Der Antifeminismus Breivics
Bei Gewaltdelikten müssen sowohl die politische Motivation als auch die Gender-Komponente – also das Spezifikum misogyner und/oder homo-, trans*- und inter*feindlicher Gewalt in der politischen Tat – betrachtet werden. Eines der schlimmsten rechtsextremen Massaker in der europäischen Geschichte nach 1945, die Bombenattentate und Morde des Norwegers Anders Behring Breivik im Jahr 2011, wird allgemein als »islamfeindlich« eingestuft oder unter Umständen noch als eine »gegen den Kulturmarxismus« gerichtete Tat gewertet. Diese extrem rechten Ideologieelemente, die in erstaunlicher Kongruenz alle auch heute im (extrem) rechten Diskurs von PEGIDA, AfD und Co. perpetuierten Inhalte vereinigen, sind in einem 1 500-seitigen Pamphlet Breiviks mit dem Titel »2083. Eine europäische Unabhängigkeitserklärung« durchdekliniert. Den Text, den Breivik vor der Tat verfasste, durchziehen die Motive des Antifeminismus: Rund 100 Seiten sind explizit der »Gefahr des Feminismus« und dem Wunsch nach der »Wiedereinsetzung des Patriarchats« gewidmet. Schon in der Einleitung definiert Breivik den Feind: »Political Correctness« – dafür stehen die Begriffe Kulturmarxismus und Feminismus. »Vielleicht ist kein Aspekt der politischen Korrektheit im heutigen westeuropäischen Leben wichtiger als die feministische Ideologie.« Breivik wähnt deren schädlichen Einfluss überall: in der Alltagskultur, im Fernsehen mit den weiblichen power figures, bei den Frauen* im Militär, der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, dem Sensitivity-Training und den Gender Studies. Für ihn zeigt sich dieser Einfluss im Postmodernismus, in der Schwächung von bestimmten Männlichkeitsidealen, im Zerfall der klassischen Kleinfamilie und in der Auflösung von traditionellen Geschlechterrollen. Am Ende seines »Manifests« beschreibt er, wie seine »Gesellschaftsutopie« aussieht und wie sie erreicht werden kann: Die »Feminisierung der europäischen Kultur« durch den radikalen Feminismus, der die Immigration von Muslim*innen befördere, mache die gezielte Ermordung von Frauen* als Repräsentant*innen dieser feministischen Bewegung notwendig. Was die wenigsten wissen: Breivik plante, sein Massaker auf Utøya mit der Enthauptung der norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland zu beginnen. Sie, die in einer Person so viele von extrem rechten Männern verhassten Eigenschaften vereint – Sozialdemokratin, promovierte Ärztin, langjährige Ministerpräsidentin, die ab 1981 viele Frauen* in ihr Kabinett holte und sich innerhalb ihres Landes und auf internationaler Ebene für Frauen*rechte, Umweltschutz, Gesundheit und gegen Armut engagiert und gleichzeitig Mutter von vier Kindern ist –, besuchte dort die Mitglieder der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, von denen 77 sterben mussten. Die dem Massaker auf der Insel vorausgegangenen Bombenattentate in Oslo dauerten jedoch länger als geplant, sodass Breivik Utøya erst erreichte, als Harlem Brundtland schon abgereist war. Der Antifeminismus, wie ihn Breivik und der Blogger Fjordman, von dem er Textteile in sein Manifest kopierte, vertreten, beinhaltet nicht nur Misogynie, sondern auch Anti-Gender-Positionen, die sich genau gegen die Dekonstruktion und Auflösung von klaren Grenzen zwischen den Geschlechtern richten: Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle und alle Queers sowie ihre politischen Fürsprecher*innen sind demnach Repräsentant*innen des von ihnen so verhassten Feminismus. Breivik offenbart damit eine fundamentale Angst vor der Bedrohung seiner Gender-Identität, und der Hass, den diese Angst auslöst, findet direkten Ausdruck in seinem Manifest und den damit verbundenen terroristischen Taten.
Der Terroranschlag von Christchurch
Das wesentlich kürzere Manifest des rassistischen Attentäters von Christchurch, einem 29-jährigen weißen Australier, der am 15. März 2019 über 50 Besucher*innen zweier Moscheen in Neuseeland erschoss und mindestens ebenso viele verletzte und traumatisierte, beginnt mit der dreimaligen Wiederholung des Satzes »It’s the birthrates.« Es seien die hohen Geburtenraten der »Invaders« und die niedrigen Geburtenraten der »Europeans«, die zum »Great Replacement«, also dem »Großen Austausch« und damit dem »Genozid« an der »weißen Rasse« führen würden. Während im Manifest die Geschlechterrollenforderung für Frauen diffus bleibt und der Autor scheinbar willkürlich in Bezug auf Kämpfende mal von »unseren Männern und Frauen«, mal nur von »Männern« schreibt, so offenbart ein zweiter Blick durchaus einen impliziten und manchmal expliziten Appell an eine wehrhafte, sich radikalisierende Männlichkeit im imaginierten »Rassekrieg«, die in Sätzen wie »Men of the West must be men once more« sichtbar wird.
Schlagwortartig werden hier hohe Scheidungsraten, Kinderlosigkeit, sich ändernde Gender-Normen, der Bedeutungsverlust von Familienwerten und die »Schwäche europäischer Männer« für den als unerträglich wahrgenommenen Zustand der Gesellschaft verantwortlich gemacht. An weiße Männer ergeht der Appell, sich als Krieger zu verstehen und entsprechend zu verhalten, weiße Frauen werden dazu aufgerufen, mehr Kinder für den Erhalt der »eigenen Rasse« zu produzieren. In einem mit »The Rape of European Women Invaders« überschriebenen Kapitel finden sich zahlreiche Internetlinks, die meist auf organisierten sexuellen Missbrauch insbesondere an Kindern verweisen, kommentiert in einer eher vulgären Sprache. Hier werden auch die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Deutschland erwähnt und wird den Tätern und ihren Familien mit dem Tode gedroht. Neben den »Invaders« und ihren Kindern, allen voran Migrant*innen aus muslimisch geprägten Regionen, stehen auch blood traitors und ihre Helfershelfer*innen auf der »Abschussliste« des Attentäters von Christchurch, darunter beispielsweise NGOs, die Seenotrettung betreiben und damit seiner Ansicht nach Einwanderung und einen »Melting Pot« beförderten. In dem wahnhaften essenzialistisch-biologistischen »Menschenbild« des Täters ist die Auflösung von Grenzen zwischen den »Rassen« gleichbedeutend mit dem Tod. Sein Ziel formuliert er in den legendären »14 words«, dem Glaubenssatz vieler weißer Neonazis und Rassist*innen: »We must secure the existence of our people and a future for White children« (»Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern«).5 Auf den 74 Seiten des Manifests wird ganze 43 Mal »pro-natalistisch« auf Geburtenraten Bezug genommen.