Auch wenn es wie ein Allgemeinplatz klingt: Die Digitalisierung verändert alles. Es gibt kaum einen Lebens- und Politikbereich, der nicht von ihr betroffen ist. Daher steht die LINKE vor der Aufgabe, auch im Zeitalter der Digitalisierung Lösungen zu finden, bei denen Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Ökologie, des Friedens und der Freiheit zusammengedacht werden. Zudem muss es ihr im Sinne ihrer eigenen Zukunft gelingen, Antworten zu entwickeln, die den technischen Anforderungen der Gegenwart entsprechen.
Dies kann nicht allein Aufgabe von NetzpolitikerInnen sein. Vielmehr muss die fortschreitende Digitalisierung endlich als ein Querschnittsthema begriffen werden, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und damit die gesamte Fraktion und Partei angeht – eine scheinbare Selbstverständlichkeit, die jedoch nicht immer gegeben ist. Im Folgenden skizziere ich einige der zentralen Herausforderungen der Digitalisierung und des Internets, die es gemeinsam zu bewältigen gilt.
Digitalisierung und die soziale Frage
Kommunikation, Information, Serviceangebote der öffentlichen Verwaltung, Zugang zu Wissen, Konsum – ohne Internetzugang ist das alles deutlich schwieriger. Deshalb ist die Digitalisierung auch und vor allem eine soziale Frage. Chancengleichheit im digitalen Zeitalter gibt es nur, wenn jede und jeder die genannten Möglichkeiten des Internets auch nutzen kann. Es ist nicht hinnehmbar, dass es immer noch Regionen gibt, in denen der Zugang zum Internet mangels Breitbandverfügbarkeit eingeschränkt ist. Die Alternative hierzu kann nicht der Ausbau des mobilen Internets sein, denn mobile Internetzugänge sind für die NutzerInnen teuer und extrem störanfällig. Für die Netzbetreiber mögen sie eine attraktive, weil preiswerte Lösung sein, die noch dazu teuer verkauft werden kann. Doch früher oder später werden sie auf kabelgebundene Breitbandanschlüsse umsteigen müssen. Also wäre es klüger, langfristig zu denken und gleich in den Breitbandausbau zu investieren, anstatt auf kurzfristige Lösungen zu setzen. Die Bundesregierung legt zwar hin und wieder Förderprogramme auf, doch solange sich finanziell schlecht ausgestattete Kommunen mit einer Kofinanzierung beteiligen müssen, sind diese nur bedingt hilfreich. Gerade unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit ist die LINKE gefragt, eine eigene Breitbandstrategie zu entwickeln und Finanzierungswege aufzuzeigen.
Eine Frage der sozialen Gerechtigkeit ist auch die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität. Nur wenn Daten grundsätzlich unabhängig von Sender, Empfänger und Inhalt nach dem Best-Effort-Prinzip vermittelt werden – das heißt, dass der Internetanbieter zusichert, dass er alle Datenpakete schnellstmöglich in der Reihenfolge, in der sie eingespeist werden, durch das Netz leitet –, wird Chancengleichheit gewahrt. Eigentlich kann man heute zumindest im mobilen Internet kaum noch von Netzneutralität sprechen. Dort werden einige Dienste bevorzugt behandelt, indem zum Beispiel ihre Nutzung nicht auf das den Kunden pro Monat zur Verfügung stehende Datenvolumen angerechnet wird. Das lassen sich die Netzbetreiber von den Diensten natürlich gut bezahlen und erkaufen sich dadurch einen riesigen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz, insbesondere kleineren Anbietern. Gerade weil sich bereits solche Geschäftsmethoden etabliert haben, ist es wichtig, die Netzneutralität weiter einzufordern. Denn ein Zwei-Klassen-Internet, bei dem nur ein Teil das vollständige Angebot nutzen kann, während andere, die sich das nicht leisten können, auf Basisfunktionen verwiesen sind, ist unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit nicht hinnehmbar.
Schließlich sollte endlich auch gesetzlich anerkannt werden, dass ein Computer zum soziokulturellen Existenzminimum gehört und nicht gepfändet werden darf. Nur so kann die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichergestellt werden. Es sollte außerdem für jede und jeden zeit- und ortsunabhängig möglich sein, das Internet zu nutzen. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wäre die Abschaffung der sogenannten Störerhaftung. Noch immer sind InhaberInnen von Internetanschlüssen der Gefahr ausgesetzt, für Urheberrechtsverletzungen, die andere begehen, belangt zu werden. Das hält viele davon ab, ihr WLAN anderen, zum Beispiel sozial schwachen Familien, zur Verfügung zu stellen.
Die soziale Frage im Zeitalter der Digitalisierung endet aber nicht beim Zugang zum Internet. Wir sind mit einschneidenden Veränderungen der Arbeitswelt konfrontiert, wobei die fortschreitende Digitalisierung und Computerisierung meist ambivalente Konsequenzen für die Beschäftigten haben. So kann es von Vorteil sein, zeit- und ortsunabhängig einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Doch wer kann schon wollen, dass der Arbeitgeber jederzeit Zugriff auf seine Angestellten hat? Die Grenzen zwischen privat und dienstlich verschwimmen, Stress kann zunehmen.
Völlig unterbelichtet – zumindest bei der LINKEN – ist die Frage, welche Folgen mit der Reduzierung des Volumens der Erwerbsarbeit durch den Einsatz von Robotern und Sensorik verbunden sein werden. Gleiches gilt für den noch zunehmenden Trend des Outsourcing. Natürlich kann in maschinenstürmerischer Art und Weise die Rückkehr zur Werkbank oder ins Büro gefordert werden. Doch das vernachlässigt sich verändernde Lebensbedürfnisse. Wichtiger wäre zu diskutieren, ob ein solidarisches bedingungsloses Grundeinkommen ein Beitrag zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums sein kann (ich finde ja), ob es im Sinne von sozialer Gerechtigkeit nicht angesagt ist, die sozialen Sicherungssysteme perspektivisch auf Steuerfinanzierung umzustellen (ich finde ja) und ein Mindestentgelt für Solo-Selbstständige, Freelancer oder sogenannte Click- oder Crowdworker einzuführen, damit diese auch von ihrer Erwerbstätigkeit leben können (ich finde ja).
Die Digitalisierung stellt aber auch die Frage nach der Umverteilung neu. Unternehmen sollten ebenfalls zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden. So bedarf es dringend einer Diskussion über die (schein-)paritätische Finanzierung der Solidarsysteme. Nicht nur das Outsourcing, sondern auch die zunehmende Ersetzung von menschlicher Arbeitskraft durch Technik macht es meines Erachtens erforderlich, die Frage der Wertschöpfungsabgabe neu zu stellen.
Digitalisierung und die ökologische Frage
Gibt es eigentlich bei der Digitalisierung eher Chancen oder Risiken, wenn die ökologische Frage betrachtet wird? Auch dieser Debatte wird die LINKE sich stellen müssen. Die Enquetekommission »Internet und digitale Gesellschaft« schätzt das Reduktionspotenzial an CO2-Emissionen durch direkte und indirekte IT-Lösungen auf mehr als 200 Millionen Tonnen im Jahr 2020.1 Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass IT-Geräte bis zu 30 verschiedene Metalle enthalten, darunter seltene Rohstoffe wie Coltan, Kobalt und Seltene Erden, deren Abbau eine Gefahr für Böden, Grundwasser, Flora und Fauna ist. Durch Recycling soll es aber möglich sein, etwa 95 Prozent der Edelmetalle zurückzugewinnen.2