Die Stärken der deutschen Konzerne
Die neue Branchenkrise hat 2019 alle Regionen mit größerem Pkw-Absatz erfasst. Das ist neu. In der vorausgegangenen Branchenkrise 2007 bis 2009 blieb China noch außen vor, womit die Krise erheblich abgefedert werden konnte. Dennoch schienen bis Ende 2019 die deutschen Autokonzerne wie Felsen in der Brandung zu stehen. Dafür gibt es die folgenden drei Gründe.
- Verkaufszahlen steigen weiter: Erstens konnten 2018 und 2019 trotz rückläufiger Produktionszahlen die Verkaufszahlen, also Zulassungen, im Inland nochmals gesteigert werden. Damit wurden die Einbrüche im Export abgefedert. 2018 und 2019 hat sich die Zahl der in Deutschland registrierten Pkw drastisch um 1,3 Millionen erhöht. Die noch gute Binnenkonjunktur und die über das Euro-Regime gestärkte deutsche Position in der EU ermöglichten diesen fortgesetzten Absatzboom. Die staatliche indirekte Finanzierung des Pkw-Absatzes durch die Dienstwagensubventionierung spielt dabei eine wichtige Rolle. (Zwei Drittel aller in der BRD von deutschen Autokonzernen neu zugelassenen Pkw sind Dienstwagen!)
- SUV-Strategie: Zweitens setzten die deutschen Autokonzerne ihre Konzentration auf SUV und teure Mittelklassewagen fort. Damit blieb der Umsatz weitgehend konstant, obgleich die Produktion sank. Diese SUV-Strategie wird durch die E-Pkw-Förderung der Europäischen Union und der Berliner Regierung gepuscht: Indem alle E-Pkw als »Zero-Emission-Vehicles« definiert werden, können die Autokonzerne durch einen klugen Mix von E-Pkw und SUV ihre Orientierung auf teure, großvolumige Autos fortsetzen
und die CO2-Grenzwertüberschreitungen
bei den SUV durch E-Pkw weitgehend kompensieren.
- Ausweitung des chinesischen Marktes Drittens konnten die deutschen Konzerne in China ihre Verkäufe 2018 und sogar noch 2019 trotz der Branchenkrise steigern. Die teuren und großen deutschen Pkw (weitgehend in China selbst hergestellt) zielen auf die Einkommen der oberen Gruppe der chinesischen Mittelschicht, bei der die Krise noch nicht angekommen ist.
Es ist dennoch einigermaßen unwahrscheinlich, dass die deutschen Hersteller nicht von der einsetzenden Branchenkrise erfasst werden. Sicher ist, dass sich die Krise in der chinesischen Autobranche vertieft. Seit Sommer 2019 bricht dabei ausgerechnet der Sektor der Elektrofahrzeuge drastisch ein. Ein Grund dafür ist die beginnende Kappung der Subventionen für »Elektromobilität«. Der Absatzrückgang in diesem Segment ist derart groß, dass sich der Industrieminister der Volksrepublik China, Miao Wie, Mitte Januar 2020 mit dem dramatischen Appell »Bleiben Sie ruhig, es wird keine weiteren Kürzungen geben!« an die Öffentlichkeit wandte und erklärte, die Förderung von Batterieautos werde entgegen den Ankündigungen fortgesetzt (Süddeutsche Zeitung, 14.1.2020). In Europa, Nordamerika und Japan findet ein massiver Rationalisierungs- und Konzentrationsprozess statt, der einige Hunderttausend Arbeitsplätze zerstören dürfte. Nissan kündigte an, in der Autofertigung den Einsatz von Robotern deutlich zu erhöhen. VW und Ford verkündeten ihrerseits im Juli 2019 die Bildung einer Allianz in den Bereichen Elektromobilität und Autonomes Fahren. Mit der Übernahme von Fiat-Chrysler durch PSA, die im Oktober 2019 bekannt wurde, entsteht ein gigantisches Konglomerat, bei dem unter dem PSA-Dach sechs Marken mit vergleichbaren Charakteristika zusammengewürfelt sind: Peugeot, Citroën, Opel, Fiat, Alfa Romeo und Chrysler. Das muss zu einer Kannibalisierung und zu Fabrikschließungen führen. Die Lage in China, Japan, Nordamerika und Westeuropa könnte sich zu einem Krisengemälde mit kräftigen Farbtönen entwickeln.
Doch wo bleibt bei alldem die »Elektromobilität«? Tatsächlich spielen Elektroautos auf dem Weltmarkt – mit einer gewissen Ausnahme im Fall China, wo 2019 der E-Autoanteil bei rund acht Prozent der Neuzulassungen lag, es jedoch gerade hier zu den größten Einbrüchen kam – bisher keine größere Rolle. 2019 lag der Anteil der Elektroautos bei rund drei Prozent der Weltautofertigung. Auch in Zukunft wird sich dies nicht qualitativ ändern. Der VW-Konzern, der bei den großen Autoherstellern als Vorreiter in Sachen Elektromobilität gilt, will »bis 2028 fast 70 neue Elektroautos auf den Markt bringen«, was »in der Summe 22 Millionen E-Autos über alle Marken und Baukästen hinweg« entspräche (Arrive 2019, 32). Im gleichen Neunjahres-Zeitraum will VW aber insgesamt 120 Millionen Pkw produzieren. Die Zahl der Autos mit Verbrennungsmotor wird damit bis Ende der 2020er Jahre weitgehend die gleiche sein wie bisher: gut 10 Millionen im Jahr. Der entscheidende Faktor, der zum Abbau von Arbeitsplätzen führt, sind damit Rationalisierungen und Verlagerungen. »Elektromobilität« ist das Alibi für ein »Weiter so«, für die zusätzliche Erhöhung der Pkw-Dichte vor allem in den Städten und für ein Abzocken von staatlichen Hilfen im großen Maßstab (vgl. Wolf 2020). Am 16. Januar 2020 verkündete der VW-Chef Herbert Diess vor einem Kreis von Topmanagern seines Konzerns, das Unternehmen habe sich 2019 zwar »nicht schlecht geschlagen«, doch »der Sturm geht jetzt erst los« (Süddeutsche Zeitung, 17.1.2020). Das könnte zutreffen.