Auch wenn die wissenschaftlichen Analysen des Rassismus vorzugsweise die rassistischen Theorien untersuchen, gehen sie doch davon aus, dass der »soziologische« Rassismus ein populäres Phänomen ist. Die Entwicklung des Rassismus in der Arbeiterklasse (die den sozialistischen und kommunistischen Aktivisten als etwas Widernatürliches erscheint) wird auf eine den Massen innewohnende Tendenz zurückgeführt und der institutionelle Rassismus in die Konstruktion eben dieser psychosoziologischen Kategorie »Masse« projiziert. Zu untersuchen wäre also der Prozess der Verschiebung von den Klassen zu den Massen, der diese zugleich als bevorzugtes Subjekt und Objekt erscheinen lässt.
Kann man sagen, dass eine soziale Klasse durch ihre Lage und ihre Ideologie (um nicht zu sagen ihre Identität) für rassistische Denk- und Verhaltensweisen prädestiniert ist? Diese Frage ist vor allem im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Nazismus gestellt worden, und zwar zunächst spekulativ, dann anhand von diversen empirischen Indikatoren. 1 Das Ergebnis ist völlig paradox, denn es gibt praktisch keine Klasse, die von dem Verdacht ausgenommen wird, wobei allerdings eine besondere Vorliebe für das »Kleinbürgertum« festzustellen ist. Aber dieser Begriff ist bekanntlich mehrdeutig, da er eher die Aporien einer Klassenanalyse zum Ausdruck bringt, die eine Unterteilung der Gesellschaft in sich gegenseitig ausschließende Bevölkerungsschichten annimmt. Wie bei jeder Frage, die eine politische Schuldzuweisung impliziert, möchten wir die Fragestellung umkehren: es geht nicht darum, die Grundlage des Rassismus, der das tägliche Leben überflutet (oder der ihn tragenden Bewegung) in der Natur des Kleinbürgertums zu suchen, sondern zu verstehen, wie die Entwicklung des Rassismus auf der Basis unterschiedlicher materieller Situationen eine »kleinbürgerliche« Masse entstehen lässt. Die falsche Fragestellung der klassenmäßigen Basis des Rassismus werden wir folglich durch eine entscheidendere und komplexere Frage ersetzen, die durch die erste teilweise zugedeckt werden soll: welches Verhältnis besteht zwischen dem Rassismus als zusätzlichem Element des Nationalismus, und dem irreduktiblen Klassenkonflikt in der Gesellschaft? Wir werden uns zu fragen haben, auf welche Weise die Entwicklung des Rassismus eine Verschiebung des Rassenkonflikts bewirkt, bzw. inwiefern dieser immer schon durch ein tendenziell rassistisches gesellschaftliches Verhältnis transformiert wird; und umgekehrt, inwiefern die Tatsache, dass die nationalistische Alternative zum Klassenkampf die spezifische Form des Rassismus annimmt, als ein Indiz für ihren unversöhnlichen Charakter betrachtet werden kann. Das soll selbstverständlich nicht heißen, dass es nicht wichtig ist, in einer gegebenen Situation zu untersuchen, wie die Klassenlage (die aus den materiellen Existenz- und Arbeitsbedingungen, aber auch aus ideologischen Traditionen und praktisch-politischen Einbindungen gebildet wird), die Auswirkungen des Rassismus in der Gesellschaft determiniert: wie häufig er »in Aktion tritt«, welche Formen dies annimmt, wie die entsprechenden Diskurse geartet sind und wie groß die Anhängerschaft des militanten Rassismus ist.