Wem gehört die Stadt? Wem gehört Hamburg? Wem gehört Berlin? Wem gehört Leipzig? Wem gehört Konstanz? Nachdem Anfang der 2000er Jahre viel über schrumpfende Städte, Leerstandsprobleme, Rückbau und ökologische Fragen diskutiert wurde, sind seit einigen Jahren steigende Mieten, Wohnungsmangel, Verdrängung und Obdachlosigkeit zum drängenden Problem geworden. Anfang April 2019 haben allein in Berlin 35.000 Menschen gegen den Mietenwahnsinn protestiert. Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« nutzte die spektakuläre Demo als Auftakt für ihr Volksbegehren zur Vergesellschaftung der Berliner Bestände großer Immobilienkonzerne. Denn es geht nicht nur um bezahlbare Wohnungen, um Wohnungsneubau im Allgemeinen und sozialen Wohnungsbau im Besonderen. Es ist die Eigentumsfrage, die gegenwärtig auf der Agenda steht.
Kein Wunder, denn die Probleme sind gravierend. Alarmierend sind die absoluten Zahlen, aber auch der Trend: Innerhalb von nur einem Jahr stiegen die anteiligen Wohnkosten in Berlin von 40 auf 46 Prozent, das heißt, durchschnittlich wird fast die Hälftedes verfügbaren Einkommens für Wohnkosten ausgegeben. Dabei ist für Expert*innen unumstritten, dass die Bruttokaltmiete nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens betragen sollte. In größeren Städten sind die Mieten besonders hoch. 2018 mussten bei Neuvermietungen im Mittel 11,57 Euro/m2 gezahlt werden. Aber das Wachstum der Neuvertragsmieten fiel seit 2010 in keiner der Städte so hoch aus wie in Berlin. Die Neuvertragsmieten stiegen bis Ende 2018 nominell um 73 Prozent. Es gibt kaum mehr zu vermietende Wohnungen, die Leerstandsquote in den großen Städten beträgt 3,6 Prozent.
Dass dieses Problem nicht allein durch massenhaften Neubau gelöst werden kann, dämmert mittlerweile auch denjenigen, die noch zu Beginn des Jahres 2019 darin das Allheilmittel sahen. »Wenn man die Mieten im Griff haben will, muss man bauen, bauen, bauen – ob es Frau Lompscher gefällt oder nicht.« So der Fraktionschef der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, in der Fraktionsklausur vom Januar 2019. Der Markt reguliert das Problem aber nicht. Die Preise sinken nicht, obwohl das Angebot wieder leicht ansteigt. Worauf kritische Stadtforscher*innen schon seit Jahren hinweisen: Die meisten der neu gebauten Wohnungen sind für Normalverdienende und erst recht für Geringverdienende nicht bezahlbar. 1,9 Millionen Wohnungen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen erschwinglich sind, fehlen in Deutschland.
Mit rund 310.000 fehlenden Wohnungen in diesem Segment steht Berlin an der Spitze (Holm et al. 2018). Es werden viel zu wenige Sozialwohnungen gebaut, aktuell nur 26 000 im Jahr, es müssten über 80 000 sein. Aber nicht nur die Menge stellt ein Problem dar – es fehlt ein schlüssiges Konzept (vgl. Prognos AG 2019 und Kuhn in diesem Heft).
Gleichzeitig fallen jährlich Zehntausende Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung und werden auf dem sogenannten freien Markt angeboten, nicht selten als Eigentumswohnungen, ob mit oder ohne Sanierung (vgl. Holm in diesem Heft). Infolge sind innerhalb von nur sechs Jahren die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für Bauland in den sieben größten Städten Deutschlands von 600 auf1 120 Euro gestiegen. Selbst in mittelgroßen Städten gingen die Preise nach oben, von 240 auf 500 Euro. Eine besondere Zahl kursiert inzwischen in Bezug auf München: Dort haben sich die Baulandpreise seit 1950 um 39.000 Prozent verteuert (Fabricius 2019). In Berlin sind die Preise für bebaute Grundstücke zwischen 2008 und 2017 von 1.700 Euro auf fast 4 500 Euro/m2 gestiegen (vgl. Heinz/Belina 2019 und Heinz in diesem Heft).
In den 2000ern hieß es, »Deutschland ist gebaut«. Das hat nie gestimmt und stimmt heute weniger denn je. Es wird ausgegrenzt und verdrängt, nicht mehr an den sprichwörtlichen Stadtrand, denn auch dort gibtes keinen signifikanten Leerstand mehr und kaum noch bezahlbare Wohnungen, sondern ins Umland, in prekäre Wohnverhältnisse, Verschuldung und Wohnungslosigkeit. »Es gibt kein Grundrecht auf Wohnen in der Stadtmitte!«, so ein Kommentar im Berliner Tagesspiegel vom 4. Februar 2013.
Nicht unwidersprochen
Aber es tut sich etwas. Vor allem in den Städten, dort, wo auch die Probleme wohnen. Der Verdrängung, der neben den unteren jetzt auch mittlere Einkommensgruppen ausgesetzt sind, widersetzen sich die Betroffenen zunehmend. Die Menschen wollen bleiben. In den Innenstädten, in den Außenbezirken, in ihren Kiezen und in ihren Vierteln. Sie verweigern sich Räumungsbeschlüssen, schließen sichals Hausgemeinschaften zusammen, führen erfolgreiche und manchmal auch erfolglose Kämpfe, organisieren politische und kulturelle Events, gründen Informationsportale, recherchieren Besitzverhältnisse und setzen kommunale Politik und Landesregierungen unter Druck. Zumindest in den Großstädten ist das NIMBY-Phänomen (Not in my backyard – Nicht in meinem Hinterhof) heute weniger präsent als die rebellische, linke und solidarische Aktion. In allen größeren Städten gibt es lokale Mieterinitiativen, in Berlin beispielsweise Bizim Kiez1, Kotti & Co, Stadt von unten oder das Bündnis Zwangsräumung stoppen, um nur einige zu nennen. Sie alle setzen sich gegen die aktuelle Wohnungspolitik zur Wehr, entwickeln Alternativen und machen mit eindrucksvollen Aktionen auf Immobilienspekulation, Verdrängung und Luxussanierungen aufmerksam. Sie erzählen auch die Geschichten der betroffenen Menschen.