Die meisten von uns verbinden mit Seattle den spektakulären Protest vom 30. November 1999 gegen das WTO-Treffen, weniger die Auseinandersetzungen bei den Verhandlungen selbst. Dort warnten afrikanische Regierungsvertreter vor den zerstörerischen Folgen der geplanten Handelsliberalisierung für ihre landeseigenen Ökonomien. Sogar die OECD sah den afrikanischen Kontinent als Verlierer eines liberalisierten und von Global Players dominierten Handels. Die WTO-Vertreterin der USA, Charlene Barchefsky, reagierte auf diese Kritik nur mit Beleidigungen. Mit Ausnahme Südafrikas, das Teil der exklusiven Green Room-Verhandlungen war, waren die Delegationen der Organisation Afrikanischer Staaten (heute Afrikanische Union) wutentbrannt. Deren stellvertretender Direktor, V.J. McKeen brichtete: „Man wurde zum Abendessen gefahren, dann dort stehen gelassen und musste nach Hause laufen. Im Verhandlungsraum der afrikanischen Delegationen stand keinerlei Übersetzung zur Verfügung; zumindest Englisch und Französisch hätte es doch geben müssen. Also mussten wir improvisieren. Schließlich sind sogar die Mikrophone ausgeschaltet worden.“ Tetteh Hormeku vom African Trade Network – ein Netzwerk progressiver zivilgesellschaftlicher Gruppen – ergänzt: „Am zweiten Tag der offiziellen Verhandlungen waren die Delegierten der afrikanischen und anderer Entwicklungsländer total an den Rand gedrängt. Das war Resultat von intransparenten – wenn nicht – illegalen Methoden, die die mächtigen Länder – unterstützt vom Gastgeber und dem WTO-Sekretariat – für sich entwickelt hatten.“ Und weiter: „Die afrikanischen Länder konnten ihre Positionen und Themen gar nicht auf den Tisch bringen, denn dieser war aus dem Verhandlungsraum der Arbeitsgruppen verschoben worden, hin zu exklusiven Green Room- Diskussionen, zu denen sie keinen Zugang hatten.“ Mitglieder des African Trade Networks, so Hormeku, forderten die NGO aus dem Norden auf, „diese empörenden Methoden ihrer Regierungen zu skandalisieren. Eine erste gemeinsame Pressekonferenz vom African Trade Network mit Friends of the Earth, Oxfam, dem World Development Movement, Focus u.a.m. war das Ergebnis. […] Verhandlungsführer von Entwicklungsländern wie Sir Sonny Ramphal taten sich mit Vertreter/innen von NGO zusammen, um diese machtvollen Manipulationen im WTO-Prozess anzuprangern. Immer weitere Vertreter/innen afrikanischer Länder und Organisationen schlossen sich an.“ Der für den Abschluss des Treffens notwendige Konsens drohte sich in Luft aufzulösen. Die „rauen Taktiken“ der USA waren vergebens gewesen. Beim nächsten WTO-Gipfel 2001in Doha konnten größere Zugeständnisse erreicht werden. Afrikanische Eliten zogen dort erneut mit Aktivisten und Aktivistinnen an einem Strang. In diesem Fall erreichten sie, dass das WTO-Übereinkommen um handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum ergänzt wurde. Es war nunmehr erlaubt, Generika in medizinischen Notfällen wie AIDS zu verwenden. Hintergrund dieses Erfolgs waren die unnachgiebigen Aktivitäten der (süd-) afrikanischen Gruppen im Kampf gegen AIDS. Bereits 1997hatte der Medicines Act in Südafrika die Herstellung von Generika möglich gemacht (eine äußerst wichtige Frage in einem Land, in dem ca. 10 Prozent HIV positiv sind). Sofort schaltete sich das US State Department ein und drohte Südafrika mit Gerichtsverfahren. „Geistige Eigentumsrechte“ sollten geschützt werden, um das Auftauchen einer weitaus günstigeren Versorgung mit AIDS Medikamenten zu verhindern. Proteste des US-amerikanischen AIDS-Bündnisses ACT UP, ein Verbündeter der Treatment Action Campaign aus Südafrika (TAC), machte in den USA Druck. Die Konzessionen in Doha stellten einen großen Sieg für Afrika dar. Endlich war eine Logik überwunden, die Afrikanerinnen und Afrikanern lebensrettende Medikamente vorenthielt. 2003, als ein weiteres WTO-Abkommen mit fürchterlichen Folgen für Afrika in Cancún verhandelt wurde, und 30000 Menschen vor dem Verhandlungsraum protestierten, verweigerten afrikanische Regierungen erneut US-amerikanischen und europäischen Plänen für weitere Handelsliberalisierungen ihre Zustimmung. Dies zeigt, was notwendig ist, um den drei Herausforderungen in den UN-Klimaverhandlungen begegnen zu können: Der Globale Norden muss seine Co2-Emissionen bis 2020 massiv zurückfahren. Dafür darf er nicht auf den freien Markt für Emissionshandel zurückgreifen; und ökologische Schulden sind an die Opfer des Klimawandels zurückzuzahlen. Die derzeitige Situation erlaubt es nicht, lediglich einzelne Fragen zu lösen, geschweige denn Rückschläge in allen drei Bereichen hinzunehmen. Afrika ist der Kontinent, der vom Klimawandel am schlimmsten betroffen ist. So befürchtet R.K. Pachauri, Direktor des Intergovernmental Panel on Climate der UNO, „dass der Nettoertrag landwirtschaftlicher Produkte bis 2100 um 90 Prozent zurückgehen wird“. Die ökologischen Schulden des Nordens alleine gegenüber Afrika werden sich um 2020 auf schätzungsweise auf 67 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Im September drohte der äthiopische Premier Meles Zenawi: „Wir sind darauf vorbereitet, wieder die Verhandlungsrunde zu verlassen, wenn eine weitere Vergewaltigung unseres Kontinents droht.“ Das ist der zentrale Punkt, den wir aus Seattle lernen sollten: Verhandlungen zu verlassen – zusammen mit Gruppen der Zivilgesellschaft – und damit schlechte Abkommen zu verhindern. Das kann in Kopenhagen den Weg für einen anschließenden Fortschritt ebnen, sobald unsere Kräfte sich neu aufgestellt haben. Aus dem Englischen von Corinna Genschel