Stärker als je zuvor ist die junge Generation in unterschiedliche Fraktionen gespalten, deren Verhältnis nicht primär durch gemeinsame Erfahrungen des Kindesalters, sondern durch einen tiefen ökonomischen und soziokulturellen Graben mit verschiedenen Lebenswelten geprägt ist (vgl. hierzu: Butterwegge/Butterwegge 2021). Wer glaubt, dass es in Deutschland keine Klassenunterschiede gibt, wird eines Schlechteren belehrt, wenn er in die Schulklassen hineinschaut: Da sitzen Kinder, denen es an nichts fehlt und die über prestigeträchtige Konsumartikel, modische Kleidung und eigenes Taschengeld verfügen, neben Kindern, die ohne Pausenbrot zur Schule kommen, aus ihren Schuhen herausgewachsen sind und kaum das Allernötigste bei sich haben. Doch selbst dieses Bild der Schule als Ort, wo alle Kinder zusammenkommen, ist brüchig. Schon in den Grundschulen sorgt die soziale Segregation der Nachbarschaften dafür, dass sich die kindlichen Lebenswelten kaum begegnen. Nach vier bis sechs Jahren (je nach Bundesland) trennen sich dann endgültig die Bildungswege – welche Form der weiterführenden Schule gewählt wird, hängt stark von der sozialen Herkunft ab.

Die sozioökonomische Ungleichheit reproduziert sich als Bildungs­ungleichheit

Die ungleiche Verteilung der materiellen Ressourcen schafft ungleiche Zugangsmöglichkeiten im Hinblick auf Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, zumal diese im Rahmen einer neoliberalen Privatisierungsoffensive immer häufiger von der Markt- und Kaufkraft ihrer »Kunden« abhängig gemacht werden. Die europäischen Bildungsminister*innen gaben im Juni 1999 mit ihrer Bologna-Erklärung das Startsignal für eine Ökonomisierung, Kommerzialisierung und (Teil-)Privatisierung des Schul- und Hochschulwesens, durch die das Gemeinwesen an demokratischer Qualität und die Mehrheit seiner Mitglieder an Lebensqualität eingebüßt hat. Bildung und Wissenschaft wurden nunmehr marktgängig, aber damit auch marktabhängig gemacht und stärker für Wirtschaftsinteressen geöffnet.

Der Schweizer Soziologe Alessandro Pelizzari begreift diese Maßnahmen als bildungspolitische Gegenreform, mit der das Bildungswesen den Bedingungen deregulierter und flexibler gestalteter Arbeitsmärkte im Rahmen einer Doppelstrategie angepasst wird. Einerseits ermögliche die durch »leere« öffentliche Kassen erzwungene Verkürzung der Schul- und Studiendauer eine allgemeine Abwertung der Grundbildung und der Ware Arbeitskraft; andererseits verschärfe sich durch kennzifferngestützte Marktmechanismen die soziale Selektion von (Hoch-)Schulen: »Es geht um die Vertiefung gesellschaftlicher Ungleichheiten zum Zwecke einer besseren Abstimmung auf die Bedürfnisse eines Wirtschaftsstandortes.« (Pelizzari 2001, 152)

Ein bereits länger anhaltender Boom der privaten Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen verstärkt hierzulande die soziale Segregation im Bildungswesen. Privatisierungstendenzen haben sogar in der vorschulischen Kindertagesbetreuung Einzug gehalten. Sie verstärken die Segregationsprozesse innerhalb der öffentlich geförderten Kitalandschaft, weil sich eine Parallelstruktur für die Kinder von Besserverdienenden herausgebildet hat. Neben die Tagespflege als zweite regional verbreitete Betreuungsform und öffentlich geförderte Kitas (darunter auch viele in gemeinnütziger, freier Trägerschaft) sind nicht-gemeinnützige Kitas in privater Trägerschaft getreten, deren Zahl aber (noch) überschaubar ist. Im März 2020 besuchten rund 73 000 Kinder solche Einrichtungen, von den unter Dreijährigen waren es im März 2019 rund 26 000. Eltern, die es sich finanziell leisten können, weichen oft aufgrund eines fehlenden (öffentlich geförderten) Kitaplatzes auf eine rein privatgewerbliche Kita aus. Die kann schon mal bis zu 1 500 Euro an monatlichen Elternbeiträgen kosten. Andere präferieren grundsätzlich eine solche Einrichtung, da sie dort hochwertige, häufig bilinguale und mit guten Personalschlüsseln versehene Förderangebote erwarten. Angebote, über die öffentlich geförderte, aber chronisch unterfinanzierte Kitas meistens nicht verfügen.

Bildung dient insbesondere manchen Eltern der oberen Mittelschicht als Instrument zur Distinktion und zur Ausgrenzung oder Abgrenzung gegenüber subalternen Klassen und Schichten. Das gilt bereits für die klassenspezifische Trennung innerhalb des drei- (oder inzwischen zwei-)gliedrigen Schulsystems und noch viel mehr für die wachsende Rolle der Privatschulen. Der Wirtschaftsjournalist Daniel Goffart sieht in dem »Absonderungsprozess« unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen schon im frühen Kindesalter ein Indiz für die soziale Erosion der Gesellschaft: »Die explosionsartige Zunahme privater Kitas, privater Schulen und privater Universitäten entwertet nicht nur den seit Jahrzehnten chronisch unterfinanzierten öffentlichen Bildungsbereich; sie führt im weiteren Lebensverlauf auch zur Herausbildung abgeschirmter Zirkel und Gesellschaftskreise, in denen die Elite und ihre Zöglinge weitgehend unter sich bleiben können.« (Goffart 2019, 14) So eröffnen wohlhabende und reiche Eltern ihren Kindern mittels exklusiver (privater) Schulen den Zugang zu angesehenen Bildungszertifikaten, die als Eintrittskarte für die gesellschaftlichen Eliten dienen. Vor allem exklusive Internate wie Schloss Salem und Schloss Torgelow, aber auch die Berlin Metropolitan School und die International School of Düsseldorf gelten als Sprungbrett für besondere berufliche Karrieren.

Die Zahl der Privatschüler*innen hat sich in den vergangenen 30 Jahren beinahe verdoppelt: Im Jahr 1992 lag ihr Anteil noch bei knapp fünf Prozent, inzwischen besucht jede*r zehnte Schüler*in eine Privatschule – zum Teil auch eine Folgewirkung staatlicher Austeritätspolitik, durch die das öffentliche Bildungswesen mancherorts in einen katastrophalen Zustand geraten ist. »Bilingualen Unterricht, musikalische (Früh-)Förderung, Kooperationen mit Sportvereinen und Unternehmen können oder wollen bislang nur die wenigsten staatlichen Schulen anbieten. Privatschulen hingegen kommen nicht nur diesen Bedürfnissen nach, sondern bieten Eltern durch großzügigere Betreuungszeiten zugleich weitreichende Möglichkeiten, Familie und Beruf (besser) zu vereinbaren.« (Engartner 2020, 14) Zudem gibt es Privatschulen, die durch ein reformpädagogisches, ganzheitliches Programm punkten und sich als Alternative zu den staatlichen Schulen profilieren wollen.

Jan Grossarth-Maticek, Kathrin Kann und Sebastian Koufen belegen in einem Dossier für das Statistische Bundesamt einen Zusammenhang von Einkommen und Privatschulneigung. Offenbar wächst mit dem Einkommen der Eltern das Bedürfnis, die Kinder auf eine kostenpflichtige Privatschule zu schicken. »Rund 13,2 Prozent der Kinder von Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen zwischen 250 000 und einer Million Euro besuchten eine kostenpflichtige Schule und gaben dies in der Steuererklärung für 2016 an. Bei den ›Einkommensmillionären‹ waren es sogar 18,7 Prozent. Haushalte mit einem jährlichen Einkommen bis unter 50 000 Euro gaben für 3,6 Prozent der Kinder Schulgeld in der Steuererklärung an.« (Grossarth-Maticek et al. 2020, 14) Darüber hinaus zeigen die Autor*innen, dass Besserverdienende im Durchschnitt mehr Geld für den Privatschulbesuch ihrer Kinder bezahlen: »Lag das Einkommen zwischen 100 000 und 125 000 Euro im Jahr, betrug das in der Steuererklärung angegebene mittlere jährliche Schulgeld 2 000 Euro. Verdiente ein Steuerpflichtiger mehr als eine Million Euro, betrug es sogar 7 800 Euro je Kind.« (Ebd.)

Schüler*innen an Privatschulen haben einen deutlich höheren sozioökonomischen Status als Gleichaltrige an öffentlichen Schulen, wie auch die Eltern der Privatschüler*innen über höhere Bildungsabschlüsse und seltener über einen Migrationshintergrund verfügen (Klemm et al. 2018, 39). Das Privatschulsegment als Ausdruck einer fortgeschrittenen Ökonomisierung des Bildungswesens avanciert somit zu einem Spaltungsmotor, der die Schülerschaft und deren Lebenswelten noch weiter auseinanderdividiert: in eine Mehrheit an gymnasialen und nichtgymnasialen Schulformen im öffentlichen Schulwesen – darunter viele inklusiv arbeitende Ganztagsschulen, aber auch Schulen mit einer sozial benachteiligten Schülerschaft – sowie eine Minderheit an Privatschulen mit einer sozial homogeneren Schülerschaft aus besser situierten Eltern­häusern.

Bestimmt die Bildung, wer arm und wer reich ist, oder die materielle Verteilung, wer ungebildet bleibt?

Wenn es um das Problem sozialer Ungleichheit im vermeintlichen Land der Dichter und Denker geht – was selten genug vorkommt –, fungiert Bildung fast immer als politisch-ideologischer Kristallisationspunkt. Sowohl hinsichtlich der Ursachen für die Entstehung von Kinderarmut wie auch in Bezug auf ihre Beseitigung, Verringerung und Verhinderung spielt Bildung im öffentlichen Diskurs seit jeher eine Schlüsselrolle: Armut wird meistenteils auf gravierende Bildungsmängel zurückgeführt, weshalb sich die propagierten Gegenmaßnahmen auch – gewissermaßen folgerichtig, aber dennoch zu Unrecht – auf verstärkte Bildungsanstrengungen und Bildungsangebote beschränken.

Geld regiert die Welt, sagt der Volksmund, nicht etwa der Intellekt oder das Wissen. Anders formuliert: Ungleichheit im Hinblick auf Einkommen und Vermögen bedingt Bildungsungleichheit – und nicht umgekehrt. Zwischen dem Bildungsgrad und dem sozioökonomischen Status einer Person besteht kein unmittelbarer Zusammenhang: Man kann geistreich und bettelarm, aber ebenso auch strohdumm und steinreich sein. Wer so tut, als ob Bildungsdefizite für die Kinderarmut in Deutschland verantwortlich seien, vertauscht Ursache und Wirkung. Armut macht es jeder Familie so gut wie unmöglich, für eine gute Bildung ihrer Kinder zu sorgen. Bildung schützt hingegen weder verlässlich vor Armut, wie die relativ hohe Anzahl erwerbsloser, prekär beschäftigter und mittelloser Akademiker*innen (häufig aus den Geistes- und Sozialwissenschaften) zeigt, noch ist sie eine Grundvoraussetzung der Vermögensbildung, denn weder Firmengründer*innen wie der Studienabbrecher Bill Gates noch junge Firmenerb*innen benötigen einen Hochschulabschluss für ihren Vermögensaufbau.

Ob ein Kind nach dem Schulunterricht auf den Bolzplatz oder zum Klavierunterricht geht, hängt nicht bloß von seinem Geschick oder Geschlecht, sondern auch oder vielleicht sogar noch mehr vom Einkommen, vom Vermögen und vom sozialen Status der Eltern ab. Während die Kinder aus einkommensschwachen Familien in Deutschland zu den größten Bildungsverlierer*innen gehören, sind die Kinder reicher Eltern eindeutig im Vorteil. Man kann daher in Abwandlung eines Sprichwortes sagen: Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg, sei es zum Abitur, zum Studium oder zur beruflichen Karriere.

Ähnlich wie die Schülerschaft ist auch die Landschaft der Studierenden heute viel stärker als vor ein paar Jahrzehnten zerklüftet. Nach dem Modell der USA kommt es auch hier ansatzweise zu einer Polarisierung zwischen einer abgehobenen Bildungselite aus Akademikerhaushalten und einer Schicht von ökonomisch eher Abgehängten. Zu Letzteren zählt auch eine steigende Zahl ausländischer Student*innen und Geflüchteter, die trotz zahlreicher Barrieren als Erste in der Familie ein Studium aufnehmen, aber seltener mit einem Masterabschluss beenden. Einer der Hauptgründe ist die gezielte Umgestaltung der Hochschullandschaft durch Marktmechanismen, Konkurrenzbeziehungen und Managementkonzepte.

Bildung und Wissenschaft gelten nicht mehr als öffentliches Gut, auf das sämtliche Gesellschaftsmitglieder einen Anspruch haben, sondern bloß als »weicher Standortfaktor«, als Handelsware oder Konsumartikel und Zukunftsmarkt. Dabei wirkt der neoliberale Wettbewerbswahn gerade im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, wo Kooperation statt Konkurrenz gefragt wären, ausgesprochen ruinös. Das zeigt auch die Zunahme privater Hochschulen insbesondere im Fachhochschulsektor. Rund zehn Prozent aller Neueinschreibungen entfallen mittlerweile auf Hochschulen in privater Trägerschaft, Mitte der 1990er Jahre war es lediglich ein Prozent.

Studierende firmieren seither als »Kunden«. Kunden, die eine Konsummentalität ausbilden, ihr »Humankapital« – was für ein inhumaner Begriff! – verwerten und nun dafür geeignete Lehrangebote nachfragen sollen. Den Hochschulabsolvent*innen wird auf diese Weise ihr kritischer Geist ausgetrieben: durch die völlige Verschulung des Studiums mittels seiner Verkürzung, durch die Verabreichung häppchenweiser Lerneinheiten und durch die Verpflichtung zu schematisierten Dauerprüfungen.

Wettbewerb, der Menschen nur unter gleichen Ausgangsbedingungen motivieren und zu Leistungssteigerungen animieren kann, wird zum Allheilmittel stilisiert, das die Strukturprobleme einer globalisierten Marktökonomie lösen soll. Nach dieser Lesart verträgt sich ein Gleichheitsanspruch nicht mit den Leistungsanforderungen einer postmodernen Wissensgesellschaft. Wettbewerb erfordert demnach eine größere Lohn- und Gehaltsspreizung in Bildungseinrichtungen und fördert sie auch. Den wenigen Gewinner*innen stehen allerdings viele Verlierer*innen gegenüber.

Der Weg junger Menschen zur Hochschule hat sich im Laufe der Zeit verändert. Zwar verfügen laut Bildungsbericht 2020 fast 97 Prozent der Studienanfänger*innen über eine allgemeine Hochschulreife als Zugangsvoraussetzung, aber mehr als ein Drittel hat diese nicht klassisch auf dem Gymnasium, sondern im Anschluss an den Abschluss der Sekundarstufe I an beruflichen Schulen, also gewissermaßen nachholend erworben. Die soziale Herkunft schlägt sich unter anderem darin nieder, dass sich Studienzugangsberechtigte aus Nichtakademikerfamilien wesentlich seltener für ein Studium einschreiben, zumal auch ihre Abschlussnoten durchschnittlich schlechter sind. Der Übergang vom Bachelor- in ein Masterstudium ist eine weitere Selektionsschwelle: »Je höher die soziale Herkunft, desto öfter entscheiden sich Studierende für die Aufnahme eines Masterstudiums.« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, 178f.)

Da sich Abiturient*innen aus unterprivilegierten Familien oft eher an wohnortnahen Hochschulen einschreiben, während die Bewerber*innen aus wohlhabenderen Familien in der Wahl des Studienortes freier sind, findet an dieser Nahtstelle beruflicher Karrieren auch ohne Studiengebühren eine soziale Selektion statt. Als weitere soziale Barriere wirken die teilweise extrem hohen Wohnungsmieten in Groß- und Universitätsstädten. Dort können sich viele Studierende schlicht keine Wohnung mehr leisten.

Ungleiche Bildungschancen beginnen also im frühen Kindesalter, nehmen während der Schullaufbahn zu und setzen sich bis zum tertiären Bildungsbereich fort. Je stärker Armut und soziale Benachteiligung die ­Lebenslage prägen, umso hürdenreicher ist für die davon betroffenen jungen Menschen der soziale Aufstieg durch Bildungsanstrengungen. Zugleich stehen anderen Gleich­altrigen von Anfang an sämtliche Türen offen. Dazu gehören auch die Angebote privater Bildungsinstitutionen und einer kommerzialisierten Freizeitgestaltung. Diese soziale Spaltung der Lebenswelten junger Menschen, die durch das teilweise ökonomisierte ­Bildungssystem legitimiert und verstärkt wird, bleibt eine zentrale Herausforderung für die Sozial-, Familien- und Bildungspolitik der Bundesrepublik.