Die Arbeiterbewegung in Südafrika befindet sich im Umbruch. Die etablierten Gewerkschaften vertreten vor allem die fest angestellten Beschäftigten, die ein Mindestmaß an Schutz vor den schlimmsten Verwerfungen des Neoliberalismus genießen. Bäuer*innen, Migrant*innen, »outgesourcte« Beschäftigte und Zeitarbeitskräfte, darunter insbesondere Frauen, sind jedoch von den gesetzlichen und institutionellen Mindeststandards ausgenommen, die in den 1990er Jahren von den Gewerkschaften ausgehandelt werden konnten.
In der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie haben genau diese ausgeschlossenen Beschäftigtengruppen begonnen, sich aus der Not heraus zu organisieren – außerhalb der traditionellen Gewerkschaften und zum Teil auch in direkter Abgrenzung zu deren Sozialpartnerschaft mit den neoliberalen Kapitalisten. Darin spiegelt sich auch die Restrukturierung der kapitalistischen Produktion wider, in der der Anteil an dauerhaften Beschäftigungsformen abnimmt und prekäre und ausgelagerte Beschäftigung immer wichtiger wird. Das ist der Grund für den Niedergang der traditionellen Gewerkschaften und die Entstehung neuer, lokal orientierter Akteure. Sowohl die neuen informellen Arbeiterforen wie auch die neuen Gewerkschaftsverbände für prekäre Arbeit*innen sind im Kern soziale Gewerkschaftsbewegungen (social movement unions). Diese Organisationen entspringen sehr unterschiedlichen Bedingungen und können in ihren politischen Ansichten stark variieren. Dennoch antworten sie auf ein- und dieselbe Herausforderung: eine massive Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Unternehmen. Wie können sie trotz der Unterschiede eine gemeinsame Bewegung bilden, die für existenzsichernde Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und die Emanzipation der Arbeiter*innen streitet?
Massenstreik und Community Work
Im Jahr 2012 gab es einen Massenstreik auf südafrikanischen Weinfarmen, der eine beispiellose Mobilisierung und Militanz erreichte. Der Streik endete mit einer Vereinbarung zwischen der Regierung und einer Gruppe von Gewerkschaften, angeführt vom Südafrikanischen Gewerkschaftskongress (Congress of South African Trade Unions/COSATU). Das Ergebnis war ein erheblicher Lohnanstieg von 52 Prozent für die Landarbeiter*innen.
Dennoch gab es große Wut unter den Beteiligten über die Beilegung des Streiks. Es waren vor allem die bei Subunternehmen oder Vermittlungsagenturen beschäftigten Saisonarbeiter*innen, die den Streik angestoßen und getragen hatten. Weder COSATU noch die ihr damals angegliederte Food and Allied Workers’ Union (FAWU) vertraten diese Gruppen in nennenswerter Weise. Da die »Schlichtung« und Beendigung des Streiks auch mit staatlicher Repression und Gewalt verbunden war, fühlten sich viele Streikende übergangen und von den Gewerkschaften ausgenutzt.
So blieben wesentliche soziale Konflikte auch nach der Einigung ungelöst. »Die Löhne sind immer noch zu niedrig«, sagt Bettie Fortuin, eine der Führungsfiguren des Streiks. »Die Farmer zahlen selbst heute noch weniger als das Minimum. Jeden Tag erleben wir willkürliche Entlassungen.«
Fehlender Wohnraum, Zwangsräumungen und mangelnder Zugang zu guten Kliniken seien weitere drängende Probleme. Von den großen Gewerkschaften ist sie nicht nur deshalb enttäuscht. »Wir haben versucht, mit ihnen zusammenzuarbeiten, aber es hat nicht funktioniert. Sie nehmen die Beiträge von den Landarbeiter*innen, aber sie kümmern sich nicht wirklich um sie.« Fortuin ist Teil einer Frauengruppe, die mit der NGO Women on Farms Project assoziiert ist und sich als deren »autonomes« Mitglied versteht. Die Gruppe spielte eine führende Rolle im Arbeitskampf und organisierte die Massenversammlungen der Streikenden. Zugleich ist die Gruppe mit den vielfältigen Belangen von Saisonarbeiter*innen befasst, die in den Townships und informellen Siedlungen in der Nähe der Kleinstadt De Doorns leben. »Wir kümmern uns nicht nur um Probleme am Arbeitsplatz, sondern um allgemeine Anliegen der Community, wie zum Beispiel die Gesundheitsversorgung, den Zugang zu Wohnraum oder den Kampf gegen sexistische Gewalt.«
Landarbeiter*innen gemeinsam organisieren
Es gibt viele solcher Beispiele, bei denen Aktivist*innen aus lokalen Communities mit NGOs zusammenarbeiten, um die Arbeits- und Wohnverhältnisse von Landarbeiter*innen zu verbessern. Laurel Oettle von der NGO Association for Rural Advancement (AF- RA) berichtet vom Siyanqoba Forum, das im Osten Südafrikas von sogenannten Arbeitspächter*innen1 und deren Nachkommen gegründet wurde. Noch immer leben viele arme Landarbeiter*innen auf von Weißen geführten Farmen, auch wenn nicht mehr alle dort Lohnarbeit leisten. Dieser Gruppe geht es zuvorderst um Landrechte, um Wohnraum und Mobilität, also um Fragen, für die sich Gewerkschaften klassischerweise kaum interessieren. »In den letzten Jahren«, so Oettle, »wurden auf den Farmen immer mehr Saisonkräfte aus anderen Regionen und Ländern eingestellt. Diese Wanderarbeiter*innen sind extremer Ausbeutung ausgesetzt. Sie haben keine offizielle Vertretung, die ihre Kämpfe unterstützt. Als Forum versuchen wir, die Migrant*innen mit den lokalen Bewohner*innen der Farmen schrittweise zusammenzubringen. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen, für das wir in Zukunft auch Gewerkschaften gewinnen wollen.«