Mit einem milliardenschweren Konjunkturprogramm will die Bundesregierung die Folgen der Coronakrise für die Wirtschaft abfedern und die drohende Rezession abwenden. Massive staatliche Investitionen in den industriellen Umbau und Steuersenkungen sollen das Wachstum stimulieren. Eine Autokaufprämie für reine Verbrenner kam nicht zustande. Sie war auf Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen und auch die Wirtschaftsverbände der Union hatten sie als Bevorzugung einer Branche abgelehnt. Ist das Programm also eine Kurskorrektur weg von einer Politik der schwarzen Null, hin zu einer sozial-ökologischen Investitionspolitik? Leider nein. Das Konjunkturpaket ist schlechter als sein Ruf.
Es setzt auf Anreize für Innovationen in der Auto- und Metall-Industrie, um Elektromobilität und Dekarbonisierung zu beschleunigen. Der Kauf von E-Autos und der Flottenaustausch werden ko-finanziert, der Antrieb wird über Strompreissenkungen und Ladeinfrastruktur billiger gemacht. Die Industrie soll dazu gebracht werden, entsprechende Produktionskapazitäten aufzubauen und die Nachfrage zu sichern. Forschungsförderung in großem Umfang entlastet die Unternehmen davon, ihre Gewinne für die eigene Innovation zu reinvestieren, sie können weiter als Dividenden ausgeschüttet werden. Das Paket ist eine Modernisierungsstrategie der Industrie aus Steuermitteln, die auf die Struktur der Wirtschaft keinen Einfluss nimmt: Es gibt keine systematische Förderung kollektiver, umweltfreundlicher Mobilität, keine Maßnahmen zum Umstieg vom Flugzeug auf die Schiene für Fahrgäste oder Fracht – stattdessen werden Flugzeuge gefördert, die weniger Kerosin verbrauchen. Das Eigenkapital der Bahn wird erhöht, aber es gibt keine billigeren Fahrpreise, Freifahrten oder Bahncard 50 für alle. Eine gesellschaftliche Steuerung, die klimaneutrale Wirtschaftszweige wie Gesundheit und Pflege stärkt, ist nicht vorgesehen.
Neben Zuschüssen und Kaufanreizen werden die Steuern für Unternehmen gesenkt. Dazu darf auch die Senkung der Mehrwertsteuer gerechnet werden. Alle Umfragen sagen, dass die meisten Menschen keine größeren Anschaffungen in der Zeit der Krise planen, auch nicht, wenn es Kaufprämien gibt. Aus dieser Zurückhaltung sollen ihnen 3 Prozent Mehrwertsteuer-Senkung heraushelfen – für sechs Monate. Die Regierung sprach von einer „psychologischen Wirkung“, die sie sich erhofft. Eltern bekommen einmalig 300 Euro. Alleinerziehende mit entsprechendem Einkommen können mehr Freibeträge bei der Steuer absetzen – viele müssen allerdings gar keine Steuern zahlen, weil sie direkt in der Armutsfalle sitzen: 36 Prozent der Alleinerziehenden beziehen Hartz IV (aber nur 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung). Sie können 300 Euro auf den Kopf hauen und das war’s.
Viel wird darüber gesprochen, die „Kaufkraft“ zu stärken und Beschäftigte zu entlasten. Das wäre einfach gewesen: Mit einer schnellen Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen und indem die Förderung von Unternehmen an Beschäftigungssicherung und Tariftreue gebunden worden wäre. Die Folgen zeigen sich postwendend: Lufthansa und ihr Großanleger und Milliardär Thiele möchte schnell aus der Staatsbeteiligung raus – offensichtlich ist es eine schwere Belastung, wenn Geldzuwendungen oberhalb des Kaufwertes mit minimalen Mitspracherechten verbunden werden. Lufthansa droht, über 20 000 Beschäftigte zu entlassen und kündigt die Alterssicherung der Beschäftigten, um die Gewinne zu sichern.
Ein Fonds von sieben bis zehn Milliarden Euro hätte ausgereicht, um die Gehälter in der Pflege um 500 Euro anzuheben – für eine Übergangszeit, bis das Gesundheitssystem auf eine neue, gerechte Grundlage gestellt worden wäre. Aber das Ziel des Konjunkturpaketes ist, das deutsche Exportmodell aufrecht zu erhalten. Und das geht nur mit CO2-sparender Technologie. Ändern soll sich für die Industrie sonst nichts. Es ist absehbar, dass der Ressourcen- und Energiebedarf durch den Umbau nicht sinkt, sondern weiter ansteigt. Den Staatshaushalt kostet das 130 Milliarden Euro. Die Diskussion, wie „wir“ zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkommen, ist eröffnet – bald werden wieder alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. Es ist gut, sich bereit zu machen für diese Verteilungskämpfe, für den ökologischen Wandel und gegen den Sozialabbau. Sie werden kommen.
Mehrwertsteuer senken und Unternehmensbesteuerung „reformieren“ – zu wessen Gunsten?
Einer der größten Einzelposten des Konjunkturprogramms ist die Senkung der Mehrwertsteuer von Juli bis Dezember 2020. Diese Steuersenkung ist als staatlicher Zuschuss an die Unternehmen zu bewerten. Denn eine gesenkte Mehrwertsteuer bleibt zunächst als Mehreinnahme bei den Unternehmen. Sie führt nicht automatisch zu Preissenkungen. Die Unternehmen können selbst entscheiden, ob es für sie gewinnbringender ist, die Mehrwertsteuersenkung als Preissenkung an die Verbraucher weiterzugeben oder sie als erhöhte Gewinnmarge für sich zu behalten. Dass der Mehrwertsteuersatz für Hotels in der Vergangenheit abgesenkt wurde, hatte beispielweise kaum Auswirkung auf die Preise. Eine kurzfristige Absenkung der Mehrwertsteuer hat am ehesten im Bereich teurerer Güter tatsächlich Auswirkungen auf die Preise. Daher wird die Absenkung auch als Ersatz für die im Vorfeld umstrittene Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren oder im Preissegment über 40.000 Euro diskutiert. Wird die Steuer Anfang kommenden Jahres wieder auf das bisherige Niveau angehoben, ist zudem eine Preiserhöhung mit der Begründung der erhöhten Steuer möglich. Die LINKE hat sich stets gegen Erhöhungen der Mehrwertsteuer ausgesprochen. Eine (noch dazu: zeitlich begrenzte) Senkung der Steuer hat – aus den genannten Gründen – jedoch nicht denselben Effekt auf die Einkommen wie der Verzicht auf eine Erhöhung. Sie ist deswegen kein wirksames Mittel zur Stärkung niedriger Einkommen.
Aus den Reihen der FDP wird jetzt schon gefordert, die Steuer auf Dauer auf dem niedrigeren Niveau zu belassen. Angela Merkel wies darauf hin, dass sich die Regierung Steuerausfälle in dieser Größenordnung gar nicht leisten könne. Eine dauerhafte Absenkung würde 40 Mrd. Euro pro Jahr kosten. Die Mehrwertsteuer trägt etwa ein Drittel zum Steueraufkommen bei. Ein Ausgleich aus stärker progressiven Steuern wäre sinnvoll, ist aber unwahrscheinlich: Der Solidaritätszuschlag – die am stärksten progressive und daher gerechteste Steuer – wird gerade (teil-)abgeschafft. Für FDP (und AfD) geht es genau um eine Erosion des Staatshaushaltes.
Nicht nur die Mehrwertsteuer wird gesenkt. Auch weitere Unternehmenssteuern werden verändert. Unternehmen können in diesem und dem nächsten Jahr auch bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer Verluste stärker mit Gewinnen vergangener Jahre verrechnen und Investitionen schneller abschreiben. Zudem können sie künftig dauerhaft mehr Aufwendungen gewerbesteuermindernd geltend machen, was die Kommunen Einnahmen kosten wird. Und sie können Gewerbesteuerzahlungen stärker bei der Einkommensteuer geltend machen, was den Bund Geld kosten wird. Für Personengesellschaften wird es die Möglichkeit geben, wie Kapitalgesellschaften besteuert zu werden, und so den für sie günstigeren Steuersatz auszuwählen. Diese „Modernisierungen“ der Unternehmensbesteuerung sollen die „Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen verbessern“ – und sie verringern die Steuereinnahmen des Staates.
Deckelung der Sozialabgaben – Einstieg in den Sozialabbau
Gleich der zweite Punkt des Konjunkturpakets ist die Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent. Begründet wird dies explizit mit den steigenden Ausgaben in den Sozialversicherungen augrund der Pandemie. Es soll verhindert werden, dass „Lohnnebenkosten“ steigen. Darüber hinausgehender Finanzierungsbedarf der Sozialversicherung soll aus Bundesmitteln gedeckt werden – „jedenfalls bis zum Jahr 2021“. Im PR-Sprech der Regierung werden damit die „Nettoeinkommen“ der Beschäftigten geschützt. Den Unternehmern bringt es „Verlässlichkeit“ und „Wettbewerbsfähigkeit“. Was nach 2021 passieren soll, ist offen. Ist der Finanzierungsbedarf der Sozialversicherungen dann immer noch höher, wären weitere Steuerzuschüsse, die Erhöhung der Beiträge oder Leistungskürzungen erforderlich. Für Beschäftigte garantieren die Beiträge zur Sozialversicherung ihre Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter. Sie sind deshalb keine „Nebenkosten“, sondern elementarer Teil des von den Unternehmen zu zahlenden Lohns. Für Unternehmen dagegen ist Sparen am Lohn der Beschäftigten immer praktisch. Die Sozialversicherungsbeiträge als irgendwie bürokratische „Nebenkosten“ zu deklarieren, ist Teil einer Strategie, sie zu delegitimieren und senken zu können. Steuerzuschüsse sollen die Finanzierungslücken vorerst abfedern. Dennoch eröffnet sie die Diskussion, ob die Leistungen nicht zu hoch sind, wenn dauerhafte Steuerzuschüsse erforderlich sind. Erst recht, wenn – dank der Reform der Unternehmensbesteuerung – künftig die Steuereinnahmen sinken.
Um tatsächlich die „Nettoeinkommen“ der Beschäftigten zu schützen, gibt es gute Wege: Höhere Mindestlöhne, Sicherung der Tarifbindung, Ausweitung des Schutzes der Arbeitslosenversicherung, höhere Regelsätze der Grundsicherung und allgemeinverbindliche Tarifverträge. Das würde die Nettoeinkommen schützen, selbst wenn die Beiträge zur Sozialversicherung pandemiebedingt steigen würden. Das hat die Regierung aber nicht gemacht – und nicht gewollt.
Zukunftsinvestitionen für die Exportwirtschaft
Die 50 Milliarden Euro des „Zukunftspakets“ sollen überwiegend in den Ausbau der Elektromobilität (8,5 Mrd.), den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft (9 Mrd.) und in die Digitalisierung von Wirtschaft, Verwaltung und öffentlichen Dienstleistungen (20 Mrd.) fließen. Weitere 2,3 Mrd. Euro gibt es zudem für unternehmensnahe Forschung und den Ausgleich finanzieller Beiträge von Unternehmen zu diesen Forschungsvorhaben durch öffentliche Mittel.
Hierzu dient auch die Senkung der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Durch Steuerzuschüsse von 11 Mrd. Euro bis 2022 soll die Umlage „schrittweise verlässlich gesenkt werden“, um die „Investitionen am Standort Deutschland“ und „die Energiewende hin zu strom- und wasserstoffbasierten Technologien“ möglich zu machen. Denn sowohl Wasserstofferzeugung, Elektromobilität als auch Digitalisierung verbrauchen extrem viel Strom. Die Unternehmerverbände hatten eine Senkung der Strompreise explizit gefordert. Zwar soll der Strom künftig CO2-neutral produziert werden. Den Stromverbrauch zu senken ist jedoch nicht angezielt – im Gegenteil. Durch niedrigere Strompreise fällt auch ein Anreiz zu sparsamer Stromverwendung weg.
Verkehr: Gleicher Pfad, neuer Motor
Im Verkehr sollen der „Strukturwandel der Automobilindustrie begleitet und zukunftsfähige Wertschöpfungsketten aufgebaut werden“. Dazu werden Investitionen der Hersteller in neue Verfahren, Anlagen und Forschung und Entwicklung gefördert. Der Ausbau von Ladesäulen und Batteriezellfertigung wird subventioniert. Gleiches gilt für den Verkauf von Elektro- und Hybridautos, indem die bestehenden staatlichen Kaufprämien verdoppelt werden. Bei Elektroautos bis 40.000 Euro Kaufpreis beträgt der staatliche Zuschuss bis Ende 2021 6.000 Euro pro Auto. Zusammen mit der um 3 Prozent gesenkten Mehrwertsteuer in diesem Jahr ergibt das 7.200 Euro Steuerzuschuss pro Auto. [1] Für den Preis hätte die Regierung jedem dieser Autokäufer*innen je zwei Jahre eine Bahncard100 finanzieren können.