Antifaschistische Wirtschaftspolitik setzt hier bewusst einen anderen Akzent. In Krisenzeiten, in denen Parteien der Mitte meist auf Kürzungspolitik setzen, fordern wir das Gegenteil. Wir wollen investieren, Preise regulieren, wir stellen die breite Mehrheit ins Zentrum unserer Politik. So verhindern wir, dass Menschen aus Frust über Verarmung, Verknappung und Vereinzelung den Rechten in die Arme getrieben werden.
Mit Analogien sollte man zwar vorsichtig sein, doch ein Blick zurück lohnt. Der Aufstieg der Faschisten in Deutschland lässt sich nicht monokausal erklären, aber die harte Kürzungspolitik des Zentrumskanzlers Heinrich Brüning war zweifellos ein entscheidender Brandbeschleuniger. Millionen Menschen wurden arbeitslos und verarmten. Als Gegenentwurf gab es den WTB-Plan, der auf massive öffentliche Investitionen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen setzte. Doch in der SPD-Parteispitze fand er wenig Unterstützung, da der Koalitionsfrieden nicht gefährdet werden sollte. Teile der Nationalsozialisten griffen das Thema Arbeitsbeschaffung auf und besetzten es von rechts. Damit schufen sie Anknüpfungspunkte für Arbeiter*innen und Arbeitslose. Wie die Geschichte verlaufen wäre, hätte die SPD offensiver gehandelt, bleibt Spekulation. Doch eine mutigere, antifaschistische Wirtschaftspolitik hätte das Schicksal der Republik möglicherweise noch einmal wenden können.
Was wären die wichtigsten Komponenten einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik?
Carla: Ungleichheit massiv reduzieren. Grundlegende ökonomische Sicherheit für alle schaffen. Daseinsfürsorge stärken. Und alles immer in Kombination mit einer starken emanzipatorischen und demokratischen Agenda, die Menschen in eine aktive gesellschaftliche Rolle bringt.
Tom: Wie gesagt, die Diskussionen zur Bedeutung des Begriffs haben gerade erst begonnen, und Isabella Weber wird dazu bald ein Buch veröffentlichen. Aber wie auch immer diese neue Wirtschaftspolitik letztlich aussehen wird, sie sollte meines Erachtens durch vier Prinzipien geprägt sein. Erstens muss der Staat die Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen zu bezahlbaren Preisen sichern. Um dies zu erreichen, sind in der Regel staatliche Preiskontrollen notwendig, zum Beispiel eine Energie- oder Mietpreisbremse. Zweitens ist es eine zentrale staatliche Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen für gute Arbeit und faire Löhne zu schaffen. Das bedeutet unter anderem ein vernünftiger Mindestlohn und eine Stärkung der Gewerkschaften. Drittens braucht es mehr öffentliches Eigentum in Schlüsselbereichen, um den wirtschaftlichen Erfolg zu gewährleisten. Hier rede ich nicht nur von der öffentlichen Infrastruktur und dem öffentlichen Wohnungsbau, sondern ich meine auch Beteiligungen an Industrieunternehmen der Stahlbranche (Thyssenkrupp Steel) und des Militärsektors (Rheinmetall). Und viertens benötigen wir ein faires und effizientes Steuersystem, also für Deutschland eine Reaktivierung der Vermögenssteuer und eine gerechtere Erbschaftssteuer.
Ines: Es geht zunächst darum, Preissprünge bei Gütern zu verhindern, die für ein gutes Leben unverzichtbar sind: Lebensmittel, Wohnen, Energie. Tom hat das angesprochen. Wenn in der Krise die Preise in diesen Bereichen nach oben schnellen, muss der Staat eingreifen, Preise deckeln und Kontrollen einführen. Ein positives Beispiel ist der Gaspreisdeckel, den Isabella Weber im Zuge der Corona-Pandemie vorgeschlagen hat und der teilweise umgesetzt wurde. Zusätzlich brauchen wir eine Rückführung der Kontrolle zentraler Infrastrukturen der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand und einen Staat, der in der Krise investiert. Einrichtungen wie Schwimmbäder, öffentlicher Nahverkehr oder Krankenhäuser sind für das gesellschaftliche Zusammenleben unverzichtbar und müssen im Sinne des Gemeinwohls organisiert sein. Nur ein aktiver Staat kann den Menschen vermitteln, dass er tatsächlich einen Unterschied macht.
Damit das gelingt, sind zwei Dinge notwendig. Zum einen muss der Staat Handlungskapazitäten zurückgewinnen. Jahrzehnte neoliberaler Politik haben diese geschwächt. So ging etwa bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen auch viel Wissen verloren. So entstand ein Teufelskreis: Je mehr Know-how verschwand, desto stärker war der Staat auf externe Akteure angewiesen, um politische Ziele zu erreichen. Gut ablesbar ist das an den stetig steigenden Ausgaben für externe Berater*innen, mit denen wir uns als Linke im Haushaltsausschuss intensiv befasst haben. Zum anderen braucht der Staat finanzielle Spielräume. Die aktuellen sind viel zu eng, um den Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Wir wollen diejenigen finanziell stärker in die Pflicht nehmen, die viel haben, aber gemessen daran wenig beitragen. Eine progressive Steuerpolitik soll den gesellschaftlichen Reichtum gerechter verteilen, die unteren und mittleren Einkommen entlasten und die oberen stärker belasten. Und: Die Schuldenbremse gehört endlich abgeschafft.
Außerdem ist die Demokratisierung der Wirtschaft zentral. In vielen Branchen sind in den letzten Jahren Mitbestimmungsrechte abgebaut und Gewerkschaften zurückgedrängt worden. Die politisch hergestellte Vereinzelung der Beschäftigten öffnete rechten Agitator*innen ein Einfallstor. Die Rechte von Beschäftigten und Gewerkschaften müssen endlich wieder gestärkt werden, zudem müssen sie im Zentrum des sozial-ökologischen Umbaus stehen. Nur mit dem Wissen der Beschäftigten kann die Transformation der Industrie gelingen. Wirtschaftsdemokratie bedeutet schließlich mehr als Mitbestimmung im Betrieb. Auch eine demokratische Wirtschaftsplanung gehört wieder auf die politische Agenda.
Gibt es im Rahmen des Konzepts antifaschistischer Wirtschaftspolitik auch Überlegungen, wie wir all die guten Vorschläge an die potenziellen Adressaten bringen? Vielleicht ist das nicht nur eine Frage der richtigen Politik, sondern auch eine kulturelle Frage. Geht es nicht auch darum, solidarische und demokratische Lebensweisen zu stärken?
Carla: Ohne demokratische und kulturelle Praktiken ist antifaschistische Wirtschaftspolitik nur linke Wirtschaftspolitik in verschiedenen Ausformungen. Antifaschistische Praktiken leben davon, dass sie nicht einfach nur eine staatliche Bringschuld sind, sondern sich auf die Lebenspraktiken der Menschen übertragen lassen. Anhand adäquater Versicherungen, Daseinsfürsorge und staatlicher Infrastruktur können Menschen Care-Arbeit in der Familie übernehmen, zivilgesellschaftliches Engagement ausüben, Gemeinschaft erleben und Vertrauen aufbauen. Dort, wo der Zugang zu kulturellen und gesellschaftlichen Angeboten weniger von den eigenen finanziellen Verhältnissen abhängig ist, wo ökonomische Ungleichheiten weniger ausgeprägt sind, kommen Menschen klassenübergreifender in Austausch, die »einfachen Feindbilder« verfangen weniger.
Tom: Ich würde sicherlich nicht abstreiten, dass kulturelle Fragen wichtig sind und auch den Zusammenhalt innerhalb einer Bewegung stärken können. Doch wenn die grundlegende ökonomische Programmatik nicht stimmt, dann ist das alles im politischen Raum nicht viel wert. Nehmen wir zum Beispiel die Grünen und die SPD in Deutschland oder die Demokraten in den USA. Solange diese progressiven Kräfte ihre naive Marktgläubigkeit nicht ablegen, werden sie die Menschen immer wieder enttäuschen und den Rechten in die Arme treiben.
Ines: Natürlich müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir diese Inhalte vermitteln. Das heißt, wir gehen nicht an die Haustür und zitieren antifaschistische Wirtschaftspolitik, sondern zeigen aufrichtiges Interesse an den Problemen des Alltags der Menschen. Allein in meinem Wahlkreis in Berlin-Lichtenberg haben wir an rund 68 000 Haustüren geklopft und die Menschen in 12 000 Gesprächen direkt gefragt, wo bei ihnen der Schuh drückt. Viele der Menschen, mit denen wir gesprochen haben, haben sich zum ersten Mal politisch wahrgenommen gefühlt und sich dafür bedankt.
Dabei darf es aber nicht bleiben. Wir wollen wieder stärker eine Rolle im Alltag der Menschen spielen. Angebote wie »Die Linke hilft« oder Sozialsprechstunden sind ein guter Anfang. Wir suchen die Menschen dort auf, wo die Probleme sind, und bieten konkrete Lösungen an. Das ist etwas, was uns unheimlich viel Glaubwürdigkeit gibt. Man lernt auch wieder, wie normale Menschen zu sprechen, und verbleibt nicht im linken »Szenesprech«. In Zukunft wollen wir außerdem den Aufbau von Betriebsgruppen stärker vorantreiben.
Ist eine antifaschistische Wirtschaftspolitik geeignet als Grundlage für eine antifaschistische Allianz bzw. »Volksfront von unten«? Brauchen wir Letzteres überhaupt?
Tom: Der Begriff kann sicherlich hilfreich sein, um die politische Mobilisierung und die Bildung einer antifaschistischen Allianz voranzutreiben. Aber je nach Milieu kann er auch kontraproduktiv sein. Ich glaube zum Beispiel, dass die große Mehrheit der Gesellschaft eine antifaschistische Wirtschaftspolitik uneingeschränkt unterstützt, aber viele mit diesem Begriff nichts anfangen können und einige ihn sogar als unangenehm empfinden.
Ines: Natürlich sollten sich antifaschistische Kräfte organisieren und Allianzen bilden. Es gibt Regionen, insbesondere im Osten Deutschlands, aber auch darüber hinaus, in denen Linke und Antifaschist*innen fast täglich angegriffen werden. Im Windschatten der Wahlerfolge der AfD fühlt sich auch die militante rechte Szene gestärkt. Die Linke sollte deshalb immer Teil antifaschistischer Bündnisse sein, die über das eigene Lager hinausreichen und gesamtgesellschaftliche Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt organisieren.
Das Problem besteht jedoch darin, dass Teile der politischen Mitte genau die Politik betreiben, die den Aufstieg der Rechten erst ermöglicht hat. Die Lehre aus antifaschistischer Wirtschaftspolitik lautet ja gerade, dass es eben auch ökonomische Verhältnisse sind, die den Rechtsruck befeuern. Wenn die Parteien der Mitte den bestehenden Status quo verteidigen, tragen sie damit Verantwortung für den Rechtsruck – und untergraben zugleich ihre eigene gesellschaftliche Basis. Für eine linke Partei ergibt sich daraus ein Spannungsverhältnis: Sie muss die Mitteparteien für ihre verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik kritisieren und angreifen, zugleich aber in der Lage sein, punktuell Bündnisse mit ihnen einzugehen.
Carla: Die Notwendigkeit aktiver Wirtschaftspolitik im Kampf gegen rechts wird mehr und mehr erkannt. Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz hätte es das Potenzial für eine Orientierung nach vorne gegeben – doch statt die Milliarden für reale Veränderung zu nutzen, machen Union und SPD Wahlgeschenke und übertünchen die tatsächlichen Konfliktpunkte. Von dieser Regierung progressive Veränderungen zu erhoffen erscheint utopisch, auch die angespannte Finanzlage in Berlin spricht dagegen. Anders sieht es bei den Bewegungen auf der Straße aus: Der zweite Berliner Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne oder die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Klimabewegung bei der Umstellung des Stahlwerks in Bremen auf grüne Produktion sind Hoffnungsschimmer. Gleichzeitig gilt für die Bundestagswahl 2029: Wer wirklich politische Veränderung erreichen will, sollte über das gesamte progressive Spektrum versuchen, Macht und Mehrheiten aufzubauen und dafür ein attraktives Politikangebot zu machen. Das bedeutet: Politik für die 99 Prozent, Reiche zur Verantwortung ziehen, Klima schützen, bezahlbare grüne Wärme und Mobilität sichern.
Gibt es eine Perspektive, einzelne Aspekte einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik aus der Opposition heraus voranzubringen? Oder braucht es mit Blick auf zukünftige Wahlen »progressive Mehrheiten«? Und sind die mit SPD und Grünen überhaupt realistisch?
Tom: Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, insofern kann der Aufstieg der AfD nur durch eine linke parlamentarische Mehrheit dauerhaft gestoppt werden. Deshalb sollte es ein zentrales Ziel sein, parteiübergreifende Gemeinsamkeiten zu finden und diese als Ausgangspunkt einer Zusammenarbeit zu nutzen. Doch natürlich gibt es Widerstände, insbesondere bei den Grünen und der SPD. Das hat mit der Neoliberalisierung dieser zwei Parteien zu tun, die sich etwa darin widerspiegelt, dass marktliberale Glaubenssätze von vielen Parteifunktionär*innen kritiklos übernommen werden. Zudem machen sich die linken Flügel dieser Parteien unnötig klein und denken nicht strategisch genug. Dabei ist die Basis der Grünen und auch der SPD ökonomisch viel linker als die Funktionärs-ebene. Die Grünen könnten sich in der Opposition neu sortieren, und es ist zu hoffen, dass in der SPD die linken Stimmen umso lauter werden, je länger Schwarz-Rot an der Regierung ist. Die kommenden drei Jahre werden politisch entscheidend sein.
Ines: Manchmal überholt die Realität die politischen Mehrheiten. Es gibt Situationen, in denen die faktische Macht des Realen bestimmte Entscheidungen erzwingt. Die Energiepreiskrise war ein solcher Moment: Plötzlich wurde ganz offen und weit über das linke Lager hinaus über Preisdeckel diskutiert. In solchen Momenten ist es unsere Aufgabe, Druck aufzubauen – auch und gerade aus der Opposition heraus. Es geht darum, durch Agenda Setting und Organisierung in der Gesellschaft Einfluss auf die Machtverhältnisse zu nehmen, sich weder im Klein-Klein technokratischer Reformen zu verlieren noch sich in einer immer gleichen Fundamentalopposition einzurichten. Entscheidend ist, die politische Architektur so zu verändern, dass sie der breiten Mehrheit in diesem Land zugutekommt und die Position der Arbeit im Verhältnis zum Kapital stärkt.
Eine wie auch immer geartete Mitte-links-Regierung sollten wir nicht im luftleeren Raum diskutieren, sondern entlang konkreter materieller und machtpolitischer Fragen. Natürlich könnten Elemente einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik als Bindeglied dienen. Im Moment sehe ich jedoch nicht, dass die drei Parteien in der Lage wären, eine solche Debatte strategisch und jenseits parteitaktischer Arithmetik zu führen. Deshalb sind wir gut beraten, uns zunächst auf uns selbst zu konzentrieren und unsere gesellschaftliche Verankerung zu stärken.
Das Gespräch führte Mario Candeias.