Wäre es so schlimm, wenn die AfD zukünftig (mit)regiert? Wird sie sich dadurch nicht selbst entzaubern? Die »hohle Hoffnung, dass es so schlimm nicht kommen wird« (Becker 2025), ist trügerisch. Der Versuch, die radikale Rechte einzuhegen, indem ihre Positionen etwa durch einen radikalisierten Konservatismus übernommen werden, und sie in Regierungsbeteiligungen zu entzaubern, hat nirgends funktioniert (vgl. Candeias 2025c). Das Ergebnis ist stets: a) Die radikale Rechte wird stärker und verdrängt die Konservativen; und/oder b) Die Konservativen werden selbst von innen zersetzt und übernommen, werden selbst zu Parteien der Faschisierung (wie die Republikaner unter Trump).
Was wäre von einer Regierungsbeteiligung der AfD zusammen mit einer radikalisierten Union zu erwarten, eventuell schon nächstes Jahr in Sachsen-Anhalt (vgl. Taschke in diesem Heft)? Die Partei würde zunächst Zugang zu Regierungsämtern und Verwaltungsapparaten erhalten und Hunderte von »autoritären Persönlichkeiten« (Adorno) in Positionen bringen. Es geht dabei um Minister*innenämter, etwa für Inneres oder Bildung, sowie Richter*innenposten bis hin zu Polizei- und Gleichstellungsbeauftragten. Missliebige Personen könnten ihres Amtes enthoben oder in Misskredit gebracht werden. Sicher wäre die Einstellung der Förderungen zivilgesellschaftlicher, antifaschistischer und linker Projekte und Strukturen oder (nicht-repressiver) Integrationshilfen für Geflüchtete sowie die Kriminalisierung des Protests gegen rechts. Mit der Schwächung bzw. Vernichtung solcher Strukturen dürfte sich die rechte Hegemonie in Teilen dieser Bundesländer weiter verankern. Vermutlich würde versucht werden, Einfluss auf die Universitäten und Hochschulen zu nehmen, in der Besetzungspolitik oder bei der Einschränkung der Spielräume linker Hochschulgruppen. Demgegenüber könnten radikal rechte Thinktanks in den Genuss einer staatlichen Förderung gelangen, generell rechte Netzwerke in Polizei, Justiz, Verwaltung und Zivilgesellschaft massiv gestärkt werden. Die AfD würde sich an einem weitgehenden Umbau des Staates versuchen, der auch nach einer möglichen späteren Abwahl Bestand hätte (vgl. Semsrott 2024). In den USA versucht Donald Trump dieses Ziel mit Verve umzusetzen – destruktiv, disruptiv, gegen geltendes Recht und mit Gewalt gegen die »inneren Feinde«.
Es wäre eine »Illusion« (Dahme/Ritter 2025), darauf zu setzen, dass dies ja noch kein Faschismus ist und »wir« das schon überstehen. Viele werden ganz direkt davon betroffen sein, sind es teilweise schon heute (Friedrich 2025). Die Angst vor der Abweichung von den eigenen, reinen Positionen sollte die Analyse nicht (unbewusst) anleiten. Es gibt gute Gründe, eine breite antifaschistische Allianz oder Volksfront nicht anzustreben – das Kleinreden der Gefahr einer Faschisierung an der Macht ist keiner.
Drei Debattenstränge
Ganz grob lassen sich drei Debattenstränge um die richtige Strategie der gesellschaftlichen und parteiförmigen Linken fassen: a) eine Position, die aufgrund der Verstrickungen von SPD und Grünen in einem »progressiven Neoliberalismus« und einer zunehmenden Militarisierung auf eine Linke als »dritten Pol« sowohl gegen diese als auch gegen radikalisierte Konservative sowie AfD fokussiert. Einige sehen eine »populistische Situation« (Solty 2025; Michal 2025), die es der Partei Die Linke erlaubt, innerhalb der Polarisierung der politischen Debatte deutliche Terraingewinne zu erzielen. Die letzten Bundestagswahlen verleihen dieser Position eine gewisse Evidenz. b) Eine zweite Position sieht in der Schwäche einer progressiven Machtperspektive das größte Problem. Gegen Faschisierung und Spätneoliberalismus hilft neben breiten Bündnissen gegen rechts letztlich nur eine Regierungsperspektive spätestens 2029, also ein erneuertes rot-rot-grünes Projekt, in dem sich alle Beteiligten aufeinander zubewegen müssen, um tatsächlich wichtige Projekte einer antifaschistischen Politik durch- und umzusetzen (exemplarisch dafür Schlemermeyer 2025). c) Eine dritte Position sieht die Strategie des »dritten Pols« als Voraussetzung für weitere Schritte. Aber die Partei Die Linke ist auch bei Erfolgen zu schwach, um allein gegen eine Dynamik der Faschisierung zu bestehen. Sie plädiert für eine Erweiterung der Strategie durch eine »gesellschaftliche Volksfront von unten« (Candeias 2024; Balibar 2025) bzw. eine neue Allianz eines »sozialen Antifaschismus« (Becker 2025). Diese Position soll hier begründet und ihre Bedingungen und Schwierigkeiten benannt, aber auch vorschnelle Vorurteile entkräftet werden.
Option »gesellschaftliche Volksfront von unten« heute
(1) Muss es Volksfront heißen? Um nicht um den Begriff zu streiten – schon weil der Volksbegriff von den Nazis offenbar auf ewig besetzt scheint: In der Sache braucht es eine neue Allianz eines sozialen Antifaschismus. Eine Allianz, die den sichtbaren Widerstand gegen Faschisierung und spätneoliberale Härte organisiert, eine solidarische und demokratische Lebensweise verteidigt und ein überzeugendes Projekt mit gemeinsamem Programm für die Zukunft formuliert. Es muss dabei über die bisherigen Reformversuche hinaus um die Ursachen der multiplen Krisen und der Faschisierung gehen – und in diesem Sinne radikal sein. Radikal auch in der Wahl der Mittel, von einer Kampagne für ein Verbot der AfD (Engeler/Dück 2024) bis hin zur »Idee antifaschistischer Massenstreiks«[1] in Betrieben, Schulen, Hochschulen und Verwaltungen (Dahme/Ritter 2025), einem Aufstand der Anständigen (Demirović) – gewissermaßen eine »offensive Defensivstrategie« (Becker 2025). Und es muss zu unmittelbaren Verbesserungen für die Menschen führen und die Perspektive einer lebenswerten Zukunft für alle eröffnen.
(2) Geht es beim sozialen Antifaschismus nur um sozial-ökonomische Fragen? In Anlehnung an Stuart Hall ist nicht die Frage, ob soziale und ökonomische Probleme für rassistische und sexistische Spaltungen sowie Klassenhass relevant sind, sondern wie diese Elemente verknüpft sind (Candeias 2018, 35). Natürlich geht es auch darum, die »sozialen Stressfaktoren, die die Toleranzreserven zum Schwinden bringen und den Rechten den Weg bereiten«, abzubauen (Goes 2024). Das heißt Wiederherstellung und Ausbau einer resilienten sozialen Infrastruktur, konsequenter sozial-ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sowie Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Letzteres ist der Lackmustest (Candeias 2024, 35) eines entschiedenen Gegenprojekts, das die »Mutter aller Probleme« (Goes) angeht: die skandalöse Ungleichverteilung von Reichtum und damit von Macht. Unumgänglich ist dabei eine Position gegen die Verschwendung von Ressourcen und gegen die Blockade der oben genannten Politiken durch massive Aufrüstung sowie eine kommende Konfrontation mit China (vgl. auch Reemtsma/Krebs/Schwerdtner in diesem Heft).
Eine Verengung auf die soziale Frage, gar auf den Sozialstaat, wäre jedoch unzureichend (vgl. Demirović in diesem Heft). Ebenso unverzichtbar ist die Verteidigung und Weiterentwicklung sozialer Rechte, der von diversen Emanzipationsbewegungen erzielten Fortschritte sowie jener einer postmigrantischen Einwanderungsgesellschaft – gegen Rassismus und vielfältige Diskriminierungs- und Abwertungspolitiken. Dem Kulturkampf von rechts, der an diesen Themen seine denunziatorischen Taktiken ansetzt, kann nicht ausgewichen werden. Es geht um konkrete ethisch-politische Fragen einer solidarischen und demokratischen Lebensweise, einer »Politik des Kulturellen« (Gramsci; vgl. Peters in diesem Heft). Die gezielte Gegenposition der Partei Die Linke zu immer schärferer Antimigrationspolitik der Union mithilfe von Stimmen der AfD vor den Bundestagswahlen zeigt, wie sinnvoll das »[T]anzen auf den Triggerpunkten« (Wolf 2025) sein kann, statt sie nur schamvoll zu beschweigen. Gegen die ständige Polarisierung vonseiten der radikalen Rechten gilt es eine »eigenständige Gegenpolarisierung« (Becker 2025) zu bewerkstelligen. Kerstin Wolter (2025) spricht gar von »linken Polarisierungsunternehmer*innen«, die Themen nicht aus dem Weg gehen, sondern sie klassenorientiert zuspitzen.
Dies sind Elemente eines verbindenden und klassenorientierten Mitte-unten-Bündnisses, das seine vielfältigen Interessen unter dem Banner eines sozialen Antifaschismus zur Erweiterung einer sozialen und ökologischen Demokratie verknüpft – und ihnen eine Struktur der Organisierung gibt. Von der antifaschistischen Haltung zu einem gesellschaftlichen popular-demokratischen Zukunftsprojekt also, das auch in wichtigen Teilen der Klasse der Lohnabhängigen verankert ist.
Heute kann jedoch nicht ungebrochen auf die Arbeiter*innenbewegung rekurriert werden. Sie ist gespalten, in Teilen verbürgerlicht bzw. im Kampf um Statuserhalt nach rechts gewendet. Gewerkschaften sind noch stark einer tripartistischen Orientierung der Sozialpartnerschaft und der Machtteilhabe über die SPD an der Regierung verschrieben und stark unter Druck. Die Klasse für sich ist – von spezifischen Teilen abgesehen – eher demobilisiert. Es geht also um eine plurale, aber geeinte gesellschaftliche und gewerkschaftliche Linke, die als aktiver, ausstrahlungsfähiger Kern breiter Allianzen wirkt, über verbindende Klassenpolitiken größere Teile der Arbeiter*innen remobilisiert und organisiert und auch für Demokrat*innen aus dem bürgerlichen Spektrum anziehend oder zumindest nicht abstoßend wirkt – und diese bewegt, nicht nach rechts zu kippen bzw. selbst aktiv gegen den Faschismus zu werden und eine wirkliche Alternative anzustreben (vgl. auch Zetkin 1923, 723).
Linksverschiebung oder Anpassung an den Liberalismus?
(3) Muss man sich an die liberalen Kräfte anpassen, um eine Volksfront zu bilden? Und reicht eine Volksfront bis zur Union? Nein, ihr wesentliches Charakteristikum, die Notwendigkeit nämlich, mit bürgerlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, muss vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse spezifiziert werden. »Ein ›Bündnis aller Demokraten‹ in Form einer Allparteienkoalition, die den neoliberalen Status quo« nur verwaltet oder beschweigt, ist »eine Sackgasse« (Becker 2025).
Doch schon in den historischen Volksfronten, etwa in Frankreich ab 1934, ging es nicht um Anpassung als vielmehr um eine Linksverschiebung des politischen Feldes (vgl. Braskén in diesem Heft; Candeias 2025d). Zwar musste damals auf (unrealistische) revolutionäre Forderungen verzichtet werden, im Zentrum standen jedoch eine Ausweitung von Sozial- und Arbeitsrechten, eine Erweiterung der bürgerlichen Demokratie sowie klassisch sozialistische Forderungen nach Vergesellschaftung/Verstaatlichung. Getrieben von Generalstreiks gegen einen drohenden faschistischen Putsch und einer anschließenden Welle von Streiks und Fabrikbesetzungen wuchs der Druck der »Einheitsfront von unten« zur Bildung einer Volksfrontregierung bei den Wahlen 1936.
Die ersten Wochen der Regierungsära des Front populaire brachten Reformen Schlag auf Schlag, 133 Gesetze wurden in 73 Tagen verabschiedet (Gross 1962). Die Streikwelle war es, die auch den Widerstand einiger rechter Kräfte und Unternehmensverbände gegen die Regierung schwächte und zum Durchbruch wesentlicher Reformen führte. So hatte das Wahlprogramm eine »Verkürzung der Arbeitswoche ohne Lohnverlust« gefordert – nach einem Streik wurde daraus das Gesetz zur 40-Stunden-Woche. Neu war auch die Einführung eines bezahlten Urlaubs (Schmid 2006). Es folgten kräftige Lohnerhöhungen, die gesetzliche Einführung von Mindestlöhnen und Tarifverträgen, die Anerkennung von Gewerkschaften, das Streikrecht; außerdem eine gesetzliche Abnahmegarantie für Getreide zu festen Preisen, um die prekäre Lage der Bäuer*innen zu verbessern. Darüber hinaus wurden die Rüstungswirtschaft, die Nationalbank sowie die Eisenbahnen verstaatlicht. Es folgte die Freilassung Tausender politischer Gefangener in den Kolonien. Ferner wurden mit den rechtsradikalen »Bünden« (ligues) die bestehenden Ansätze faschistischer Massenorganisationen verboten und aufgelöst. Und nicht zuletzt wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. – Trotz des Einmarsches der Nazis und des Scheiterns der Volksfront war diese Erfahrung doch auch Grundlage dafür, dass die Résistance und später die PCF (Parti communiste français) zu einer Massenbewegung werden konnte. Die Grundlage war gewissermaßen die gesellschaftliche Bewegung eines sozialen Antifaschismus.
Freilich können Volksfronten in der Geschichte immer nur einen zeitlich begrenzten Charakter haben: Die unter kapitalistischen Bedingungen herrschenden inneren Widersprüche und reorganisierte starke Gegenkräfte treiben die Volksfront ab einem bestimmten Punkt wieder auseinander.[2] Es sei denn, die zugrunde liegende Linksverschiebung wird im Sinne einer gesellschaftlichen Mobilisierung konsequent in Richtung eines sozialistischen Projekts vorangetrieben und Institutionen werden in dieser Weise umgebaut und abgesichert.
Was bedeutet das heute? In einem Bündnis auch mit bürgerlichen Kräften geht es keineswegs um eine Allianz mit der Union (oder gar mit demokratischen Kapitalfraktionen). Es geht um eine Allianz mit allen progressiven Kräften, darunter eine Vielzahl linksbürgerlicher Bewegungen und zivilgesellschaftlicher Verbände, die teilweise stark verbürgerlichten Gewerkschaften, Teile des Grünen-Wähler*innenpotenzials (evtl. auch der linke Flügel oder Einzelpersonen der Grünen) und natürlich auch Teile des SPD-Wähler*innenpotenzials (oder linken SPDler*innen), also Kräften, die für eine Zusammenarbeit mit dezidiert linken Kräften und der Partei Die Linke offen sind, sie aber weder wählen noch Mitglied werden würden. Sie alle bringen spezifische Mobilisierungspotenziale mit, die Die Linke allein nicht in Bewegung setzen könnte.
Die notwendige inhaltliche Linksverschiebung in solch einem Projekt begrenzt die Breite des angestrebten Bündnisses. Kann eine so gruppierte gesellschaftliche Linke jedoch wirksam Druck entfalten, können sich die Grenzen verschieben, und eben angesichts der Gefahr fortschreitender Faschisierung weitere Kräfte, nicht zuletzt unentschiedene und widersprüchlich agierende Partner (SPD, Grüne) nach links ziehen oder zumindest dazu bewegen, das Projekt nicht zu bekämpfen. Das gilt umso mehr, wenn es gelingt, Die Linke zur stärksten Kraft links der Union, gar zur hegemonialen Kraft eines progressiven Blocks (Goes 2024) zu machen.
(4) Geht es um eine Regierung? Nein, für den zwischenzeitlichen Erfolg der Nouveau Front Populaire (NFP) in Frankreich waren jahrelange breite Mobilisierungen der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften grundlegend. Auch in der Bundesrepublik muss dies der Ausgangspunkt sein – keine Parteienkoalition als Neuauflage von R2G (rot-rot-grün), kein »Kartell« der Parteien, wie Balibar es nennt (vgl. auch Zelik 2025). Zu heterogen, zu gegensätzlich sind viele Positionen (etwa zur Ukraine oder zu Palästina); zu sehr sind etwa sozialdemokratische, grüne, linksliberale Kräfte in das Scheitern der grün-kapitalistischen Modernisierung und des progressiven Neoliberalismus verstrickt. Zu lange auch hat die Linke Vertrauen verspielt durch widersprüchliche Kommunikation, zu lange hielt sie an den selbsternannten »Linkskonservativen« um Sahra Wagenknecht und deren fragwürdigen Positionen zu Frieden, gegen Emanzipation und Ökologie, für eine rückwärtsgewandte Politik fest. Die Grünen haben bisher keine Konsequenzen aus dem Scheitern der Ampel gezogen, die SPD rückt in einer Koalition mit Friedrich Merz (CDU) weiter nach rechts und muss um ihr soziales wie demokratisches Profil bangen. Nein, in dieser Gegenwart liegt keine Zukunft. Es geht zunächst um eine gesellschaftliche Mobilisierung, um das politische Feld in Bewegung zu bringen.
Viele Volksfronten
(5) Wo anfangen? Entscheidend ist, die ganz unterschiedlichen Bedingungen und Konstellationen der verschiedenen Ebenen auseinanderzuhalten. Auf lokaler Ebene sind »kleine Volksfronten« gegen rechts schon seit Jahrzehnten normal. Insbesondere im Osten besteht auch keine andere Möglichkeit, als dass linke und antifaschistische Kräfte mit der lokalen Pastorin, einer stabilen CDU-Landrätin oder einem SPD-Polizeichef zusammenzuarbeiten, um das Vorrücken der AfD abzubremsen und demokratische Räume, Kulturprojekte, Geflüchtetenunterkünfte, linke Jungendclubs etc. zu verteidigen.
Auf Landesebene ist das Feld sehr divers. Auch hier geht es vordringlich um gesellschaftliche Mobilisierungen und eine starke Oppositionsarbeit im Sinne eines sozialen Antifaschismus, die durch aufsuchende Arbeit und einen sozial-ökologischen Populismus gezielt Teile der demobilisierten und verunsicherten Klasse mit geringen und mittleren Einkommen einbezieht, Protagonist*innen aufbaut und nach vorne stellt – gegen Kürzungspolitiken und Faschisierung zugleich. Entsprechende Allianzen sind etwa in Berlin, ausgehend von #unkürzbar, bereits in der Diskussion.
Auf dieser Basis und nur mit dieser Voraussetzung ist mittelfristig auch eine Regierungsoption vorzubereiten. Schon 2026 stehen nicht nur die Wahlen in Sachsen-Anhalt an, die zum Testfeld für eine schwarz-braune, pardon: schwarz-blaue Regierung werden könnten (vgl. Taschke in diesem Heft), sondern auch die Wahlen in Berlin. Dort war Die Linke bei der Bundestagswahl stärkste Kraft. Hier könnte an die Erfahrungen der rot-rot-grünen Regierung angeknüpft werden. Nicht zuletzt in der Mietenpolitik gab es vielversprechende, immer noch unabgegoltene Ansätze. Freilich ist das kein leichtes Unterfangen: Die SPD müsste sich aus der selbst verordneten »linkskonservativen« Ausrichtung unter Franziska Giffey lösen, sich re-sozialdemokratisieren und für eine progressive und rebellische Regierung öffnen. Trotz deutlich angespannterer Haushaltslage müssten Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich zurückgenommen, Ausgaben und Investitionen für resiliente soziale Infrastrukturen und einen ökologischen Umbau der Stadt erhöht werden. Grüne wie SPD müssten neben Signalreformen durch ambitionierte Regulierungen in der Mietenpolitik auch die Vergesellschaftung im Sinne des Volksbegehrens mittragen, durchsetzen und gegen Klagen und öffentliche Angriffe verteidigen. Für Die Linke wäre ein Verzicht darauf ohne nachhaltigen Schaden für die Partei kaum denkbar. Unter solchen Voraussetzungen könnte Berlin zu einem Testfeld für eine größere Perspektive bei künftigen Bundestagswahlen werden – schon um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern.
Für die Bundesebene müssen sich die potenziellen parteipolitischen Träger eines solchen Projekts grundlegend erneuern. Die Linke hat sich (nach der Trennung von Wagenknecht & Co.) mit dem unerwarteten Erfolg bei der Bundestagswahl und einer nahezu Verdopplung ihrer Mitgliederzahlen in eine neue Partei verwandelt. Sie muss nun tragfähige Strukturen aufbauen, programmatische Widersprüche auflösen und Leerstellen füllen. Die Grünen müssen die Fehler ihres Wirkens während der Ampelregierung aufarbeiten, zu einem wirklich linken Programm zurückkehren und in der Opposition Glaubwürdigkeit zurückerlangen. Noch ist davon wenig zu spüren. Cem Özdemir warnt für die kommenden Wahlen in Baden-Württemberg vor einer Linkswendung der Grünen und ruft zur Beendigung aller Umverteilungsdebatten auf.[3]
Noch schwieriger ist es bei der SPD. Der linke Parteiflügel muss sich neu orientieren, ist fast verstummt bzw. wird, wenn er sich wie in der Friedensfrage äußert, hart von der Spitze delegitimiert, fast zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Wie eine Partei in der Regierung mit einem radikalisierten Konservatismus eine Erneuerung der Sozialdemokratie bewerkstelligen soll – dafür fehlt mir bislang die Vorstellungskraft. Die Führungen von Grünen und SPD stehen für Aufrüstung und eine Militarisierung der Außenpolitik. Insofern kann eine mittelfristig notwendige Regierungsoption keineswegs der Ausgangspunkt sein. Es braucht viel eher eine Plattform wie #unteilbar und eine Verstetigung des Protests für eine gesellschaftliche Alternative.
(6) Wie wahrscheinlich ist eine Allianz des sozialen Antifaschismus? Sie ist notwendig, aber nicht wahrscheinlich. Viele Hindernisse sind bereits angesprochen worden, auf Ebene der Parteien, der widersprüchlichen Einbindung und Kooptation von Gewerkschaften in Regierungs- und Konzernpolitiken, der teilweise scharfen Differenzen in außen- und rüstungspolitischen Fragen innerhalb der gesellschaftlichen Linken bzw. im weiteren progressiven Feld, der Unklarheit der Ziele.
Geht es um die Wiederherstellung der Demokratie oder eine (sozialistische) Erweiterung der Demokratie? An anderer Stelle (Candeias 2025a, 195) habe ich argumentiert, wenn der Zustand der immer schon halbierten[4] liberalen (Post-)Demokratie mit ursächlich für die Faschisierung ist, dann kann die Gegenmaßnahme nicht darin bestehen, einfach zur Demokratie zurückzukehren, wie sie vorher war. Für einen solchen bürgerlichen »Antifaschismus der Phrase«, der keine wirkliche Auseinandersetzung mit den sozial-ökonomischen Ursachen des Faschismus führen wollte, hat Wolfgang Fritz Haug (1967) den Begriff des »hilflosen Antifaschismus« geprägt.
Das heißt auch, dass die politische Dimension eines neuen Antifaschismus »über das bloße Anti hinaus[gehen]« muss (Haug 1993, 349). Gegen die Faschisierung wirkt kein »Weiter so« mit ein paar Verbesserungen hier und da, sondern einzig ein eigenständiges gesellschaftliches Projekt, das einen klaren Bruch mit dem Bestehenden signalisiert und glaubwürdig vertritt. Die Demokratiefrage ist dabei zentral: Wer entscheidet über die Gestaltung von Zukünften, vom sozial-ökologischen Umbau in der Industrie bis hin zur Organisation öffentlicher sozialer Infrastrukturen, den Einsatz von Arbeitskraft und Naturressourcen, die Verteilung von Reichtum und Eigentum? An diesem Punkt eines Bruchs mit dem Bestehenden sind die progressiven Kräfte noch nicht angekommen. Es fehlt auch an gesellschaftlicher Dynamik, an der Zuspitzung, wie der Trumpismus sie hervorgebracht hat. Die innere Dynamik der Entwicklung treibt aber auch in der Bundesrepublik in Richtung einer vertieften Krise des Exportmodells und der letzten »großen« Koalition in Deutschland. Bis dahin kann und muss Die Linke und die mit ihr assoziierten gesellschaftlichen Bewegungen den Ort eines popularen Zukunftsprojekts besetzen und ausfüllen. Aufgabe ist, diesen Diskurs zu führen, Impulse zu setzen, die Kontaktpolitik mit potenziellen Verbündeten zu intensivieren und zugleich mühsame Organisierung und Verankerung sowie den Machtaufbau der Partei Die Linke voranzutreiben. Auf das bislang fehlende Momentum kann schlecht gewartet werden – es gilt, darauf hinzuarbeiten, vorzubereiten, Bedingungen zu schaffen für ein Momentum.
