Unsere Position war auch die, dass bisher kein anderes Projekt entstanden ist, das die neoliberalen Lehren grundsätzlich in Frage stellt. Der Neoliberalismus hat zwar aufgehört, neue politische Ideen hervorzubringen – wir erleben eine Diskreditierung neoliberaler Politik. Gleichzeitig haben sich aber neoliberalisierte Verhältnisse zwischen Orten und Menschen in das Betriebssystem der kapitalistischen Globalisierung hineingearbeitet. Also, der Neoliberalismus hat keine neuen Ideen zur Bewältigung der Krise, aber das operative System wurde so grundlegend neoliberalisiert, dass eine einzelne Finanzkrise nicht reicht, um das Ganze über den Haufen zu werfen. Viele von uns betrachten den Neoliberalismus vor allem als ein Zerstörungswerk; du hast aber betont, dass er ein Prozess der kreativen Zerstörung ist. Was ist das Kreative am Neoliberalismus? Wenn wir den neoliberalen Urbanismus betrachten – auf den sich ein Großteil unserer Arbeit konzentriert –, dann gibt es eine Reihe staatlicher Strategien, die sehr »produktiv« sind in dem Sinne, dass sie neue oder veränderte Formen von Stadtpolitik entwickeln. Das hat also eine kreative Seite. Wir sehen das an bestimmten Politikfeldern. Es gab zwar in den Vereinigten Staaten ein »end of welfare as we knew it«, einen Abbau sozialer Rechte, aber es gab auch einen Ausbau von Workfare-Maßnahmen und staatlicher Überwachung der Armen. Auf dem Wohnungsmarkt haben wir die Streichung sozialer Wohnungsbaumaßnahmen erlebt, den Ausbau von Voucher-Systemen und marktorientierten oder privatisierten Systemen der Wohnraumversorgung. Der neoliberale Urbanismus und die neoliberale Politik haben nicht einfach nur überkommene Regulationssysteme abgebaut, sie haben auch ein neues System von marktorientierten, marktkonformen Regulations- und Kontrollmechanismen aufgebaut. Und das durchsetzt immer mehr Bereiche des Alltagslebens. Das ist die produktive Seite des Neoliberalismus. Das ist seine innovative Seite, wie Jamie Peck und Adam Tickell sagen, die kreative Seite des Neoliberalismus. Arbeit in der Bau- oder Landschaftsbauindustrie suchen, hat es auf den amerikanischen Arbeitsmärkten grundlegende Veränderungen gegeben, und viele Arbeitnehmerrechtsorganisationen hatten mit ähnlichen Problemen zu tun – politischen Problemen, Problemen mit ausländerfeindlichen Kräften, der Aushöhlung der Arbeitsgesetzgebung und anderen Problemen auf lokaler Ebene. Statt diese ganzen Probleme individuell lösen zu wollen, sollte man sich lieber zusammentun und voneinander lernen, um andere Ideen auszuprobieren und eine breitere Strategie zu entwickeln, die über lokale Besonderheiten hinausgeht, um Politik und Organizing auf eine breitere Basis zu stellen. Es gibt Situationen, da muss man sich zusammentun und beispielsweise auf Bundesebene für oder gegen eine bestimmte Einwanderungspolitik kämpfen oder den Aufsichtsbehörden Druck machen, damit sie gegen Arbeitgeber vorgehen, die Lohnraub betreiben. Es gibt Situationen, da müssen sich Arbeiter und Führer anderer Organisationen zusammentun, um sich gegenseitig zu unterstützen. In Arizona zum Beispiel, wo es eine drakonische Ausländerpolitik gibt, hat das National Day Laborer Organizing Network (NDLON), die Gewerkschaft der Tagelöhner, jetzt seinen Bundesverband mobilisiert, um zusammen mit anderen Verbänden wie Right to the City (RTTC)vor Ort Organizing zu betreiben. Das signalisiert die Botschaft: »Euer Kampf ist unser Kampf« und zeigt den Politikern in diesem Bundesstaat, dass man ihnen auf die Finger sieht und sie für ihre Maßnahmen und Entscheidungen zur Rechenschaft zieht. Wenn es nötig wird, die Kämpfe auszuweiten, über die lokale Ebene hinaus, können diese nationalen Organisationen je nach den anstehenden Aufgaben für eine Mobilisierung sorgen. Es gibt Bruchstellen und Möglichkeiten, ob man sie nun ergreift oder nicht. Sie sind überall. Ich glaube, man braucht eine politische Analyse, die in Basisinitiativen und Basisorganisationen verankert ist und dadurch diese Basis mobilisieren kann. Das bedeutet für Organisationen, eine gemeinsame Analyse zu entwickeln, damit wir die Bruchstellen für progressive soziale Veränderungen identifizieren und nutzen können. Ich glaube, dass die Finanzkrise von 2008 politisch für die Linke eine verpasste Gelegenheit war – eine verpasste Gelegenheit für fortschrittliche Kräfte. Ich glaube, dass die Linke diese Chance nicht in der notwendigen Form ergriffen hat. Es gab die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen zu verändern und aus der Zwangsjacke neoliberaler Reformpolitik herauszukommen, aber ich fürchte, dass wir uns statt dessen mit weiteren Sparmaßnahmen und Weiter-so-Politik herumschlagen müssen. Die Rechte hat angesichts der Katastrophe schneller mobilisiert als die Linke. Anscheinend ist keine Katastrophe zu groß, um nicht von der Rechten vereinnahmt zu werden, damit sie darauf ihr Süppchen kocht. Im Falle Katrina haben die Konservativen den Moment genutzt, um Privatisierungsmaß- nahmen durchzudrücken und zu versuchen, die gesetzlichen Lohnniveaus für staatlich subventionierte Revitalisierungsmaßnahmen aufzuweichen; nach den Anschlägen des 11. September wollten sie die gewerkschaftliche Organisierung des Flughafensicherheitspersonals verbieten, und heute nutzen sie in Wisconsin und anderswo die Haushaltslöcher, um dem öffentlichen Dienst das Recht zu Tarifverhandlungen streitig zu machen. Vielleicht ist es eine noble Zurückhaltung, wenn sich die Linke nicht auf jede persönliche oder allgemeine Notlage stürzt, um mit einem politischen Programm aufzuwarten. Wir müssen aber begreifen, dass Krisen Bruchpunkte sind, Zeiten der Abrechnung, Punkte der Entscheidung. Wir müssen die Analyse parat haben, und die Mobilisierung muss stehen, damit wir die Debatte zugunsten der Städte, in denen wir leben, langfristig verändern können. Warum legen viele dieser Organisationen wie RTTC und NDLON in ihren Reihen so großen Wert nicht nur auf politische Bildung, sondern auch auf Forschung? Wie entwickeln sie in ihren Organisationen Forschungsprogramme, und wie verwenden sie wissenschaftliche Ergebnisse? Und wie siehst du deine Rolle als politisch aktiver Wissenschaftler, der mit diesen Gruppen zusammenarbeitet? Für viele dieser Organisationen ist populare Bildung von zentraler Bedeutung. Sie legen Wert auf die Entwicklung von leadership, Führungskompetenz, und auf den Abbau traditioneller Hierarchien von Schülern und Lehrern, Mitgliedern und Funktionären und so weiter. Wenn man sich die Elemente von politischer Bildung ansieht, auf die sie sich beziehen, wird deutlich, dass sie Bildung als einen Prozess gesellschaftlicher Veränderung betrachten. Politische Bildung ist verbunden mit Führungstraining und Consciousness-raising. Sie bringt tiefere strukturelle Probleme ans Licht, die das Leben der Mitglieder und ihrer Gemeinschaften betreffen. Die Tagelöhner z.B. lernen und bringen ihr Wissen ein über transnationale Migrationsregime, sie entwickeln daraus Methoden, die »Globalisierung an der Straßenecke zu bekämpfen«, wie sie es ausdrücken. Die Projekte politisieren auch Aspekte des städtischen Lebens, die oft als selbstverständlich hingestellt werden, zum Beispiel die Vorstellung, dass man die Armen umsiedeln sollte, um Platz für »Entwicklung« zu schaffen, oder dass Arbeitsmigranten keine angemessene Bezahlung oder keine anständige Behandlung am Arbeitsplatz erwarten können. Zu begreifen, dass Ungleichheit produziert wird, dass Armut produziert wird, bedeutet also, dass diese Bereiche Kampfplätze sein können, dass Stadtentwicklungsprogramme und Arbeitsmarktpraktiken wichtige Felder sein können für transformative, gesellschaftsverändernde Projekte. Es gibt da ein Gefühl des Zusammenkommens als Gemeinschaft – nicht durch eine führende Avantgarde, die ihre Anhänger hat, sondern als Organisation von Menschen, die in einem Lernprozess zusammenkommen, indem sie strategisch durchdachte soziale Veränderungen reflektieren und voranbringen. Ich glaube, das zieht sich durch die Tagelohnarbeiter-Zentren, das zieht sich durch die rttc-Organisationen und durch viele »neue« städtische soziale Bewegungen, die sich in den Vereinigten Staaten entwickeln. Das verbindet sich gut mit dem Centre for Urban Economic Development, das ich leite, weil ich denke, dass es zu unseren Aufgaben gehört, den Forschungsprozess zu demokratisieren. Jede Organisation ist ein ständiger Planungs- und Forschungsprozess. Wir sollten also Wissenschaft nicht als etwas betrachten, was »da drüben« im Elfenbeinturm stattfindet, wir sollten sie als etwas begreifen, was von diesen Organisationen als politischen Akteuren in städtischen Räumen und Politikfeldern betrieben wird. Wir sollten uns in analytisch und methodologisch strengen Forschungsprojekten engagieren, aber wir sollten es vom Standpunkt der Community und dieser Organisationen tun – vom Standpunkt der Forschungsfragen, die sie für wichtig halten. Wir sollten die Seiten wechseln und diese Orte nicht als ein städtisches Experimentierfeld betrachten, auf dem Versuche zu bestimmten Forschungsfragen angestellt werden, sondern als Orte politischer Denkprozesse und Analysen. Es geht darum, den Forschungsprozess zu entmystifizieren. Ihn zu entmystifizieren und zu sagen: »Ihr als Organizer, ihr als Einwohner oder Niedriglohnarbeiter, ihr könnt Wissenschaftler und Forscher sein.« Ich glaube, das funktioniert sehr gut mit einem Ethos der Weiterbildung, mit der Einstellung: Wir wollen lernen und in der Arbeit gesellschaftlicher Umgestaltung Elemente der städtischen Verhältnisse ans Licht bringen. Wir werden in die Produktion von Wissen mit einbezogen. Manche dieser Organisationen gingen noch einen Schritt weiter und haben gesagt: »Wir wollen unser Thema ›besetzen‹.« Und wer wüsste über Prekarität auf dem Arbeitsmarkt mehr zu berichten als ein moderner Tagelöhner? Was will man einer illegalen Einwandererin groß über die Folgen der Einwanderungspolitik erzählen? Soll man einer Hausangestellten erklären, was es heißt, Hausangestellte zu sein? Sie wissen mehr als jeder andere über diese Erfahrungen zu sagen. Ihr Wissen wird aber systematisch und tiefgreifend ignoriert, unterbewertet und abgetan. Wir müssen mithelfen, dass diese Organisationen eine Stellung erlangen, die ihr Wissen zur Geltung bringt. Natürlich nicht unkritisch. Nicht so, dass man ihnen nichts abverlangt. Sie müssen auch gefordert werden. Wir müssen aber auf beiden Seiten für gleiche Bedingungen sorgen, wenn sich beide – die Wissenschaft und die Gemeinschaft – gegenseitig herausfordern sollen, damit wir die bestmögliche Analyse bekommen. Das ist für mich ein Element der Demokratisierung der Forschung, der Demokratisierung und Respektierung des Wissens, das aus der Lebenserfahrung stammt und von unten kommt. Ein kurzes Beispiel: Es gibt in den Vereinigten Staaten eine wachsende Lohnraubtendenz, und es gab eine zunehmende organisatorische, politische und wissenschaftliche Aktivität zum Thema der Lohnvorenthaltung durch skrupellose Arbeitgeber. In Los Angeles wurden diese Anstrengungen auf kommunaler Ebene durch eine Koalition von Tagelöhnern, Autowäschern, Hauswarten, Taxifahrern und anderen Gruppen betrieben. Politiker und Volksvertreter haben für strengere Gesetze und Kontrollen gesorgt, aber die Arbeiter sind verschiedenen Sanktionsmaßnahmen ausgesetzt, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen. Ein Ausschuss von Arbeiterführern aus all diesen Beschäftigungsformen ist direkt an der Abfassung von gesetzlichen Bestimmungen beteiligt, die konkrete Formen auf den Tisch bringen, in denen Arbeitgeber Gesetze umgehen oder gegen Arbeiter Sanktionen verhängen. Das sind manchmal ganz billige, hinterhältige Methoden. In der Autowaschindustrie, wo die Arbeiter durch die clean-Kampagne organisiert werden, sind die Arbeitgeber zum Beispiel gesetzlich verpflichtet, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen vorzulesen, um für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit zu sorgen. Das Gesetz legt aber nicht fest, wann sie diese Bestimmungen vorlesen müssen. Manche Waschanlagenbetreiber fingen also an, sie vor und nach den Öffnungszeiten zu verlesen und dadurch das Gesetz ad absurdum zu führen. Die in dem Ausschuss sitzenden Arbeiter können aufgrund ihrer Erfahrungen und Kenntnisse betrieblicher Praktiken dafür sorgen, dass ihre Einblicke in neuen Gesetzen zum Tragen kommen. Sie können diese Gesetze dadurch erheblich verbessern, indem sie vorhersehen, mit welchen Methoden skrupellose Arbeitgeber das Arbeitsrecht umgehen könnten. Du hast davon gesprochen, dass Bewegungsstrategien und Widerstandsgeschichten oft Staatsgrenzen überschreiten und von anderen Organisationen aufgegriffen werden. Wie waren diese transnationalen Beziehungen politisch von Nutzen? Eine der spannendsten Entwicklungen – und ich sehe darin eine Tendenz, die in den nächsten Jahren ungeheuer fruchtbar sein wird –, ist die Art und Weise, wie Migranten ihre eigene Kenntnis und Sprache sozialer Kämpfe und ihre eigenen Formen der Auseinandersetzung in die USA bringen. Wenn sie sich sozialen Bewegungen anschließen, können sie diese Ideen in amerikanische Organisationszusammenhänge einbringen. Dabei wird nicht einfach etwas fix und fertig aus einem anderen Land importiert. Diese Ideen müssen verarbeitet und angepasst werden. Wenn man sich aber die verschiedenen Weiterbildungsmethoden anguckt, sieht man, dass es mobile Techniken sind, die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen und Örtlichkeiten flexibel anwenden lassen, wenn sie in den Händen geschickter Organisationsleiter sind. Einige der Hauptideen beispielsweise zu den Methoden zum Verständnis prekärer Arbeit, zu unterschiedlichen Organisationsmethoden oder dazu, wie sich Bildung selbst als Faktor gesellschaftlicher Veränderung einsetzen lässt, beruhten auf eigenen organisatorischen Ideen und Analysen von Arbeitsmigranten. Natürlich waren manche dieser Ideen auch in den usa schon vorhanden, und ich habe mit vielen politischen Bildnern gesprochen, die jetzt in den Vereinigten Staaten leben und beeindruckt waren, dass sie teilweise dieselben Entwicklungen in der Bürgerrechtsbewegung wiederfanden, in Form der Freedom Schools, des Highlander Center und beim demokratischen Organizing. Diese Entwicklungen hat es also in den Vereinigten Staaten gegeben, es hat sie in Teilen Asiens gegeben und in Teilen Afrikas. Was wir erleben, ist diese produktive Vermischung unterschiedlicher Traditionen und ein wirklich interkulturelles, nationenübergreifendes Lernen in Bezug auf Organisationsstrategien. Wenn man sich in den usa einige der lebendigsten Organisationsaktivitäten ansieht, innerhalb wie außerhalb der Arbeiterbewegung, dann sind daran zum großen Teil wieder Arbeitsmigranten beteiligt, die unterschiedliche Kampf- und Organisationsformen auf die Realitäten anwenden, mit denen sie in den USA konfrontiert sind. Ich glaube, dass die TagelohnarbeiterZentren eine regelrechte Brutstätte solcher Ideen waren. Sie haben Organizer angezogen, die einen intensiven Hintergrund sozialer Kämpfe in ihren Herkunftsländern mitbrachten. Im Tagelohnbereich haben wir es mit Menschen zu tun, die aus El Salvador kommen, aus Mexiko, Ecuador, Korea oder aus anderen Ländern, Menschen, die ihre Ideen in eine produktive Auseinandersetzung einbringen, um sich gegenseitig herauszufordern – aber alle mit dem gleichen Ziel, die Organizing-Initiativen voranzutreiben. Das ist sehr faszinierend. Wie konnten Organizer im Tagelohnbereich diese unterschiedlichen Traditionen zusammenbringen, bei dem brutalen Konkurrenzkampf an der Straßenecke oder am Anwerbeplatz? Das läuft auf unterschiedlichen Ebenen ab, aber im Kern – vom Standpunkt des Organizings – gibt es da eine Offenheit, eine Einstellung, offen zu sein für neue Ideen, sich herausfordern zu lassen, seine Gewohnheiten und Normen von neuen Ideen in Frage stellen zu lassen. Das scheint mir ein wichtiger Bestandteil des Tagelöhner-Organizing zu sein. Aber wie kann man das vor Ort umsetzen? Tagelohnarbeiter sind mit ganz bestimmten Problemen konfrontiert, auf die sie sich einstellen mussten. Sie mussten herausfinden, wie man mit den Barrieren umgeht, die in diesen Arbeitsmarktsegmenten vorhanden sind. Man ist als Tagelöhner in einer Situation, wo es keine soziale Unterstützung gibt – oder nur ganz wenig –, man steht an der Ecke und konkurriert um ein begrenztes Angebot von Jobmöglichkeiten. Es sind einfach die wirtschaftlichen Alltagsrealitäten in einem solchen Beschäftigungsverhältnis, die zwischen den Einzelnen ganz reale Barrieren errichten. Ohne solidarisches Handeln geraten sie aber in eine Abwärtsspirale, was Löhne und Arbeitsbedingungen betrifft. Während sie also Kopf an Kopf um Jobs konkurrieren, müssen sie gleichzeitig einen Weg finden, zu kooperieren, um die arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu verteidigen. Irgendwie müssen sie gemeinsam Mindestlöhne festsetzen, gemeinsam skrupellose Arbeitgeber boykottieren, gemeinsam für ihre Rechte kämpfen. An der Straßenecke stehen aber Menschen aller möglichen Nationalitäten, aus unterschiedlichen Ländern in Mittel- und Nordamerika, Asien und Afrika – wie soll man also die nationalistischen Barrieren überwinden, die solche Arbeiter voneinander trennen? Es gibt auf der einen Seite die ökonomischen Barrieren – entweder du kriegst den Job oder ich –, und dann die nationalen Barrieren, die uns oft sowieso voneinander trennen. Wie kann man, mit anderen Worten, an der Straßenecke internationale Solidarität herstellen? Die Organizer erkennen, dass sie diese Spaltung überbrücken müssen. Sie müssen am Anfang Solidarität aufbauen, damit es am Ende möglich ist, die Gewalt von Tagelohnarbeitsverhältnissen zu verändern oder zu bekämpfen. o werden oft Dinge des Alltagslebens wie Sport, Theater, Spiel oder Spaß – Dinge nicht aus der Arbeitswelt, sondern aus der Lebenswelt – zum Erlernen und zum Aufbau von Gemeinschaftsbewusstsein benutzt. Fußball beispielsweise wird von Land zu Land ganz unterschiedlich gespielt, aber wenn man elf Tagelöhner zusammen in eine Mannschaft steckt, die gegen eine andere spielt, dann gibt es da Arbeiter aus Guatemala, Honduras, El Salvador oder Mexiko, die ihre stilistischen Unterschiede auf dem Spielfeld entwickeln müssen. Wenn sie diese Unterschiede herausarbeiten, können sie erkennen, dass sie zusammenarbeiten können. Wenn sich diese Zusammenarbeit durch andere solidarische Aktivitäten verstärkt, hat dies zu überraschenden Organisationserfolgen auf informellen Einstellungsplätzen geführt. Es gibt viele Beispiele, wo Organizer Aktivitäten außerhalb des Arbeitsplatzes zur Förderung von Solidarität benutzt haben. Das hilft einige der zwischenmenschlichen Barrieren abzubauen. Diese und andere Techniken sollen Räume eröffnen, um ins Gespräch zu kommen, sich zu organisieren. Durch die Adaptierung von Methoden aus der Lebenswelt können sie Räume aufbrechen zum wechselseitigen Verständnis und zur Förderung von Arbeitersolidarität. Das Interview wurde von David Hugill und Peter Brogan geführt. Aus dem Amerikanischen von Thomas Laugstien  

Anmerkungen

1 »Right to the City« (RTTC) kämpft seit 2007 gegen Gentrifizierung und Vertreibung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen aus den amerikanischen Innenstädten. Vgl. Luxemburg 4/2010.