Sind Kooperativen ein Mikrokosmos der demokratischen Gesellschaft, die wir anstreben? Oder verhindern sie politischen Wandel eher, weil Menschen sich von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften abwenden und eigenständige, miteinander konkurrierende und selbstausbeuterische wirtschaftliche Einheiten gründen? Kooperativen haben deutliche Vorteile gegenüber autoritären Systemen betrieblicher Organisation – aber haben sie auch das Potenzial, die Welt zu ändern?

Demokratie

Derzeit existieren ungefähr 400 unabhängige Kooperativen1 

und Belegschaftsbetriebe in Großbritannien, die in zahlreichen Branchen mit insgesamt etwa 2000 Arbeitenden operieren; sie haben jeweils unterschiedliche Strukturen und Organisationsweisen. Es gibt andere Formen von Genossenschaften: Einkaufs-, Spar- oder Wohnungsbaugenossenschaften. Doch viele sehen gerade in den Produktionsgenossenschaften das Potenzial, die Welt zu verändern: Netzwerke von Produktionsgenossenschaften könnten »fast vollständig die kapitalistische durch eine demokratische Ökonomie ersetzen« (Betsy Bowman/Bob Stone, Grassroots Economic Organizing 2004). Die Orientierung auf Demokratie ist ausgreifend und stellt einen wesentlichen Teil des Kooperativen-Gedankens dar. Viele Kritiker der Globalisierung, uneins in anderen Fragen, befürworten Formen betrieblicher Demokratie als Teil jeder ernsthaften Alternative zum Kapitalismus; und die innere Demokratie der Kooperativen unterscheidet sie von anderen Organisationsformen. Diese Demokratie kommt den Bedürfnissen der arbeitenden Mitglieder entgegen, die an den Entscheidungen beteiligt sind und daher ihren Alltag ein stückweit kontrollieren. Ganz anders in Unternehmensformen, in denen der Chef als Vertreter des Kapitals das Sagen hat und der Profit an erster Stelle steht – während die Bedürfnisse der Beschäftigten nur am Rande vorkommen. »Persönliche Entwicklung und das Vorankommen als Gruppe sind für uns zentral. Durch die demokratischen Formen können wir ausprobieren, wie wir miteinander arbeiten können und Gesundheit und Wohlbefinden, nicht den Profit in den Vordergrund rücken können.« (Dan Hassan, von Radical Routes2, einem Kooperativen-Netzwerk)

Labour und die Konservativen favorisieren in ihren Wahlprogrammen Belegschaftsbetriebe, die nicht demokratisch organisiert sind. Sie beruhen auf dem »John-Lewis-Modell«: Die Beschäftigten haben keinen direkten Einfluss auf alltägliche Entscheidungsprozesse, die den Chefs und dem mittleren Management überlassen bleiben. Stattdessen können Beschäftigte über einen »Mitbestimmungsrat« (partnership board) das Management zur Verantwortung ziehen, Unternehmenspolitik beeinflussen und wichtige Steuerungsentscheidungen treffen. Das Unternehmen gehört den Beschäftigten über ein Treuhandverhältnis; sie erhalten einen Teil der Gewinne. Befürworter dieses Modells argumentieren, dass die Unternehmen im harten Marktgeschehen beweglicher sind und eine gewisse Mitbestimmung garantiert bleibt.

Druck von aussen

Eine starke demokratische Struktur kann Unternehmen helfen, mit dem äußeren Druck im globalen Kapitalismus umzugehen. Die Beschäftigten entscheiden gemeinsam, wie sie mit einer Krise umgehen: etwa indem sie Lohnkürzungen in allen Gehaltsgruppen vornehmen, um Entlassungen zu verhindern, oder indem Beschäftigte von einer Kooperative in eine andere übernommen werden, wie im Mondragón-Modell3

Der äußere Druck kann andererseits zum Rückbau der demokratischen Strukturen führen. Durch die Zwänge des Marktes wird die finanzielle Seite des Unternehmens zum Hauptziel, demokratische Arbeitsmethoden treten in den Hintergrund. So »verfiel« die 1844 gegründete Kooperative Rochdale4

in dem Moment, als sie 1859 neue Investoren als Mitglieder aufnahm, um neue Anlagen zu finanzieren. Die Investoren überstimmten die Arbeiterinnen und Arbeiter und die Genossenschaft wurde innerhalb von drei Jahren in eine konventionelle Firma umgewandelt. Die moderne Genossenschaft Ethical Consumer Magazine5

könnte in dieselbe Falle gehen. Nach über zwanzig Jahren als Produktionsgenossenschaft änderte sie im letzten Jahr die Struktur hin zu einer Konsumgenossenschaft; externes Kapital wurde aufgenommen und ein Vorstand gebildet. Rob Harrison, Gründer der Kooperative, sieht das nicht zwangsläufig als Verlust an Demokratie: »Es geht um mehr Demokratie und nicht um weniger. Wir fördern eine größere Beteiligung von Interessengruppen [wie Lesern oder Nichtregierungsorganisationen], während wir die innere Demokratie über die Verfasstheit des Vorstandes und der Betriebsleitung garantieren. Im Vorstand sind die Beschäftigten immer in der Mehrheit und die ausschließlich aus Beschäftigten bestehende Betriebsleitung wickelt das alltägliche Geschäft der Genossenschaft ab.« So kann neues Kapital angezogen werden, was im angespannten wirtschaftlichen Klima wichtig ist. Die Unterversorgung mit Kapital stellt häufig ein Problem für Kooperativen dar, das unterschiedlich gelöst wird. Mondragón im Baskenland (Spanien) finanziert sich über ihre eigene Bank Caja Laboral. In Kanada wird Kapital über die Quebec Federation of Labour Solidarity Funds6 bereitgestellt;

 in Norditalien hilft die Regierung mit Darlehen, während in Brasilien und Argentinien über Bürgerbeteiligungshaushalte Kooperativen unterstützt werden.

Potenzial für dauerhafte Transformation

Haben Kooperativen nun das Potenzial, einen sozialen Wandel herbeizuführen? Sicher können sie allein den Kapitalismus nicht beenden. Aber sie zeigen, dass Menschen unabhängig und autonom ihren Alltag meistern können. So lange Menschen diese Erfahrung nicht machen und kein starkes unabhängiges ökonomisches System existiert, könnte jeder politische Umbruch in bürokratischem Sozialismus enden, befürchten viele. Die gelebte Demokratie der Kooperativen kann die Transformation auf eine breite demokratische Kultur hin ermöglichen (John Luhman).

Gewerkschaften

In den 1970er Jahren haben Gewerkschaften Modelle von Genossenschaften und Belegschaftsbetrieben genutzt, um Unternehmen vor dem Konkurs zu retten. Dass dieses Experiment gescheitert ist, war nicht dem Modell anzulasten. Genossenschaftsbewegung und Gewerkschaften sind in der Labour Party vertreten und beide waren maßgeblich daran beteiligt, Labour ins Parlament zu bringen. »Gewerkschaften, Labour und Genossenschaften entstanden vor dem Hintergrund der Verhältnisse der industriellen Revolution. Sie waren Reaktionen auf Ausbeutung, mangelnde Demokratie und schlechte Arbeitsbedingungen. Wir arbeiten im Wesentlichen – auf unterschiedliche Weise – für die gleiche Sache.« (David Coulter, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Co-operatives UK7)

Ob ein Bündnis mit der Labour Partei allerdings noch einen sozialen Wandel ermöglichen wird, ist fraglich. Robin Murray, Co-ops UK, sieht Gewerkschaften und Genossenschaften zusammen in einer Schlüsselrolle bei der Ausgestaltung der von den Parteien vorgeschlagenen genossenschaftlichen Initiativen. Zwar befürchten Gewerkschaften, dass die Übernahme klassischer staatlicher Dienstleistungen durch Genossenschaften eine »Privatisierung durch die Hintertür« darstellt. Doch Murray stellt »public-social-partnership« den »private-public-partnerships« gegenüber – und sieht sie als einen Schritt nach vorn, weil Gesellschaften mit vielen Anteilshaltern eine verstärkte Beteiligung der Gewerkschaften ermöglichten. Die von New Labour angedachte »VerGenossenschaftlichung« von am Markt »versagenden« Wasserstraßen, Fußballclubs, Kneipen und lokalen Geschäften böten eine Chance für Zusammenarbeit zwischen Genossenschaften und Gewerkschaften. Allerdings müsste man darauf achten, »dass derartige Gemeinschaftsprojekte stark genug sind und gegen einen Politikwechsel geschützt werden können«.

Soziale Bewegungen

Persönliches Engagement und individuelle Bindungen sind auch die Ursache für Überschneidungen und Zusammenarbeit zwischen Kooperativen und sozialen Bewegungen. Der Aktivistin und Genossenschaftlerin Katy Brown zufolge gibt es zwar keine formalen Verbindungen, aber einen Wissenstransfer auf individueller Ebene: »Das trifft besonders für Entscheidungsfindung und -techniken zu, da Kooperativen ein guter Ort sind, um nicht-hierarchische Entscheidungsfindung zu lernen. Das ist für beide Seiten von Vorteil.« Dan Hasan von Ethical Producer hält die Erfahrung kooperativer Organisierung für zentral: »Jeder hat die Möglichkeit, jede wichtige Tätigkeit zu lernen und auszuüben, so dass die Leute sich breite Fähigkeiten aneignen. Im weiteren Sinne fördert das die Eigenverantwortung und ein ganzheitliches Verständnis von Organisationen. Kooperativen sind eines der am weitesten entwickelten Werkzeuge, die wir für eine Überführung von Sachen in gemeinsames Eigentum haben.« Die Trennung von Kooperativen und sozialen Bewegungen oder Community Organisationen habe einen guten Grund: »Genossenschaften sind am Ende doch Unternehmen, sie unterliegen anderen Anforderungen und sind nicht nur für die Versorgung einer größeren Community da. Sie existieren, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Bedürfnisse der Mitglieder zu befriedigen.« (David Coulter, Cooperatives UK)

Der Nutzen für die Allgemeinheit

Dennoch nutzen Kooperativen den Gemeinden, in denen sie verwurzelt sind. Beschäftigte leben vor Ort, wodurch Interessen der Kooperativen und der Gemeinden zusammenlaufen. Katy Brown, die im sozialen Zentrum Next to Nowhere in Liverpool arbeitet, ist dankbar für die Unterstützung des kooperativen Buchladens News from Nowhere bei der Gründung des Zentrums: »Sie sind unsere Vermieter, räumen uns aber günstige Konditionen ein. Im Gegenzug stellen wir Räume für Signierstunden und reparieren Sachen am Gebäude. Wir kaufen Bücher von ihnen für unsere Bibliothek. Sie sind Teil unseres Kollektivs.« In der Regel verhindert die Verankerung vor Ort eine Kapitalflucht. Einige Kooperativen – wie der erfolgreiche Lebensmittelladen Unicorn in Manchester – lassen einen Teil ihrer Profite in einen Sozialfonds fließen, der Kampagnen und Gruppen vor Ort zugute kommt.

Ausbeutung

Nicht alle Kooperativen dienen der Allgemeinheit. Betsy Bowman zeigt, dass in einigen Kooperativen mehr als 40 Prozent der Arbeit von Nichtmitgliedern gemacht wird. In diesen Fällen kann von einer kollektiven Ausbeutung von Lohnarbeit gesprochen werden. Eine Produktionsgenossenschaft in Manchester stellt Zeitarbeiter für ihre Kommissionierung und das Packen an. Diese Beschäftigten verdienen weniger als die Mitglieder und werden in Verträge gezwungen, die auf zehn Monate begrenzt sind. Dadurch haben sie keinen Anspruch auf Arbeitgeberleistungen, die allen unter britischen Gesetzen arbeitenden Zeitarbeitern zustehen. Auch die Mitglieder arbeiten meist mehr und länger für weniger Geld, weil sie sich als weniger entfremdet von ihrer Arbeit empfinden. Es wird kritisiert, dass Kooperativen wenig mehr tun, als Waren für den freien Markt zu produzieren, so dass ihr Verhältnis zum Kapital sich nur wenig von dem anderer Unternehmen unterscheidet – was zu Selbstausbeutung führe und dem Kapitalismus nützt. Tim Huet (Co-operative Manifesto) sieht viel Anlass für Kritik an und Protest gegen das Wirtschaftssystem. Für dauerhafte und starke Gegenbewegung sind vielfältige Initiativen notwendig. Betriebliche Modelle ökonomischer Demokratie sind Teil dieser Vielfalt – neben Gewerkschaften, Einpunktbewegungen etc. Wir brauchen eine Polykultur des Dissenses und nicht eine Monokultur nur reagierender und oppositioneller Politik.

Ein Grosshandelserfolg

Die größte Kooperative in Großbritannien ist Suma. Der Großhändler für Vollwertkost setzt jährlich über 24 Millionen Pfund um, womit er auf Platz 51 der größten Genossenschaften und auf Platz 1 der unabhängigen Großhändler für Vollwertkost in Großbritannien steht. Suma begann 1975 und sollte einige genossenschaftliche Bioläden in Nordengland versorgen. Heute beliefert Suma 2500 Märkte. Noch gibt es keine innere Hierarchie, was die Mitglieder als wesentlich für ihren Erfolg begreifen. Die Struktur ist einfach: Alle Mitglieder und Beschäftigten bekommen denselben Stundenlohn, unabhängig von ihrer Arbeit oder ihrer Verantwortung. Sie haben eine gewählte Betriebsleitung, um Entscheidungen und Geschäftspläne umzusetzen; die Entscheidungen werden auf einem regelmäßigen übergreifenden Treffen im Konsensverfahren getroffen. Praktisch heißt das, dass die alltägliche Arbeit von eigenständigen Teams aus Beschäftigten ausgeführt wird, die alle den gleichen Lohn bekommen, das gleiche Stimmrecht und den gleichen Anteil am Erfolg der Unternehmung haben. Die Mitglieder sind kompetent in allen Bereichen des Unternehmens und haben immer mehr als eine Rolle in der Genossenschaft. Sie erweitern dadurch ihre Qualifikation und erhalten Einblick in den Gesamtzusammenhang. Dies nutzt der Kooperative, wenn Kreativität und Problemlösungen gefragt sind. Kooperativen ermutigen zu eigenständigem Alltagshandeln – eine Revolutionierung unseres Alltags. Solange wir sie reflektieren und entwickeln, anpassen und Widersprüche bearbeiten, können sie helfen, eine starke, selbstbewusste und lokal verwurzelte Bewegung aufzubauen, die über Ressourcen und Fähigkeiten verfügt, der Hegemonie des Kapitals den Kampf anzusagen. 

Aus dem Englischen von Jana Seppelt. Mit freundlicher Genehmigung von redpepper.org.uk 

1 Im Englischen sind Kooperativen und Genossenschaften »cooperatives«, d.Üb.

2 www.radicalroots.org.uk/

3 Mondragón ist die größte baskische Genossenschaft: www.mondragon-corporation.com/.

4 Die Rochdale Society of Equitable Pioneers (engl. für die Gesellschaft der redlichen Pioniere von Rochdale) war eine Konsum- und Spargenossenschaft, die im Dezember 1844 von 28 Webern aus Rochdale gegründet wurde. Sie formulierte die ersten Prinzipien für Kooperativen und ging auf den britischen Frühsozialisten Robert Owen zurück.

5 www.ethicalconsumer.org/PrintMagazine.asp

6 Freiwilliger Pensionsfonds mit über 550 000 Aktionären und einem Vermögen von ca. 4,6 Milliarden Kanadischen Dollars. Der Fonds hat Anlagen in rund 1900 kleinen und mittleren Unternehmen und half bei der Schaffung von rund 100000 Arbeitsplätzen. Der Fonds zielt auf Profite, aber er fördert auch Rechte, Weiterbildung und Entwicklung der Beschäftigten. (http://www.caledonia.org.uk/papers/ quebec-solidarity-fund.pdf)

7 Co-operatives UK ist der landesweite Verband, der sich für genossenschaftliche Modelle stark macht und die Entwicklung und Vereinigung kooperativer Unternehmen fördert (http://www.uk.coop/).

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