Die Landtagswahlergebnisse in Bayern und Hessen haben gezeigt, dass die AfD gegenwärtig Umfrageergebnisse auch in Wahlergebnisse umzusetzen vermag. Dies ist mit Blick auf das Wahljahr 2024 eine beunruhigende Erkenntnis, die auch das politische Establishment sichtbar aufgeschreckt hat. Die Reaktionen der politischen Klasse zeigen jedoch, dass die Dimension des Aufstiegs der AfD in ihrer bedrohlichen Entwicklung bis heute nicht ausreichend erkannt wird. Wiederholt wird aktuell derselbe Fehler, mit dem man der AfD schon einmal zu Höhenflügen in den Umfragen verhalf.

Überbietungswettbewerb in der Migrationspolitik

Im Sommer 2018 tobte innerhalb der Union ein Kampf um die Rückabwicklung der liberalen Migrationspolitik von Angela Merkel. Mit verbalen Kraftaktionen – „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ (Horst Seehofer) – und der angedrohten Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU wollte vor allem die CSU die verbreitete Unzufriedenheit mit der anhaltend hohen Migration nach Deutschland für sich nutzen und begab sich in einen Überbietungswettbewerb mit der AfD. Im Ergebnis erreichte die AfD mit 18 Prozent den bis dahin höchsten Stand in bundesweiten Umfragen.

Die AfD reibt sich die Hände und freut sich über die Unterstützung der politischen Gegner.

Aktuell scheinen wir es mit einer Wiederholung dieses Versuchs zu tun zu haben. Menschenverachtenden Äußerungen und Forderungen scheinen beim Thema Migration auch bei anderen Parteien keine Grenzen mehr gesetzt zu sein. Vorschläge ohne „jedes Tabu“ werden gefordert und krude Gewaltfantasien bedient, wenn Jens Spahn (CDU) von notwendiger „physischer Gewalt“ spricht, mit der „illegale“ Migration aufgehalten werden müsse. FDP-Politiker wollen die ohnehin gekürzten Sozialleistungen für Asylbewerber*innen auf nahezu null kürzen (die Minister Buschmann und Lindner), der Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) schürt Sozialneid und Konkurrenzrassismus, wenn er Geflüchtete für reale Probleme der Gesundheitspolitik verantwortlich macht (‚Asylbewerber nehmen den Deutschen die Termine beim Zahnarzt weg‘), und Bundeskanzler Scholz (SPD) will „in großem Stil abschieben“. Die AfD reibt sich die Hände und freut sich über die Unterstützung der politischen Gegner: Aktuelle Umfragewerte von mehr als 20 Prozent und seit Monaten Platz zwei hinter der Union sind zugleich Anlass und Ergebnis dieser Debatten. Niemand aus dem Politikbetrieb beantwortet die Frage, warum Wähler*innen dieser Partei angesichts der hohen Wirksamkeit ihrer Wahl davon ablassen sollten, wenn andere denselben Weg einschlagen. Wahrscheinlicher ist es, dass die AfD es mit weiteren Themen genauso probieren wird – z.B. der Klimapolitik.

Erfolge bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen

Die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die oben skizzierte Debatte noch einmal befeuert. Ganz ohne Zweifel haben das Thema Zuwanderung und die damit verbundenen realen Probleme zum Erfolg der AfD beigetragen. Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse zeigt jedoch, dass es verkürzt wäre, diesen Erfolg allein mit dem Thema Migration in Zusammenhang zu bringen oder die Wahl der AfD zu einer reinen Protestwahl zu erklären.

Mit Zugewinnen von 5,3 Prozentpunkten in Hessen und 4,4 Prozentpunkten in Bayern und Wahlergebnissen von 14,6 Prozent in Bayern und 18,4 Prozent in Hessen insgesamt dokumentiert die AfD nachdrücklich, dass sie das Umfragehoch der letzten Monate auch in reale Wahlergebnisse umzusetzen vermag und sich die Erfolge der Partei keineswegs nur auf Ostdeutschland beschränken.

Mit Bayern und Hessen handelt es sich um große bzw. mittlere Flächenländer in Westdeutschland, die beide nicht durch besondere ökonomische Schwierigkeiten oder andere Verwerfungen gekennzeichnet sind. Das 18,4 Prozent Wahlergebnis in Hessen stellt das bisher beste Ergebnis der AfD in einem westdeutschen Bundesland dar (bisher Baden-Württemberg 2016 mit 15,1 Prozent). Für die aktuelle gesamtdeutsche Stärke der AfD ist der elektorale Aufschwung in Westdeutschland von besonderer Bedeutung. Bei den letzten Bundestagswahlen 2021 erzielte die Partei in Westdeutschland 8,2 Prozent der Stimmen, wogegen es im Osten 18,9 Prozent waren (2017 waren es 11,1 bis 22,5 Prozent).

Erklärung als Protestwahl greift zu kurz

Die Enttäuschung über die Politik der Ampel-Koalition ist ein aktueller Grund für den weiteren Aufstieg der AfD. In Bayern ist sie mittlerweile fast doppelt so stark wie die Kanzlerpartei SPD, und in Hessen hat sie sowohl Grüne als auch SPD hinter sich gelassen, ganz zu schweigen von der FDP. Jedoch trifft die Beschreibung als Protestwahl nicht die tatsächliche Entwicklung, denn in Bayern ist der Anteil der Wähler*innen, die die AfD aus programmatischen Gründen wählen, inzwischen größer als der Teil der Protestwähler*innen, und auch in Hessen wird dieser Anteil deutlich größer. In Bayern wählen mittlerweile mehr Menschen aus Überzeugung als aus Protest diese Partei und auch in Hessen ist die Zahl der überzeugten AfD-Wähler*innen um 10 Prozent gestiegen.

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Aus linker Sicht besonders besorgniserregend ist das Ergebnis der AfD bei Arbeiter*innen. Infratest ermittelte für die ARD, dass 40 Prozent der Arbeiter*innen (die zur Wahl gegangen sind) AfD gewählt hätten. Bei der Forschungsgruppe Wahlen im ZDF sind es „nur“ 29 Prozent und dieser gravierende Unterschied wird nicht erklärt. Bei beiden Instituten ist die AfD deutlich stärker in dieser Gruppe als die Parteien der gesellschaftlichen Linken zusammen (Infratest: SPD 14, Grüne 5, Linke 3 Prozent; FW: SPD 15, Grüne 7, Linke 3 Prozent). Arbeiter (die männliche Form stimmt in der Tendenz) wählen rechts, diese verkürzte Formel ist nicht neu, wird aber drängender, denn nach ARD-Zahlen hat die AfD hier einen Zuwachs von satten 16 Prozent.

Die Vielfachkrisen der letzten Jahrzehnte hinterlassen ihre Spuren und zahlen vor allem auf das Konto der extremen Rechten ein.

Die Vielfachkrisen der letzten Jahrzehnte hinterlassen ihre Spuren und zahlen vor allem auf das Konto der extremen Rechten ein. Die zunehmende Verunsicherung und das Versagen der Politik, darauf adäquate Antworten zu finden, tragen dazu genauso bei wie eine vielleicht bis heute unterschätzte Durchdringung neoliberaler und konkurrenzbasierter Gesellschaftsvorstellungen, wie sie in den letzten 25 Jahren hegemoniale Verbreitung fand.

Für die weitere Auseinandersetzung mit der AfD ist ein weiteres Ergebnis der Landtagswahlen erhellend. Sowohl in Bayern als auch in Hessen gaben mehr als 80 Prozent der Befragten an, es sei ihnen egal, dass es sich bei der AfD um eine Partei der extremen Rechten handelt. Eine vor allem moralisch begründete Ablehnung der AfD – ‚Nazis wählt man nicht‘ – trägt nicht mehr und scheint eher das Gegenteil zu bewirken. Die Angriffe des Establishments auf Hubert Aiwanger in der sog. Flugblattaffäre waren in den Augen seiner Wähler*innen die sicherste Gewähr dafür, die richtige Wahl zu treffen. Es muss also um eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD gehen.

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Ergebnisse der Nachwahlbefragungen 2023

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Mit Blick auf die Sozialstruktur der AfD-Wähler*innen ist die Thematisierung der nach wie vor in Teilen offenen sozialpolitischen Flanke der AfD von großer Bedeutung – auch wenn sich darüber nur ein Teil ihrer (potenziellen) Wähler*innen erreichen lässt. In einer Studie des DIW hat Marcel Fratzscher gezeigt, dass die konkrete Politik dieser Partei sich vor allem gegen diejenigen richtet, die zu ihren Hauptgruppen gehören.

Unsicherheit und Kontrollverlust sind maßgebliche Treiber für die Wahl der AfD. Der allgegenwärtige Transformationsdruck trägt maßgeblich zu diesen Verunsicherungen bei und trifft auch diejenigen, die sich gegenwärtig in gesicherten Jobs befinden. Hier kommt es darauf an, solchen begründeten Ängsten mit gewerkschaftlichen bzw. linken politischen Angeboten zu begegnen und das Feld nicht der AfD zu überlassen.

Konkurrenz durch Wagenknecht-Partei?

Die Ankündigung einer neuen Partei durch Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter*innen Ende Oktober kam nicht überraschend – auch nicht für die AfD. Ihr wird eine besondere Konkurrenz durch das bis jetzt nicht einmal gegründete Parteiprojekt vorhergesagt. Und tatsächlich zielt das bisher unter BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) laufende Projekt auf eine ähnliche Klientel wie die AfD: Abhängig Beschäftigte aus dem eher klassischen Industriebereich, die durch den Transformationsdruck massiv verunsichert sind und kleine und mittlere Selbstständige, die von der Klima- und Wirtschaftspolitik der Ampel abgeschreckt sind.

Im Umfeld der AfD setzt man sich seit vielen Jahren und intensiv mit einem von Wagenknecht repräsentierten Links-Konservatismus auseinander. Vor allem das intellektuelle Umfeld des völkisch-sozialpolitisch orientierten Teils der Partei nutzt die „Bedrohung“ durch Wagenknecht, um für ihre eigene Vorstellung einer völkisch grundierten Sozialpolitik der AfD stärker zu werben. Nur Verachtung hat man in diesem Teil des AfD-Umfelds für das bürgerlich-konservative Lager der Partei übrig, die Wagenknecht auch heute noch mit der Antikommunismus-Keule bezwingen wollen. Man selbst gibt sich unaufgeregt, begreift das neue Parteiprojekt schon als Konkurrenz, der man jedoch mit gelassener Selbstsicherheit begegnen werde (ein Beispiel findet sich bei Benedikt Kaiser auf den Seiten der Sezession im Netz). Die Achillesferse der neuen Partei sei die Migrationspolitik, bei der man sie vor sich hertreiben werde, denn einen Wettbewerb in dieser Frage werde man immer gewinnen. Schon zirkulieren in rechten Kreisen Grafiken mit dem Abstimmungsverhalten z.B. von Amira Mohamed Ali als Fraktionsvorsitzende der Linken zu migrationspolitischen Themen, verbunden mit der Bezeichnung, hier handele es sich um eine „Migrationsfetischistin“.

Stiftungsfinanzierung rückt in die Ferne

Ein halbes Jahr nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Finanzierung der Parteinahen Stiftungen haben Ampelkoalition und Union einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die staatliche Finanzierung der AfD-nahen Desiderius Erasmus Stiftung (DES) auch zukünftig ausgeschlossen werden soll. Direkt auf die AfD zielt die Änderung, nach der Parteien erst nach einem dreimaligen Einzug in den Bundestag in den Genuss der Förderung ihrer Stiftungen kommen können. Das schiebt die Entscheidung über die DES zumindest bis ins Jahr 2025. Hinzu kommen inhaltliche Anforderungen, mit denen man hofft, DES bzw. AfD auch perspektivisch aus der Förderung heraushalten zu können. Das umfasst u.a. ein „aktives“ Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung und für Völkerverständigung. Einer Förderung widersprächen nicht nur eine „verfassungsfeindliche Prägung der politischen Grundströmung“ der Stiftung, sondern auch entsprechende Veröffentlichungen oder das Mitwirken von Beschäftigten oder Beauftragten, die sich demokratiefeindlich betätigten, so der Gesetzentwurf. Die Entscheidung über die entsprechende politische Einordnung der Stiftungen soll dem Innenministerium und damit wohl dem Verfassungsschutz übertragen werden.

Bis 2025 wird man die DES so wohl aus der Förderung heraushalten können. Die Indienstnahme des Extremismusansatzes für die weitere Ausschlussbegründung und vor allem die Delegation der Entscheidung an das BMI sind problematisch: Historisch und auch in jüngster Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass Maßnahmen unter dem Extremismus-Label immer auch gegen die politische Linke in Stellung gebracht wurden; zuletzt etwa bei der zeitweiligen Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN. Offenbar nimmt man diesen „Nebeneffekt“ gerne in Kauf.

Die AfD wird ohne Zweifel erneut versuchen, durch eine Verfassungsbeschwerde die Finanzierung der DES zu erzwingen. Die meisten Gutachter*innen des Gesetzentwurfs sehen einer solchen Prüfung jedoch gelassen entgegen. 

AfD-Verbotsdebatte

Die Debatte um ein mögliches AfD-Verbot hat in den letzten Monaten an Fahrt aufgenommen. Nachdem ein Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu dem Ergebnis gekommen ist, ein solches Verbot sei rechtlich möglich, wird die Diskussion auch im politischen Raum verstärkt geführt. Hintergrund ist natürlich der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der AfD und die damit verbundenen Sorgen bezüglich der Stabilität der liberalen Demokratie.

Maßgeblich angestoßen wurde die Debatte vom Rechtsanwalt Alexander Hofmann und der antifaschistischen Zeitschrift „der rechte rand“, wobei Hofmann vor allem auch die strategisch nützlichen Seiten der Debatte um ein solches Verbot betont. Für die gesellschaftliche Linke insgesamt wäre es sehr wichtig, sich eine differenzierte Position in dieser schwierigen Frage zu erarbeiten.

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