Verstaatlichung von Energiekonzernen, Energiepreisbremse, Übergewinnsteuer – auf einmal scheinen sich linke Forderungen zu realisieren, die bislang in weiter Ferne lagen. Mit dem „Doppelwumms“ und einem großen Maßnahmenpaket verschieben sich die wirtschaftspolitischen und ökonomischen Debatten. Die aktuelle Energie- und Inflationskrise könnte eine progressive Neuordnung der wirtschaftspolitischen Regulation ermöglichen. Doch bislang deutet sich eine defensive Restrukturierungspolitik an. Sie federt soziale Härten ab, zielt aber hauptsächlich darauf, den nationalen Verwertungsprozess vor der verschärften internationalen Konkurrenz zu schützen.

Krise der „alten“ wirtschaftspolitischen Instrumente

Die gegenwärtige Wirtschafts- und Energiekrise ist zur Krise der „alten“ wirtschaftspolitischen Instrumente geworden. Stagflation, also anhaltend hohe Inflationsraten bei gleichzeitiger Stagnation des Wirtschaftswachstums, lässt sich nicht mit Austerität, Arbeitsmarktflexibilisierung und Zentralbankzinserhöhungen bekämpfen – den Rezepten, die in den letzten Jahrzehnten die Dogmen der herrschenden Wirtschaftstheorie und -politik waren. 


Andererseits ging auch der letzte Wirtschaftsnobelpreis wieder an monetaristische Ökonomen, die eine Ursachen-Umkehr der Finanzkrisen betreiben und behaupten, dass die Sparer für die Finanzkrise verantwortlich seien und nicht die Banken. Mit Bernanke wurde sogar einer derjenigen ausgezeichnet, die hauptverantwortlich dafür sind, dass die Kosten der Bankenrettung in der Vergangenheit auf die Bevölkerung abgewälzt wurden. Auch die derzeitige EZB-Zinspolitik mit ihrer schrittweisen Erhöhung der Leitzinsen deutet darauf hin, dass die Krise weiterhin mit Austerität bekämpft werden soll. Allmählich setzt sich jedoch in der politikberatenden Ökonomie die Erkenntnis durch, dass diese Strategie zum Scheitern verurteilt ist. Die sozialen Kosten erscheinen zunehmend untragbar und werden als Gefährdung für den Verwertungsprozess betrachtet. So fordert inzwischen selbst der mehrheitlich streng neoliberal orientierte Sachverständigenrat der Bundesregierung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, die Steuern für Reiche zu erhöhen, um die Kosten der Krise gerechter zu verteilen. Dies gleicht wahrlich einer Zeitenwende in der Zunft der Ökonom*innen. Noch 2017 wurde dem ehemaligen Mitglied des Sachverständigenrates, Prof. Bofinger, als er in einem Sondergutachten ein stärkeres industriepolitisches Engagement des Staates einforderte, von seinen Kolleg*innen prompt mangelnde „Liebe zum Markt“ vorgeworfen und indirekt die Qualifikation abgesprochen. Heute ist die Notwendigkeit eines aktiveren Staates nahezu Konsens, auch über die üblichen Rufe nach Staatshilfe in Krisenzeiten hinaus. Bis weit in das Lager des Industriekapitals hinein hat sich die Position durchgesetzt, dem Staat eine handelnde Rolle zuzuschreiben und ihn nicht nur als Risikoabsicherung zu betrachten.


So ist es erstaunlich, dass es im Wirtschaftsausschuss des Bundestages inzwischen die FDP ist, die zuweilen am lautesten nach der Verstaatlichung, etwa des Gasversorgers Uniper, ruft, selbstverständlich ohne dass eine Vergesellschaftung im Sinne einer gemeinwohlorientierten Energieversorgung zur Debatte steht. So werden milliardenschwere Entlastungen beschlossen. Dazu zählen etwa die Gas- und Strompreisbremsen, die von der LINKEN zu Anfang der Krise gefordert wurden. Auch wenn ihre Ausgestaltung vom Modell der LINKEN in vielen Punkten abweicht:  Allein durch ihren Sparanreiz und die Konditionalität für Unternehmen tragen die Instrumente gewisse Transformationsmomente in sich. Sie zielen jedoch nicht auf wirkliche Veränderungen, sondern in erster Linie auf den Erhalt des Industriestandortes Deutschland und seine Stellung in der neuen Weltordnung. Es fehlt an echten Instrumenten der Umverteilung und des Umbaus. Zudem wird die Schuldenbremse weiter verteidigt, die der staatlichen Wirtschaftspolitik enge Grenzen setzt. Das bedeutet: Linke (Teil-)Forderungen wie etwa Preiskontrollen setzen sich durch, werden in der Umsetzung aber ausgehöhlt bzw. in ihrer Wirkung beschnitten.

Geldpolitik am Limit

Der ökonomische Mainstream bricht also auf, der hinter den unterschiedlichen „Schulen“ stehende Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit bleibt jedoch ungelöst. Am deutlichsten wird der Widerspruch an der derzeit vieldiskutierten Zinspolitik der EZB. Die Europäische Zentralbank befindet sich in einem grundlegenden Dilemma, das sich schwer auflösen lässt. Einerseits soll sie die Unternehmen in der Krise mit günstigen Krediten versorgen, andererseits soll sie die Inflation mit steigenden Leitzinsen bekämpfen, was zu einem wirtschaftlichen Abschwung und zu Arbeitslosigkeit führen würde. Die in mehreren Stufen erfolgte „Zinswende“ auf aktuell zwei Prozent und die Ankündigung weiterer Leitzinserhöhungen zeigt, in welche Richtung es geht: Die Inflation soll durch Wohlstandsverlust und auch mit Arbeitslosigkeit bekämpft werden, indem das Wachstum und die Nachfrage gedrosselt werden. Damit setzen sich die fiskalischen Hardliner durch. Der Geldwert soll stabilisiert und die Entwertung von Vermögens- und Kapitalwerten verhindert werden – auf Kosten eines Großteils der Bevölkerung.[1]


Diese Strategie ist jedoch schlicht unwirksam. Nicht eine zu hohe Nachfrage und eine boomende Wirtschaft verursachen die derzeitige Inflation, sondern im Gegenteil schwächelt die Nachfrage und wird voraussichtlich weiter abnehmen. Laut Handelsblatt sind selbst die Online-Umsätze zum Black Friday in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent eingebrochen. Die Inflation rührt vielmehr von einem mangelnden Angebot, insbesondere den kriegs- und krisenbedingten Engpässen bei Nahrungsmitteln und Energie – es handelt sich gewissermaßen um eine importierte Inflation. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK errechnete etwa, dass die Inflation im Monat September zu zwei Dritteln auf Nahrung, Kraftstoffe und Haushaltsenergie zurückging.


Die falsche Analyse einer „überhitzten“ Wirtschaft führt zu einem geldpolitischen Schlingerkurs, der die derzeitige Machtlosigkeit der EZB zum Ausdruck bringt – die Geldpolitik ist am Limit. Die EZB-Direktorin Isabel Schnabel räumte dies in einem Interview offen ein: „Ein großer Teil der Inflation geht auf Faktoren zurück, die wir nicht direkt beeinflussen können.“ Das Problem: Zinserhöhungen werden nicht zu einem größeren Angebot an Nahrungsmitteln, Erdgas, Öl und Photovoltaik-Anlagen führen und damit auch nicht zu niedrigeren Preisen (Grunert 2022). Im Gegenteil ist der Zinspreis vor allem für die kapitalintensiven erneuerbaren Energien und die Gebäudesanierung ein bedeutender Kostenfaktor. Zinserhöhungen wirken hier schädlich.


Unterdessen sammeln sich die fiskalischen „Falken“, Arbeitgeberverbände und neoliberale Befürworter*innen einer strikten Austeritätspolitik. Der Verteilungskampf in diesem Winter wird härter. So forderte etwa der konservative britische Minister Nadhim Zahawi jüngst die Pflegekräfte des NHS zu Lohnverzicht auf, um „eine klare Botschaft an Putin zu senden“. In Deutschland fordern die Arbeitgeber, das Renteneintrittsalter um weitere drei Jahre auf 70 zu erhöhen. Die Gewerkschaften werden Mühe haben, die bereits verlorene Kaufkraft wieder auszugleichen. Bei einer sich aktuell einpendelnden Inflationsrate von zehn Prozent hängt es nicht nur von der Höhe der Lohnabschlüsse, sondern auch von der Laufzeit der Tarifverträge ab, ob ein Lohnausgleich erreicht wird oder nicht. 


All das zeigt: Die EZB handelt nicht im luftleeren Raum und das monetaristische Leitbild einer möglichst unabhängigen Zentralbank bröckelt. 

Aus der Krise durch europäischen Staatsinterventionismus?

In der Wirtschaftspolitik ist ein Paradigmenwechsel zu erkennen. In Reaktion auf die sozialen Verwerfungen, die der harten Austeritätspolitik der EU in der Eurokrise folgten, wurde in den letzten Jahren eine sanfte Kurskorrektur vollzogen: weg vom knallharten Neoliberalismus hin zu einem gemäßigteren keynesianischen Interventionismus, auch aufgrund der Zentrifugalkräfte, deren Desintegrationswirkung im Brexit kulminierte. Im Zuge der Covid 19-Pandemie verdichtete sich diese „staatsinterventionistische Wende“ (Abels/Bieling 2022) mit einer Aufwertung der Industrie- und Infrastrukturpolitik. So wurden enorme Summen auf europäischer und bundesdeutscher Ebene mobilisiert, um soziale Härten und einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. 


Doch die industriepolitische Renaissance wird vor allem durch geoökonomische, aber auch geopolitische Kalküle angetrieben. Die sich verstärkende Triade-Konfrontation zwischen den USA, China und der EU sind der zentrale Bezugspunkt für industriepolitische Strategien. Dabei verschiebt sich das Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit vom Bild eines marktliberalen „level playing field“ hin zum Ziel „technologischer und ökonomischer Souveränität“ (ebd.). Die europäische und bundesdeutsche Wirtschafts- und Energiepolitik findet also zunehmend unter Prämissen geopolitischer Konfrontation und geoökonomischer Konflikte statt, die zu einem „Kampf der Kapitalismen“ (Milanović) kumuliert sind. Unterschiedliche Formen der Marktwirtschaftsregulation und unterschiedliche Verwertungsmodelle stehen global in verschärfter Konkurrenz. Die Marktführerschaft bei zentralen Technologien und in der Hochtechnologieproduktion ist ein Schlüssel dieses Systemwettbewerbs. Auch der Inflation Reduction Act (IRA) der USA, ein gewaltiges Subventions- und Klimaschutzprogramm, ist Teil dieser Dynamik. Laut dem makro-ökonomischen Think Tank Dezernat Zukunft (2022) leitet das Maßnahmenpaket „ein neues Zeitalter aggressiver Industriepolitik mit geopolitischen Ambitionen“ ein.


Die wirtschaftlichen Schocks der Pandemie, die durch den Kriegsausbruch in Osteuropa noch verstärkt wurden, machen deutlich, dass die globalen Liefer- und Produktionsketten neu strukturiert werden müssen. Doch diese Tendenzen gab bereits vor den Schocks: Die Produktion wurde zunehmend rückverlagert, die Wertschöpfungstiefe hat sich wieder erhöht und Konsummuster veränderten sich im Sinne einer zunehmenden Regionalisierung (Butollo/Staritz 2022). Da sich Handelskonflikte verstärken, geopolitische Spannungen steigen und Transportkosten, aber auch umwelt- und klimapolitische Kosten und Krisen zunehmen, könnten das sogenannte Re- oder Friendshoring[2] –  also eine Rückabwicklung und Neuverteilung der immer weiteren Auslagerung der Produktion –  in Zukunft mehr Bedeutung gewinnen (ebd.).


Eine Deglobalisierung, die sich nicht an imperialer Blockkonfrontation orientieren würde, sondern politisch gelenkt und eng mit einer neuen Form der Kreislaufwirtschaft verbunden wäre, hätte tatsächlich das Potenzial, ökologische und soziale Ziele durchzusetzen und Marktmechanismen zurückzudrängen (Berlepsch 2022). Doch welche Möglichkeitsfenster lässt der postpandemische Staatsinterventionismus für eine progressive Krisenbearbeitung offen, die einen solchen Prozess antreiben könnte? Und wie wären diese von links zu nutzen?

Linke Antworten auf die Inflations- und Energiekrise

Um die Inflation wirksam zu bekämpfen, braucht es keine weiteren Leitzinserhöhungen durch die EZB. Deren inflationsdämpfende Wirkung ist mehr als fraglich. Um die Inflation zu bremsen und die Lebenshaltungskosten der Menschen erträglich zu halten, braucht es neben kräftigen Lohnerhöhungen eine wirtschaftspolitische Flankierung, die vor allem die angebots- und profitgetriebenen Komponenten der Inflation adressiert.

»Gestiegene Unternehmensgewinne sind mit 54 Prozent für mehr als die Hälfte des Preisanstiegs verantwortlich.«

Einen solchen angebotsseitigen Blick auf die Inflation bietet der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Er sieht die Inflation als ein „Thema der Industriepolitik statt der Makroökonomie“ (Tooze 2021). Preissteigerungen folgen, so Tooze, aus Lieferproblemen und zu geringer Produktion bestimmter Technologien und Produktionsfaktoren wie etwa Solarmodulen oder Wärmepumpen. So sind etwa in Deutschland seit dem Auslaufen der Solarförderung 2012 allein in der Solarbranche 125 000 Jobs und ein Großteil der Produktionskapazitäten verloren gegangen. Preissteigerungen wären demnach keine allgemeine Folge von zu viel Wachstum. Ihnen kann aus dieser Perspektive mittelfristig nur durch einen Aufbau von Produktionskapazitäten begegnet werden.


Einer Studie des Economic Policy Institute zufolge sind gestiegene Unternehmensgewinne mit 54 Prozent für mehr als die Hälfte des Preisanstiegs verantwortlich. Selbst das arbeitgebernahe Ifo-Institut konstatierte kürzlich, dass viele „Unternehmen in einigen Wirtschaftszweigen die Preissteigerungen dazu genutzt haben, ihre Gewinne auszuweiten.“ (ifo Institut 2022). Wenn sich dies aufgrund einer saftigen Übergewinnsteuer nicht mehr lohnt, könnte auch den Mitnahmeeffekten Einhalt geboten werden. Würde die Praxis, Übergewinne durch profitgetriebene Preiserhöhungen zu generieren, durch eine Steuer verunmöglicht, könnte dies real zur Stabilisierung der Preise beitragen. Ähnliches gilt für Dividenden. So erklärte Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia auf ihrer Aktionärsversammlung die Mieten erhöhen zu wollen, damit die Dividendenausschüttungen mit der Kerninflation steigen. Wenn also ein guter Teil der Inflation auch profit- und dividendengetrieben ist, kann auch eine Übergewinnsteuer und die Einschränkung von Dividendenausschüttungen inflationsdämpfend wirken. Der US-amerikanische Energiekonzern Exxon Mobile hat mit voraussichtlich 42 Milliarden Dollar den Gewinn zum Vorjahr verdoppelt. Auch der deutsche Energiekonzern RWE erwartet dieses Jahr eine Gewinnsteigerung von 5,5 Milliarden Euro. Dies allein zeigt: Bei den Preisen ist noch Luft nach unten. 

»Überhöhte Preise könnten sich bei einer saftigen Übergewinnsteuer nicht mehr lohnen.«

Zudem gilt: Linke Wirtschaftspolitik darf sich nicht allein auf die Abfederung der Krisenfolgen durch den Sozialstaat fokussieren oder beschränken. Natürlich ist es richtig, in einer Einkommenskrise und angesichts wachsender Armut Entlastungspakete für Strom, Gas und Nahrungsmittel aufzulegen, die besonders die ärmeren Teile der Bevölkerung in den Fokus nehmen. Es reicht jedoch nicht, die Verheerungen von Wirtschaftskrisen hinzunehmen und sich darauf zu beschränken, ihre Folgen durch höhere Sozialleistungen auszugleichen.[3] Nicht die Symptome, sondern die Ursachen der Krise anzugehen – dafür wäre eine transformations- und klassenorientierte Wirtschaftspolitik notwendig. Nicht die Sekundärverteilung, also die Verteilung durch die Transfersysteme, sondern die Primärverteilung, die Verteilung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital (Gewinn- und Lohnquote), sollte im Mittelpunkt linker Wirtschaftspolitik stehen. In diesem Sinne sollen höhere Löhne auch auf Kosten der Profite der Unternehmen gehen – etwa indem es ihnen politisch verunmöglicht wird, die steigenden Lohnkosten gänzlich auf die Preise umzuwälzen. Eine solche expansive Lohnpolitik bei gleichzeitiger Preiskontrolle wäre eine Form des Klassenkampfs, die zur effektiven Inflationsbremse werden kann. Eine solche transformations- und klassenorientierte Wirtschaftspolitik würde gewerkschaftliche Lohnkämpfe unterstützen und zugleich über sie hinausgehen. 


Dafür muss linke Wirtschaftspolitik klar im Interesse der abhängig Beschäftigten agieren und vom Interessenskonflikt zwischen Arbeit und Kapital ausgehen, anstatt einfach Politik für „die Wirtschaft“ zu sein. Ein Fokus auf kleine und mittelständische Unternehmen in Abgrenzung zu „Großkonzernen“ greift allein zu kurz. Auch eine einfache Entgegensetzung von guter „Realwirtschaft“ und bösem „Finanzkapital“ im Kapitalismus ist unterkomplex. Es handelt sich um zwei Seiten eines Ganzen, die sich gegenseitig bedingen. Es gibt sowohl in der Rechtsform von Stiftungen organisierte Industriegroßbetriebe mit guten Löhnen, Betriebsrenten und Mitbestimmungsmodellen wie auch brutal ausbeutende Klein- und Kleinstbetriebe.[4] Eine klassenorientierte Wirtschaftspolitik orientiert sich daher am Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit, nicht an der Differenz zwischen Großkonzern und Kleinbetrieb. 


Auch wenn eine Unterstützung für kleinere Handwerksbetriebe, kleine und mittelständische Unternehmen und Soloselbstständige in Krisenzeiten wichtig ist, sind auch Subventionen und Wirtschaftshilfen für Automobilzulieferer und Stahlkonzerne für die Transformation unerlässlich. Die Forderung nach „Staatsknete“ für Großkonzerne mag auf Linke zunächst abschreckend wirken, doch die von Gewerkschaften und Industrieverbänden geforderten Wirtschaftshilfen können unter bestimmten Bedingungen durchaus berechtigt sein und sollten unterstützt werden. Denn ob eine staatsinterventionistische Wirtschaftspolitik im Interesse der Arbeiter*innenklasse ist oder nicht, hängt von ihren Konditionen und dem regulatorischen Rahmen von Wirtschaftshilfen und Subventionen ab. Transformations- und klassenorientierte Wirtschaftspolitik muss ein klares und hartes Regime für Unternehmen schaffen, das investitionslenkend wirkt und auf langfristig gute und ökologisch nachhaltige Arbeit abzielt, Innovation befördert und Kooperation statt Konkurrenz in den Vordergrund stellt. 


Erste Ansätze eines solchen Regimes finden sich im Vorschlag der Gaspreiskommission. Dort werden den Unternehmen im Gegenzug für die Wirtschaftshilfen klare Bedingungen gestellt, die im Gesetzesentwurf in Form einer „Arbeitsplatzerhaltungspflicht“ mit einem Verbot von Gewinn- und Dividendenausschüttungen zumindest teilweise angewendet wird. 


Zugleich zeigen sich in der Umsetzung der Gas- und Strompreisbremse die Grenzen der aktuellen Wirtschaftspolitik oder anders gesagt ihre Unfähigkeit, solche Regeln zu setzen. So zeigt die vielzitierte Mercator-Studie (Kalkuhl et al. 2022) die ungleiche Verteilungswirkung der Maßnahme auf. Nach dem Credo Schnelligkeit vor Genauigkeit weist die Bundesregierung die Kritik an der sozialen Schieflage der Hilfspakete zurück. Dabei hat sie versäumt, die für eine gerechtere Transferleistung notwendigen Daten zu erheben und die für eine Abwicklung von Direktzahlungen nötigen Instrumente zu entwickeln. Zugleich wäre eine unbegrenzte Subventionierung der aller Wahrscheinlichkeit nach dauerhaft hohen Energiekosten durch den Staat allein nicht tragbar, wenn die Ursachen des Problems unangetastet bleiben. 


Letztendlich braucht es daher alle drei Komponenten: Direktzahlungen an alle Bürger*innen, einen konditionierten Preisdeckel sowie eine schlagkräftige Preisaufsicht. Der Wirtschaftsforscher Stefan Schulmeister (2022) schlägt als Instrument zur Preiskontrolle die Gründung einer „Agentur für Markttransparenz“ (AMT) vor, die eine hausgemachte Gewinninflation nachhaltig eindämmen könnte. Die digitale Übermittlung, Sammlung und Darstellung von Preisen entlang der Lieferkette könnte eine transparente Kontrolle ermöglichen, die auffällige Preiserhöhungen und Gewinne sichtbar machen, Obergrenzen für „faire“ Preise ermitteln und im Zweifelsfall Kartellverfahren einleiten kann.

Klassenorientierte Regulation des deutschen Industriekapitalismus

Um eine krisenhafte De-Industrialisierung zu verhindern und das heutige Wohlstandsniveau zu erhalten ist das Vorhandensein günstiger erneuerbarer Energien zentral. Die einfache und oft unterkomplexe Forderung nach Verstaatlichung der Energiekonzerne allein hilft dabei nicht weiter. Ein Großteil der Energiewirtschaft ist bereits in öffentlicher Hand. Es geht um eine Vergesellschaftung mit dem Ziel der demokratischen Kontrolle und Dezentralisierung, nicht um reine Verstaatlichung und damit eine Übernahme der fossilen Altlasten durch die Gemeinschaft (Vgl Witt 2022). Industriepolitik bedeutet auch, zu entscheiden, in welchen Bereich (nicht) investiert werden soll und welche Geschäftsfelder (keine) Zukunft haben sollen. Eine dauerhafte Subventionierung für Projekte mit zweifelhaftem Nutzen und schlechten Zukunftsaussichten ist Unsinn. Stattdessen braucht es einen linken Pragmatismus in der Wirtschaftspolitik, der nicht ideologisch verbohrt, sondern zielorientiert ist. Der Staat hat demnach die Rolle, den demokratischen Prozess zu organisieren und zu moderieren, der diese Zielbilder formuliert. Zivilgesellschaft und Gewerkschaften müssen hierbei gleichberechtigt am Tisch sitzen. Der Staat setzt dann die zur Erreichung dieser Ziele notwendigen Rahmenbedingungen und dient als Reserveinvestor, falls private Investitionen nicht geeignet oder ausreichend sind, diese Ziele zu erreichen. 

 

»Industriepolitik bedeutet auch, zu entscheiden, in welchen Bereich (nicht) investiert werden soll und welche Geschäftsfelder (keine) Zukunft haben sollen.«

Denn in der aktuellen Situation braucht es vor allem Investitionen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (2022) beziffert den Bedarf an öffentlichen Investitionen allein zur Erreichung der Klimaneutralität bei jährlich rund 20 Milliarden Euro bis 2050 – 300 Milliarden allein für den Energiesektor und 138 Milliarden Euro für die Industrie. Um den Umbau der Industrie voranzutreiben, wären etwa Differenzverträge ein sinnvolles Instrument. Solche Verträge können die Differenzkosten, zwischen dem was marktwirtschaftlich lohnenswert und dem was sozial-ökologisch sinnvoll wäre, staatlich ausgleichen. Das würde die Unternehmen zwingen bzw. ihnen ermöglichen, auf die bestmögliche Technologie umzusteigen. Fördern und fordern ist hier tatsächlich eine passende Devise. 


Ein solches Vorgehen ist notwendig, weil die Kosten der Transformation enorm sind, betrachtet man etwa die Umstellung auf eine „grüne“ Stahlproduktion mittels Wasserstoffreduktion. Der Staat kann einspringen und die Mehrkosten übernehmen, bis der Leitmarkt für grünen Stahl etabliert ist. Im Gegenzug müssten die Unternehmen eine Tarifbindung garantieren und die Mitbestimmung erweitern, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zusichern und bei der Entscheidung über Investitionen, Produkte und Lieferketten ein Stück ihrer Entscheidungsgewalt abgeben. Staatliche Förderung sollte mit dem Erwerb von Eigentumsrechten des Staates, Landes oder der Kommune verbunden werden[5], vorübergehend, um Einfluss auf die Transformation zu nehmen, und langfristig, um Gestaltungsmöglichkeiten zu erhalten und in eine „öffentliche Ökonomie“ einzusteigen (Mazzucato 2021). Es geht um eine Vergesellschaftung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit – im Interesse des Gemeinwohls. 


Im Kern einer klassenorientierten Regulation des deutschen Industriekapitalismus steht also die Konditionierung von Wirtschaftshilfen und Staatsbeteiligungen sowie eine demokratische Regulation der Investitionen. Der in der Pandemie erprobte Staatsinterventionismus muss genutzt werden, um die Kontrolle über die Bedingungen der Kapitalakkumulation auszuweiten. Er muss dazu dienen, die Profitinteressen von Unternehmen den Klasseninteressen der Beschäftigten unterzuordnen. Das hat in unserem System Grenzen, da der Staat von den Verwertungsinteressen der Wirtschaft abhängig ist. Spätestens aber, wenn die Entscheidungshoheit der Unternehmen über ihre Investitionen in Frage gestellt wird und von den Beschäftigten und der Gesellschaft Mitbestimmung in der Unternehmenspolitik eingefordert wird, weist eine klassen- und transformationsorientierte Wirtschaftspolitik über das enge Korsett einer kapitalistischen Gesellschaft hinaus. Wenn Gewerkschaften, Klima- und soziale Bewegungen sowie sozial-ökologische Parteien den real existierenden Klassenantagonismus anerkennen und eine symbiotische Transformationsstrategie mit Mut zum Konflikt wagen – wenn sie den Staat als Kampffeld begreifen und um ihn kämpfen –  dann ist es auch möglich, das deutsche Wachstumsmodell in Gänze in Frage zu stellen. 

[1] Zur Widersprüchlichkeit gehört, dass die Inflation zutiefst unsozial wirkt. Menschen mit niedrigen Einkommen sind allein durch die gestiegenen Energiekosten einer viermal höheren individuellen Inflation ausgesetzt. Gleichzeitig verlieren Menschen mit hohem Geldvermögen absolut mehr bei einer anhaltenden Geldentwertung und haben daher großes Interesse an einer niedrigen Inflationsrate. 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben allerdings keinerlei Ersparnisse und würden bei einer Anpassung ihrer flexiblen Einkommen quasi keine negativen Auswirkungen der Inflation spüren.

[2] Der betriebswirtschaftliche Trend der Rückverlagerung der Produktion (reshoring) und der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten (local for local) ist zwar nicht Ergebnis von Klimaschutzanstrengungen, aber ein positiver ökologischer Kollateralnutzen der De-Globalisierung. Im Zuge der Neuausrichtung der Lieferketten an Hand von außen- und sicherheitspolitischen Kriterien in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine wird in betriebswirtschaftlichen Kreisen vermehrt vom „friendsourcing“ anstatt des schlichten „outsourcings“ gesprochen.

[3] Wichtig ist, dass die Gas- und Strompreisbremse auch die Primärpreise senkt, sonst hat sie keine inflationsdämpfende Wirkung. Der Staat darf nicht allein die gestiegenen Gewinne der Unternehmen retten. Sozialleistungen wie das Wohngeld dürfen nicht dazu führen, dass Mietsteigerungen subventioniert werden.

[4]Die alte linke Theorie des Staatsmonopolkapitalismus (StaMoKap), dass die Konzentrationstendenz im Kapitalismus zu immer größeren Monopolen führt, die irgendwann den Staat absorbieren, hat sich bislang nicht bewahrheitet.

[5] Für die Nordrhein-Westfälische Stahlindustrie schlagen Leye und Eifler (2022) beispielsweise eine Stahlstiftung in öffentlicher Hand vor, unter Beteiligung von Thyssen Krupp, den Gewerkschaften und anderen Stakeholdern.

Weitere Beiträge