Die Klimakrise ist am Durchdrehen. Ohne Unterlass prasseln die Nachrichten auf uns ein, die eines klar machen: Ohne, dass sich schnell alles ändert, ist die Erderwärmung nicht auf 1,5° zu begrenzen. Ein Kipppunkt nach dem anderen wird in den nächsten Jahren überschritten, teils geschieht es schon. Alles geht schneller als gedacht, inzwischen ist nicht mehr die Frage, ob sich die Klimakrise noch verhindern lässt, sondern wie schlimm sie – für wen und wo– wird und ob eine Eindämmung gelingt. Während Regierungen und Unternehmen damit beschäftigt sind, ihre Klimaziele zu verschieben oder ihre Bilanzen grün zu färben, weil sie sogar ihre selbst gesetzten Ziele Jahr für Jahr reißen, bemühen sich andere angesichts der dramatischen Situation um echte Veränderung, ambitionierte Ziele und fordern die Maßnahmen, die notwendig sind, um diese zu erreichen. Gegen die fossile Energiegewinnung wird rund um den Globus protestiert. Auch bei uns, besonders eindrücklich Anfang 2023 im Rheinland gegen die Zerstörung des kleinen Dorfes Lützerath und den Abbau der Kohle darunter.
Dieser Beitrag ist ein gekürzter Text aus „Öffentlicher Luxus“ von communia & BUNDjugend (Hrsg.). Das Buch erscheint am 01.11.2023 im Karl Dietz Verlag und ist außerdem als kostenfreie Open Access Version verfügbar.
In Berlin, Deutschlands Hauptstadt der direkten Demokratie, versuchten Aktivist*innen die Regierung qua Volksentscheid zu ambitionierteren Klimazielen zu verpflichten. Statt 2045 sollte Berlin schon 2030 klimaneutral werden. Angesichts der Dynamik der Klimakrise eigentlich eine Forderung, die keine größeren Kontroversen auslösen dürfte. Dennoch erreichte die Initiative nur knapp die nötige Zahl der Unterschriften, um als Volksentscheid zugelassen zu werden. Noch mehr irritierte dann das Ergebnis der Abstimmung im März 2023: Zwar scheiterte der Volksentscheid daran, dass gemessen an der Zahl der Abstimmungsberechtigten nicht genug JA-Stimmen abgegeben wurden und nicht daran, dass eine Mehrheit dagegen gestimmt hätte. Dennoch war erstaunlich, dass fast die Hälfte der Abstimmenden sich gegen den Volksentscheid aussprachen, in den Außenbezirken sogar die Mehrheit. Fast eine halbe Million Berliner*innen haben abseits eines Wahltermins den Weg ins Wahllokal auf sich genommen, um gegen mehr Klimaschutz zu stimmen. Noch interessanter wird das Ergebnis im Vergleich zum Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne eineinhalb Jahre zuvor: Eine überwiegende Mehrheit der Berliner*innen in den Innen- und Außenbezirken stimmte damals für die Vergesellschaftung von großen Immobilienkonzernen. Während Klimaschutz dank sozialer Bewegungen in den letzten Jahren fast zur Konsensposition im deutschen politischen Diskurs geworden ist – auch wenn dem bislang selten entsprechende Taten folgen – und vor kurzem noch Millionen dem Ruf von Fridays for Future auf die Straßen gefolgt sind, ist Vergesellschaftung oder gar Enteignung bis vor wenigen Jahren kaum sagbar gewesen.
Wieso stimmten dann so viele gegen den Klima-Volksentscheid? Wieso also war eine deutlich breitere Mehrheit für die Vergesellschaftung? Weil die Menschen, die gegen den Klima-Volksentscheid gestimmt haben, wissen, dass eine ökologische Transformation aktuell auf ihre Kosten gehen würde, weil sie nicht zugleich eine soziale wäre. Bei der energetischen Modernisierung von Gebäuden etwa merken viele schon lange, dass klimafreundliches Heizen nicht von den Vermieter*innen getragen wird, sondern auf Kosten der Mieter*innen geht, die ohnehin schon mit ständig steigenden Mieten zu kämpfen haben. Vielen Menschen ist bewusst, dass nicht die Reichen bezahlen werden, wenn es um die Kosten für den Umbau hin zur Klimaneutralität geht. Eher wird Haushalten der Strom abgestellt, im Sommer das Wasser rationiert oder das öffentliche Schwimmbad wegen der Gaskrise nicht mehr beheizt, als dass Reiche auf ihre Privatflieger oder Pools verzichten müssen. Solange soziale und ökologische Interessen gegeneinander stehen, ist nicht verwunderlich, dass die Motivation zu einem schnelleren Umbau hin zur Klimaneutralität bei vielen Menschen gering ist. Das Klima-Volksbegehren hat sich nur auf die Klimaziele fokussiert. Die sozialen Fragen, die damit verbunden sind, wurden kaum adressiert. Bei dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung ging es dagegen um etwas, das ganz nah an den alltäglichen ökonomischen Sorgen der Menschen ansetzt: Den Reichen etwas wegzunehmen und unabhängig vom Willen der Konzerne eine bezahlbare Wohnraumversorgung sicherzustellen.
Wenn Klimaschutz vor allem Verzicht bedeutet, gibt es bei vielen, die sowieso schon nicht viel haben, keinen Grund für diesen zu kämpfen. Die Idee des grünen Kapitalismus, der ökologisch unproblematischen Reichtum für alle bereitstellt, verfängt nicht. Aber auch eine politische Alternative, die Klimaschutz und ökonomische Umverteilung glaubhaft verbinden würde, fehlt. Dieses Fehlen treibt viele Menschen in die Arme rechter, fossiler Parteien, bei denen sie zumindest hoffen können, dass sich möglichst wenig verändert, solange sie die Augen vor der Zukunft verschließen.
Was hat Politik uns auf einem sterbenden Planeten noch anzubieten? Von wem erwarten wir Einsatz für eine Zukunft, wenn die Vergangenheit die verheißungsvollere Alternative scheint? Wenn Zukunft nur noch hoffen lässt, dass sich vielleicht noch manchmal kleine soziale Zugeständnisse erkämpfen lassen, dass das Geld gerade so bis zum Ende des Monats reicht, dass bloß noch wenige Jahre in verhältnismäßiger materieller Sicherheit – und auch nur im Globalen Norden - bleiben, dann hat Zukunft ihre Verheißung verloren. Was uns fehlt ist eine Zukunftsperspektive, in der wir leben wollen. Was uns fehlt, ist ein politisches Projekt, das uns abholt und begeistert. Begeistert für eine große gesellschaftliche Veränderung, nicht nur, damit es nicht schlimmer wird, sondern weil es etwas zu gewinnen gibt. Eine solche Zukunft ist möglich, wenn wir unsere begrenzten Ressourcen nicht mehr in SUVs, Privatjets und Luxusneubauten, sondern in Care-Zentren, lebenswerte Innenstädte und bedingungslose Grundversorgung mit essentiellen Gütern investieren. Wenn wir Öffentlichen Luxus statt privaten Überfluss schaffen, dann würde die Transformation für die allermeisten nicht Verzicht sondern ein Mehr an ökonomischer Sicherheit, Zeit und Freiheit bedeuten. Was uns fehlt, ist eine Perspektive, die Lust, die Hoffnung macht, dass Zukunft nicht nur anders – ökologisch – wird, sondern auch besser: freier, gerechter, schöner!
Eine konkrete Antwort auf den neoliberalen Finanzkapitalismus
Öffentlicher Luxus ist nicht einfach nur eine Utopie oder ein Narrativ, sondern ein konkreter Gegenentwurf, der ökonomische Sicherheit für alle schafft und neue Horizonte politischen Handelns eröffnet: Die Möglichkeiten der kollektiven, demokratischen Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Solche Horizonte sind in den letzten Jahrzehnten mit der als alternativlos propagierten Ökonomisierung weiter Teile des gesellschaftlichen Lebens und der Privatisierung öffentlicher Güter verloren gegangen. Der damit einhergehende Abbau von Sozialsystemen und kostengünstiger Grundversorgung mit Wohnraum, Energie, Lebensmitteln und vielem mehr hat für den Großteil der Gesellschaft zu steigender ökonomischer Unsicherheit geführt.
Etwa seit den 80er Jahren, spätestens mit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen autoritärem Staatssozialismus und Kapitalismus ist der neoliberale Kapitalismus die dominante Organisationsform der Gesellschaft. Neoliberalismus bedeutet nicht nur Privatisierung öffentlicher Güter und Infrastrukturen sowie Deregulierung, sondern eine Unterwerfung aller gesellschaftlichen Bereiche unter marktwirtschaftliche Logiken des Wettbewerbs, der Profitorientierung und des Privateigentums.
Neoliberale Politik hat durchweg zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität, Druck auf Löhne, Kostenerhöhungen und Herunterwirtschaften essentieller Infrastrukturen geführt. Gerade die Güter, die für unser Leben am wichtigsten sind – ob Wohnraum, Grundversorgung oder Gesundheit – sind teurer geworden oder wurden überhaupt erst zu kaufbaren Waren gemacht. Trotz einiger erfolgreicher und wichtiger Abwehrkämpfe wie beispielsweise im Bereich der Pflege in Krankenhäusern schreitet die weitreichende Kommodifizierung lebenswichtiger Güter in den letzten Jahren weiter voran. Durch hohe Preise, schlechte Löhne oder Vernachlässigung von Investitionen werden jeden Tag Profite mit unserer Grundversorgung gemacht, für die wir alle mitbezahlen.