Ich meine, wir sollten dies nicht tun. Kapitalismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem Arbeiter und Arbeiterinnen bestimmte Rollen für die Produktion bestimmter Waren spielen. Dieses Verhältnis beruht entscheidend auf der Zustimmung der Arbeitenden. Jede Form unbezahlter Arbeit wirkt sich auf die bezahlte Arbeit aus, lässt Spannungen und Risse innerhalb der Arbeiterklasse aufbrechen. Praktikanten, die umsonst arbeiten, um sich für einen Job zu qualifizieren, untergraben die Verhandlungsposition bezahlter Arbeitskräfte in gleicher Funktion. Unbezahlte Konsumtionsarbeit schadet den Arbeitskräften im Dienstleistungsgewerbe, weil das Beschäftigungsniveau sinkt und die Arbeit durch neue Standardisierungs- und Taylorisierungsformen intensiviert wird, was zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt. Wer ohne Bezahlung Wikipedia-Einträge verfasst, bloggt oder Fotos und Videoclips postet, gefährdet den Lebensunterhalt von Journalisten, Wissenschaftlern oder anderen schöpferisch Tätigen, die von ihrer kreativen Arbeit leben. Vielfach üben dieselben Personen mehrere dieser bezahlten und unbezahlten Funktionen in unterschiedlicher Eigenschaft aus, noch häufiger trifft dies auf unterschiedliche Mitglieder desselben Haushalts zu. Aufgrund einer Analyse der Wertschöpfungsketten können wir die Klassenstruktur, die uns in den kommenden Jahren ins Haus steht, in ihren Grundzügen umreißen. Wenn wir die ländlichen Bevölkerungsgruppen beiseite lassen, dann ist die größte und bei weitem am schnellsten wachsende Gruppe in dieser entstehenden Arbeitslandschaft die der Beschäftigten kapitalistischer Unternehmen, die sowohl materielle wie auch immaterielle Waren produzieren. Viele von ihnen wurden erst vor relativ kurzer Zeit von unmittelbar kapitalistischen Arbeitsverhältnissen aufgesogen – als ArbeitsmigrantInnen vom Land oder aus anderen Ländern, als Beschäftigte, die aus dem öffentlichen Sektor kamen oder als gescheiterte Existenzen aus der kleinen Warenproduktion. Nicht alle sind fest angestellt, viele werden zu Stücklohntarifen oder auf Gelegenheits- oder Zeitarbeitsbasis bezahlt. Sie sind gleichwohl produktive Arbeiter, die direkt Mehrwert produzieren. Nur ist nicht unmittelbar sichtbar, wie ihre Arbeiten miteinander zusammenhängen. In einem Produkt wie einem Smartphone ist die Arbeit von Bergleuten, FließbandarbeiterInnen, ChemiearbeiterInnen, DesignerInnen, IngenieurInnen, Call-Center-AgentInnen, FakturistInnen, Reinigungskräften und vielen anderen enthalten. Verstreut in verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen beruflichen und sozialen Identitäten, können sie sich kaum als Arbeitende betrachten, die etwas gemeinsam haben. Sie können sogar glauben, sie hätten ganz gegensätzliche Interessen. Wenn sie sich organisieren, dann auf beruflicher oder betrieblicher Basis, vielleicht aber auch aufgrund einer gemeinsamen regionalen, sprachlichen oder kulturellen Identität, einer gemeinsamen politischen Geschichte oder als Reaktion auf eine gemeinsam erlebte Diskriminierung. Welche Formen der Solidarität oder an gemeinsamem Bewusstsein aus diesen Organisationsformen hervorgehen könnten, ist eine offene Frage. Eine weitere offene Frage ist, inwieweit Fach- und Führungskräfte oder IngenieurInnen sich innerhalb dieser Wertschöpfungsketten mit anderen ArbeiterInnen identifizieren werden, statt auf der Arbeitgeberseite zu stehen. Es handelt sich um unbeständige Gruppen, deren Arbeitsprozesse durch den immer rasanteren technologischen Strukturwandel eine Standardisierung und Entqualifizierung erleben, auch wenn sich im Management für manche neue Möglichkeiten ergeben. Ihre Arbeitgeber wollen sie einerseits als Innovationsquellen fördern, andererseits ihre Arbeit billiger und produktiver machen. Eingezwängt zwischen diesen widersprüchlichen Imperativen, könnten sie in eine Lage geraten, in der sie sich entscheiden müssen, ob sie sich weiterhin mit Managementprioritäten identifizieren und darunter leiden, ob sie kündigen oder nach individuellen Lösungen suchen, oder ob sie sich mit anderen Beschäftigten zusammentun und Widerstand leisten. Daneben gibt es weitere Gruppen, die nicht so unmittelbar in kapitalistische Verkehrsverhältnisse eingebunden sind. Dazu gehören Menschen, die sich mit kleiner Warenproduktion, Kleinvermietung oder Kleinhandel durchschlagen – eine Klasse, die Marx aussterben sah. Sie scheint aber neu aufzuleben, auch wenn zweifelhaft ist, ob solche Einkommensquellen für mehr als nur eine Minderheit ein dauerhaftes Auskommen sichern können. Oft wirkt es so, als wäre diese Form seinen Lebensunterhalt zu verdienen, im Verbund mit anderen Arten wirtschaftlicher Aktivität, eine vorübergehende, ausgeübt von Personen, die aus dem formellen Arbeitsmarkt herausgedrängt wurden oder noch nicht in ihn eintreten konnten. Das ist nicht neu. Zu den für den Kapitalismus nicht mehr so zentralen Gruppen gehören auch Arbeitskräfte in der bezahlten Reproduktionsarbeit: Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die in den immer seltener werdenden Bereichen noch nicht warenförmig organisierter Dienstleistungen arbeiten, Hausangestellte und andere Dienstleistende, die (wie etwa Ehrenamtliche) nicht direkt in den Markt eingebunden sind. Auch in diesen Gruppen besteht ein vielfältiges Spektrum sozialer Identitäten – sie würden sich nicht als Träger gemeinsamer Interessen betrachten, die sie untereinander oder gar mit ArbeiterInnen verbinden, die eine zentrale Rolle spielen. Hinzu kommt eine große Zahl von Menschen, die nicht als bezahlte Arbeitskräfte tätig sind, aber dennoch Wert produzieren, entweder in Form von Reproduktion – wie etwa unbezahlter Kinderbetreuung oder Hausarbeit – oder von (ausgelagerter) Produktion, das heißt in Form von Konsumtionsarbeit. Viele davon sind Frauen, und ihr Status als unbezahlte Arbeitskräfte bringt sie in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bezahlten Arbeitskräften oder zum Staat. Das sind grobe Kategorien. So mühsam es auch sein mag, die Vielschichtigkeiten der globalen Wertschöpfungsketten auseinanderzulegen und unsere Arbeitsprozesse dazu in Beziehung zu setzen – es ist eine absolut notwendige Aufgabe, wenn wir überlegen wollen, wie dieses System sich verändern lässt, wenn wir gemeinsam an seiner Veränderung arbeiten wollen und wenn wir uns vorstellen wollen, welche Alternativen möglich sind.   Dieser Text ist ein redaktionell gekürzter Auszug aus dem Artikel The Underpinnings of Class in the Digital Age, der in Socialist Register 2014 erschienen ist. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien Siehe dazu auch: Kontrovers: Gehört das 21. Jahrhundert der Mittelklasse? Mit Beiträgen von Göran Therborn, Michael Vester, Nicole Mayer-Ahuja, Ingrid Kurz-Scherf und Lothar Peter in LuXemburg 3,4 2013, 206ff.