Die Diskussion um Care-Arbeit ist nicht neu. Von der soziologischen Frauenforschung wurde schon lange kritisiert, dass den sogenannten »Reproduktionsarbeiten« zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Mit dem Slogan „das Private ist politisch“ verlangten schon die Frauenbewegungen der 1970er Jahre eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Position der Frauen darin (vgl. Notz 2006). Dazu gehörte auch die Aufhebung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Es gab viele Versuche, die „abgespaltenen Tätigkeiten“ (Scholz 2000, 18) theoretisch zu erklären und Strategien zu entwickeln, wie die mit der Trennung zwischen „privat“ und „öffentlich“ verbundenen geschlechts- und schichtspezifischen Arbeitsteilung sowie damit einhergehenden Diskriminierungen überwunden werden können: Von der Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ (Dalla Costa/James 1973) bis zur Vergesellschaftung dieser Arbeitsform (Notz 2006, 46). In diesem Text soll zunächst der Begriff der „Care-Ökonomie“ erläutert und seine gesellschaftliche Bewertung aufgezeigt werden, um anschließend an Hand der bis jetzt in der Care-Diskussion wenig beachteten „ehrenamtlichen“ Arbeit die Funktion von Care-Arbeit für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu verdeutlichen. Staat, Wohlfahrtsverbände und Kirchen weigern sich, notwendige Care-Arbeiten nach tarifvertraglichen Regeln zu bezahlen. Das führt zu einer weiteren Prekarisierung vor allem von Frauenarbeiten.
Zum Begriff der „Care-Ökonomie“
Seit einiger Zeit erlebt die Debatte unter dem Begriff „Care-Ökonomie“ eine Renaissance. Die Verwendung des Begriffs ist dabei vieldeutig. Care-Arbeit wird als Lohnarbeit, als selbständige Sorgearbeit, als „ehrenamtliche“ Gratisarbeit oder im eigenen Haushalt verrichtet. Die „ehrenamtliche“ Gratisarbeit (Notz 2012) wird in theoretischen Analysen der Care-Arbeit oft vernachlässigt. Die Frage, ob Prostitution (Sexarbeit) zur Carearbeit gehört, ist innerhalb der Genderforschung heiß umstritten. Auch Carearbeit als Assistenz für Menschen mit Behinderung ist noch zu wenig beleuchtet. Meiner Meinung nach gehört auch Widerstand gegen krankmachende Arbeits- und Lebensbedingungen, gegen Krieg und Umweltzerstörung zu Care-Arbeit. Die Unklarheiten machen den Umgang mit dem Begriff schwierig.
Fest steht, dass ohne Care-Arbeit das gesamte System der gesellschaftlichen Arbeit zusammenbrechen würde. Denn Care-Arbeit ist in einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft ebenso notwendig wie Produktionsarbeit. Sie ist die Kehrseite und die Voraussetzung der in Produktion, Landwirtschaft und Verwaltung geleisteten Arbeit. Care-Arbeit findet nicht, wie oft behauptet, ‚außerhalb‘ der kapitalistischen Produktionsverhältnisse statt, sondern ist Teil derselben. Sie ist auch keine andere ‚befreite Ökonomie‘, die nach Gesetzen und Handlungsrationalitäten jenseits des Wachstumszwangs und der Profitorientierung funktioniert (Chorus 2013).
In den bestehenden Geschlechterverhältnissen macht die in der Familie sowie sozialen Organisationen geleistete unbezahlte Care-Arbeit (meist Frauenarbeit) Marktaktivitäten (vorwiegend Männerarbeit) überhaupt erst möglich. Andererseits sind die bezahlt geleisteten Marktaktivitäten Voraussetzung für die angebliche Unbezahlbarkeit der Haus-, Sorge- und Fürsorgearbeiten.
Um zu verstehen, warum Berufe, die Care-Tätigkeiten erfordert, nach wie vor niedriger bewertet werden als andere, „männlich“ konnotierte Erwerbsarbeiten, hilft ein Blick zurück in die Geschichte.
Bürgerlicher Liebesdienst
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war bürgerlichen Frauen der Zugang zu vielen Berufen und zu den Universitäten weitgehend versperrt, während Frauen und Kinder der arbeitenden Klasse bereits zu großer Zahl in den Fabriken arbeiten mussten, zu Hungerlöhnen und unter gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen. Für andere sorgen und andere pflegen war zunächst kein bezahlter Beruf, sondern wurde von bürgerlichen Frauen als soziale und karitative Dienste ehrenamtlich übernommen (vgl. Notz 1989). Dazu gehörte das Kochen der Armensuppe, das Versorgen von Verwundeten in den Lazaretten, die Versorgung von Kindern, deren Mütter in den Fabriken arbeiteten, Alten und anderen, die sich nicht selbst helfen konnten. Die Frauen taten dies aus ‚christlicher Nächstenliebe‘. Eine Bezahlung wurde ihnen dafür nicht zuteil; meist verlangten sie diese auch nicht. Aufgrund ihrer Herkunft konnten sie es sich leisten, ohne Geld für ‚Gottes Lohn‘ zu arbeiten. Der Platz im Himmel schien ihnen dafür sicher; besagt doch schon das Matthäus-Evangelium: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Auch andere Bibelstellen verweisen darauf, dass die Versorgung der Hilfsbedürftigen als ein gottwohlgefälliges Werk zu betrachten sei, als ein Weg zur Sündenvergebung (Notz 1989, 44). So wurden die Menschen der Arbeiterklasse als Bedürftige zum Objekt der subjektiven Seelenrettung. Geholfen wurde aus Furcht vor der Hölle, um für begangene eigene Sünden zu büßen oder zumindest, um die eigenen sozialen Privilegien zu rechtfertigen.
Kritik der sozialistischen Frauenbewegung
Vertreterinnen der sozialistischen Frauenbewegung wandten sich gegen den weit verbreiteten Glauben der bürgerlichen Schwestern, „dass Wohltätigkeit, Armenpflege und allseitiger guter Wille die Mittel sind, das soziale Elend aus der Welt zu schaffen“ (Braun 1976, 64). Mit diesem Glauben verlören sowohl Wohltäter als auch Schützlinge die Empfindung für Gerechtigkeit und das Verständnis dafür, dass „jeder arbeitende Mensch ein Recht auf eine gesicherte Existenz hat“ (ebd.). Es sei nicht nur eine schreiende Ungerechtigkeit, sondern auch eine Kränkung, Menschen mit Almosen abzuspeisen. Die Proletarierinnen wollten das kapitalistische System radikal verändern und es nicht durch karitative Maßnahmen erträglicher gestalten. Vom Staat forderten sie die Schaffung von Lebensbedingungen, die Wohlfahrtspflege und Fürsorge überflüssig machen.
Das Image der karitativen Arbeit bleibt bestehen...
Die Hoffnung der „ersten“ bürgerlichen Frauenbewegung, dass mit der Professionalisierung und der qualifizierten Ausbildung auch eine höhere Bewertung von Care- Arbeit einhergehen würde (Salomon 1902, 37), hat sich bis heute nicht erfüllt. Auch als die „wohltätigen“ Frauen durch die ersten Sozialen Frauenschulen formal qualifiziert waren, wurde weitestgehend davon ausgegangen, dass sie durch ihre Eltern, ihren späteren Ehemann oder eigenes Vermögen ‚versorgt‘ waren und weiter ohne Bezahlung arbeiten konnten. Die „ehrenamtlichen“ Frauen begannen jedoch, Einfluss auf die Verwaltung und Gesetzgebung zu reklamieren und Bezahlung für ihre Arbeit zu verlangen. Dieses politische Engagement ging den (meist männlichen) Persönlichkeiten, die in der kommunalen Armenpflege arbeiteten, zu weit; sie standen den neuen Ausbildungsmöglichkeiten eher feindlich gegenüber: die öffentliche Armenpflege sei nicht geeignet sei, um aus der Hilfe und Sorge einen Lebensinhalt oder gar einen Beruf zu machen (vgl. Notz 2012, 32f). Die Professionalisierung schritt mit zunehmender Not der IndustriearbeiterInnen dennoch voran, vor allem während der Kriegsjahre wurde deutlich, dass ehrenamtliche Arbeit alleine nicht reicht.
Auch wenn es in den folgenden Jahrzehnten zu einem Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, zu einer Verberuflichung und Professionalisierung vieler Care-Berufe und zu einer Veränderung von Geschlechterverhältnissen kam, wird in Kindergärten, in der Altenarbeit, in der Schule, in Jugendeinrichtungen und auch in der Gesundheitsversorgung noch immer viel un- und unterbezahlte Care-Arbeit geleistet. Das Image der karitativen Arbeit haftet den Berufen bis heute an. Es wird von den Kirchen und ihren Wohlfahrtseinrichtungen fleißig gepflegt. Auch wenn durchaus nicht mehr nur Frauen aus den bürgerlichen Schichten in den Einrichtungen arbeiten, scheinen die Care-Tätigkeiten Berufe für „opferfreudige Idealisten“1 zu sein.
Ein Nebeneinander unterschiedlicher Arbeitsformen
Obwohl dieses Image eigentlich alle Care-ArbeiterInnen trifft, unterscheiden sich die Bedingungen zwischen einzelnen Bereichen extrem. Der Arbeitsmarkt im Care-Bereich besteht aus einem Nebeneinander unterschiedlichster Arbeitsformen. Die berufliche Vielfalt reicht von der gut bezahlten GeschäftsführerIn, über Beamte, Angestellte in unterschiedlichen Funktionen, Aushilfs- und Honorartätigkeiten, freie Mitarbeit, (oft) prekären Selbständigen, im Nebenberuf tätigen, in Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Mini-JobberInnen, Ein-Euro-JobberInnen und undokumentierte Beschäftigte bis hin zu GratisarbeiterInnen. Viele Vereine und vor allem Selbsthilfeorganisationen arbeiten schon lange „rein ehrenamtlich“ (Notz 1989, 108 f.). Die Vielzahl der unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse macht die Arbeitenden gegeneinander ausspielbar. Es entstehen Unterschichtungen zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen und „Ehrenamtlichen“. Aus Berichten geht hervor, dass durch die „neue Unübersichtlichkeit im Freiwilligensektor die Solidarität in vielen Einrichtungen zum Fremdwort geworden“ ist (TNS Infratest 2005, 11).
Die Unterscheidung zwischen bezahlt und unbezahlt Arbeitenden wird so immer schwerer. Das gilt auch für andere Care-Berufe: So arbeiten etwa 60 (Ost 75) Prozent der Erzieherinnen – oft ungewollt - in einer Teilzeitstelle, die meist nicht existenzsichernd ist. Jede fünfte Beschäftigte in Ost und West hat einen befristeten Vertrag. Zugleich hat der Erzieherberuf nach wie vor einen Männeranteil von um die vier Prozent (Groll 2015).
Die Zahl der Mütter und Bezugspersonen, die „ehrenamtliche“ Care-Arbeit bei der Kinderbetreuung leisten, wächst. Das hängt mit einer neuen In-Dienst-Nahme von unter- bzw. schlechtbezahlter Care-Arbeit im Neoliberalismus zusammen.
Denn für das unbezahlte Arbeitsvolumen wird mit dem Ruf nach Familien- und Gemeinsinn geworben, das Bezahlte fällt mehr und mehr dem Sozialabbau zum Opfer oder wird zur prekären Beschäftigung, von deren Ertrag vor allem Frauen ihre Existenz nicht eigenständig sichern können. Die unbezahlten Care-Arbeiten nehmen in dem Maße zu, wie sie im bezahlten Bereich abgebaut werden (Notz 2012, 57ff.) Aus diesem Grunde verweisen PolitikerInnen immer wieder darauf, dass soziale Kontakte und Teilhabe, die die Gratisarbeit bietet, wichtiger seien als Geld. ‚Freiwilliges‘ Engagement soll glücklich, gesund und zufrieden machen, ja sogar für ein langes Leben sorgen, weil man aktiv das eigene Lebensumfeld mitgestalten kann (vgl. Wehner/Güntert 2015). Die Rhetorik kann nicht darüber hinwegtauschen, dass es um die Einsparung von Kosten geht.
Care-Arbeit als monetarisierte „Freiwilligenarbeit“
Im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitswesen und besonders in der Altenhilfe und -pflege besteht eklatanter Personalmangel. „Wer pflegt uns, wenn wir alt sind?“, ist eine der großen Zukunftsfragen. Sie ist nach wie vor überwiegend Frauensache, egal ob in der professionellen Altenpflege, in der Familie oder in der ehrenamtlichen Gratisarbeit. Überall liegt der Frauenanteil zwischen 80 und 90 Prozent. Auf männlichen Nachwuchs kann nicht gehofft werden, denn nur 5 Prozent der AltenpflegeschülerInnen sind männlich (Pflegeagenten 2015).
Staat und Wohlfahrtsverbände suchen nach Lösungen, um den zunehmenden Bedarf an AltenpflegerInnen kostensparend zu decken. Arbeitsdienste im Sinne von sozialen Pflichtjahren werden immer wieder diskutiert - solche „Zwangsdienste“ wären aber ohne Verfassungsänderung schwer durchzusetzen. Wie also mit den „neuen“ Problemen fertig werden?
Freiwilligendienste für alle
Schon vor der Aussetzung des Zivildienstes wurde in der Bundesrepublik darüber diskutiert, wie die „Freiwilligendienste“ in verbindlichere und verlässlichere Strukturen gebracht und engagierte BürgerInnen auf personell unterversorgte Arbeitsbereiche konzentriert werden können, ohne dass sie dann dem Vorwurf eines Pflichtdienstes ausgesetzt sind. Mit dem „Gesetz zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes“ (BFD) hat die Bundesfamilienministerin ab April 2011 – zeitgleich mit dem Aussetzen des Zivildienstes – für Menschen aller Generationen ein völlig neues Arbeitsverhältnis geschaffen. Die ‚freiwillige‘ Verpflichtung, für die alle Männer und Frauen aller Altersklassen nach Ableistung ihrer Schulfpflicht angeworben werden - unabhängig von der deutschen Staatsangehörigkeit. Er dauert mindestens sechs und höchstens 18 Monate, umfasst 40 Stunden in der Woche für unter 27-Jährige und mindestens 20 Stunden für Ältere. Die „neue Freiwilligenarbeit“ wird in soziale und ökologische Bereiche, Sport, Integration und Kultur vermittelt. Schwerpunkte sind jedoch Care-Arbeiten wie Kinder- und Jugendbetreuung sowie Altenbetreuung und -pflege. Die ArbeiterInnen sind während des Dienstes sozialversichert. Sie erhalten ein Taschengeld, das monatlich maximal 336 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung betragen darf. Alle großen Wohlfahrtsverbände sind an diesem Modell beteiligt und bekommen ca. 200 € Zuschuss, wenn sie eine Stelle einrichten. Fast 160 000 Männer und Frauen haben sich seit der Einführung 2011 beteiligt und sich in einem sozialen Projekt engagiert.2 Das spart nicht nur tariflich bezahlte Arbeitsplätze, sondern wertet die ohnehin schon geringschätzig behandelten Care-Berufe weiter ab.
Mit einer Erwerbsarbeit ist der „Freiwilligendienst“ nicht vereinbar. Auch bei reduzierter Stundenzahl müssen Nebentätigkeiten von der Einsatzstelle genehmigt werden Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-BezieherInnen dürfen 200 Euro von ihrem Taschengeld behalten und müssen in dieser Zeit keine andere Arbeit annehmen. Das macht den Dienst auch für Langzeiterwerbslose und für arme RentnerInnen interessant.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), hat zum 1. Dezember 2015 10.000 neue ‚Stellen‘ für den BFD geschaffen. Der Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug soll sowohl einheimischen Freiwilligen als auch Asylberechtigten und AsylbewerberInnen mit guter Bleibeperspektive offen stehen. Flüchtlinge haben zudem die Möglichkeit, einen BFD auch in den regulären Bereichen abzuleisten – zum Beispiel in einem Seniorenheim. "Ich halte es für sehr wichtig, dass sich auch Flüchtlinge als Freiwillige engagieren – das stärkt den sozialen Zusammenhalt, hilft auch bei der Integration und auch beim Erlernen unserer Sprache", so Manuela Schwesig (BMFSFJ 2016). Ein Schelm, der Böses dabei denkt? Der bereits verabschiedete und gesetzlich geregelte Mindestlohn kann so locker umgangen werden.
WohlfahrtsexpertInnen verwiesen schon lange darauf, dass es um die Zukunft der Pflege älterer Menschen in Deutschland nicht gut bestellt ist. Im Sozial- und Gesundheitsbereich und vor allem in der Altenpflege müssten mehr qualifizierte sozialversicherungspflichtige „reguläre Arbeitsplätze“ geschaffen werden. „Auf gute Pflege haben alle ein Recht, sie darf nicht arm machen“, sagt das Bündnis für Pflege, indem sich verschiedene Verbände, darunter auch die großen Wohlfahrtsverbände und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie der Deutsche Frauenrat zusammengeschlossen haben.Sie fordern maßgeschneiderte Leistungen für Pflegebedürftige, Unterstützung und Anerkennung für Angehörige, bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen und gerechte Finanzierung.3
Mit der Förderung des BFD fährt der Zug in die entgegengesetzte Richtung. Zwar gebietet das Gesetz eine arbeitsmarktneutrale Ausgestaltung – das heißt, die Freiwilligen sollen lediglich “unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten verrichten” und keinesfalls hauptamtliche Kräfte ersetzen. Eine Abgrenzung ist aber kaum möglich. Arbeitsplatzbeschreibungen gibt es nicht. Sieht man sich die Stellenausschreibungen im Internet an, werden die Zweifel bestätigt. Auch der erste Evaluationsbericht, der ansonsten vor Lob strotzt, kann es nicht bestreiten: er stellt fest, dass „Tätigkeitsprofile, die stark an Erwerbsarbeit erinnern“, zu finden sind (Anheier u.a. 2012, 21). Der DGB Vorsitzende Michael Sommer kritisierte während seiner Amtszeit, dass durch den BFD „bestehende Arbeitsplätze verdrängt und neue Arbeitsplätze verhindert werden“ (Sommer 2012). Selbst die Beschränkung auf “unterstützende Tätigkeiten” ist nicht unproblematisch. Denn wenn damit zwischenmenschliche emotionale Zuwendung für Kranke, Kinder, Alte oder andere der Hilfe Bedürftige gemeint ist, so sind das Tätigkeiten, die früher integraler Bestandteil der Berufe von Altenpflegerinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen oder Sozialarbeiterinnen waren. Es besteht die Gefahr, dass die hauptberufliche soziale Grundversorgung wesentlich durch eine zu Niedrigstlöhnen beschäftigte Randbelegschaft aus Freiwilligen unterstützt wird, deren sozialer und emotionaler Einsatz nicht mehr „unbezahlbar“, sondern ganz wenig Wert ist.
Perspektiven
Der Bedarf an freiwilligen Care-Arbeiten wird in der Zukunft noch weiter zunehmen. Grund dafür ist nicht nur der demografische Wandel und die „zunehmende Erwerbsbeteiligung“ der Frauen, auf die nicht unbegrenzt als Hausfrauen zurückgegriffen werden kann. Auch die Zahl derjenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, wird angesichts der globalen Krisen zunehmen. Freiwillige Arbeit sollte neben einer existenzsichernden Erwerbsarbeit geleistet werden können und nicht als Ersatz für diese. Das heißt, dass die Freiwilligen über ein ausreichendes Einkommen oder Rente abgesichert sein müssen. Und: Frewillige Arbeit kann erst dann effektiv eingesetzt werden, wenn die professionelle Versorgung von Hilfe-, Versorgungs- und Betreuungsbedürftigen sichergestellt ist. Für eine politisch verstandene Freiwilligenarbeit gilt, dass sie nicht nur gesellschaftlich organisierte Hilfe für Menschen leistet, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht selbst helfen können. Sie sollte sich auch nicht nur mit der Linderung oder Bearbeitung sozialer, kulturpolitischer oder umweltbezogener Probleme beschäftigen, sondern auch mit der Verhinderung und mit der langfristigen Lösung. Freiwilligenarbeit hat in der vielzitierten Zivilgesellschaft somit auch einen politischen Auftrag, nämlich Ungleichheit und Ausgrenzung anzuprangern und dabei einzufordern, dass Handlungsstrategien entwickelt werden, die der Exklusion entgegenwirken. Eine allein mildtätige, karitativer Motivation – deren Notwendigkeit angesichts der aktuellen Problemlagen nicht bezweifelt werden soll - kann lediglich die Symptome der Übel bearbeiten. Es gilt stattdessen, politisch auf Veränderung zu dringen und die Missstände auf die Agenda zu setzen.