Es ist ihnen gelungen, Firmen, NGOs, Gewerkschaften, Regierungen und internationale Institutionen in Multi-Stakeholder-Initiativen für Unternehmensverantwortung zusammenzubringen. Auch gibt es ausführliche Berichte zur Situation in der Branche: zu Arbeitsbedingungen, zu globalen Produktionsketten, zum Konsumverhalten etc. Kurz, der Aktivismus in diesem Bereich hat eine lange und aufopferungsvolle Geschichte. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Instrumente entwickelt, um Firmen der Bekleidungsindustrie zur Verantwortung zu ziehen: Verhaltenskodizes, interessengruppenübergreifende Kontrollmechanismen wie die Ethical Trading Initiative (Initiative für ethischen Handel), oder auch die Norm SA8000 zur Zertifizierung und Überprüfung von Unternehmen, die sich selbst verpflichten, faire Arbeitsbedingungen zu bieten.1 Diese Instrumente führten zu Fabrikkontrollen und Audits und spielten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung kraftvoller Öffentlichkeitsarbeit. Diese verbraucherzentrierten Aktivitäten wurden meist von Organisationen aus dem globalen Norden getragen. Sie haben sich auch dafür eingesetzt, Organisationen aus dem Süden in Bündnissen zusammenzubringen, um ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Man kann, glaube ich, sagen, dass viele der Organisationen des globalen Südens, die im Rahmen solcher Kampagnen über nationale Grenzen hinweg zusammenkamen, einander sonst wohl nie getroffen hätten; dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die im globalen Süden begrenzten Ressourcen für Reisen und Treffen fallen natürlich besonders ins Gewicht. Damit sind Fragen zum Zustandekommen von Nord-Süd- und Süd-Süd-Allianzen aufgeworfen: Wer ergreift hier die Initiative? Wer kontrolliert den Prozess? Wer bestimmt die Tagesordnung? Solche Fragen sind nicht neu, aber sie verweisen auf aktuelle Veränderungen.

Zwei Arten globaler Lieferketten

Zwei verschiedene Arten globaler Lieferketten gilt es heutzutage im Blick zu haben: einerseits die globale Lieferkette von Waren, die Produktion wie Konsumtion einschließt, und andererseits die globale Lieferkette von Arbeitskräften, die mehrheitlich vom Süden in den Norden wandern. Die Produktion erfolgt also großteils im globalen Süden, wo auch die Arbeitskräfte für die Personallieferkette herkommen. Der Konsum wiederum findet im globalen Norden statt, wohin auch die ArbeiterInnen über die globale Personallieferkette wandern. Zugespitzt könnte man sagen: Der globale Sü- den steht für Produktion und Auswanderung, der globale Norden für Konsum und Einwanderung. Der politische Aktivismus rund um die globalen Produktionsketten bleibt jedoch von dem im Bereich Migration und globale Lieferketten von Arbeitskräften klar getrennt. Welche Auswirkungen hat das?

Selektiver Antikapitalismus?

Die VerbraucheraktivistInnen im Norden wenden sich an die dortigen Verbraucher und prangern die Ausbeutung durch multinationale Unternehmen in der Warenproduktion im globalen Süden an. Sie haben aber kaum Kontakt zu migrantischen Arbeitskräften aus dem globalen Süden, die in ihre Länder kommen: ArbeiterInnen, die auf der Suche nach einem Auskommen in den globalen Norden ziehen, weil sie durch dessen wirtschaftlichen Raubbau enteignet wurden. Denkt man das weiter, könnte man sagen, dass die AktivistInnen des globalen Nordens dem Kapital recht selektiv entgegentreten. Sie setzen ihm dort etwas entgegen, wo sich die Arbeiterklasse des globalen Südens in sicherer Distanz befindet – es sieht aber völlig anders aus, wenn sich die Arbeiterklasse des globalen Südens plötzlich im eigenen Hinterhof konstitutiert. VerbraucheraktivistInnen im globalen Norden scheinen kaum mit Gruppen zusammenzuarbeiten, die sich für (Arbeits-) Rechte von MigrantInnen in ihren Regionen einsetzen. Diese Trennung bringt eine Verbraucherbewegung hervor, die keinen Bezug zu den örtlichen Kämpfen der Leute hat, die sie in der Ferne unterstützen. In Zeiten massiver Migration behindern solche Entscheidungen kraftvolle globale Bündnisse. Unter Bedingungen ungleicher regionaler und nationaler Entwicklung, eines ungleichen und fragmentierten Arbeitsmarktes sowie der Fähigkeit multinationaler Konzerne, von diesen Faktoren zu profitieren, werfen diese Themen Fragen auf nach der Ebenbürtigkeit der Bewegungen des Nordens und des Sü- dens. Während der globale Süden den Zugriff des nördlichen Kapitals niemals ignorieren kann, ebenso wenig wie er die sozialen Bewegungen des Nordens ignorieren kann, kann der globale Norden seine Einmischung in Angelegenheiten des globalen Südens bewusst beschränken und steuern. Angesichts der Tatsache, dass solche Einmischungen natürlich dauernd stattfinden, erscheinen gerade diese bewussten Beschränkungen aus der Perspektive des globalen Südens als Ausdruck eines verinnerlichten Rassismus oder des Privilegs, sich eben entscheiden zu können. Der Aktivismus in der globalen Warenlieferkette kann deshalb nicht von dem in der globalen Personallieferkette getrennt bleiben (vgl. Bernau in diesem Heft).

Das System der Kontraktarbeit

In der heutigen Welt ist die Migration wirtschaftlich, sozial und kulturell unterdrückter Menschen ein Phänomen von zunehmender Bedeutung. 75 Prozent der Wanderungsbewegungen weltweit finden innerhalb von oder aus Asien heraus statt. Migrantische ArbeiterInnen stellen eine Masse besonders verwundbarer Arbeitskräfte dar. Dies ist der Boden, auf dem Kontraktarbeit wächst und gedeiht. Tendenziell kennen diese ArbeiterInnen ihre Rechte weniger gut, sie sind arm und verwundbar, was größere Ausbeutung ermöglicht. Kontraktarbeit, die ArbeiterInnen ohne die Möglichkeit der Kündigung für eine bestimmte Zeit an ihre Arbeitgeber bindet (der Übergang zur Zwangsarbeit ist also fließend), wächst in allen Industrie- und Dienstleistungsbranchen exponentiell an. Sie ist einer der wichtigsten Gründe für die zunehmende Schwächung der Organisationsund Gewerkschaftsfreiheit. Der Rückgriff auf Kontraktarbeit erlaubt es den Arbeitgebern, zwischen sogenannten Kernbelegschaften und sogenannten Randbelegschaften hin- und herzuwechseln und die Beschäftigung in Spitzen- und in Flautephasen zu vergrößern bzw. zu verkleinern. Die Arbeitgeber nutzen die Kontraktarbeit als Mittel, um kodifizierte Arbeitsrechte zu umgehen. Sowohl Arbeiter- als auch Arbeitgeberorganisationen sind in vielen Ländern der Welt ernsthaft geschwächt worden: durch die zunehmende Zersplitterung der Branche entlang von Spaltungslinien wie regulärer Beschäftigung/ Kontraktarbeit, unterschiedlicher Herkunft, formeller/informeller Beschäftigung etc. Kollektivverhandlungen werden fast überall untergraben und Tarifverträge gelten, sofern sie überhaupt bestehen, nur für einen kleinen und schrumpfenden Teil der Erwerbsbevölkerung. Im Zuge der schwindenden Verbindlichkeit von Tarifverträgen und eines geringeren Organisierungsgrades haben auch ArbeiterInnen in einer Reihe von Industrieländern beträchtliche Lohnkürzungen hinnehmen müssen. Ob die ArbeiterInnen nun innerhalb nationaler Grenzen oder darüber hinweg migrieren, sie laufen Gefahr, im Kontraktsystem zu landen. Obwohl Gewerkschaften in einigen Ländern begonnen haben, sich dem Problem der Kontraktarbeit zu stellen, gibt es kaum Versuche, den Arbeitskräftefluss im Kontraktsystem in globaler Perspektive in den Blick zu nehmen. Solidarität mit Communities in anderen Ländern ist zweifelsohne ausgesprochen wichtig. Sie kann aber niemals der zentrale Anker einer Bewegung sein. Solidarität mit unterdrückten »Dritte Welt«-Ländern setzt notleidende Menschen voraus, die anderswo leben. Und auch wenn solidarische Kämpfe das Potenzial haben, Beachtliches zu leisten, letztendlich bedeutet doch der Umstand, dass man Abstand hat von der Situation in diesen Ländern, dass man von Diskussionen um Organisationsstrategie und einer Analyse der Machtverhältnisse materiell losgelöst bleibt. Antikapitalistische und antiimperiale Kämpfe müssen aber genau anders herum aufgebaut werden. Die Herausforderung besteht in der Frage, wie lokale Organisationsbemühungen praktisch in einem globalen Rahmen zu verankern sind. Kämpfe vor Ort müssen also mit anderen Kämpfen verknüpft werden. Es bedarf gemeinsamer Analysen. Nur so kann eine wirklich globale Bewegung der ArbeiterInnenklasse entstehen (vgl. Herod in diesem Heft). Migrantische Organisierungsbestrebungen sind in Europa relativ neu und uneinheitlich. Von den USA ließe sich hier aber einiges lernen. Einwanderer waren und sind das Rückgrat der US-Wirtschaft. Die meisten kommen aus den südlichen Nachbarstaaten der USA – aus Mexiko und den Ländern Mittelamerikas, zunehmend aber auch aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Peru, aber auch aus dem Nahen Osten, aus China, Vietnam und Afrika. Welche Entwicklungen nähren heute Hoffnung und Zuversicht in den USA? Ein herausragendes Phänomen ist das Wachstum neuer Organisationen migrantischer ArbeiterInnen. Sie treten dem US-Kapital im eigenen Land und international entgegen; sie stellen Fragen der globalen Ungleichheit; sie gewinnen die Anerkennung der traditionellen Arbeiterorganisationen und der weißen Kampagnenorganisationen; und sie verändern die Machtverhältnisse innerhalb der sozialen Bewegungen. Eine Gemeinsamkeit dieser neuen Bestrebungen ist ihre unmissverständlich solidarische Haltung mit migrantischen ArbeiterInnen, mit people of colour und ihr unbedingter Internationalismus.

Süd-Süd-Solidarität: Die Asia Floor Wage Alliance

Der globale Süden seinerseits wird ernsthafter an Süd-Süd-Organisierung arbeiten müssen. Die Initiativen des Nordens, welche die Aktiven des Südens zusammenbrachten, hatten den unglücklichen Nebeneffekt, dass unter den Süd-Partnern ein Wettbewerb um die begrenzten Ressourcen und um die eigene Sichtbarkeit entstanden ist. Die Asia Floor Wage Alliance (Allianz für einen Mindestlohn in Asien) weist mögliche neue Wege. Sie entstand als ein auf Asien zentriertes Bündnis und entwickelte sich zu einer weltweiten Allianz mit Partnern aus dem globalen Süden und Norden. Die Anstrengungen richteten sich auf den Aufbau einer globalen Bewegung für einen Mindestlohn in der Bekleidungsindustrie. Nachdem jahrelang Erfahrungen in der Bekleidungsindustrie gesammelt worden waren, kamen Gewerkschaften und NGOs zusammen, um eine verhandlungsfähige Forderung aufzustellen: die nach einem existenzsichernden Mindestlohn für alle asiatischen TextilarbeiterInnen. Durch ihr kollektives Zustandekommen war sie den Strukturen der Branche als Ganzer angemessen und zielführend. Dies ist nur ein Beispiel für die Notwendigkeit, ähnliche Initiativen aufzubauen. Internationale Solidarität zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden wird durch die Ungleichheiten, die dem globalen kapitalistischen System innewohnen, erschwert. Wie können wir dennoch gemeinsam Bedeutung und Gewicht erlangen? Dies erfordert Geduld, Dialog und gegenseitigen Respekt, um eine nicht-imperiale Strategie zu entwickeln, die für beide Seiten wertvoll ist. Wie lassen sich demokratische Lernprozesse umsetzen? Eine gehaltvolle internationale Beziehung erfordert es, über einen gewissen Zeitraum hinweg enge Arbeitsbeziehungen zu unterhalten, die zum Austausch der wichtigsten Erkenntnisse und best practices beitragen (vgl. Köhnen in diesem Heft). Zwar mag eine Organisation des globalen Nordens mit ihrem Zugriff auf Ressourcen und Technologie der Auffassung sein, dass der globale Süden von ihr lernen müsse, statt sich selbst an einem demokratischen Lernprozess zu beteiligen. Dies aber wäre der Aufbau einer herablassenden, einseitigen Beziehung. Der Lernprozess würde nicht zu Ergebnissen führen, die Kämpfen in beiden Ländern nützen würden. Wie überwinden wir die Schwächung, wie entsteht Stärke? Eine Organisation, deren Einfluss im Heimatland abnimmt, mag versucht sein, sich nach außen zu orientieren, um Kraft zu gewinnen. Stärke kann aber nicht importiert werden. Wenn eine Organisation daheim keine Stärke erlangen kann, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie im Ausland zum Aufbau einer starken Organisierung beitragen kann. Internationale Solidarität zwischen dem globalen Norden und Süden muss von der Annahme ausgehen, dass beide ihre Stärken daheim finden müssen, und dass sich nur in einem solchen Prozess eine kraftvolle Beziehung aufbauen lässt. Wie übernehmen wir das Beste aus beiden Welten? Eine Lernbeziehung verlangt von beiden Seiten, Erkenntnisse und Beispiele zu ergründen und Vorurteile strategisch außer Kraft zu setzen. Sowohl der globale Süden als auch der globale Norden bilden – in verschiedenen Perspektiven und zu verschiedenen Zeiten – sowohl das Zentrum als auch die Peripherie. Globale Strategien müssen deshalb mit im Wandel begriffenen Konstellationen umgehen und dürfen sich nicht dazu hinreißen lassen, Zentrum oder Peripherie rigide festzuschreiben. Aus dem Amerikanischen von Andreas Förster.  

Anmerkungen

1 Das SA8000 Zertifikat wurde von der NGO Social Accountability International entworfen. Es basiert auf Konventionen der International Labour Organisation (ILO), der Menschenrechtserklärung und der UN Konvention für Kinderrechte.