Mit körperloser Maschinenstimme fordern die Borg, das schreckenerregende kybernetische Kollektiv, die bösesten der Bösen, im Film Star Trek: First Contact (USA 1996) die vorwiegend menschliche Besatzung der Enterprise auf, sich zu ergeben. Im Streben nach Perfektion ›assimiliert‹ das Borg-Kollektiv alle interessanten Lebensformen, es verleibt sich deren Gewordensein und (technisches) Wissen, deren »biologische und technologische Charakteristika« ein. Die Individuen assimilierter Lebensformen werden zu ›Drohnen‹ gemacht, das heißt, ihre Körper werden mit mechanischen Implantaten und Nanotechnologie ausgestattet. Denn auch in der Verschmelzung von Technologie und Organismus sieht das Borg-Kollektiv einen Schritt hin zur Perfektion – Borg kommt von kybernetischer Organismus oder Cyborg. Dabei wirken die von einem Zentralhirn gesteuerten Drohnen keineswegs perfekt. Denn während das Borg-Kollektiv Individualität als menschlich, will heißen kleingeistig, erachtet, erscheinen ›uns‹ die ihrer Individualität beraubten Drohnen eher leblos, zombieartig – unmenschlich eben. Zumindest die männlichen Drohnen; die explizit weibliche (in Gleitgel getränkte) Borg-Queen ist ganz femme fatale – Verführung und Bedrohung. Und – ja, auch die Borg-Drohnen haben Geschlechtskörper, genau zwei, auch wenn wir meist nur ›generische‹ männliche sehen. Die Borg sind also ganz unkreativ und gar nicht spekulativ oder vielmehr ganz in der Tradition einer Malestream-Science-Fiction ebenso einer patriarchalen Zweigeschlechterordnung und Heteronormativität unterworfen. Im Star-Trek-Universum (unserem?) repräsentieren sie die völlig ›anderen‹, die Unmenschlichen, die Antithese zum Mensch, das konstitutive Außen, von dem ›wir‹ uns abgrenzen können, das ›uns‹ wissen lässt, wer ›wir‹ sind, das uns aber auch bedroht: »Widerstand ist zwecklos.« Die Borg sind Spiegel des menschlichen Wesens und zugleich dessen Bedrohung durch Kybernetisierung.

Demgegenüber proklamiert die US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker*in Donna Haraway schon 1985, also mehr als zehn Jahre vor First Contact, in ihrem bahnbrechenden Manifest für Cyborgs, dass wir alle längst Cyborgs sind. Haraway will gerade nicht die menschliche Spezies oder Humanität vor feindlichen kybernetischen Kollektiven schützen, ihr geht es vielmehr um eine sozialistisch-feministische Perspektive auf der Höhe der Zeit. Im Kontext der beginnenden Reagan-Ära und der Schwächung der Linken in den 1980er Jahren stellt sie die für Manifeste typischen Fragen: Wer sind wir? Wann sind wir? Wo stehen wir? Und – ganz wichtig – was ist zu tun? Die Antwort auf das Wer lautet:

»Im späten 20. Jahrhundert […] haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie. Sie definieren unsere Politik. D* Cyborg ist ein verdichtetes Bild unserer imaginären und materiellen Realität, den beiden miteinander verbundenen Zentren, die jede Möglichkeit historischer Transformation bestimmen.« (Haraway 1995, 34; Änderung D.F.)

Informatik der Herrschaft

Das Bild der Cyborgs ist nicht zu trennen vom Begriff der Information, wie er in der Kybernetik, der Informatik, der Nachrichtentechnik –, aber auch der Semiotik entwickelt wurde. Das heißt, Cyborgs stehen für Entwicklungen, die frühestens Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens ab dem Zweiten Weltkrieg datieren. Vorangetrieben wurden diese Entwicklungen im Kontext des Militarismus: Im Rahmen des space race, das in Reagans »Krieg der Sterne« eine Fortsetzung fand, wurde der Begriff Cyborg erstmals verwendet für einen Raumfahrer [sic], dessen Körper an die Bedingungen des Weltraums angepasst werden sollte. Auch die Kybernetik als Theorie des »C3I, Command-Control-Communication-Intelligence«, die Lebewesen und Maschinen als ›im Grunde gleich‹, als lebende und technische Systeme beschreibt, ist wesentlich im Kontext militärischer Forschung entstanden. Wo im Industriekapitalismus mit Begriffen wie beispielsweise Geist, Organismus, Physiologie, Reproduktion, Spezialisierung organischer Geschlechtsrollen, Natur-Kultur-Opposition oder Repräsentation operiert wurde, ist nun von künstlicher Intelligenz, biotischen Komponenten, Kommunikationstechnologie, Replikation, Optimierung genetischer Strategien, Differenzfeldern oder Simulation die Rede. Dabei verändert sich jedoch nicht allein die Bezeichnung, sondern das Wissensobjekt selbst. Am Beispiel der Kommunikationswissenschaften und der modernen Biologie argumentiert Haraway, dass die gesamte Welt in ein Kodierungsproblem übersetzt wird: Beide Disziplinen fahnden nach »einer allgemeinen Sprache, in der jeder Widerstand gegen instrumentelle Kontrolle verschwindet und in der jede Heterogenität der Zerlegung und Neukombination, der Investition und dem Tausch unterworfen werden kann« (ebd., 52). Wissen, technologische Prozesse, aber auch Menschen und andere Organismen werden in Informationseinheiten zergliedert, die einer Theorie der Sprache und Steuerung unterworfen sind.

»Wir leben im Übergang von einer organischen Industriegesellschaft in ein polymorphes Informationssystem, […] im Übergang von den bequemen, alten hierarchischen Formen der Unterdrückung zu den unheimlichen neuen Netzwerken, die ich als Informatik der Herrschaft bezeichnet habe.« (Ebd., 48)

Haraway führt den Begriff Informatik der Herrschaft ein, weil ihres Erachtens das gesamte Spektrum möglicher Wissensobjekte als kommunikationstheoretische Fragestellung reformuliert wird. Wenn das Wesen des Menschen in der DNA als universeller Code gesehen wird, machen wir uns selbst in Sprache und Bildern zu Cyborgs. Angesichts von Gen- und Reproduktionstechnologien, Organtransplantationen, Neurowissenschaften, Prothetik, Bodybuilding, Schönheitsindustrie etc. ist die Rede von einem natürlichen Körper, wenn überhaupt, so doch längst nicht mehr zu halten. Wider die Opposition von ›Leben‹ und ›Technik‹, die gerade auch in technikkritischen ›linken‹ sowie diversen feministischen Diskussionen immer wieder aufgerufen wurde, um den Herrschaftscharakter von Technik herauszustellen, argumentiert Haraway, dass die ›westlichem‹ Denken immanenten Dichotomien, wie Natur/Kultur, Schwarz/Weiß, männlich/weiblich »systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft über »Frauen*, People of Color, Natur, Arbeiteri*nnen, Tiere – kurz: der Herrschaft über all jene, die als ›Andere‹ konstituiert werden« waren (ebd., 67; Änderung D.F.). Und für eben jene Dualismen stellte kurioserweise gerade die »Kultur der Hochtechnologien« eine Herausforderung dar.

Neue Existenzweisen mitgestalten

Haraway ist allerdings weit entfernt von glückseliger Technophilie. Die neue industrielle Revolution schaffe nicht nur neue anti-identitäre Sexualitäten und Rassisierungen, sondern auch eine neue Arbeit*erinnenklasse, in der Frauen* die meiste Arbeit verrichten und in der Arbeit prinzipiell feminisiert werde. Dem Industriekapitalismus steht die Informatik der Herrschaft in nichts nach, im Gegenteil, sie lässt »den Alptraum des Taylorismus idyllisch erscheinen« (ebd., 34). Für feministische Analysen bedeutet dies, dass die Informatik der Herrschaft nicht mit den Begrifflichkeiten des ›weißen‹ kapitalistischen Patriarchats analysiert werden kann. Wollen ›wir‹ mehr als nur Betroffene oder Leidtragende sein, müssen ›wir‹ entsprechende Politiken entwerfen und diese neuen Existenzweisen mitgestalten. Haraway will also ausloten, welche Gefahren und neuen Möglichkeiten sich durch die veränderten Macht- und Herrschaftsverhältnisse, aber auch durch die veränderte Art und Weise, in der Welt zu sein und sich selbst zu begreifen, für sozialistisch-feministische Politiken und Praktiken eröffnen. Darüber hinaus fragt sie, welche Gemeinsamkeiten sich auftun, wenn Planeten, Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen, wenn alle als Kommunikationssystem betrachtet werden? Was ist das Verbindende zwischen Menschen und Maschinen, Menschen und Pflanzen, Maschinen und Pflanzen etc.? Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für feministische Analysen ist also das Zusammenbrechen wesentlicher Grenzziehungen. Hier schafft Haraway eine Verbindung zu postkolonialen feministischen Kritiken an Dualismen und Identitätslogiken sowie deren Bestreben, eine politische Einheit aus dem Nicht-Identischen zu schmieden. Das Cyborg-Manifest verknüpft folglich Argumentationen, die bislang nie zusammengedacht wurden: die kritische Analyse der Informatik der Herrschaft einerseits und feministische postkoloniale Bestrebungen, ein politisches Kollektiv aus dem Nicht-Identischen zu entwerfen, andererseits. Unter Rückgriff auf Chela Sandovals Konzept des oppositionellen Bewusstseins behauptet Haraway, dass gerade Women of Color eine wirkungsvolle Einheit aufbauen können, »ohne die imperialisierenden, totalisierenden, revolutionären Subjekte vorangegangener Marxismen und Feminismen, die nicht mit der aufrührerischen Polyphonie infolge der Dekolonisierung konfroklantiert waren, zu reproduzieren« (ebd., 42).

Haraway formuliert selbst, dass Cyborgs Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie auch der Fiktion sind. Beispiele für CyborgExistenzweisen findet sie nicht nur in den Technowissenschaften, sondern auch in der Literatur, insbesondere bei lesbischen beziehungsweise queeren (und) Schwarzen beziehungsweise Chicana-Autor*innen sowie in der feministischen Science Fiction. Insofern ist es nur konsequent, dass für deren weitere Ausgestaltung gerade auch die (queer-)feministische Science Fiction von Bedeutung ist. Die sich ebenfalls als sozialistische Feministin beschreibende Marge Piercy beispielsweise entwirft in Er, Sie und Es (1993) diverse Cyborg-Figuren, die gerade die Opposition Organismus/Maschine unterlaufen sollen, wobei sie insbesondere daran interessiert ist, welche geschlechtlichen Existenzweisen Cyborg-Identitäten ermöglichen. Sie beschreibt eine*n widersprüchlich weiblich wie männlich kodierte*n Cyborg als komplementären Binarismus, eine palästinensisch-isrealische Cybersuperdyke, eine (heterosexualisierte) Cyborg-Tunte sowie eine in die Jahre gekommene listige Cyberwitch (vgl. Fink 2008). Darüber hinaus bricht Piercy mit dem Orientalismus gängiger Cyberpunk Science Fiction, insofern multinationale Großkonzerne nicht allein an japanische, sondern auch an US-amerikanische, britische oder niederländische Konzerne erinnern. Die politischen, auf Affinitäten gründenden Netzwerke, die sie beschreibt, ähneln dem, was Hardt und Negri später als motley crew bezeichnet haben. Auch Amy Thomsons Cyborgs in Virtual Girl (1993) verbünden sich mit verschiedensten marginalisierten Gruppierungen und Personen. Ihre queeren und trans*-Cyborgs brechen mit diversen Grenzziehungen, Thomson beschreibt Cyborgs nicht allein als Geschöpfe und Spiegel des Menschen, sondern fragt, welche Cyborgs Cyborgs schaffen würden und wie sich Intimität und Nähe zwischen ihnen gestaltet.

»We are all compost«

Auch wenn das Manifest für Cyborgs bereits vor 30 Jahren verfasst wurde, sind die darin aufgeworfenen Fragen noch immer aktuell. So schreibt etwa Rosi Braidotti (2014, 9) in ihrem viel diskutiertem Buch Posthumanismus: »Wissenschaft und technische Fortschritte haben die Grenzen zwischen Natur und Kultur verschoben und zum großen Teil verwischt. Dieses Buch geht davon aus, dass die Gesellschaftstheorie eine Bestandsaufnahme der durch diesen Paradigmenwechsel veränderten Begriffe, Methoden und politische Praktiken vornehmen muss.« Das Cyborg-Konzept unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von Braidottis Konzeption des Posthumanen. Bei Haraway liegt der Fokus mehr auf den Gemeinsamkeiten und companion species als auf dem Posthumanen, das noch immer den Menschen zentral im Namen trägt. So formuliert sie in einem aktuellen Text: »We are all compost, not posthuman« (2015, 161; Hervorh. D.F.). Dennoch diagnostiziert Braidotti aktuell eine ähnliche Ausgangslage wie Haraway zuvor.

Die in den letzten Jahren entstandenen feministischen postkolonialen Cyborgs fordern auf höchst spannende Weise okzidentale und koloniale Betrachtungen von Technologie heraus. Nalo Hopkinson etwa schafft in Midnight Robber (2000) nicht nur höchst interessante Cyborg-Figuren, die queere afro-karibisch-kanadische Autor*in untersucht auch, wie wir Technologie denken. Viele Geschichten über Technologien wie auch die Begriffe und Paradigmen, die wir für sie verwenden, beziehen sich auf die griechische und römische Mythologie und Sprache, so Hopkinson. Damit gestalteten wir jedoch nicht nur die Bezeichnungen, sondern auch die Art der Technologie, die wir schaffen. Hopkinson fragt hingegen, wie diese Technologien und die über sie erzählten Geschichten gestaltet wären, würden sie von afrikanischen Diasporakulturen geschaffen. Ein Kommunikationsgerät, das sieht und hört, heißt in Midnight Robber daher »four-eye«, buchstäblich Seher*in. Die künstliche Intelligenz, die alle Menschen eines planetarischen Systems beschützt, wird zu »Granny Nanny«, nach der Arbeit*erin und Magierin*, die in Jamaika eine Anführerin* der Maroons – entflohener Sklav*innen – war. Auch wenn Granny Nanny alles sieht, sagt sie nicht alles weiter, nur wenn die Sicherheit einer Person gefährdet ist. Granny Nannys Überwachung sei, so Hopkinson, daher eher fürsorglich, was manchmal eine gute Sache und manchmal eben erdrückend sei. Sie führt uns in Midnight Robber in einzigartiger Weise vor, wie Binarismen unterlaufen werden können. Und sie zeigt uns, dass das Cyborg-Universum nicht nur »endgültiges Koordinatensystem der Kontrolle«, »die endgültige Abstraktion« bedeuten kann, sondern auch »gelebte soziale und körperliche Wirklichkeiten, in der keine*r mehr die Verbundenheit und Nähe zu Tieren und Maschinen zu fürchten braucht und niemand mehr vor dauerhaft partiellen Identitäten und widersprüchlichen Positionen zurückschrecken muss« (Haraway 1995, 40; Einfügung D.F.).

Denn ›wir‹ sind die Borg. Ob wir wollen oder nicht. Doch welche Borg ›wir‹ werden, wie ›wir‹ – in Kollektiven oder individuell – ›unsere‹ Unabgeschlossenheit, Vielfältigkeit, Widersprüchlichkeit, Verletzlichkeit sowie Beziehungen zu von uns verschiedenen Borg in spätkapitalistischen, technologisch vermittelten Gesellschaften leben, das sollten wir mitgestalten.