In den Jahren 2018 und 2019 gab es einen Aufbruch für die Klimabewegung. Viel mediale Aufmerksamkeit, Massendemonstrationen von Fridays for Future, Aktionen im Hambacher Forst und von »Ende Gelände«. Doch kaum eine Forderung wurde durchgesetzt. Was lernen wir daraus?
Lara: Wir haben damals in kurzer Zeit unglaublich vielen Menschen die Dringlichkeit der Klimakrise nahegebracht. Es fühlte sich an, als stünden wir kurz vor dem Durchbruch. Das Gefühl ist inzwischen verschwunden. Heute glaube ich, dass wir nicht permanent unter dem Druck absoluter Dringlichkeit arbeiten können. Der Kampf wird nicht in wenigen Jahren gewonnen. Ich werde mein ganzes Leben für Klimagerechtigkeit kämpfen müssen. Und die Bedingungen werden noch schwieriger werden.
Franziska: Unser Erfolg hat damals die Illusion genährt, wir wären unmittelbar wirksam. Es gab ein enormes öffentliches Bewusstsein, doch an den Kräfteverhältnissen konnten wir nichts ändern. Statt konkrete Konflikte zu fokussieren, haben wir vor allem über abstrakte Klimaziele gesprochen und Appelle an die Politik gerichtet. Inzwischen ist klar: Es fehlt uns an Machtressourcen und an einer Verankerung jenseits aktivistischer Kreise. Darum müssen wir Strategien entwickeln, wie wir das fossile Kapital herausfordern und reale Macht aufbauen, etwa in den Betrieben.
Heißt das, die Bewegung muss aufhören, ihren Fokus auf die Bundesregierung zu richten?
Lara: Nein. Es bleibt weiterhin wichtig, Druck für konkrete Forderungen aufzubauen. Jedes bisschen Regulierung für den Klimaschutz entscheidet über Leben und Tod. Wir können nicht nur an den großen und langsamen Rädern drehen, wir müssen auch die kleinen Schritte gehen. Und: Es geht bei Klimagerechtigkeit nicht nur darum, Industrien stillzulegen. Wir brauchen globale Bewegungsfreiheit, wir wollen Umverteilung, das lässt sich nicht in betrieblichen Kämpfen regeln. Dafür brauchen wir Gegenmacht im politischen System.
Franziska: Ich will die Regierung nicht links liegen lassen, aber wir müssen Forderungen aus einer realistischen Haltung heraus formulieren. Viele denken, dass die Herrschenden irgendwann zur Vernunft kommen, wenn wir sie lang genug überzeugen. Aber wir brauchen Mittel, mit denen wir drohen können. Und wir müssen schauen, wo sich wirklich etwas durchsetzen lässt. Ansonsten fallen wir auf symbolische Radikalität zurück und haben keine Möglichkeit praktischer Solidarität.
Jahrelang hat die Klimabewegung Dringlichkeit kommuniziert, inzwischen schließen sich bereits Zeitfenster. Wie geht ihr damit um?
Franziska: Die Dringlichkeit bleibt, es geht ums Überleben. Aber die Fünf-vor-zwölf-Rhetorik erweckt den Eindruck, es wäre um fünf nach zwölf Zeit aufzugeben. Dabei geht es in einer eskalierenden Klimakrise umso mehr darum, möglichst vielen Menschen gute Lebenschancen zu sichern. Alle Verteilungskämpfe, Abschottung und Armut werden zunehmen. Darum müssen wir längerfristige Strategien entwickeln und nicht von Mobilisierung zu Mobilisierung hetzen. Natürlich braucht es trotzdem konkrete Solidarität im hier und jetzt, zum Beispiel über die Seenotrettung.
Lara: Am wichtigsten ist es, gemeinsame Interessen zu suchen und zu kommunizieren. Klimaschutz ist ein materielles Interesse jeder Person, die in den nächsten 20 bis 30 Jahren auf diesem Planeten leben wird – auch der Beschäftigten in der Autoindustrie. Es geht nicht nur darum, aus Mitleid mit den Menschen im globalen Süden zu verzichten. Der Slogan »There are no jobs on a dead planet« trifft zu. Das reichste obere Prozent wird sich weltweit von den Folgen abschotten, alle anderen werden leiden, auf die eine oder andere Weise.
Wie lässt sich das kommunizieren?
Franziska: Angesichts von Krisen, Kriegen und Pandemie können wir nicht mehr nur über das Klima sprechen. Wir müssen alle Symptome, die so eng mit der Klimakrise zusammenhängen, politisieren. Da können wir als Bewegung noch besser werden. Wir müssen direkt an den Erfahrungen der Menschen ansetzen, an dem Gefühl, dass immer neue Krisen über einen hereinstürzen und man immer nur Objekt, nie Subjekt der Veränderung ist. Es profitieren immer die gleichen. Wenn wir von den 99 Prozent reden, dann müssen wir diese Mehrheit auch ansprechen.
Lara: Ich sehe das genauso. Trotzdem dürfen wir nicht kaschieren, dass nicht alle die gleichen Interessen haben, sondern unterschiedliche Positionen im Herrschaftsgefüge einnehmen. Mittelfristig müssen wir im globalen Norden Einschnitte vornehmen. Wir müssen zum Beispiel die Automobilindustrie in die Krise treiben, die Autoproduktion insgesamt beenden. Das ist dringend – und da gibt es durchaus Konflikte mit vielen Beschäftigten und Gewerkschaften. Anders als etwa bei den Beschäftigten im ÖPNV, da lassen sich viel leichter gemeinsame Ziele finden.
Franziska, wie siehst du diesen Widerspruch?
Franziska: Ich bin überzeugt, dass wir Allianzen zwischen der Arbeiter*innenbewegung und der Klimabewegung brauchen. Und zwar nicht nur im ÖPNV. Verkehr ist der Sektor, in dem Emissionen weiter steigen. Wir werden die Autoindustrie nur in die Krise treiben, wenn wir eine Mehrzahl der Beschäftigten überzeugen, dass sich etwas ändern muss. Und zwar auf eine Art und Weise, die ihnen Sicherheit gibt und nicht nimmt. Nur von Verzicht zu sprechen, bringt uns nicht weiter. Ja, es geht um weniger Ressourcenverbrauch und Konsum, aber zugleich geht es um eine Verbesserung des Lebens vieler Menschen. Mehr öffentliche Güter hieße doch mehr Sicherheit und auch mehr Mitgestaltung für uns alle.
Lara: Ich bin absolut dafür, mit mehr Leuten ins Gespräch zu kommen und neue Verbündete zu finden. Aber wir müssen diese Produktion schnell stoppen. Wir können im Zweifelsfall nicht warten, bis wir den perfekten Konversionsplan durchgesetzt haben. So würden wir auch in der Rüstungsindustrie nicht argumentieren – und auch die Autoindustrie tötet. Da scheint es mir sinnvoller, sich direkt für klimafreundliche Beschäftigungsfelder zu engagieren, etwa in der Pflege oder im ÖPNV. Ich habe Angst, dass wir aus einer Sozialromantik, aus einem Ideal von Klassenpolitik heraus fundamentale Interessenkonflikte verkennen.
Franziska, ihr versucht, in der Autoindustrie in Thüringen Beschäftigte zu organisieren. Wie macht ihr das?
Franziska: Wir setzen an den Verwerfungen an, die der Umbau der Autoindustrie mit sich bringt. Unzählige sind von Entlassungen bedroht, ganze Regionen drohen zu veröden – durch Maßnahmen, die dem Klima wenig nutzen und vor allem die Macht der Konzerne absichern. Justice is Global ist ein Organizing-Kollektiv, das an einem konkreten Beispiel aufzeigen will, wie wir durch Organizing eine klimagerechte Konversion vorantreiben können. Derzeit sind wir bei einem Zulieferkonzern aktiv. Wir wollen die Kolleg*innen unterstützen, die sagen: »Ja, wir können unsere Produktion so umstellen, dass sie anderen Zwecken dient«. Ihre Vorschläge werden nicht gehört. Wir gehen als Klima-Aktivist*innen ans Werkstor und suchen das Gespräch. Langfristig wollen wir gemeinsame Auseinandersetzungen mit den Beschäftigten und der Gewerkschaft führen.
Welche Rolle spielen Gewerkschaften für euch?
Franziska: Eine enorm wichtige. Ohne starke Gewerkschaften und eine organisierte Arbeiter*innenschaft wird sich Klimapolitik gegen die Interessen der arbeitenden Menschen richten. Aber natürlich müssen wir strategiefähig werden, innerhalb und gegenüber der IG Metall. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht alles Richtung E-Mobilität geht, sondern in Richtung öffentliche Mobilität. Dafür müssen wir auch gemeinsam mit den Beschäftigten Druck auf die Landespolitik aufbauen.
Überzeugt dich das, Lara?
Lara: Ich denke, wir müssen die Transformation erstmal den aktuellen Regierungen abringen, die sie gegen fossile Interessen durchsetzen müssen. Dafür muss unsere Macht größer werden als deren Lobbymacht. Ich halte es für sinnvoll, Gewerkschaften einzubeziehen, wir müssen aber auch verstehen, wie Gewerkschaften und Beschäftigte in die systemische Logik des Autokapitalismus eingebunden sind. Sie profitieren auch vom ungerechten Status quo. Trotzdem ist es gut, die konkreten Personen zu erreichen und zu überzeugen.
Franziska: Das stimmt, aber wir können diese Institutionen nicht umgehen, uns allein auf »die Menschen« konzentrieren und sie alle einzeln einsammeln – sie organisieren sich nicht umsonst dort. Wir brauchen diese mächtigen Akteure, um Gegenmacht aufzubauen.