Manchmal muss man einen langen Weg zurücklegen, um auf Wahrheiten zu stoßen, die im Grunde sehr nahe liegen. In den letzten fünf Jahren habe ich genau dies getan: Ich verließ meine vorzeigeliberale Heimatstadt Berkeley in Kalifornien und begab mich auf eine Reise zu den Bayous, in das Louisiana der Tea Party, wo ich ein anderes Amerika entdeckte. Von dieser Reise bringe ich ein Gleichnis aus dem wahren Leben mit. Es handelt von einem Mann, der viele der Widersprüche unserer Trump’schen Welt in sich vereint.
Mike Schaff hätte eigentlich nicht mehr in Bayou Corne sein dürfen, einer kleinen Siedlung von Häusern entlang eines Kanals, der direkt in einen prächtigen Bayou mündet, einen Fluss durch die Sumpflandschaft, über den Silberreiher, Ibisse und Löffelreiher dahingleiten. Infolge der Katastrophe vom August 2012 hatte der Gouverneur von Louisiana die Evakuierung des Ortes angeordnet. Doch als ich im März 2013 hierherkam, wohnte Mike noch immer in seinem zerstörten Haus. Ich treibe eine Horde verwilderter Katzen auseinander, als ich auf der Crawfish Stew Street parke, gegenüber einem gelben Holzhaus, am Rande der Gewässer, die durch Bayou Corne fließen. Die Straße ist verlassen, der Rasen am Straßenrand steht hoch und die Äste der Satsuma- und Grapefruitbäume neigen sich unter der Last reifer Früchte. In seiner Einfahrt kommt mir Mike Schaff entgegen, ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann mit schütter werdendem Haar, in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen.
»Tut mir leid wegen des Rasens«, entschuldigt er sich auf unserem Weg ins Haus. »Ich komme in letzter Zeit so selten dazu mich darum zu kümmern.« Im Wohnzimmer wie im Esszimmer stehen halbvoll gepackte Umzugskartons. Der Wohnzimmerteppich steht aufgerollt in einer Ecke und gibt den Blick frei auf einen dünnen, gezackten Spalt im Fußboden. Mike öffnet die Küchentür, die in die Garage führt. »Hier befindet sich mein Gas-Messgerät«, erklärt er. »Diese Firma bohrte ein Loch in den Boden meiner Garage, um herauszufinden, ob sich darunter Gas befand. Und in der Tat: Der Gasgehalt ist dort 20 Prozent höher als normal. Ich stehe sogar nachts auf, um die Anzeige zu überprüfen.« Als wir uns zum Kaffee an den kleinen Esstisch setzen, bemerkt Mike: »Kommenden Montag ist es genau sieben Monate her; die letzten fünf waren wohl die längsten meines Lebens.«
»Alka Seltzer« in den Pfützen
Das erste Anzeichen, dass etwas nicht stimmte, war eine kleine Ansammlung von Bläschen auf der Oberfläche des Bayou Corne gewesen, die in der Folge an immer mehr Stellen auftauchten. War möglicherweise ein unter dem Bayou verlaufendes Gasrohr leckgeschlagen? Ein Mitarbeiter der örtlichen Gaswerke kam und führte Messungen durch, doch laut seinen Ergebnissen waren alle Rohre in Ordnung. Und doch, so erinnert sich Mike, »roch es nach Öl, und zwar sehr stark«. Später wurden er und seine Nachbarn erneut aufgeschreckt, als die Erde plötzlich zu beben begann. »Ich lief gerade durchs Haus, als ich mich etwa zehn Sekunden lang wie bei einem Schlaganfall oder wie im Vollrausch fühlte«, erinnert sich Mike. »Ich verlor vollends mein Gleichgewicht.« Da bemerkte er den Spalt im Fußboden seines Wohnzimmers und hörte ein Geräusch wie einen Donnerschlag. Rasenflächen begannen abzusacken und sich zu neigen. Unweit von Mikes Haus brach die Erde unter dem Bayou auf und an seinem Grund wurde nun, ähnlich einer entstöpselten Badewanne, Gestrüpp, Wasser und Kiefernholz hinabgesogen.
Majestätische, jahrhundertealte Zypressen bewegten sich in Zeitlupe auf das Maul der Doline zu und verschwanden mit einem lauten Krachen in ihrem Schlund. Zwei Aufräumarbeiter hatten unweit des Einsturztrichters eine Barriere ausgelegt, um einen Bereich mit ölig schimmerndem Wasser abzutrennen. Um ihr Boot zu stabilisieren, hatten sie es an einen Baum gebunden, der nun mit dem Boot in den Trichter glitt. Die Männer konnten gerade noch gerettet werden. Während der folgenden Wochen, als das Gas begann aus der Erde auszutreten, wurde der zuvor unberührte Sumpfwald mit öligem Schlamm überzogen. »Während eines Regengusses fingen die Pfützen an zu glitzern und zu sprudeln, als ob man eine Alka-Seltzer-Tablette hineingeworfen hätte«, sagt Mike. Allmählich erreichte die gasförmige Brühe auch das Grundwasser und bedrohte die lokale Trinkwasserversorgung.
Was hatte den Erdsturz ausgelöst? Der Schuldige war Texas Brine, ein kaum reguliertes Ölbohrunternehmen aus Houston. Dieses Unternehmen hatte ein 1 700 Meter tiefes Loch unter Bayou Corne gebohrt, um dort stark verdichtetes Salz abzubauen und an Firmen zu verkaufen, die Chlor herstellen. Dabei traf es versehentlich eine unterirdische geologische Formation mit dem Namen Napoleon Salt Dome, einer fast 200 Kilometer breiten und 1,5 Kilometer tiefen Salzkuppel, ummantelt von einer Schicht aus Öl und Erdgas. Als die Bohrung versehentlich eine Seitenwand der Salzkuppel durchstieß, brach diese unter dem Druck des umgebenden Schiefergesteins zusammen und riss alles über ihr Liegende mit in die Tiefe.
Der Einsturztrichter wuchs weiter. Anfangs hatte er die Größe eines Grundstücks, dann von fünf Grundstücken, schließlich die Länge der Crawfish Stew Street. Bis 2016 erreichte er eine Größe von 15 Hektar. Auch der Asphalt der Hauptstraße, die durch Bayou Corne führt, senkte sich ab, ebenso wie die Deiche entlang des Bayou, dazu gedacht, die Wassermassen in Zeiten von Hochwasser im Zaum zu halten. Damit drohten die öligen Schlammmassen sich auf die angrenzenden Wiesen und in die umgebenden Wälder zu ergießen. Unterdessen suchten die fassunglosen Evakuierten in Gästezimmern von Freunden und Verwandten, in Wohnwagen und Motels Zuflucht.
»Meine Frau und ich hatten gerade geheiratet und wollten unser neues Leben beginnen, doch mit all diesen Methanemissionen ist es hier nicht mehr sicher. Also ist meine Frau zurück nach Alexandria gezogen, was ungefähr 190 Kilometer nördlich von hier liegt und von wo aus sie nun zur Arbeit pendelt. Wir sehen uns an den Wochenenden. Die Enkelkinder kommen auch nicht mehr, weil, naja, was passiert, wenn jemand ein Streichholz anzündet? Das ganze Haus könnte in die Luft fliegen. Ich bin noch hier, um es vor Einbrechern zu schützen und den anderen stayers, den Hiergebliebenen, Gesellschaft zu leisten«, sagt er und fügt nach einer längeren Pause hinzu: »Im Grunde will ich hier auch überhaupt nicht weg.«
Umweltschutz: »Missing in action«
Mike fährt mit seinem Boot rückwärts in den Kanal und ich hüpfe hinein. Der Motor erwacht stotternd zum Leben und wir tuckern langsam auf den breiter werdenden Bayou hinaus. »Hier draußen kannst du Barsch, Seewolf, Amerikanischen Streifenbarsch und Weißen Sonnenbarsch rausholen«, sagt er, »oder zumindest konnten wir das mal.« Mike liebte das Wasser und das Fischen. Er konnte aus dem Stand Aussehen und Verhaltensweisen eines guten Dutzends örtlicher Fischarten beschreiben. Er fuhr raus, sooft er nur konnte. »Umwelt« war nicht bloß ein Wort für ihn; sie war seine Leidenschaft, sein Refugium, seine Lebensweise.
Wie viele andere der konservativen weißen ›Cajun Catholics‹ aus seiner Nachbarschaft war Mike stets strammer Republikaner gewesen und zudem begeisterter Anhänger der Tea Party. Die Bundesregierung wollte er mehr oder weniger vollständig entkernen. In einer perfekten Welt gäbe es für ihn weder ein Innen- noch ein Bildungs- oder Gesundheitsministerium, keinen öffentlichen Dienst und keine staatliche Sozialfürsorge. Auch die Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency) würde er zu großen Teilen auflösen, ebenso wie er den Großteil der Bundesgelder an die einzelnen Bundesstaaten streichen würde. Die Bundesregierung steuert 44 Prozent des Staatshaushalts von Louisiana bei – was jedes Jahr einer Summe von 2 400 US-Dollar (etwa 2 140 Euro) pro Person entspricht. Diese Gelder fließen in die Hurricane-Hilfe, die Mike gutheißt, doch zum Teil auch in das Medicaid-Programm, der Gesundheitsversorgung für Bedürftige, was Mike folgendermaßen kommentiert: »Die meisten Empfänger könnten arbeiten gehen, wenn sie wirklich wollten, und, ganz ehrlich, sie wären mit Sicherheit besser dran.«
Louisiana ist ein klassischer red state, also ein Staat fest in republikanischer Hand (im Gegensatz zu den blue states, die mehrheitlich ›demokratisch‹ wählen). Im Jahr 2016 war er der ärmste Bundesstaat der USA; auch was Bildung, Gesundheit und Wohlstand seiner Einwohner*innen angeht, lag er an letzter Stelle. Doch Wähler*innen wie Mike Schaff haben bereits zweimal für den Gouverneur Bobby Jindal gestimmt, der sich während seiner achtjährigen Amtszeit standhaft einer Erhöhung der Medicaid-Leistungen verweigerte, die Mittel für Hochschulbildung um 44 Prozent kürzte und Entlassungen bei Umweltschutzbehörden vornahm. Seit 1976 haben die Einwohner*innen von Louisiana bei sieben von zehn Präsidentschaftswahlen republikanisch gewählt und im Mai 2016 zogen einer Umfrage zufolge 52 Prozent von ihnen einen Präsidenten Donald Trump einer Präsidentin Hillary Clinton (36 Prozent) vor.
Mike war schon immer gegen das Konzept einer starken Bundesregierung gewesen, da in seinen Augen »die Menschen anfangen, sich auf den Staat statt aufeinander zu verlassen«. Er war als fünftes von sieben Kindern eines Klempners und einer Hausfrau in einer sehr engen Gemeinschaft auf der Zuckerrohrplantage Armelise in der Nähe von Bayou Corne aufgewachsen. »Ich lief den ganzen Sommer barfuß herum und schoss mit meinem Gewehr Krähen, deren Eingeweide ich als Fischköder benutzte.« Als Erwachsener hatte er als Kostenplaner gearbeitet, hatte Materialien vermessen und ausgepreist, die für den Bau gigantischer Ölbohrplattformen im Golf von Mexiko verwendet wurden. Die unkomplizierte Geselligkeit in Bayou Corne kam Mike entgegen. »Wir sind hier eine enge Gemeinschaft. Wir schließen nicht mal unsere Haustüren ab. Zu Hochwasserzeiten unterstützen wir uns gegenseitig beim Deichbau.« Er wünsche sich nicht lediglich die Abwesenheit des Staats; ihm gehe es um das Gefühl des Zusammenhalts, darum, sich innerhalb einer Gruppe zu wissen. Und dies sei es, was der Staat in seinen Augen zu verdrängen versuchte: die Gemeinschaft. Warum sollte man also hohe Steuern an die Regierung zahlen und ihr dabei helfen, einem das zu nehmen, was einem am teuersten ist? Doch Mike ist ein intelligenter, akademisch gebildeter Mann, der sich für das Land und die Gewässer, die er liebt, verantwortlich fühlt. Ich überlege, ob er angesichts der mysteriösen Spalte in seinem Fußboden und des Gasmessgeräts in seiner Garage im Staat schließlich doch noch eine willkommene Unterstützung erkennen würde. Hat sein Schicksal vielleicht sogar seine Ansichten über die Präsidentschaftskandidaten verändert?
Bleiben oder gehen
Schon aus einiger Entfernung erkennen wir ein an den Stamm eines Tupelobaums genageltes Schild: »Gefahr, Zutritt verboten, hochentzündliche Gase«. Um den Baum herum steigen in konzentrischen Kreisen kleine Bläschen wie winzige Insekten aus dem Wasser empor. »Methan«, stellt Mike sachlich fest.
Mitte 2013 hatten die Behörden Bayou Corne zur Sperrzone erklärt, woraufhin die meisten der 350 Einwohner*innen geflohen waren. Eine kleine Gruppe von stayers wie Mike wurden nun von jenen, die fortgegangen waren, für ihr Bleiben kritisiert: Sie befürchteten, das Bleiben könnte von Texas Brine als Zeichen interpretiert werden, die Lage sei »gar nicht so schlimm«, und so den Preis senken, den die Geflüchteten als Entschädigung für ihr Leiden fordern konnten. Jeder wusste, dass das Senkloch durch die Bohrungen verursacht worden war, doch die Schuldfrage blieb ungeklärt. Anfangs schob Texas Brine die Schuld auf Mutter Natur und behauptete (fälschlicherweise), dass Erdbeben in der Region völlig normal seien. Als Nächstes versuchte das Bohrunternehmen die Firma, von der es die Bohrrechte innerhalb der Salzkuppel erworben hatte, verantwortlich zu machen.
Sowohl die, die geblieben, als auch die, die fortgegangen waren, waren vor allem wütend auf »die Regierung«. Gouverneur Bobby Jindal hatte sieben Monate verstreichen lassen, ehe er die Opfer besuchte. Wie viele seiner Nachbarn hatte auch Mike Schaff Jindal gewählt. Als jemand, der sein Leben lang in der Ölindustrie gearbeitet hatte, war er auch vollends mit dessen Plan einverstanden, noch mehr Vertreter dieser Industrie in den Bundesstaat zu locken, mittels Steuererleichterungen in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar (1,44 Milliarden Euro). Drei Jahre lang konnte nicht festgestellt werden, ob die Ölfirmen seitdem überhaupt einen einzigen Cent Steuern an den Staat Louisiana gezahlt hatten. Dies lag auch daran, dass die Durchführung von Betriebsprüfungen unter Jindal dem Amt für mineralische Bodenschätze überantwortet wurde, das eng mit der Industrie verzahnt ist und zwischen 2010 und 2013 nicht eine einzige Prüfung vornahm. Die gesetzeskonforme Einhaltung von Umweltbestimmungen wurde durch konservative Abgeordnete auf Bundesstaatsebene nur äußerst zaghaft eingefordert. Viele von ihnen waren selbst Öl-Männer oder nahmen, wie Gouverneur Jindal, Spenden aus dem Energiesektor an. Im Jahr 2003 stufte ein Bericht des Generalinspekteurs der EPA Louisiana hinsichtlich der Umsetzung umweltrechtlicher Bundesbestimmungen auf dem letzten Platz in der Region ein. Louisianas Datenbank zu Einrichtungen mit toxischen Abfallstoffen war fehlerhaft. Das staatliche Department of Environmental Quality (Amt für Umweltqualität) – und man beachte hier das Fehlen des Wortes protection, bzw. »Schutz« – hatte keine Kenntnis darüber, wie viele derjenigen Firmen, die es inspizieren sollte, tatsächlich die Auflagen einhielten. Die Inspekteure hatten viele Unternehmen schlicht nicht untersucht, und selbst dort, wo Verstöße entdeckt wurden, wurden sie für gewöhnlich nicht geahndet.
Je ›röter‹ der Red State, desto mehr toxische Abfälle
Wie sich herausstellte, befand sich Louisiana in bester Gesellschaft. Eine Studie des Soziologen Arthur O’Connor aus dem Jahr 2012 zeigte, dass Einwohner*innen der sogenannten red states höheren Graden industrieller Verschmutzung ausgesetzt sind als die der blue states. Und bei der Analyse von Statistiken zur Belastung mit Giftmüll entdeckten meine Forschungsassistentin Rebecca Elliot und ich, dass Menschen, die glauben, Amerikaner »sorgen sich zu viel um die Umwelt« und die USA machten »schon genug«, mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Gegend leben, die hohe Verschmutzungsraten aufweist. Als Mitglied der Tea Party und jemand, der in die Katastrophe der Doline von Bayou Corne verwickelt war, stellte Mikes Geschichte lediglich eine etwas zugespitzte Version einer Tragödie dar, die sich überall im Land abspielte. Ich fragte mich, wie Mike seine tiefe Liebe für Bayou Corne – und seinen Willen, diesen Ort zu schützen – mit seiner starken Abneigung gegen staatliche Regulierung in Einklang bringen würde. Mit diesem Widerspruch konfrontiert, zimmerte er sich aus verzweifelten Vorstellungen und Hoffnungen notdürftig ein neues Weltbild zusammen. Es machte ihn zu einem »Tea Party Conservationist« (»Tea-Party-Naturschützer«), wie er es nannte.
Mike schrieb Beschwerden an die Abgeordneten des Staates Louisiana und forderte sie auf, Unternehmen wie Texas Brine dazu zu zwingen, den Opfern unverzüglich Entschädigungen auszuzahlen, die Aufbewahrung toxischer Abfallstoffe in der Nähe von sensiblen Gewässern zu verbieten und eine Wiederaufnahme von Bohrungen in Lake Peigneur, wo es bereits 1980 einen dramatischen Bohrunfall gegeben hatte, zu untersagen. Bis August 2015 hatte er 50 solcher Briefe an Politiker*innen auf Staats- und Bundesebene geschickt. »So kurz war ich noch nie davor, ein Ökofreak zu werden«, sagt er. »Neunundneunzig Prozent der Umweltschützer, die ich kennenlerne, sind eher links. Aber ich musste schließlich etwas tun. Dieser Bayou wird nie wieder so wie früher.«
Mike und seine Frau sind inzwischen aus ihrem zerstörten Haus nahe des Trichters in ein renovierungsbedürftiges Haus am Rande eines Kanals gezogen. Das neue Zuhause liegt in der Nähe des atemberaubenden Atchafalaya-Beckens, einem etwa 320 000 Hektar großen Wildtierschutzgebiet – dem größten Auwald und Hartholz-Sumpfgebiet der USA. »Ich bin vom Regen in die Traufe gekommen. Die entsorgen Millionen von Litern an Fracking-Abfällen – oder wie es die Industrie nennt, ›produziertem Wasser‹ –, und zwar genau hier in das Becken. Da können Methanol, Chlor, Sulfate und Radium enthalten sein. Sie importieren das Zeug sogar aus Pennsylvania und von anderen Fracking-Standorten, um es in einen Schluckbrunnen hier in der Nähe zu pumpen. Aber Salz kann die Wände solcher Brunnen zersetzen, und dann sind wir wieder gefährlich nahe an unserem Grundwasser.«
Eine Doline des Stolzes
Mike liebt die Gewässer Louisianas mehr als alles andere auf der Welt. Die Wahl Hillary Clintons hätte den Fortbestand des Clean Water Act (Wasserschutzgesetz) sowie der EPA garantiert und sichergestellt, dass sich der Staat weiterhin als Gegengewicht zu den Texas Brines des Landes positioniert hätte. Doch es gab eine Sache, die für Mike mehr zählte als sauberes Wasser: Der Stolz auf seine Leute. Er hatte sich abgestrampelt, um der Welt eines fünften Sohns eines Klempners zu entkommen, hatte es als Angestellter einer Firma, die Ölbohrplattformen baute, auf ein Jahresgehalt von 70 000 Dollar (63 000 Euro) gebracht, hatte zum dritten Mal geheiratet und sich ein Eigenheim aufgebaut, das nun zerstört war. Ihm war, als hätte man ihm am Eingangstor zur Mittelklasse ins Gesicht geschlagen. Für die progressiven Bewegungen – in Solidarität mit Schwarzen, Frauen, sexuellen Minderheiten, Migrant*innen, Geflüchteten – war der Staat aus seiner Sicht seit den 1960er Jahren ein großer Selbstbedienungsladen. Und das zu einer Zeit, in der auch weiße Angestellte und Arbeiter*innen jene Härten des Arbeitsmarktes und der Ökonomie zu spüren bekamen, die zuvor vor allem Schwarze erfuhren. Seiner Wahrnehmung nach arbeiteten die Demokraten immer noch daran, den Staat zu einem Instrument umzubauen, das auf Mikes Verdrängung zielte, während linksliberale Medienleute ihn als ignoranten, zurückgebliebenen »Redneck« darstellten. In kultureller, demografischer, wirtschaftlicher Hinsicht und nun auch im Bezug auf Umweltschutz fühlte er sich im eigenen Land zunehmend fremd.
Es war ihm herzlich egal, dass Donald Trump den von ihm so herbeigesehnten Abbau des Staates gar nicht umsetzen würde, ebenso dass er die Anti-Abtreibungs- und Anti-Homoehe-Positionen, die ihm selbst so viel bedeuteten, nur halbherzig vertrat, oder dass er noch nicht ein Wort über das Thema der Staatsverschuldung verloren hatte. Nichts davon spielte eine Rolle, da Trump, so glaubte er, vor allen Dingen diese Ausgrenzungsmaschine abstellen und die Ehre von Leuten wie ihm – und auch seine ganz persönliche Ehre – wiederherstellen würde. Mike wusste, dass die Linken den Umweltschutz wesentlich ernster nahmen als die Republikaner, die Tea-Party-Anhänger oder Donald Trump. Und doch war er wie viele seiner älteren weißen Nachbarn ein überzeugter Trump-Wähler. Es war ein Zeichen dafür, wie sehr sein Stolz verletzt worden war und spiegelte das Ausmaß seiner Verbitterung über diese Verletzung wider (vgl. Müller in diesem Heft). Was würde Trump tun, damit sich ein solches Unglück wie in Bayou Corne, mit seinem methangetränkten Schlamm, den verlorenen Wäldern und dem toten Fisch, nicht wiederholt? Auch wenn er uns in Bezug auf viele seiner Vorhaben bisher im Unklaren gelassen hat, eines dürfte sicher sein: Die Umweltschutzbehörde EPA wird er wohl abschaffen.
Dieser Essay ist ein Auszug aus Arlie Hochschilds neuesten Buch »Strangers in Their Own Land: Anger and Mourning on the American Right«, das im September 2016 erschienen ist. Der Essay erschien im Amerikanischen zuerst bei TomDispatch.com. Für die LuXemburg wurde er leicht gekürzt und bearbeitet.
Übersetzt von Jan-Peter Herrmann