Der Kraftwerksbauer Alstom in Mannheim ist ein Beispiel für standortübergreifenden Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung. Beim Autozulieferer Behr in Stuttgart-Feuerbach hingegen ist die IG-Metall-Parole »Keine Entlassungen in der Krise« nicht durchgehalten worden. Im Daimler-Werk Untertürkheim zeigt sich, wie die mit dem Aufschwung wieder gewachsene Produktionsmacht genutzt werden kann, um Festeinstellungen zu erzwingen. Und die Situation im Stuttgarter Klinikum dokumentiert, wie sich die Wirtschaftskrise zeitverzögert in staatliche Kürzungspolitik umsetzt – und dass diese bei den Beschäftigten Debatten über Möglichkeiten der Gegenwehr auslöst.

Auseinandersetzung auf europäischer Ebene gebündelt«

Wolfgang Alles ist IG-Metall-Betriebsrat beim Kraftwerks- und Turbinenhersteller Alstom in Mannheim Wie hat sich die Krise auf die Lage beim Kraftwerksbauer Alstom ausgewirkt? Die Zyklen im Kraftwerksbau (Investitionsgüter) verlaufen verschoben zu den Entwicklungen im Konsumgüterbereich. Nach dem letzten Boom in den Jahren 2006 bis 2009 war ein starker Rückgang bei den Bestellungen zu verzeichnen. Die Alstom-Konzernleitung versucht dies seit 2010 auszunutzen, um 4000 Arbeitsplätze im Kraftwerksbereich zu vernichten – darunter fast 500 Stellen im Mannheimer Werk. Wie haben Betriebsrat und IG Metall versucht, mit der Situation umzugehen? Wir haben nicht nur entschiedenen Widerstand angekündigt, sondern mit 6500 Kolleginnen und Kollegen am 2. November 2010 einen standortübergreifenden, bundesweiten Aktionstag durchgeführt. Das war ein starkes Zeichen, dass wir unser Motto »Résistance – unsere Chance!« ernst meinen. Mittlerweile hat es zusätzliche Proteste und Arbeitsniederlegungen im Verkehrsbereich von Alstom gegeben – in Salzgitter, aber auch in Barcelona und Colleferro. Der Europäische Betriebsrat und der Europäische Metallgewerkschaftsbund, dessen Mitglied die IG Metall ist, haben die Auseinandersetzung mit der Konzernleitung auf europäischer Ebene gebündelt. So konnte bisher weitgehend ein Herunterbrechen der Abbaupläne auf die jeweilige nationale und lokale Ebene verhindert werden. Zudem werden das Vorgehen und die »Begründungen« der Konzernleitung in Frage gestellt und Alternativen insbesondere zu betriebsbedingten Kündigungen gefordert. Welche Auswirkungen hatte die Krise – und ihre scheinbar schnelle Überwindung – auf das Denken, auf Kampfbereitschaft und Kampffähigkeit der Belegschaft? Trotz massiver Kurzarbeit im Mannheimer Werk hat die große örtliche Beteiligung von 2000 Beschäftigten am Aktionstag gezeigt, dass unsere KollegInnen ihren über Jahre gestärkten Kampfgeist nicht verloren haben. Die letzte Betriebsversammlung am 4. April hat das erneut bestätigt. Zur ökonomischen kommt die ökologische Krise, deren eklatantester Ausdruck die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ist. Wie wird das unter den Beschäftigten diskutiert? Fukushima und die Folgen sind derzeit ein Hauptthema. Von der Produktion bis in die Ingenieursbereiche sind KollegInnen erschüttert und empört. Das Mitgefühl mit den Opfern der Katastrophe in Japan ist groß. Das Misstrauen nicht nur gegenüber den offiziellen Informationen zum Super-Gau, sondern auch gegenüber der Atompolitik in Deutschland ist sehr ausgeprägt. Der Aufruf unseres Betriebsrats zur Unterstützung der Anti-Atomproteste nach dem 11. Februar und für einen sofortigen Atomausstieg ist auf positive Resonanz gestoßen. Zudem hat die Diskussion über den notwendigen Umbau der Energiewirtschaft entsprechend der gesellschaftlichen und ökologischen Bedürfnisse an Bedeutung gewonnen. In der Atomindustrie stehen im Falle einer Abkehr von dieser Energiequelle Arbeitsplätze zur Disposition. In anderen Bereichen wie im konventionellen Kraftwerksbau könnte sich das hingegen positiv auswirken. Wie sollten die Gewerkschaften mit dieser Situation umgehen? Die IG Metall tritt für einen grundlegenden Wandel der Energieerzeugung in Richtung regenerative Energien ein. Meines Erachtens muss diese richtige Perspektive ergänzt werden um die Frage der gesellschaftlichen Kontrolle dieses bedeutenden Bereichs. Den KollegInnen in der Atomindustrie muss in Verbindung mit dem Ausstieg aus der Nuklearwirtschaft eine verbindliche Arbeitsplatzperspektive und eine soziale Absicherung garantiert werden. Bei Alstom in Salzgitter, wo Schienenfahrzeuge hergestellt werden, sollen ebenfalls 700 Stellen gestrichen werden. Ist das eine Spätfolge der Krise oder hat das andere Ursachen? Da die Branche laut Mitteilung des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland zum fünften Mal in Folge gewachsen ist und in 2010 einen Rekordumsatz erzielt hat, kann es nicht um Krisenfolgen gehen, sondern um die von der Konzernleitung geplante kurzfristige Erhöhung der Profite. Langfristig soll das Werk in Salzgitter offenbar zu einem nicht mehr überlebensfä- higen Torso zurechtgestutzt werden. Welche Möglichkeiten haben die Beschäftigten, sich in solch schwierigen Situationen zur Wehr zu setzen? Welche Rolle spielt die Gewerkschaft oder sollte sie spielen? Sie müssen mit ihrem Betriebsrat und ihrem Vertrauenskörper den Widerstand auf allen Ebenen organisieren – vor allem im eigenen Betrieb und vor Ort. Zudem müssen glaubwürdige Alternativen zu solchen Kahlschlagplänen entwickelt werden, ohne Verzicht auf tarifliche Standards. Der Mannheimer Appell unseres Betriebsrats und unserer IGM-Vertrauenskörperleitung vom Juli 2005 hat meines Erachtens nach wie vor seine Berechtigung. Dort heißt es: »Wir rufen […] alle von Entlassungen oder Werksschließungen bedrohten Belegschaften und unsere Gewerkschaften auf: Koordiniert den Widerstand über alle Grenzen hinweg! Fordern wir gemeinsam die Einhaltung des Grundgesetzes ein: ›Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist […] zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.‹ (Artikel 14 GG.) Kämpfen wir deshalb auch für ein Verbot von Entlassungen! Unterstützen wir aktiv den Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau – ob bei Alstom oder anderswo!«.

»Machthebel einsetzen«

Michael Clauss ist IG-Metall-Betriebsrat und Mitherausgeber der Betriebszeitung »Alternative« im Daimler-Werk Untertürkheim Die Autoindustrie war von der Wirtschaftskrise besonders betroffen. Welche Auswirkungen hatte das auf die Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften? Wir haben die Extreme durchlebt: Erst ein Boom mit Rekordumsätzen, dann ein nie da gewesener Einbruch im ersten Halbjahr 2009, und jetzt läuft die Produktion wieder auf Hochtouren. Zwischenzeitlich hat Daimler 13000 Arbeitsplätze abgebaut. Das bedeutet natürlich eine Schwächung und vor allem den Verlust einer Zukunftsperspektive für 13000 Jugendliche in der Region. Zugleich wird die prekäre Beschäftigung ausgebaut. Ja, Leiharbeit, Befristungen und Werkverträge sind auf dem Vormarsch. Leider hat die Daimler-Gesamtbetriebsratsspitze dem nichts entgegengesetzt, sondern der Ausweitung der Quote für Leiharbeiter zugestimmt: Bis Mai 2010 durften maximal vier Prozent einer Belegschaft Leiharbeiter sein, jetzt sind es acht. Die konzernweite Höchstquote von 2500 Leiharbeitern wurde ganz aufgehoben, mit der Folge, dass schon mehr als 3000 dieser Kollegen bei Daimler eingesetzt sind. Und es ist das erklärte Ziel der Firma, noch mehr Leiharbeiter reinzuholen. Welche Folgen hat das für die Mobilisierungsfähigkeit? Bislang sind die Daimler-Belegschaften durchsetzungsstark und protestbereit. Diese Kampfkraft muss man aber auch mal einsetzen. Wenn man immer bloß symbolische Aktionen macht und nie ernsthaft in die Auseinandersetzung mit dem Konzern geht, wird das schwächer. Leiharbeit, Befristungen und Werkverträge – aber auch die Einkommensabsenkung für Neueingestellte im Rahmen der so genannten Zukunftssicherung, die im Jahr 2004 vereinbart wurde – schaffen neue Spaltungslinien innerhalb der Belegschaft. Wir müssen dem Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« wieder Geltung verschaffen. Die bei Daimler eingesetzten Leiharbeiter verdienen zwar deutlich besser als anderswo, von einer wirklichen Gleichstellung mit den Stammbeschäftigten sind sie aber weit entfernt. Deshalb gilt es, Leiharbeit zurückzudrängen und möglichst ganz zu beseitigen statt immer mehr davon zuzulassen. Wie kann das erreicht werden? Die Situation ist günstig. Wir produzieren am Anschlag. Das Unternehmen will die Maschinen auch am Wochenende laufen lassen. Vor diesem Hintergrund haben Betriebsrat und Gewerkschaft enorme Machthebel. Würden wir diese einsetzen, könnten wir eine ganze Menge erreichen. Im Untertürkheimer Werk haben wir es vor Kurzem geschafft, das Unternehmen so unter Druck zu setzen, dass es der zusätzlichen Einstellung von 150 Produktionsarbeitern und zehn Ingenieuren, der unbefristeten Weiterbeschäftigung von 87 zuvor befristeten Jungfacharbeitern sowie der Erhöhung der Ausbildungszahlen zugestimmt hat. Das ist ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Aber Vorsicht: Es ist nur ein kleines Zeitfenster, das nicht ewig offen sein wird. Warum? Der Aufschwung scheint doch weiter zu gehen. Zum einen gibt es in der ökonomischen Entwicklung viele Unwägbarkeiten, von den Turbulenzen im Euro-Raum bis zur US-Wirtschaft. Vor allem aber machen die Konzerne jetzt ernst mit der Verlagerung »in die Märkte«. Daimler hat in China ein Gelände gekauft, das ist so groß wie das in Sindelfingen. Dort sollen perspektivisch bis zu 500000 Einheiten produziert werden. Verlagert wird nicht nur die Endmontage, sondern auch ein Großteil der Komponentenfertigung. Für die deutschen Belegschaften wird das einen drastischen Personalabbau bedeuten. Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? Dass es keinen Sinn macht, zu verzichten. Warum sollten wir dem Unternehmen weitere Zugeständnisse machen, wenn die Arbeitsplätze eh bald weg sind? Wir sollten jetzt so viel für die Belegschaft rausholen, wie es geht. Und wir sollten wieder in Richtung Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich gehen. Damit würde die weniger werdende Arbeit wenigstens gerecht verteilt und die Zukunftsperspektive der Jugend bliebe erhalten.

»Wir hätten kämpfen können«

Murat Özcan (Name von der Redaktion geändert) ist einer von 220 Behr-Arbeitern, die im Zuge der Schließung des »Werk 8« in Stuttgart-Feuerbach ihren Arbeitsplatz verloren haben. Das »Werk 8« des Autozulieferers Behr wurde im vergangenen Jahr geschlossen. War das eine unmittelbare Folge der Wirtschaftskrise? Nein. Die Krise wurde nur dazu benutzt, die von langer Hand vorbereitete Schließung des »Werks 8« umzusetzen. Sonst hätte die Firma davor ihre Investitionszusagen einlösen können, die die Belegschaft mit Verzicht und Fleiß selbst finanziert hatte. »Keine Entlassungen in der Krise«, war die Parole der IG Metall. Die Gewerkschaft bilanziert ihre Politik während der Rezession als großen Erfolg. Wie sehen Sie das? Speziell für unseren Fall können wir das Gegenteil sagen. Statt Widerstand gegen die Schließung dieses traditionsreichen Werks zu organisieren, haben Betriebsrat und IG Metall sich auf einen Sozialplan und die Einrichtung einer so genannten Transfergesellschaft eingelassen. Die Erfahrungen der Kollegen, die in die Transfergesellschaft »Mypegasus« gewechselt sind, sind total negativ. Wenn überhaupt, dann haben höchstens junge Kollegen und Facharbeiter eine Chance, darüber einen neuen Job zu finden. Für die meisten ist die Transfergesellschaft nur ein Transfer in Hartz IV. Was wäre die Alternative zu Abfindungen und Transfergesellschaft gewesen? Wir hätten um den Erhalt des Werks und unserer Arbeitsplätze konsequent kämpfen können. Die Bereitschaft der Belegschaft dazu war da. Das haben Aktionstage gezeigt, bei denen wir zwei Mal die Bundesstraße 10 besetzt haben. Leider hat unsere Gewerkschaft, die IG Metall, dieses Potenzial nicht genutzt. Sie hat den Deal mit dem Unternehmen abgeschlossen, ohne auch nur einen Tag Streik organisiert zu haben. Vielleicht hätte die Schließung von »Werk 8« dadurch nicht verhindert werden können. Wir hätten aber zumindest durchsetzen können, allen KollegInnen, die das wollen, einen Wechsel ins Behr-Werk in Mühlacker zu ermöglichen, wohin die Produktion von Stuttgart aus verlagert wurde. Schließlich haben sie in Mühlacker mehr als genug Arbeit. Dort sind seit über einem Jahr 140 Befristete im Einsatz, statt erstmal die Beschäftigten aus »Werk 8« zu übernehmen. Warum hat die IG Metall nicht mehr gemacht? Sie hat gesagt, die Werksschließung sei eine »unternehmerische Entscheidung« gewesen, gegen die man nichts tun könne. Wir sehen das anders. Vermutlich steckte dahinter die Hoffnung, mit dem Opfern des Produktionswerks die Restbelegschaft langfristig sichern zu können. Dass diese Haltung falsch ist, zeigen die neueren Entwicklungen bei Behr. Das Unternehmen ist gerade erst vom Kolbenhersteller Mahle übernommen worden und plant schon die Überführung von mehr als 200 IT-Angestellten in eine neue Gesellschaft, in der die Besitzstände nur für ein Jahr gesichert sein sollen. Auch in anderen Bereichen sollen weitere Arbeitsplätze durch Rationalisierung vernichtet werden. Was bedeutet das Ende von »Werk 8« für die Kampffähigkeit der Stuttgarter IG Metall? Wir waren eine kleine Belegschaft mit 220 Mitarbeitern. Aber wir waren bei gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen immer an vorderster Front. Immer wenn wir gebraucht wurden, haben wir uns mit anderen Belegschaften solidarisch gezeigt und sind für gemeinsame Ziele eingestanden. So haben wir uns in den 1980er Jahren an den Streiks zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche und 1996 an den spontanen Arbeitsniederlegungen gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beteiligt. Das haben wir aus Überzeugung getan. Die IG Metall hat uns bis zum Schluss als »Kampfbetrieb A« eingestuft. Natürlich ist die Schließung von »Werk 8« nicht das Ende der Kampffähigkeit der IG Metall. Es gibt immer noch die viel größeren Belegschaften von Bosch, Porsche, Daimler und anderen. Aber es ist eine Schwächung.

»In Kliniken an Organisationsmacht gewonnen«

Volker Mörbe ist Sprecher der ver.di-Vertrauensleute im Klinikum Stuttgart. In der Krise war vor allem die Situation in der Industrie Thema. Welche Folgen hatte der tiefe Wirtschaftseinbruch im öffentlichen Dienst, speziell in den Krankenhäusern? Durch die Kampagne »Der Deckel muss weg« im Jahr 2008 – zu deren Höhepunkt 135000 Krankenhausbeschäftigte in Berlin demonstrierten – konnte die Regierung gezwungen werden, mehr Geld für die Kliniken zur Verfügung zu stellen. Daher gab es zunächst keine Einbrü- che, auch die Privatisierung wurde merklich abgebremst. Aber schon für dieses Jahr wurden diese Erfolge durch Schwarz-Gelb wieder kassiert. Sparmaßnahmen bewirken, dass trotz Beitragssatzsteigerungen 2011 die Finanzierung von bundesweit 50000 Stellen gefährdet ist. Wie wirkt sich diese Situation auf die Beschäftigten aus? Es werden immer mehr Leistungen in der Patientenversorgung abverlangt, zugleich sind infolge der Unterfinanzierung etliche Stellen nicht besetzt. Das heißt für die einzelnen Beschäftigten immer mehr Überstunden, Einspringen an freien Tagen, Durcharbeiten ohne Pausen und Patienten nur noch unvollständig versorgen zu können. Viele Krankenpflegeschüler können sich schon während der Ausbildung nicht mehr vorstellen, nach dem Examen im erlernten Beruf zu arbeiten. Diese Situation geht zu Lasten der Gesundheit und des Privatlebens der Beschäftigten, aber auch zu Lasten der Patienten. Die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich: Viele suchen ihr Heil in individuellen Lösungen, wie Teilzeit, Flucht aus dem Krankenhaus oder in eine Familienpause. Viele erwarten aber auch, dass sich die Situation ändert. Allgemein gilt, dass die Durchsetzungsfähigkeit der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in wirtschaftlichen Krisenzeiten geschwächt ist. Gilt das auch für den öffentlichen Dienst, wo nicht direkt Entlassungen drohen? Inzwischen gibt es auch im öffentlichen Dienst vereinzelt betriebsbedingte Kündigungen. Und da es mittlerweile einen hohen Anteil befristet Beschäftigter gibt, kann man deren Arbeitsverträge einfach auslaufen lassen. Die Hauptprobleme sind aber tatsächlich andere. Die öffentlichen Arbeitgeber wollen zu Gunsten der Privatwirtschaft bei ihren eigenen Beschäftigten sparen. Dabei nutzen sie aus, dass es in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes lange dauert, größeren ökonomischen Druck aufzubauen. Das lässt Tarifkämpfe für so manche KollegInnen unattraktiv erscheinen. 2006 mussten die Landesbediensteten 14 Wochen streiken, bis wieder eine vollständige Tarifbindung erreicht werden konnte. In vielen Bereichen arbeiten Beamte. Und erst seit neuestem erlaubt die Rechtsprechung für bestimmte Beamtengruppen den Streik. Das muss erst noch entwickelt werden. Zwar war früher der gewerkschaftliche Organisationsgrad im öffentlichen Dienst auch nicht höher – aber die Arbeitgeber haben diese Schwächen nicht so schamlos ausgenutzt wie heute. In den öffentlichen Haushalten macht sich der Abschwung erst mit Zeitverzögerung bemerkbar. Was bedeutet das für die nahe Zukunft? Es ist eine politische Entscheidung, ob sich der Staat genug Geld verschafft, um seine Leistungen für den Bürger unter humanen Bedingungen abzusichern. Die Krankenhausbudgets müssen den steigenden Anforderungen und der krankenhausspezifischen Teuerungsrate angepasst werden. Die Investitionskosten, die nach dem Gesetz voll von den Ländern finanziert werden müssen, dürfen nicht wie jetzt meist nur zur Hälfte beglichen werden. So können allein in Baden-Württemberg ca. 5600 Krankenhausstellen nicht besetzt werden, weil die dafür vorgesehenen Mittel zur Mitfinanzierung der Investitionen missbraucht werden. Und die Haushaltskrise der Kommunen sorgt dafür, dass städtische Krankenhausträger die Unterfinanzierung durch Bund und Land nicht mehr ausgleichen können. Das lässt einen weiteren Privatisierungsschub befürchten – mit der Folge, dass dann auch noch Gewinn für Gesellschafter oder Aktionäre erwirtschaftet werden muss. Wie steht es um die Organisationsmacht der Krankenhausbeschäftigten? Sehr viele Kliniken wurden privatisiert, vor allem in der Zeit vor 2008. Deutschland hat inzwischen eine höhere Quote privater Krankenhäuser als die USA. Andere öffentliche Einrichtungen – zum Beispiel die Unikliniken in Baden-Württemberg – sind aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Deshalb haben sich für viele Krankenhausbeschäftigte die Auseinandersetzungen aus den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes auf die Betriebs- oder Konzernebene verschoben. Während es in der Breite des öffentlichen Dienstes Probleme gibt, hat ver.di in den Kliniken teilweise deutlich an Organisationsmacht gewonnen. Wie will die Gewerkschaft das nutzen? Es muss schnell etwas passieren. Deshalb hat ver.di alle Krankenhausbeschäftigten – egal ob im öffentlichen Dienst, in privaten oder kirchlichen Häusern, und unabhängig von ihrem beruflichen Status – zu einer breiten Debatte aufgerufen. Fünf Regionalkonferenzen und eine Jugendkonferenz haben dazu bereits stattgefunden. Es geht darum, die Aufwertung der Tätigkeiten und Entlastung der Beschäftigten durchzusetzen. Lassen sich die KollegInnen davon überzeugen, dass sie die Situation nur selbst und gemeinsam verändern können, werden wir nach den Sommerferien in Tarifkonflikte insbesondere zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehen – falls nötig inklusive Streik. Alle Gespräche wurden Anfang April 2011 geführt.