Seit Mai bist du Bürgermeister von Randowtal – eine kleine Gemeinde in der Brandenburgischen Uckermark. Wie ist es dazu gekommen?
Die nördliche Uckermark ist das, was im Verwaltungsdeutsch eine »strukturschwache Region« genannt wird. Auf EU-Karten ist dieser Teil Brandenburgs sogar als »nicht besiedeltes Gebiet« verzeichnet. Randowtal selbst ist im Rahmen der Gemeindegebietsreform 2003 aus sechs Dörfern entstanden, etwa 1000 Menschen leben hier. Die Identifikation mit der Gemeinde ist nicht sehr stark, alte Dorfidentitäten leben fort. Politisch ist es auch deshalb etwas kompliziert. Der bisherige Bürgermeister ist Landwirt, kommt aus Schleswig-Holstein und hat das ehemals volkseigene Gut übernommen. Sein Verständnis von Gemeindepolitik ist schlicht: Alles muss sich rechnen, wie in einem Betrieb. So hat er zugelassen, dass die lokale Grundschule geschlossen wurde – wegen zu geringer Schü- lerzahlen. Tatsächlich war es so, dass eine kinderreiche Familie in einen anderen Schulbezirk umgesiedelt wurde – da diese abhängig ist vom Amt, konnte man das machen –, und schon reichten die Schülerzahlen nicht mehr aus. Letztlich kam es ihm entgegen, weil er den Haushalt entlasten wollte. Probleme dieser Art gibt es viele – das macht das Leben für die Leute hier immer schwieriger. Am Rande eines Dorffestes entstand dann die Idee, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen und sich zur Wahl stellen – eine für diese Gefilde eher untypische Schlussfolgerung.
Wie läuft so ein Wahlkampf ab? Wie habt ihr das angefangen?
Zunächst beschlossen wir eine Wählergemeinschaft zu gründen – Parteipolitik spielt auf dieser Ebene kaum eine Rolle. Das war zunächst etwas aufwendiger, weil wir UnterstützerInnen finden mussten, damit die Liste überhaupt zugelassen wird. Gleichzeitig war das der erste Schritt im Wahlkampf. Über die Unterschriftensammlung sind wir mit den Leuten ins Gespräch gekommen, haben ihnen zugehört. Wir haben uns auf den Dorffesten sehen lassen oder selbst welche organisiert. In der Lokalpolitik geht es vor allem um Personen – es werden Gesichter gewählt. Auch deshalb hatten wir mit unserer Liste von Anfang an ganz gute Chancen. Wir alle kommen aus der Region, sind hier aufgewachsen, haben uns auch entschlossen, hier zu bleiben, und sind entsprechend in den lokalen Strukturen gut verankert. Auf unserer Fünferliste standen neben dem Sportvereinsvorsitzenden auch der Chef des Anglervereins, der örtliche Förster und ein gut vernetzter Landwirt. Für den Wahlkampf haben wir einen Bürgerbrief geschrieben und unsere Anliegen skizziert. An die 500 Briefe haben wir gedruckt, eigenhändig unterschrieben, gefalzt und eingetütet. Anschließend sind wir durch die Dörfer getingelt und haben jeden einzelnen Briefkasten bedient. Es hat sich gelohnt, wir haben 36 Prozent der Stimmen bekommen.
Womit seid ihr angetreten, hattet ihr eine Art Programm?
In so einer Gemeinde laufen die großen Themen im Kleinen zusammen. Das Problem der Schule hatte ich ja schon angesprochen. Ein weiterer wichtiger Konfliktpunkt ist der Windplan der regionalen Planungsgemeinschaft. Dieser sieht weitere Windkraftanlagen im Gemeindegebiet vor. Das wollen wir versuchen in dieser Form zu verhindern. Nicht weil wir gegen erneuerbare Energien sind – im Gegenteil. Das Problem besteht darin, dass die Menschen, die unter den Macken dieser Stahlkolosse leiden, überhaupt nichts von ihnen haben. Auch für sie steigt der Strompreis stetig an, die Profite landen in den Taschen der privaten Betreiber. Die Gemeinden werden mit läppischen Summen abgespeist, nur um kurzfristige Kosmetik am defizitären Haushalt zu betreiben. Eine Alternative wäre es, eine Genossenschaft zu gründen oder vielleicht einen Windpark in Gemeinderegie zu betreiben, das wäre etwas ganz anderes. Leider hatte sich die Gemeinde Anfang der 1990er Jahre beim Bau eigener Windkraftanlagen derart über den Tisch ziehen lassen, dass sie irgendwann die Zinsen für die Kredite nicht mehr zahlen konnte. Ein Großbanker aus Hamburg, der im Nachbardorf einen großen Teil der ehemaligen LPG betreibt, hat sich dazu durchgerungen, der Gemeinde diese Dinger abzukaufen. Das war ein Glücksfall und hat den Haushalt entlastet.
Lassen sich über die konkrete Betroffenheit der Leute vor Ort auch Diskussionen über erneuerbare Energien und nachhaltige Energiewirtschaft anstoßen?
Ja, ich denke schon. Im Grunde wollen wir weg von fossilen Energieträgern. Also müssen neue Konzepte entwickelt werden. Wir denken an Formen der Rekommunalisierung – diese großen Fragen stellen sich hier, wie gesagt, sehr alltagsnah. Das öffnet aber auch Möglichkeiten, über eine Energiewende konkret zu sprechen. Gleichzeitig müssen die großen Transformationen so angegangen werden, dass der Weg dorthin für die Leute Verbesserungen mit sich bringt, der praktische Nutzen irgendwie spürbar wird. Wenn zum Lärm der Windräder noch exorbitante Stromkosten hinzukommen und niemand mitreden darf, wo die Dinger gebaut werden, erfordert es schon ein hohes Maß an politischem Bewusstsein, um sich trotzdem für Erneuerbare einzusetzen. Hätten wir eine regionale Energiegenossenschaft, die im besten Fall noch mit erweiterten Mitbestimmungsformen einhergehen würde, wäre das wunderbar.
Über solche Projekte können auch neue Formen der Beteiligung entstehen und das Gefühl, durch eigenes Handeln auch tatsächlich etwas verändern zu können. In einem nächsten Schritt sind dann vielleicht auch übergreifende politische Fragen besser diskutierbar. Wir sprechen hier über das Stromnetz, an dem die Gemeinde beteiligt ist, über Fördermaßnahmen für Fotovoltaik und Biogasanlagen, die die Landwirte betreiben könnten. Vor allem reden wir aber über lokale und regionale Kreisläufe.
Der neue Bürgermeisterjob ist ja nicht dein einziges politisches Amt: Du sitzt außerdem für die LINKE im Kreistag Uckermark. Warum bist du nicht für die LINKE angetreten?
Nun ja, die LINKE hat in der gesamten Uckermark noch etwa 350 Mitglieder. Vor vier Jahren waren es noch 430. In Randowtal mit seinen 1000 EinwohnerInnen gibt es außer mir nur noch ein weiteres Parteimitglied: meine 80-jährige Oma. Damit liegt der Altersschnitt hier zwar unter dem der Kreispartei, aber günstige Voraussetzungen sind das vom Organisationsgrad her nicht. Abgesehen davon haben Parteien andere Entscheidungslogiken, als sie für so kleine Orte angemessen sind. Wie würde man mit einer Parteiliste in der Gemeindevertretung agieren? Hier ist eher Flexibilität gefragt, wenn es um die Reparatur der Tür des Gemeinderaums geht oder um den Rasenschnitt auf dem Fußballfeld. Entscheidungen werden der Sache nach von den Gewählten getroffen. Abgesehen davon wissen eh alle, dass ich für die LINKE aktiv bin. Und um linke Anliegen in politisches Handeln umzusetzen, ist der Verweis aufs Parteibuch nicht nötig. Kurzum, es war ehrlicher, es so zu machen.
Könnte man das, was ihr da tut, als eine Art ›Vorfeldarbeit‹ verstehen? Könnte die Partei davon lernen?
Man muss aufpassen, dass das nicht so instrumentell klingt. Aber ja, ich denke schon, dass das Vorfeldarbeit im weiteren Sinne ist. Vorfeldarbeit für ein linkes Projekt, wie es von der Partei inhaltlich vertreten wird. Wie gesagt, geht es uns zunächst darum, dass die Leute überhaupt wieder in politische Prozesse reingezogen werden und das Gefühl loswerden, von ›denen da oben‹ permanent nur über den Tisch gezogen zu werden – oder noch schlimmer – eine zu vernachlässigende Größe im politischen Geschäft zu sein. Wir wollen zunächst die Kommunikation mit der Dorfbevölkerung verbessern. Wir können sie für unsere Anliegen nur gewinnen, wenn wir sie einbinden. Als eines der ersten konkreten Projekte wollen wir deshalb eine Einwohnerbeteiligungssatzung verabschieden, die den Namen auch verdient. Einwohnerversammlungen dienen bislang immer nur dazu, um über irgendwelche bereits beschlossenen Maßnahmen zu informieren, nicht dazu, Meinungsbildung zu befördern. Das muss aber mit konkreten Gestaltungsmöglichkeiten verknüpft werden, sonst ist es Scheinbeteiligung. Einen kleinen Schritt in diese Richtung konnten wir schon gehen: Der ehemalige Bürgermeister hatte in seiner Amtsperiode ein – an sich sinnvolles – Straßenbauprojekt konzipiert, das im einzelnen aber nie in der Gemeindevertretung diskutiert wurde. Ein entsprechender Fördermittelantrag war erfolgreich, und das Projekt sollte nun kurz vor meiner Amtsübernahme starten. Beim Ausbau einer Gemeindestraße werden allerdings sogenannte Anliegerbeiträge fällig. Der ehemalige Bürgermeister ließ also eine Anliegerversammlung einberufen, in der – noch dazu in seiner Abwesenheit – über das Projekt und die anfallenden Kosten informiert wurde. Der Protest war immens. In der konstituierenden Gemeindevertretungssitzung, die ich schon leiten durfte, stand dann die Umsetzung dieser hoch kontroversen Maßnahme auf der Tagesordnung. Also haben wir zunächst die Beschlussfassung verschoben und eine weitere Anliegerversammlung durchgeführt. Dort konnten wir Sinn und Zweck des Vorhabens erläutern und Schätzungen nennen, welche Kosten tatsächlich auf die Anlieger zukommen würden. Schließlich haben wir die Beschlussvorlage verändert, um beispielsweise Flexibilität beim Straßenbelag zu ermöglichen, was ja mit Blick auf Lärmbelästigung wichtig ist. Wir schrieben fest, dass die Anliegerbeiträge erst nach Fertigstellung der Straße erhoben werden und Sozialklauseln in der Landes- und Bundesgesetzgebung einbezogen werden, die zu einer finanziellen Entlastung der Anlieger führen können. In dieser Form konnten dann alle zustimmen – letztlich geht es ja um eine Verbesserung der lokalen Infrastruktur. Das hat uns schon jetzt viel Respekt verschafft. So geht es also an vielen konkreten Punkten um Praxen der Beteiligung, der Selbstermächtigung und um eine Überwindung von Ohmacht – erst einmal im Kleinen.
Das Gespräch führte Barbara Fried