung, mangelnde Organisierungserfahrung und fehlende Produktionsmacht machen es denen, die unbezahlt oder prekär Sorgearbeit leisten, oft schwer, sich zu wehren und bessere Bedingungen einzufordern – sei es mehr Geld oder eine Umverteilung der Arbeit.
Hinzu kommt, dass der Gegner in diesem Kampf weniger leicht auszumachen ist als etwa in der Mietenpolitik, wo finanzialisierte Wohnungsunternehmen eine klarere politische Angriffsfläche bieten. Vielmehr verläuft eine Spaltungslinie durch die Klasse hindurch. Die herrschenden Geschlechterverhältnisse sowie Unterschiede im Aufenthaltsstatus und beim Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren die Bildung eines handlungsfähigen Kollektivsubjekts. Denn Teile der Klasse profitieren durchaus von den aktuellen Arrangements oder haben zumindest ein weniger dringliches Veränderungsinteresse: Die schlecht bezahlte oder unbezahlte Care-Arbeit von anderen macht es ihnen im bestehenden System leichter, ihre eigene Reproduktion zu organisieren.
Dabei läge eine echte Chance darin, Anti-Privatisierungskämpfe auf das gesamte Feld der Sorge auszuweiten und dies als strategischen Ansatzpunkt verbindender Klassenpolitiken zu entwickeln. Auseinandersetzungen in der professionellen Sorge-Arbeit – vor allem in der Pflege – konnten in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielen. Warum nicht hier gemeinsam nächste Schritte gehen? Feministische und antirassistische Anliegen sowie Kämpfe um gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit können sich dabei gegenseitig verstärken – und zwar mit einer klaren Transformationsperspektive: Ein Infrastruktursozialismus (vgl. Candeias u. a. 2020), der nicht nur professionelle, sondern auch private Sorge in gesellschaftliche Verantwortung nimmt, entzieht dem profitgetriebenen und heteronormativ-patriarchalen System die Grundlage. Er stellt ihm die Orientierung auf ein gutes Leben für alle entgegen.
Eigentumsordnung stürzen – Geschlechterverhältnisse aufheben
Eine Sozialisierung des Care-Bereichs wirkt in einem doppelten Sinne: Vergesellschaftung zielt darauf, wichtige gesellschaftliche Sektoren gemeinwirtschaftlich zu organisieren und die Eigentumsordnung als ein zentrales Moment von Klassenverhältnissen umzuwälzen. Im Fall der Sorgearbeit bedeutet es, nicht nur das Privateigentum an Krankenhäusern etc. und die marktförmige Organisation von Altenpflege, Kinderbetreuung oder haushaltsnahen Dienstleistungen aufzuheben, sondern auch und insbesondere Care-Arbeit aus der privaten Regulierung innerhalb der Haushalte sowie aus der damit historisch eng verschränkten geschlechtlichen Zuweisung zu befreien.
Die Vergesellschaftung von Sorge zielt also auch darauf, eine geschlechtliche Arbeitsteilung hinter sich zu lassen, die eine binäre Anordnung von Geschlecht erst nach sich zieht und damit eine wesentliche Grundlage hierarchischer und heteronormativer Geschlechterverhältnisse bildet. Der Sorgebereich muss also auch in diesem Sinne sozialisiert werden: Care-Tätigkeiten können nicht länger Frauen (unentloht und im Privaten) überantwortet werden, da ihnen dadurch häufig (ökonomische) Unabhängigkeit und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden. Was ansteht, ist in Anlehnung an Janine Brodie also eine »doppelte Ent-Privatisierung«.
Care in gesellschaftlicher Verantwortung
Aber was genau würde es heißen, Sorge in gesellschaftliche Verantwortung zu nehmen und sie damit demokratisch zu reorganisieren? Zunächst muss es darum gehen, neue öffentliche Infrastrukturen auf- und auszubauen. Wir brauchen mehr Kitas, Stadttteil-, Familien- und Gesundheitszentren, Pflegestützpunkte, Großküchen, Jugend- und Obdachlosentreffs. Diese sind so einzurichten, dass sie ganz unterschiedliche und sich über den Lebenslauf verändernde Bedürfnislagen berücksichtigen. Eine One-Fits-All-Sozialpolitik war gestern. Wir brauchen Arrangements, die auch auf besondere Bedürfnisse und lokale Bedingungen eingehen und die einen Zugang für bislang häufig vergessene Bevölkerungsgruppen ermöglichen. Das betrifft etwa queere oder Mehr-Eltern-Familien oder Care-Communities sowie eine umfassende Krankenversorgung für Menschen ohne Papiere oder für Transpersonen. Entsprechend ist es zentral, auch Selbstorganisierung und kollektive Lösungen mit öffentlichen Geldern praktisch zu unterstützen, ohne sie – wie aktuell durch die Förderung von »Ehrenamt« – als Lückenfüller für mangelhafte öffentliche Angebote zu instrumentalisieren (Haubner 2017).
Die Vergesellschaftung von Sorge bedeutet also längst nicht nur einen Eigentumswechsel von privat zu öffentlich, nicht »Verstaatlichung« allein (vgl. Candeias u. a. in diesem Heft). Vielmehr geht es um die gesellschaftliche Verfügung der Vielen über die Bedingungen sozialer Reproduktion. Das setzt voraus, dass der tatsächliche gesellschaftliche Bedarf ermittelt wird – zum Beispiel in Form einer demokratischen Planung unter Beteiligung aller, die davon betroffen sind. Geeignete Beratungs- und Entscheidungsstrukturen etwa in Form lokaler Care-Räte, in denen diejenigen sitzen, die mitentscheiden sollen, müssten erst entwickelt werden (vgl. Buckmiller in diesem Heft). All das kann schließlich nur gelingen, wenn es auch eine Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung insgesamt gibt. Nur durch eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeit kann Sorgearbeit geleistet werden, ohne Erschöpfung zu produzieren.
»Sorgende Stadt« – Warum nicht?
Gute Sorgestrukturen müssen vor Ort verfügbar sein. Auch wenn sie kollektiv oder gemeinwirtschaftlich organisiert werden, sollen sie im sozialen Nahraum bleiben. Für all jene, die sich gegen Privatisierungen auf lokaler Ebene einsetzen, kann die »Sorgende Stadt« eine Vision, ein produktives Leitbild sein, das verschiedene Ansätze, Ansprüche und Akteur*innen zusammenbringt. Es ist zu klären: Wie können kommunale und freigemeinnützige Träger, Beschäftigte, Nachbar*innen und lokale Politik zusammenarbeiten und wohnortnahe Sorgestrukturen entwickeln? Wie können die vorhandenen Infrastrukturen demokratisch umgebaut und unter kollektive Kontrolle gebracht werden? Wie muss eine Stadt konkret aussehen, die sich an den Bedürfnissen aller ihrer Bewohner*innen ausrichtet? Wie können wir vor Ort ansetzen, um die Logik der Privatisierung zu brechen und Einstiege in ein feministisches und sozialistisches Transformationsprojekt zu finden?
Vorkämpfer*innen aus der ganzen Welt
Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits Ansätze und Erfahrungen, von denen sich lernen lässt und die für hiesige Projekte fruchtbar gemacht werden können. Die interessantesten Beispiele stammen aus den munizipalistischen Bewegungen im spanischen Staat.
Barcelona
Die linke Stadtregierung von Barcelona en Comú legte 2017 als eine wesentliche Säule ihres »rebellischen Regierens« ein »Maßnahmenpaket für eine Demokratisierung der Sorge in der Stadt Barcelona« vor.2 Es stützt sich auf Erkenntnisse eines marxistischen Feminismus, der auch die ökonomische Bedeutung von Care-Arbeit für Volkswirtschaften betont. Entsprechend zielt das Maßnahmenpaket darauf, Sorgearbeit ins Zentrum einer kommunalen Wirtschaftspolitik zu stellen, statt sie entweder als Privatangelegenheit oder lediglich als Aspekt einer paternalistischen und tendenziell passivierenden Sozialpolitik zu behandeln. Wirtschaftspolische Maßnahmen sollten entsprechend über Fragen der Unternehmens- und Arbeitsmarktpolitik hinausgehen, auf den gesamten (auch unentlohnten) Care-Sektor ausgeweitet werden und Ansätze einer solidarischen Ökonomie, der Selbstorganisierung und von Genossenschaften privilegieren. So lasse sich auch einer zunehmenden Feminisierung von Armut entgegentreten.