Revolutionäre Erschütterungen sind daher ein Wesensmerkmal der kapitalistischen Epoche. Es sind die Triebkräfte des Kapitalismus selbst, die eine ununterbrochene Umwälzung der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse bewirken. Mit seinem Aufstieg und Siegeszug ist deshalb ein Zyklus von Revolutionen verbunden, der seit 700 Jahren andauert1 . 2 | Friedrich von Hayek sprach davon, dass Sozialismus eine »verhängnisvolle Anma- ßung« sei, von einem Machbarkeitswahn und von einem evolutionär rückständigen Streben nach Gerechtigkeit getrieben (1988). Für Hayek weist die Marktwirtschaft eine Systemintelligenz auf, die das bewusste Gestaltungsvermögen der Menschen übersteigt. In der hayekschen Kritik steckt eine zentrale Wahrheit. Tatsächlich geht es im Sozialismus um eine Anmaßung: die Anmaßung der bewussten Gestaltung wider die blind wirkenden Kräfte des Kapitalismus, der Demokratie wider die Diktatur des Kapitals, der Menschwerdung des Menschen wider die endlose Weiterführung der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Die Überwindung des Kapitalismus beendet die »Vorgeschichte der Menschheit« (Marx) und ermöglicht den Eintritt in eine Epoche, deren Geschichte in bewussten Akten geschrieben wird und in der es um die Entfaltung dessen geht, was den Menschen menschenmöglich ist. So verstanden wird Anmaßung zum neuen Maß, das die Menschheit ihrer eigenen Entwicklung anlegt. Darin ist das Risiko des Scheiterns enthalten, eines partiellen wie umfassenden Scheiterns. In der Geschichte der Arbeiterbewegung ist dieser Aspekt ausgeklammert und unter der Chiffre der »historischen Notwendigkeit des Sozialismus« begraben worden. Zehntausende russischer Revolutionäre haben diese Bewusstlosigkeit bitter bezahlt als sie dem stalinistischen Terror auch dann noch mental entwaffnet gegenüberstanden als sie gefoltert und gemordet wurden. Sie wollten dem Fortschritt dienen und hatten der »Partei des zwingenden historischen Fortschritts« kaum etwas entgegen zu setzen (Conquest 2001). Sozialismus ist Anmaßung. Erst in der Verwirklichung der partizipativen Demokratie kann die Anmaßung gelingen, können sämtliche Formen der Herrschaft des Menschen über den Menschen überwunden werden.

VENEZUELA UND DIE PARTIZIPATIVE DEMOKRATIE

3 | Häufig wird auch von linker Seite vorgetragen, dass »Macht korrumpiert«, etwa von John Holloway in Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen (2006). Das Argument richtet sich nicht allein gegen den enormen Integrations- und Anpassungsdruck, der auf linken Regierungen in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften lastet. Es richtet sich gegen jede Form von Staatlichkeit (vgl. Stephanie Ross in luxemburg 1/2010) und dient als Erklärung für bürokratische Herrschaftsverhältnisse in den ›realsozialistischen‹ Ländern des 20. Jahrhunderts. Dies soll anhand der jüngsten Geschichte Venezuelas diskutiert werden. Im April 2002 und im Winter 2002/2003 erlebte Venezuela einen revolutionären Umbruch, der die ökonomischen und sozialen Kräfteverhältnisse grundlegend veränderte. In den ersten Monaten des Jahres 2002 beschlossen die reaktionären Eliten in Absprache mit der USA und Spanien, gegen die Regierung Chávez zu putschen. Anlass dafür waren zwei Gesetzesvorlagen. Chávez wollte die Einkünfte aus dem Erdölgeschäft unter die Kontrolle der Regierung bringen, um soziale Projekte finanzieren zu können. Weiter sollten unbenutzte landwirtschaftliche Flächen gegen Entschä- digung enteignet werden können, um sie anschließend genossenschaftlich zu nutzen. Am 11. April 2002 schossen Heckenschützen in zwei Demonstrationszüge und töteten ein Dutzend Menschen. Die wichtigsten (privaten) Fernsehsender schoben die Morde den Chavistas in die Schuhe. Sie wollten Rechtfertigungen für einen Putsch liefern, der noch am selben Tag von einem Teil der Armee – gut geplant – durchgeführt wurde. Chávez wurde verhaftet, alle gewählten Gremien wurden aufgelöst. Doch nur zwei Tage später konnte Chávez die Regierungsgeschäfte wieder übernehmen – dank einer beispiellosen Mobilisierung der Bevölkerung aus den Volksquartieren (Barrios) der großen Städte und der Spaltung der Armee. Die Regierung Chávez versuchte darauf, die Wogen zu glätten. Sie verzichtete weitgehend auf Repressalien gegen die Putschisten. Doch die Situation ließ sich nicht entschärfen. Die gleichen Kreise, die den Putsch mitgetragen hatten, organisierten im Dezember 2002 einen Unternehmerstreik: Die Erdölgesellschaft PDVSA wurde lahmgelegt, um das Land von Deviseneinnahmen abzuschneiden, und die privaten Lebensmittelketten stoppten die Auslieferung der Lebensmittel, um die Bevölkerung gegen die Regierung in Stellung zu bringen. Doch auch diesmal wendete sich das Blatt: Die verbleibende PDVSA-Belegschaft kurbelte die Ölförderung wieder an. Der Regierung und der sich mobilisierenden Bevölkerung der Barrios gelang es, eine parallele Lebensmittelversorgung zu organisieren. Im Februar 2003 war das Scheitern des Unternehmerstreiks offensichtlich. Diesmal waren die Folgen für die Kräfteverhältnisse tiefgreifender, denn von nun an setzte die Regierung Chávez konsequent auf die Mobilisierung ihrer sozialen Basis. Die bekannteste Form dieser Mobilisierung sind die diversen Programme der so genannten Misiones (Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasserversorgung etc.), die sich mittlerweile zu einer landesweiten, breit abgestützten kommunalen Rätebewegung verdichtet haben (den Consejos Comunales). Seit sieben Jahren ist der von den Venezolanos als proceso bezeichnete Wandel in der venezolanischen Gesellschaft bestimmend. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verfügt dabei ein revolutionärer Prozess über beträchtliche ökonomische Ressourcen. Die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft ermöglichen es der Regierung, jährlich 20 bis 30 Milliarden Dollar in soziale und politische Projekte zu investieren. Damit besteht Spielraum für Lernprozesse. Das ist entscheidend: Eine neue Gesellschaft kann nicht erlernt werden, wenn jeder Fehler den Erneuerungsprozess existenziell bedroht (zum Beispiel in Form von Hungersnöten). Im Gegensatz zum heutigen Venezuela waren sämtliche authentischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts mit extremer Armut konfrontiert, meist verbunden mit Zerstörungen durch Kriege und Bürgerkriege. Die junge Sowjetunion war 1921 ein darniederliegendes Land, vom Ersten Weltkrieg und vom anschlie- ßenden Bürgerkrieg verwüstet und durch den Wirtschaftsboykott der kapitalistischen Länder eingeschnürt. »Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wenn die Schlange sehr lang wird, muss ein Polizist für Ordnung sorgen. Das ist der Ausgangspunkt für die Macht der Sowjetbürokratie.« (Trotzki 1936, 109) Von diesem Punkt muss die Frage nach Korrumpierung durch die Staatsmacht angegangen werden, will man sich nicht in Spekulationen über die »Natur des Menschen« verlieren. In Zeiten äußerster Not gewinnen materielle Privilegien eine existenzielle Bedeutung; gleichzeitig muss die breite Masse der Menschen ihr nacktes Überleben sichern und kann deshalb kaum Zeit und Energie aufbringen, um sich an partizipativen Prozessen der Gesellschaftsgestaltung zu beteiligen2. Der »Polizist in der Schlange« (die Staats- und Parteibürokratie) gewinnt hier eine Macht, die in neue Herrschaftsverhältnisse umschlagen kann. Ein Gegenbild sind die Consejos Comunales, von denen es mittlerweile zehntausende gibt. Ein Consejo Comunal bildet sich auf Initiative von rund 400 Familien in einem geographisch zusammenhängenden nachbarschaftlichen Raum und erhält die Verwaltungshoheit über die lokale Gesundheitsversorgung, den Straßenunterhalt, die Wasserversorgung, die sozialen Dienste. Sie können überdies eigenständig Projekte zur Entwicklung der kommunalen Wohlfahrt entwickeln. Finanziert werden die Arbeiten der Consejos aus einem Fonds, der aus den Erdöleinnahmen alimentiert wird. In den Consejos werden alle wichtigen Entscheidungen durch die Vollversammlung der Quartierbewohner gefällt. Der gewählte (und jederzeit abwählbare) Rat der SprecherInnen beaufsichtigt die Durchführung der Beschlüsse. Auch der Finanzausschuss sowie ein Kontrollgremium seiner Geschäftsführung wird gewählt. In der Praxis funktionieren manche Consejos hervorragend, andere tun sich schwerer, und mancher Consejo muss kämpfen, um von der umgebenden Staatsbürokratie zu erhalten, was ihm zusteht. Doch sind sie aus der venezolanischen Realität nicht mehr wegzudenken. In dem Maße, wie territoriale Einheiten (Quartiere, Dörfer, Städte) und Wirtschaftsstrukturen (Betriebe, Branchen) partizipativ ›durchwebt‹ werden können, kann Macht ›entherrschaftlicht‹ und in eine Form widerrufbarer Delegation transformiert werden. Damit kann gewährleistet werden, was Elinor Ostrom, Nobelpreisträgerin für Wirtschaft, in ihren Arbeiten als Voraussetzung für nachhaltige und solidarische Wirtschaft beschreibt: die aktive Bewirtschaftung und Verwaltung der Gemeingüter durch die Nutzer. Die Betroffenen müssen die dafür nötige Zeit und Motivation aufbringen. Ohne ein Mindestmaß an individueller materieller Absicherung und an kollektiv verfügbaren Ressourcen ist das unmöglich. In Venezuela erleben wir eine Akzentuierung der sozialen Kämpfe bei einer gleichzeitigen Ausweitung der demokratischen Rechte und Ausdrucksformen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die »Schlangen vor den Läden« weit weniger lang sind als in Russland 1917, China 1949 oder Nicaragua 1979.

SOZIALISMUS UND DIE ENTMYSTIFIZIERUNG DES ÖKONOMISCHEN

Was aber ist davon zu halten, dass der Markt zur Koordination und Optimierung wirtschaftlicher Entscheidungen besser geeignet sei als der Plan? In der bürgerlichen Diskussion wird die Wirtschaft der Gesellschaft als eigenständiges System entgegengestellt. Dadurch entsteht eine Fetischisierung des Wirtschaftlichen, von der sich auch viele linke Ökonomen blenden lassen. Was aber haben Tätigkeiten wie die Viehzucht, die Produktion von Halbleiterplatten oder die Pflege von Kranken miteinander zu tun, das es rechtfertigen würde, sie einem gemeinsamen Subsystem »Wirtschaft« zuzuordnen? Das Kapital sucht renditefähige Investitionsmöglichkeiten unabhängig von stofflichen Belangen und unterwirft dabei sämtliche Branchen den gleichen Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation. Kapitalistische Beteiligungsgesellschaften etwa investieren in Tabakindustrie wie in Privatspitäler: die Absurdität auf inhaltlich-stofflicher Ebene fällt schon nicht mehr auf. Diese Vereinheitlichung und Abspaltung einer der Kapitalakkumulation unterworfenen Wirtschaft von der Gesellschaft ist keine ahistorische Prämisse. Dennoch wird sie immer wieder auf Entwürfe nachkapitalistischer Gesellschaften übertragen. Die Debatte dreht sich überwiegend um die abstrakte Frage, ob Markt oder Plan besser geeignet sei, die Millionen und Abermillionen von wirtschaftlichen Detailentscheidungen zu treffen und zu koordinieren. Dagegen existieren bereits unter kapitalistischen Verhältnissen verschiedene Sektoren der Wirtschaft, in denen unterschiedliche Steuerungsmechanismen vorherrschen. Die privat erbrachte »Care Economy«, die Betreuung und Versorgung abhängiger Menschen (Kinder, Pflegebedürftige) beispielsweise: Sie umfasst je nach Definition und Art der Berechnung 30 bis 50 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden, beschreibt also den weitaus größten »Wirtschaftssektor«. Dennoch wird sie im Kapitalismus kaum als »Wirtschaft« wahrgenommen (zum Beispiel taucht sie in keiner Rechnungsführung und somit auch nicht im Bruttoinlandsprodukt auf). Ebenso gelten die öffentlichen Dienste, die in der Regel in Form eines Beschaffungswesens unter politischer Führung organisiert sind und in entwickelten kapitalistischen Ländern rund 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes umfassen, nicht als eigentliche »Wirtschaft«. Und auch die dem Kapital direkt unterworfenen Bereiche unterliegen unterschiedlichen Dynamiken: Stark von internationaler Arbeitsteilung geprägt (z.B. Elektronik) – oder nur geringfügig (z.B. Gastgewerbe); stark von Forschung und Entwicklung geprägt (Software) oder mehr durch die Produktionskosten bestimmt (Baubranche) und so weiter. Wer es unternimmt, Alternativen zum Kapitalismus zu skizzieren, sollte deshalb den stofflich-gesellschaftlichen Besonderheiten der verschiedenen Wirtschaftssektoren und -branchen Rechnung tragen und damit zu einer Entmystifizierung des Ökonomischen beitragen.

GLOBALE KOOPERATION UND OFFENE PATENTE

Als Probe aufs Exempel seien an dieser Stelle zwei Branchen kurz diskutiert: die Pharmaindustrie und die Informatik. In einer postkapitalistischen Pharmabranche mag es weiterhin private Firmen geben. Die zentrale Rolle spielen aber nicht mehr konkurrierende Pharmakonzerne, sondern weltweit kooperierende Forschungs- und Entwicklungszentren. Sie kooperieren mit öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen, Forschungs- und Entwicklungsergebnisse werden weltweit frei ausgetauscht. Patente gibt es zwar weiterhin, jedoch als »offene«, die von allen kostenfrei genutzt werden können und auch nicht durch Weiterentwicklungen privatisiert werden. Auf verschiedenen Ebenen (Länder, Regionen, Universitäten) werden Forschungs- und Entwicklungsfonds gebildet, aus denen Entwicklungs-Projekte finanziert werden; große Projekte werden international abgestimmt. Ansätze aus der Erfahrungs- und Komplementärmedizin und das Wissen indigener Kulturen über Heilpflanzen werden mit berücksichtigt, die Zusammenarbeit mit Spitälern und Patientenorganisationen ist ergebnisoffen und nicht von Profitinteressen beeinflusst. Die öffentliche Hand betreibt Pharma-Produktionsstätten, damit auch hier private Profitinteressen nicht dominieren und Entwicklungen nicht blockiert werden können. Die Loyalität der Forscher, Entwickler und Produzenten gehört nicht einer Privat- firma, sondern der »Sache«, der Branche, der »Szene«, der Gesundheitsförderung. Belebende Konkurrenz wird es nach wie vor geben – zwischen verschiedenen Forschungsteams oder medizinischen Lehrmeinungen. Weitaus bedeutender wird jedoch die internationale Kooperation sein, der freie Austausch von Forschungsresultaten, die offene Debatte von Studienergebnissen und kooperativ angelegte Projekte. Dass eine solche Organisationsform der Pharmabranche wesentlich produktiver und innovativer als die Steuerung durch kapitalistische Konzerne sein kann, wird durch die Erfahrungen aus der Software-Branche gestützt. Die Informatik ist nach wie vor von einigen kapitalistischen Großkonzernen dominiert, doch die meisten innovativen Entwicklungen stammen nicht aus diesen Großkonzernen, sondern von kleinen Firmen, von staatlichen Projekten, von universitären ForscherInnen, von Studierenden und aus der Open-SourceSzene. So entstanden die Grundkonzepte des Internet im Rahmen von Arbeiten des amerikanischen Verteidigungsministeriums für ein ausfallsicheres Computernetz. Diese Konzepte wurden für die Nutzung durch Universitäten freigegeben und konnten sich dadurch auf der ganzen Welt ausbreiten. Die Browser-Server-Technologie des World Wide Web: Sie wurde von einem Mitarbeiter des europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf entwickelt. Offene Betriebssysteme (Unix, Linux) und darauf basierte Anwendungen (Open Office etc.) entstanden großteils an Universitäten und decken heute praktisch denselben Funktionsumfang ab wie MicrosoftProdukte. Sie können sich jedoch nur beschränkt durchsetzen: Staatlich-repressive Maßnahmen schützen die privaten Patente und Monopole. Und Microsoft verhindert systematisch, dass seine Produkte mit Open-SourceProgrammen störungsfrei zusammenarbeiten. Schließlich fehlt es in der Open-Source-Welt an einer konsolidierten Produktekultur, die dafür sorgt, dass die Endnutzer ein kohärentes Produkte-Set erhalten und im Problemfall einen raschen, kompetenten Service abrufen können. Würde sich eine kritische Masse von Computernutzern (z.B. öffentliche Verwaltungen, Schulen etc.) zusammenfinden und genügend Kapital aufbringen, dann ließe sich eine solche Kultur aufbauen, z.B. mit Hilfe eines weltweit operierenden Open-Source-Konsortiums, das die Tätigkeit der Open-Source-Community fokussiert und konsolidiert. Diese Überlegungen können für alle Branchen verallgemeinert werden, in denen die Entwicklungskosten weit über den Produktionskosten liegen, etwa alle Formen der Entwicklung und Bereitstellung von Informationen: Computersoftware, Wissensinhalte, Kulturgüter wie Musik und Filme, Forschungsdaten usw. In diesen Bereichen lässt sich das Kapitalprinzip nur repressiv mit Hilfe von Patentschutz und Strafverfolgung durchsetzen. Gleichzeitig wird die Dominanz von multinationalen Privatkonzernen zu einem beträchtlichen Hindernis für den Fortschritt. Ein positives Beispiel dafür ist Wikipedia, die weltweite Online-Enzyklopädie, die qualitativ bereits besser abschneidet als der ehrwürdige Brockhaus. Der Betrieb von Wikipedia kostet jährlich ein paar wenige Millionen Dollar. Das Wesentliche – nämlich die Aufbereitung der Informationen – basiert auf freier Kooperation zehntausender von Menschen, die ihre Mitarbeit ohne jedes Entgelt einbringen. Kooperation, Partizipation und Demokratie nehmen dabei vielfältige, teilweise globale Formen an – je nach den stofflichen Gegebenheiten des Tätigkeitsfeldes3 .

KONFRONTATIONSBEREITSCHAFT ODER NIEDERGANG

Chávez war zu Beginn seiner Regierungszeit kein Sozialist. Die venezolanischen Eliten waren sich damals wohl noch sicher, ihn durch Druck und Privilegien den Interessen der herrschenden Kreise unterordnen zu können (wie so manche Linkspolitiker zuvor). Das ist nicht geschehen. Die bolivarianische Revolution gewann ihre Dynamik auf der Basis von Reformvorhaben, die als solche keineswegs systemsprengenden Charakter hatten. Linke Politik muss sich in jeder Situation daran messen, ob sie die Eigenständigkeit sozialer Bewegungen fördert oder sie entmutigt und der Subordination Vorschub leistet. In Zeiten verschärfter Klassenauseinandersetzungen muss die Linke die herrschenden Eliten herausfordern, wenn sie ihre Inhalte nicht preisgeben will. Mitunter findet sie sich dabei rasch in der Logik einer sozialistischen Perspektive und eines Bruchs mit der bürgerlichen Vorherrschaft. Die Alternative zu dieser Konfrontationsbereitschaft ist nur Anpassung und letztlich Niedergang.  

LITERATUR

Azzellini, Dario, 2008: Venezuela Bolivariana. Revolution des 21. Jahrhunderts?, Köln/Karlsruhe Behruzi, Daniel, 2007: Die Sowjetunion 1917-–1924, Köln Conquest, Robert, 2001: Der große Terror, München Holloway, John, 2006: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Münster Ringger, Beat, 2008: Die demokratische Bedarfswirtschaft sowie Der konstruktive Imperativ und das Problem der revolutionären Avantgarde. In: Ders. (Hg.), Zukunft der Demokratie – das postkapitalistische Projekt, Zürich Trotzki, Leo, 1936: Verratene Revolution, Essen 2009 von Hayek, Friedrich A., 1988: Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, Tübingen 1996

Anmerkungen

1 Die erste Revolte der Geschichte, die von der Arbeiterschaft geprägt war, ereignete sich 1378 in Florenz. Während des sogenannten Ciompi-Aufstandes ergriffen die revoltierenden ArbeiterInnen während 41 Tagen die Macht. Der Aufstand zerbrach am Fehlen kollektiv getragener Vorstellungen darüber, wie eine alternative Gesellschaftsformation zu gestalten sei. 2 Dies war einer der zentralen Gründe dafür, dass die russische Rätebewegung zwei Jahre nach der Oktoberrevolution erlahmte. 3 Für eine vertiefte Darstellung einer postkapitalistischen Ökonomie verweise ich auf die Publikation Zukunft der Demokratie (Ringger 2008)