Der teils gefürchtete, teils ersehnte „Bruch“, die große Systemkrise, ist nun da. Blitzartig pflügt sie den Alltag um, spitzt soziale Ausschlüsse innerhalb der kaputtgesparten und kommerzialisierten Daseinsvorsorge existenziell zu. Die Weltwirtschaft befindet sich im freien Fall. Das gesellschaftliche Leben und die öffentliche Debatte sind weitgehend paralysiert, die gewohnten Protest- und Organisierungsformate der sozialen Bewegungen komplett blockiert. Entscheidende Weichenstellungen werden im Modus von Notverordnungen und gewaltigen Rettungspaketen beschlossen. Die Meldungen aus aller Welt überschlagen sich. Politisch bisher Undenkbares wird plötzlich möglich, erscheint vielen sogar als alternativlos. Und kein Mensch spricht mehr vom Klimawandel. In dieser Situation verbieten sich vorschnelle Antworten und die Fortschreibung der bekannten Deutungsschemata. Alles gerät in Fluss, wir fahren auf Sicht. Dennoch müssen wir anfangen, über die unmittelbaren sozio-ökonomischen und politisch-kulturellen Folgen des Shutdowns und die Bewältigung des akuten Notstandes in den Krankenhäusern hinauszudenken. Welche mittelfristigen Tendenzen zeichnen sich ab und was folgt daraus für die Klimagerechtigkeitsbewegung? Versuch einer Annäherung.
Kein Zurück zur Normalität
Bisher ist unklar, wie lang und in welchem Ausmaß die Räder stillstehen werden (ein längerer Zeithorizont von mehreren Monaten bis zu einem Jahr mit schrittweise gelockerten, aber weiterhin erheblichen Einschränkungen scheint derzeit aus epidemiologischer Sicht wahrscheinlich). Eines ist jedenfalls absehbar: Die Synchronität und Heftigkeit, mit der die Seuche und der tiefe Absturz der Weltwirtschaft die Gesellschaften auf allen Kontinenten treffen, dürfte zu einer neuen Welle an chaotischen Umwälzungen und repressiver Gewalt führen, vielleicht aber auch Spielräume für progressive Experimente öffnen. In jedem Fall gilt: Die Welt wird nach dem Massensterben nicht einfach zum Status quo ante zurückkehren. Derzeit sprengen diese Aussichten noch die Vorstellungskraft der meisten Menschen, Klimaaktivist*innen (mich selbst) eingeschlossen. Denn statt Aufruhr und Kollektivität bringt die Krise zunächst Isolation und eine noch weitere Verlagerung der Öffentlichkeit in die sozialen Medien und ihre Filterblasen. Sie gewinnt dadurch vor allem in den mittleren und gehobenen Klassen, die nicht sofort vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, unwirkliche Züge: wie einer der vielen Pandemie-Blockbuster, die als Teil des hochschnellenden Netflix-Konsums dieser Tage über die Bildschirme flimmern. Dieses Gefühl der Irrealität wird auch gestützt durch das in der Politik- und Medienlandschaft prägende Bild eines „externen Schocks“ (von der Leyen)[1], den es mit viel Geld, nationaler Konsensmoral und Expertenrat abzufedern gilt, um anschließend zu einer vermeintlichen Normalität, gar einem neuen Boom, zurückkehren zu können. Die kapitalistische Maschine gerät heftig ins Stottern, soll aber möglichst weitgehend am Laufen gehalten werden, um sie bald wieder auf volle Touren hochzufahren. Die erste Aufgabe der gesellschaftlichen Linken und der Klimabewegung ist es, dieser hegemonialen Orientierung offensiv zu widersprechen.[2] Erstens aus der unmittelbaren Notwendigkeit heraus, eine solidarische Form der Seuchenbekämpfung zu praktizieren – der zentralen Herausforderung, auf die jetzt alle Kapazitäten der verschiedenen Teilbereichsbewegungen konzentriert werden sollten. Zweitens aber auch angesichts der sich weiter beschleunigenden Klimakatastrophe und den systemischen Ursachen des multiplen globalen Desasters, die ein „back to normal“ ausschließen. Das dramatische Geschehen sollte dabei auch Anlass sein, einige in der Bewegung selbst gängige Positionen zu hinterfragen, um – jenseits einer bloßen Kritik an autoritären Lösungsstrategien – ein öko-sozialistisches Transformationsprojekt zu stärken.
Herunterfahren und Umsteuern der Industrie
Zunächst sollten wir eines deutlich machen: Nicht nur physische Kontakte im Bereich von Freizeit und Reproduktion sind so weit wie möglich zu reduzieren, um die Kurve der Infektionen abzuflachen und das Gesundheitswesen zu entlasten. Auch und vor allem die transnational eng verflochtene Produktion muss zur Eindämmung der Pandemie konsequent auf die gesellschaftlich elementaren (oder durch Home Office zu bewältigenden) Bereiche reduziert werden. Die gesellschaftliche Arbeit ist auf die materiellen und personellen Bedarfe des Schutzes von Menschenleben umzuorientieren.[3] Das rührt natürlich an die Systemfrage: Es war und ist wesentlich die Angst vor einem Abwürgen der Kapitalakkumulation, die unsere Eliten (stärker als die chinesischen) wochenlang hat zögern und die Gefahr verharmlosen lassen, so dass die westliche Welt zum Epizentrum der Pandemie werden konnte.[4] Trump und seine Jünger haben bereits angekündigt, dass sie bereit sind, Hunderttausende Bürger*innen zu opfern, um US-Unternehmen durch die schnelle Wiederaufnahme des Betriebes einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Wertschöpfungsketten fallen derweil wie Dominosteine, Millionen Menschen stehen buchstäblich über Nacht vor dem Nichts. Angesichts der chaotischen Form nationaler und einzelwirtschaftlicher Notmaßnahmen, vollzieht sich dieser Prozess, der auf bereits zuvor vorhandenen Rezessionstendenzen aufsetzt, deutlich heftiger und zerstörerischer, als es bei einem halbwegs koordinierten Vorgehen notwendig gewesen wäre. In vielen Ländern brechen wilde Streiks aus. Menschen sehen nicht mehr ein, weshalb sie sich weiter auf der Arbeit oder dem Weg dorthin einem Infektionsrisiko aussetzen sollen, während sie in ihrer Freizeit von teils rigorosen Ausgangssperren betroffen sind.
Echte „Systemrelevanz“ verdeutlichen und sofortigen Ausbau des Öffentlichen fordern
In dieser hochgefährlichen Situation sind die Handlungsspielräume der Linken begrenzt, dennoch liegt in ihr auch eine Chance: Es könnte eine breitere Debatte darüber angestoßen werden, welche Bereiche der Produktion und Reproduktion wirklich „systemrelevant“ sind, auf welche sozialen Bedürfnisse es ankommt und wie diese in einer internationalistischen Perspektive und angesichts wachsender ökologischer Bedrohungslagen für alle gesichert werden können. Viele der Antworten drängen sich derzeit (auch jenseits linker Kreise) auf: Das Gesundheitswesen, die Nahrungsmittelproduktion, soziale Infrastrukturen, aber auch Kultur, Bildung und nachbarschaftliche Unterstützungsnetze, wie sie gerade massenhaft entstehen und zum Ansatzpunkt neuer Organisierungsprozesse werden könnten. Dies – und nicht etwa Auto- oder Rüstungskonzerne – sind die tragenden Säulen der zivilen Gesellschaft! Diese Bereiche sind jetzt gezielt zu stützen, auszubauen und wären idealerweise zu vergesellschaften, verbunden mit sofortigen und bedingungslosen Transferzahlungen zur Existenzsicherung, sonst drohen fatale Kettenreaktionen, wie sie sich in vielen Ländern des Südens, aber auch in den USA schon andeuten. Dass selbst der französische Präsident Emmanuel Macron jüngst eine politische Kehrtwende zugunsten einer Rückgewinnung öffentlicher Kontrolle im Bereich von Gesundheit und sozialer Sicherung ankündigte, deutet (bei aller gebotenen Skepsis) an, was für politische Möglichkeitsräume sich hier öffnen könnten. Zugleich brechen einige der klimaschädlichsten Industrien – die Kohleverstromung, die Kreuz- und Luftfahrtindustrie etwa – auf breiter Front ein. So problematisch Argumentationen nach dem Muster „Corona ist gut für das Klima“ sind: Politischer Widerstand gegen eine bedingungslose staatliche Rettung dieser Industrien lässt sich in der politischen Kommunikation derzeit gut mit der Forderung nach einer Konzentration der Mittel auf die Absicherung Lohnabhängiger und sozial besonders verwundbarer Gruppen sowie die Stärkung des Gesundheitswesens begründen. Mehr noch: Eine massive Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungswesens entlang sozialer Notbedarfe, aber auch ökologischer Umbaumaßnahmen, wird angesichts der zu erwartenden Explosion der Arbeitslosenzahlen derzeit selbst in bürgerlichen Leitmedien wie der New York Times gefordert.[5] Die in der Linken oft kritisierte Kriegsrhetorik von Macron und anderen ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Tatsächlich waren große Kriege oft jene historischen Ausnahmesituationen, in denen nicht nur Revolutionen ausbrachen, sondern auch eine radikale Umsteuerung der Produktion und des sozialen Lebens unter staatlicher Lenkung in kurzer Zeit umgesetzt wurde – mit allen repressiven Seiten, die das typischer Weise einschließt. Letztere wären durch kämpferische Selbstorganisation und rechtstaatliche Kontrolle so weit wie möglich abzuschwächen, ohne in eine undifferenzierte Pauschalkritik allen staatlichen Handelns im Ausnahmezustand zu verfallen.[6]
Sammlung der solidarischen Kräfte
Die Debatte um eine Abbremsung und politische Steuerung der Ökonomie muss jetzt in Online-Foren und Telefonkonferenzen angestoßen und organisiert werden – nicht nur als Frage an Expert*innen, sondern so weit wie möglich als demokratischer Prozess in den einzelnen Branchen, Organisationen und Berufszweigen, wo entsprechende Schritte durch den Aufbau von Gegenmacht durchgesetzt werden könnten.[7] Den Gewerkschaften käme hierbei eine Schlüsselrolle zu, aber auch politische Akteure wie DIE LINKE sind gefragt, solche Debatten anzustoßen und damit in die Offensive zu gehen. Die Klimabewegung, vor allem ihr größtes Flaggschiff Fridays for Future, hat ebenfalls erhebliche (wenn auch aktuell geschwächte) diskursive Interventionsmöglichkeiten – und sie nutzt diese vielfach auch bereits für eine Solidarisierung mit Pflegepersonal oder Geflüchteten.[8] Damit ist die Chance verbunden, eine (bereits vor Corona begonnene) thematische Öffnung zu forcieren und insbesondere die soziale Frage, die sich nun als unmittelbare Überlebensfrage zuspitzt, stärker als bisher in den Mittelpunkt zu rücken. Erste Kontakte etwa zu ver.di sind in den letzten Monaten zur Vorbereitung einer Mobilitätskampagne aufgebaut worden und sollten unter den veränderten Voraussetzungen intensiviert werden. Ähnliches gilt für die Verbindungen zu Solidaritätsnetzwerken wie Seebrücke oder Unteilbar, die angesichts der sich anbahnenden Katastrophe an den EU-Außengrenzen spätestens nach dem Lock Down zum Kristallisationspunkt einer übergreifenden Sammlungsbewegung (mit ggf. neuen, physisch-distanzierten Protestformen) werden könnten. Damit dürfte die Klimabewegung, die sich in ihrer Ein-Punkt-Logik bisher zu großen Teilen (eher rhetorisch-taktisch als tatsächlich) „jenseits von links und rechts“ zu verorten versuchte, deutlicher in die sich polarisierende Lagerdynamik hineingezogen werden. Sprich: Ihr kapitalismuskritisches und emanzipatorisches Profil würde noch expliziter hervortreten, einschließlich kritischer Distanz zu den zunehmend staatstragend agierenden Grünen.
Systemkritik konkret – während und nach Corona
Bei diesen thematischen und politisch-organisatorischen Brückenschlägen käme es darauf an, von vorne herein auch die Zeit nach Corona mit in den Blick zu nehmen. Gerade viele der nun massiv betroffenen Branchen, etwa im Verkehrssektor und der fossilen Industrie, müssen ohnehin radikal geschrumpft und transformiert werden. Und zwar in einem enorm kurzfristigen Horizont. Denn das Zeitfenster zur Abwendung des möglicher Weise endgültigen Niedergangs der menschlichen Zivilisation schließt sich angesichts der Trägheits- und Feedbackeffekte des Klimasystems rapide – alle neueren Daten zur Erderwärmung und zum Verlust der Biodiversität deuten hierauf klar hin. Es ist das kaum zu überschätzende Verdienst von Greta Thunberg und der neuen Klimabewegung, dies der internationalen Öffentlichkeit das ganze letzte Jahr über eingehämmert zu haben. Bisher fiel es allerdings schwer, dieser unbequemen Einsicht Taten folgen zu lassen. Der Diskurs wurde verschoben, die reale Politik, die Produktions- und Lebensweisen nicht. Die sozialpsychologische Dynamik der Klimadebatte ist jener der (anfänglichen) Wahrnehmung von Corona dabei gar nicht so unähnlich, letztere verläuft jedoch wie im Zeitraffer: Im Angesicht der nahenden Katastrophe greifen zunächst Verdrängungsmechanismen und kognitive Dissoziationsphänomene um sich. Routinen sollen gegen die latente Panik helfen, Verschwörungstheorien, blanke Ignoranz und Fanatismus nehmen teils endemische Ausmaße an. Die systemischen Ursachen werden – beim Klima, wie bei Corona – noch immer weitgehend verdrängt und externalisiert. Sie müssen daher so konkret wie möglich benannt und mit Einstiegsforderungen in eine ganz andere gesellschaftliche Praxis verbunden werden. Was nun etwa als „chinesischer Virus“ (Trump) rassistisch exotisiert (und sicher bald auch mit Geflüchteten assoziiert) wird, ist vor allem eine Folgen der Zerstörung der Biodiversität und des Vorrückens der industriellen Landwirtschaft in alle Winkel des Planeten: Die rücksichtslose Vernutzung der Natur zum Zweck der Mehrwertproduktion reißt die biologischen Barrieren gegen das Überspringen der Viren von Art zu Art nieder und die kapitalistische Globalisierung sorgt für eine rasante Ausbreitung in alle Weltregionen.[9]
Leerstellen der Transformationsdebatte in der Klimabewegung
Neben der Aufklärung über diese Zusammenhänge, muss mit dem in der Bewegung geläufigen Slogan vom „System Change“ endlich Ernst gemacht werden. Es reicht nicht, Appelle zur Emissionsreduzierung an eine derzeit offensichtlich nicht handlungswillige Politik und Managerklasse zu formulieren. Programmatisch tut sich in dieser Hinsicht neuerdings einiges[10] und die nun anstehenden Umwälzungen dürften in vielen Ländern tatsächlich eine potentiell revolutionäre Situation schaffen. Ein Großteil der Debatte bewegt sich in der deutschen Klimabewegung aber noch immer zwischen zwei unbefriedigenden Polen: Einerseits werden eher technische Vorschläge zur Ressourceneinsparung, Effizienzsteigerung und CO2-Reduktion diskutiert: Was bringt die Elektromobilität? Wie lassen sich Emissionen einpreisen? Wie schaffen wir einen Ausbau der Netze und Speicherkapazitäten für Erneuerbare? All diese im Feld der NGO’s und Ökoforschungsinstitute oder im Umfeld der Grünen dominierenden Fragen sind relevant und komplex. Mit der Durchsetzung eines gesellschaftlichen Systemwandels haben sie aber wenig zu tun. Auf der anderen Seite (wenn auch oftmals in sozialer Nähe zu diesen Debatten im linksliberal-akademischen Milieus) steht eine alternative Postwachstums-Szene, die zur Mantra-artigen Wiederholung der Bedeutung dezentraler Kreisläufe, lokaler Selbstverwaltungskollektive und Konsumverzicht neigt. Vieles auch hiervon ist im Kleinen sinnvoll. Fatal ist aber die verbreitete Vernachlässigung der gesamtgesellschaftlichen Produktionsbedingungen, der Klassenverhältnisse und heterogenen Lebensweisen und die oftmals pauschale Kritik an der Suche nach – auch – technischen Lösungen und Innovationen, die Produktivität mit Nachhaltigkeit verbinden.[11] Seit einigen Jahren werden diese beiden schon länger existierenden Tendenzen der Ökologiebewegung ergänzt von einer linksradikalen aktivistischen Szene, für die in Deutschland besonders prominent Ende Gelände steht. Dieses Spektrum hat zwar erfolgreich politischen Druck durch massenhaften zivilen Ungehorsam aufgebaut und eine Klimagerechtigkeitsperspektive in der Bewegung gestärkt. Es ist aber ebenfalls wenig sprechfähig, wenn es darum geht, seine Kapitalismuskritik und seine Vorstellungen einer Energiewende zu konkretisieren. Slogans wie „sofortiger Kohleausstieg ist Handarbeit“ zielen auf subjektive Empowerment-Erfahrungen, verdeutlichen aber realpolitische Hilflosigkeit. Bei internen Debatten über Wege aus dem Kapitalismus zeigt sich auch hier eine Dominanz von Ausstiegsvorstellungen, die auf eher kleinteilige radikal-demokratische Selbstverwaltung (nach dem Vorbild von Klimacamps, politischen Kleingruppen oder Kooperativen und Hausprojekten) orientieren.
Über Postwachstum und Green New Deal hinaus
Die Corona-Krise sollte vor diesem Hintergrund Anlass sein, realistischer auf die Notwendigkeit auch zentraler Koordination und Durchsetzung politischer und ökonomischer Eingriffe – sprich: wesentlich auch staatliche Lenkungspolitik – zu blicken. Die Überwindung des Staates als der verselbstständigten Form des politischen Gemeinwesens im Kapitalismus – also die Einholung politischer Steuerungsmacht in die Zivilgesellschaft – bleibt langfristig ein zentraler Aspekt demokratisch-sozialistischer Transformation, der sich auch in Einstiegsforderungen zur Vergesellschaftung spiegeln muss. Aber es ist fahrlässig, dass in weiten Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung weiterhin die Kämpfe innerhalb des Staates und der gesellschaftlichen Großinstitutionen – in Parlamenten, Gewerkschaften, Sozialverbänden und Unternehmen – wenig wahrgenommen oder gar generell auf eine bloße Vertretung von Gesamtkapitalinteressen verkürzt werden. Praxen einer um die Hegemonie ringenden Mosaik-Linken, deren einzelne Elemente zwar relativ autonom und auch im Konflikt miteinander, aber möglichst kooperativ abgestimmt agieren, sind in der Klimabewegung noch schwach verankert. Auch in der LINKEN und im gewerkschaftlichen Spektrum wird die Debatte um einen Green New Deal teils emphatisch geführt.[12] So richtig die Verbindung aus ökologischem Umbau der Ökonomie durch massive öffentliche Investitionen in erneuerbare Energie und soziale Infrastrukturen mit materieller Absicherung und demokratischer Kontrolle in den Betrieben und Institutionen ist: Bisher wird zu wenig diskutiert, wie der schnelle Rückbau der ökologisch zerstörerischen Industrien und die grundlegende Abwendung vom Wachstumsparadigma real aussehen könnten.[13] Im Falle von Ocasio-Cortez und Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in GB gab es hierfür, neben möglicherweise vorhandenen Illusionen in keynesianisch-sozialstaatlicher Tradition, auch wahltaktische Gründe – immerhin erschienen sie in der breiteren Medienöffentlichkeit ohnehin als schwer wählbare Radikale. Ihre in vielerlei Hinsicht beeindruckende Mobilisierung, die mit Sunrise und Momentum auch durch schlagkräftige soziale Bewegungen gestützt war, steht angesichts der jüngsten Wahlergebnisse aber vor einem Scherbenhaufen. Und die Lage hat sich mit Corona eben grundlegend geändert. „Degrowth“ wird nun brutal erzwungen, wobei sich – über die Folgen des Shutdown hinaus – auch die seit der Krise 2008 aufgebauten Widersprüche der Globalökonomie entladen. Es gilt daher einen Schritt weiter zu gehen und die generelle Umorientierung auf eine gesellschaftliche Steuerung der Ökonomie entlang sozialer Grundbedürfnisse und internationaler Solidarität auf die Agenda zu setzen. Das erfordert harte Kämpfe, etwa ausgehend von weitreichenden Enteignungs- und Umverteilungsforderungen. Bisher schien so etwas wenig realistisch – mindestens hier, im Herzen der Bestie. Aber diese Bestie windet sich jetzt auf der Intensivstation, und die autoritär-nationalistischen oder gar faschistischen Truppen, die sich strategisch schon lange viel konsequenter als die Linke auf einen solchen Bruchmoment hin orientiert haben, scharren mit den Hufen. In dieser Lage hilft nur die Flucht nach vorn.