Nach einem dreiviertel Jahr Ampelregierung haben es die meisten wohl schon gemerkt: Das Verkehrsministerium hegt keinerlei Sympathie für eine Verkehrswende. Bis auf das Neun-Euro-Ticket, das keine Idee der FDP gewesen ist und dessen Fortführung diese um jeden Preis verhindern will, gibt es bislang nichts Zählbares aus dem Hause Wissing zu verzeichnen. Anders als andere sehe ich in dieser Tatenlosigkeit aber keine Planlosigkeit, sondern vielmehr den sehr klaren wie fatalen Plan, alles so zu lassen, wie es ist. Das bedeutet, dass solange die FDP den Verkehrsminister stellt und sich SPD und Grüne von der FDP am Nasenring durch die Koalitionsmanege ziehen lassen, jedweder Fortschritt in der Verkehrspolitik vertagt ist. 

Die Antworten der Bundesregierung auf zwei Kleine Anfragen der Partei DIE LINKE bestätigen dies. In diesen wurde mitgeteilt, dass nicht ein einziges Straßenprojekt gestrichen werden soll. Alle Bürgerinitiativen, die sich von der Regierungsbeteiligung der Grünen den Stopp unsinniger Straßenbauvorhaben[1] erhofft hatten, werden also enttäuscht. Die einzige Hoffnung ist, dass die Umweltverbände ihrem Unmut Luft machen und es irgendwie gelingt, das Ministerium doch noch zu Korrekturen zu bewegen.

Worum geht es beim Bundesverkehrswegeplan?

Grundlage aller Investitionen in die so genannten Bundesverkehrswege – zum einen Autobahnen und Bundesstraßen, zum anderen die Schienenwege des Bundes und drittens die Bundeswasserstraßen – ist der Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Der letzte seiner Art ist der BVWP 2030 aus dem Jahr 2016. Dieser Plan enthält längliche Ausführungen über die angewandte Methodik und besteht dann im Kern aus Listen mit Verkehrsprojekten, die die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen „bestanden“ haben, mit anderen Worten deren sehr aufwendig errechneter Nutzen größer ist als die angenommenen Kosten. Der Bundesverkehrswegeplan und diese Projektlisten wurden im Herbst 2016 innerhalb von fünf Wochen aufwendig in 12 Sondersitzungen im Verkehrsausschuss beraten. Verabschiedet werden diese Listen dann in den drei so genannten Bedarfsgesetzen (also für jeden Verkehrsträger eines), geschehen im Dezember 2016.

In diesen drei Gesetzen nun ist festgelegt, dass diese nach fünf Jahren überprüft werden müssen, was also im Dezember 2021 hätte erfolgen müssen. So streng sieht man das im Ministerium aber nicht, immerhin habe man rechtzeitig vorher die sog. „Bedarfsplanüberprüfung“, BPÜ abgekürzt, eingeleitet, abgeschlossen werden soll sie erst im Dezember 2023. Diese „BPÜ“, auf die der Koalitionsvertrag auch recht ausführlich eingeht, war mit großen Hoffnungen seitens vieler Verbände und Initiativen verbunden, weil die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag verkündet hatte, dass sie einen „Infrastrukturkonsens“ anstrebe. Dazu solle die BPÜ durch einen parallelen „Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden (..) mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplan“ begleitet werden. Zudem solle es „(b)is zur Bedarfsplanüberprüfung (…) eine gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte“ geben. 

All dies wurde ausführlich in einer Anfrage der LINKEN zum Bundesverkehrswegeplan abgefragt. Die Antworten sind niederschmetternd (Drucksache 20/2903 (bundestag.de)).

Koalitionspartner werden düpiert

Eine „gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte“ gibt es offenkundig nicht. Anders gesagt, auch die eigenen Koalitionspartner im Bund haben nichts mitzureden. In ihrer Antwort führt die Bundesregierung lediglich aus, dass es einen – nicht näher konkretisierten – Austausch mit anderen Bundesministerien und Landesregierungen gäbe. Ansonsten wird auf eine andere Frage verwiesen, in der auf die bereits oben dargestellte Rechtslage – die Bedarfsgesetze bedeuten, dass für alle Projekte ein Planungsauftrag bestehe – verwiesen wird. Und „(b)is zu etwaigen Anpassungen durch den Gesetzgeber gelten die aktuellen Bedarfspläne fort“ – weswegen die BPÜ eben entscheidend ist, weil nur sie die Grundlage einer gesetzlichen Anpassung sein kann. Noch entlarvender ist die Antwort auf eine andere Anfrage der LINKEN zur A 100 in Berlin (Drucksache 20/2895 (bundestag.de)), wo die einseitige Verkündung des Weiterbaus durch das Verkehrsministerium Ende März dieses Jahres insbesondere die Grünen düpiert hatte und das beste Beispiel dafür ist, dass das Ministerium sich bezüglich der „gemeinsamen Abstimmung“ offenkundig nicht an den Koalitionsvertrag halten will. Hier schrieb das Ministerium, dass es „aufgrund des Planungsauftrages aus dem Bedarfsplan (...) keiner zusätzlichen Zustimmungen“ bedarf. Noch gravierender ist, dass sich das Ministerium auch nicht darum schert, was die betroffenen Länder, in diesem Fall das Land Berlin, von dem Projekt hält. Den vom Land gewünschten Nachbesserungen beim Lärmschutz für den im Bau befindlichen 16. Bauabschnitt bis zum Treptower Park wird lapidar eine Absage erteilt.

Verkehrsprojekte sollen nicht gestrichen werden

Bei der Bedarfsprüfung werden bis auf 15 erneut vorgelegte Straßenprojekte überhaupt keine konkreten Projekte überprüft. Da die drei Bedarfspläne aber ausschließlich aus konkreten Projektelisten bestehen, kann man die Gesetze auf Basis der im nächsten Jahr vorliegenden Ergebnisse auch nicht anpassen. Denn streichen könnte man Projekte nur auf der Grundlage einer konkreten Überprüfung. Da diese aber nicht erfolgt, wird es auch keine Anpassung der drei Bedarfspläne geben. So ist davon auszugehen, dass die BPÜ genauso ausfallen wird wie beim letzten Mal, das war im Jahr 2010: „alles in Ordnung“. Das Dokument zur Überprüfung des Bedarfsplans Straße umfasste damals übrigens ganze 33 Seiten.

Bei den 15 Straßenprojekten, die ausnahmsweise doch überprüft werden, handelt es sich um erneute Überprüfungen. Diese waren 2016 wegen Unwirtschaftlichkeit abgelehnt worden. Das heißt, wenn es eine Anpassung des Bedarfsplans Straße gibt, dann werden keine Projekte gestrichen, sondern nur zusätzliche aufgenommen. 

Wie funktioniert die Bewertungsmethodik?

Jeder normale Mensch würde sicher der Aussage zustimmen, wenn ich immer mehr Straßen baue (und Bahn und Nahverkehr stiefmütterlich behandle), dann fahren die Menschen weiter oder gar mehr Auto ­- und das ist schlecht fürs Klima. Nicht so das Bundesverkehrsministerium, für das das Gegenteil zu gelten scheint: Straßenbau dient dem Klimaschutz! Wie kann das gehen? Der „Trick“ ist, dass in den Verkehrsprognosen, die den Bewertungen zugrunde liegen, davon ausgegangenen wird, dass alles so weiter geht wie bisher: Bevölkerungswachstum, Wirtschaftswachstum, steigendes Verkehrsaufkommen. Bei der Bewertung der Projekte wird dann nur noch verglichen, wie eben dieser gestiegene Verkehr am besten abgewickelt wird. Und um mehr Staus zu vermeiden, bei denen noch mehr CO2 ausgestoßen würde, brauche es eben neue oder ausgebaute Straßen, um den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten.

Eine Verkehrswende hat in dieser Logik keinen Platz. Dabei muss Verkehrspolitik in Zeiten des bereits eingetretenen Klimawandels an politischen Zielen ausgerichtet werden, vor allem am Klimaschutz.[2] Prognosen hingegen sind immer eine Trendfortschreibung, eine Politik auf dieser Grundlage bedeutet ein Weiter-so, dass wir uns nicht mehr leisten können. Deshalb sollten Verkehrsprognosen als Grundlage der Planung abgeschafft werden,[3] denn im Grunde dient das ganze Verfahren lediglich der Rechtfertigung immer weiteren Straßenbaus (und mit geringerem Stellenwert auch des Ausbaus von Schienenstrecken und der Kanälen). 

Die vollkommen verquere Bewertungsmethodik wird wohl nur ein bisschen angepasst, die Kosten- und Wertansätze „aktualisiert“, aber nicht grundlegend geändert. [4] So wird Straßenbau bis auf Weiteres ein „Beitrag zum Klimaschutz“ bleiben, die A 100 z.B. führt angeblich zu einer CO2-Einsparung von 2.400 Tonnen jährlich.

Infrastrukturkonsens adé – Dialogprozess ohne Inhalt?

Zum „Dialogprozess“, der nach Verabschiedung des Koalitionsvertrages mit großen Hoffnungen[5] verbundenen war, hat das Ministerium noch immer nichts zu sagen. Die konkrete Ausgestaltung werde derzeit geprüft, solle aber weiterhin „parallel zur Überprüfung der drei Bedarfspläne (…) durchgeführt werden“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Die Tatsache, dass das Ministerium dies bereits seit acht Monaten prüft, legt jedenfalls die Schlussfolgerung nahe, dass es weder eilig, noch gesteigertes Interesse daran hat. Auch die Umwelt- und Bahnverbände sind enttäuscht und bezweifeln, dass der „Infrastrukturkonsens“ wirklich gewollt ist.

Ohnehin ist die entscheidende Frage, worüber der Dialogprozess überhaupt noch geführt werden soll, wenn keine Projekte zur Disposition stehen, weil die BPÜ eben nicht zur Streichung von Projekten führen kann. Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbände müssen sich fragen, ob sie an diesem Dialogprozess tatsächlich teilnehmen sollten, wenn es de facto nichts zu entscheiden gibt.

Fazit

Die FDP kann und will weiter machen, was sie will und die Koalitionspartner und die Länder düpieren, wie mit der A 100 vorexerziert. Weil das Ministerium es mit der gesetzlichen Fünfjahresfrist bei der Bedarfsplanüberprüfung nicht so genau nimmt, gelten die Bedarfspläne leider einfach weiter. Einen Grund, hier zumindest bei kritischen Projekten bis zum Abschluss der BPÜ oder des Dialogprozesses etwas Zurückhaltung an den Tag zu legen, sieht das Ministerium in keinster Weise. So ist nun klar, dass die Bedarfspläne mit Sicherheit über das Ende dieser Legislaturperiode hinaus gelten werden. Die einzige Hoffnung ist, dass die Koalitionspartner und die Zivilgesellschaft so viel Druck auf das Ministerium ausüben, dass dieses seine Haltung verändern muss. Der Dialogprozess könnte auch zumindest ein Moratorium für umstrittene Projekte zur Folge haben. Dafür braucht es viel Druck, parlamentarisch und außerparlamentarisch. Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass der Expertenrat für Klimafragen den Klimaplan von Verkehrsminister Wissing von der FDP als völlig unzureichend zurückgewiesen hat. Sein Sofortprogramm sei "schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch", stellten die Expert*innen fest.