Während dieser Text Form annimmt, veröffentlicht ein Autokonzern nach dem nächsten seine Jahresbilanz: Volkswagen konnte 2019 einen Auslieferungsrekord erzielen und den Marktanteil in allen Handelsregionen ausbauen. Die Kernmarke des Konzerns brachte – trotz Dieselskandal – klare Gewinne ein. Auch BMW und Daimler konnten im vergangenen Jahr Absatzrekorde verbuchen.
Die vorhergesagte Krise der Automobilindustrie schlug sich 2019 also noch nicht in den Büchern der großen deutschen Autokonzerne nieder. Wohl aber wird immer deutlicher, wie die Autoindustrie eine Mobilitätswende weg vom emissions- und ressourcenintensiven Auto hin zu klimafreundlicheren und sozial gerechteren Alternativen blockiert. Dabei stützt sie nicht nur unsere imperiale Mobilitätsweise, sondern weitet diese durch die krasse Exportorientierung noch weiter aus. Die Parteien haben die Trägheit der Autokonzerne, die notwendige Transformation endlich einzuleiten, lange mitgetragen. Von daher ist es überfällig und sehr erfreulich, dass die LINKE wieder verstärkt Diskussionsschritte in Richtung sozialökologischer Mobilitätswende unternimmt. Bernd Riexinger macht in seinem Diskussionspapier deutlich: Die fossile, autoorientierte Mobilitätsweise ist eine Sackgasse. Aber kann eine Mobilitätswende mit dem vorgelegten Konzept eines linken "Green New Deal" (GND) gelingen?
Grundsätzlich gehen die vorgeschlagenen Maßnahmen in eine sehr gute Richtung. Die Ziele zur Minderung des Autoverkehrs sind ambitioniert, so wie es die drängende Klimakrise erfordert. Pull-Maßnahmen vor allem auf Konsumentenebene und Push-Maßnahmen vor allem auf der Produktionsebene zu kombinieren, ist eine sinnvolle Strategie. Zu Recht werden Push-Maßnahmen auf individueller Ebene, wie sie immer wieder vom bürgerlichen Milieu gefordert werden, wie höhere Park- oder Benzingebühren, abgelehnt. Diese sind letztlich immer sozial ungerecht.
Um mehr Menschen zum Autoverzicht zu bewegen, ist es wichtig, klimafreundliche, alternative Fortbewegungsmittel zu fördern und deren Attraktivität zu steigern. Eine Verkehrsinfrastruktur für öffentliche und kollektive Mobilität zu schaffen, die in Sachen Bequemlichkeit, Kosten, Alltagstauglichkeit und Flexibilität mit dem motorisierten Individualverkehr mithalten kann, ist eine der zentralen (und zeitaufwändigsten) Herausforderungen. Dass Alternativen für alle endlich bezahlbar werden, dafür kann kurzfristig schon viel getan werden. Hier sind Vorschläge zur Förderung des ÖPNV und der Bahn, zu öffentlichen Sharing-Angeboten bis hin zu einer enorm wichtigen Infrastruktur der kurzen Wege ein sinnvoller Anfang. Gleichzeitig ist das alles nichts Neues, sondern wird von Umweltgruppen schon seit Jahren gefordert. Wichtig wäre es, auszuformulieren, wie konkrete, zeitgebundene Schritte aussehen können, damit sich endlich etwas tut.
Das Auto vom Thron stoßen
Andererseits ist es zweifelhaft, inwiefern sich durch gute Alternativen die Zahl der Autos in den nächsten zehn Jahren, wie im linken GND angestrebt, um die Hälfte reduzieren lässt. Für viele Autofahrende kann die Haltestelle des Gratisbus vor der Haustür liegen, und er (ja, wahrscheinlich „er“) entscheidet sich trotzdem für den eigenen Pkw. Denn das Auto ist mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Wenn es in dem Vorschlag des linken GND also heißt, die Fahrzeugproduktion müsse am gesellschaftlichen Bedarf orientiert werden, ist das gut gemeint, aber irreführend. Denn Bedürfnisse werden ja aktuell von den Autokonzernen geschaffen. Jedes Jahr bringen sie zig neue Modelle auf dem Markt und wandeln Autos immer mehr zu einem mit Hightech-Elektronik ausgestatteten Spielzeug um. Für viele Nutzer*innen sind Autos Status- und Identifikationssymbol, Haustierersatz oder gar Zuhause, und nicht bloß reines Fortbewegungsmittel. Ohne diese kulturelle Hoheit des Autos zu brechen, werden wir eine demokratische Mobilitätswende nicht schaffen. Zu Recht wird von Riexinger daher die Halbierung der Automobilproduktion bis 2030 vorgeschlagen. Doch wie können wir diese festgefahrenen "mentalen Infrastrukturen", die immer neue Bedürfnisse nach anderer, schnellerer, modernerer Automobilität erzeugen, verändern? Durch Werbeverbote? Durch eine strikte, funktionale Begrenzung der Anzahl und Ausstattung neuer Fahrzeugmodelle? Wie können wir andere Erzählungen von klimafreundlicher und kollektiver Mobilität und kürzeren Wegen wirksam werden lassen? Es braucht dafür auf lokaler Ebene Initiativen, die erfahrbar machen: Der Straßenlärm, die Abgase, die vielen Unfälle, die Individualisierung im eigenen Auto – es könnte auch anders und schöner sein. Solche Initiativen müssen politisch angestoßen, gefördert und abgesichert werden.
Auf der anderen Seite umfasst das Konzept eines linken GND eine Reihe von industriepolitischen Vorschlägen, die weitreichende Maßnahmen mit hoher ökologischer Lenkungswirkung beinhalten. Der Vorschlag, strikte Grenzwerte für direkte und indirekte Emissionen sowie Energie- und Rohstoffverbrauch bei der Produktion und der Nutzung von Autos einzuführen, könnte bedeutende Wirkung entfalten. Die Produktion von fetten Spritfressern würde damit quasi verboten. Denn es gibt kein Recht auf SUV fahren, für niemanden! Mit der Selbstverpflichtung, spätestens 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr neu zuzulassen oder zu exportieren, würde sich Deutschland einem globalen Trend anschließen. Solche staatlichen Eingriffe sind aufgrund der Klimakrise mehr als geboten. Dass E-Autos aufgrund ihres Energie- und Rohstoffbedarfs keine Lösung sind, wenn sie in gleicher Menge wie aktuell die Verbrenner die Straßen fluten, liegt auf der Hand. An Flächenverbrauch und Unfällen ändert ein anderer Antrieb sowieso nichts.
Degrowth und Demokratisierung im Autosektor
Das große Ziel sind daher nicht andere Antriebe, sondern eine Vermeidung von Verkehr und eine Verlagerung weg von individuellen hin zu kollektiven Mobilitätsformen. Wobei wir uns bei all dem darüber im Klaren sein müssen: Die Halbierung der Automobilflotte, die Abschaffung von SUV (der großen Hoffnung der deutschen Automobilindustrie) und weniger neue Automobilmodelle, all das wird dazu führen, dass der Autosektor schrumpft. Und das ist auch gut so. Denn ökonomisches Wachstum lässt sich nicht ausreichend und schnell genug vom Ressourcen- und Energieverbrauch entkoppeln. Auch die viel beschworene CO2-Neutralität ist letztlich ein Märchen. Sie lässt sich nur mit fragwürdigen Risikotechnologien erreichen oder indem wir unsere Emissionen dadurch ausgleichen, dass in anderen Regionen der Welt Einsparungen stattfinden. Eine soziale, möglichst klimafreundliche Mobilitätswende, die eine absolute Senkung von Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch einschließt, ist daher nur in einem Degrowth-Szenario denkbar – wenn wir uns also vom Streben nach ewigem Wirtschaftswachstum verabschieden. Das muss zentraler Bestandteil einer linken Antwort auf die sozialökologischen Herausforderungen sein, für die die Autokonzerne mit ihrem Profitstreben maßgeblich verantwortlich sind. Ob daher der Begriff "Green New Deal", der zumindest im europäischen Kontext vor allem von Befürworter*innen von ökologischer Modernisierung und grünem Wachstum geprägt wurde, die richtige Beschreibung für eine demokratische, ökologische und soziale Mobilitätswende ist, scheint überdenkenswert.
Die zentrale Herausforderung wird sein, den Rückbau des Automobilsektors so zu gestalten, dass er nicht auf Kosten der Beschäftigten geht. Dafür muss jetzt gehandelt werden, um nicht in einen ähnlich fatalen Jobs-vs.-Klima-Konflikt zu schlittern, wie wir ihn beim verzögerten Kohleausstieg beobachten. Die Autokonzerne nehmen mit ihrer „Augen-zu-und-Business-as-usual“-Attitüde jedoch in Kauf, dass die erwarteten Kosten für verschlafene Transformationsprozesse und die Folgen der Überproduktionskrise auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Die anstehenden Umbrüche in der Autoindustrie müssen genutzt werden, um progressive arbeitspolitische Forderungen zu stärken, beispielsweise, wie im linken GND angeschnitten, die Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung. Auch um wirtschaftsdemokratische Entwicklungen zu fördern, ist die Transformation der Autoindustrie wichtig: In diesen Umbrüchen werden demokratische Konversionsprozesse möglich, in denen Beschäftigte demokratisch darüber entscheiden, welche Produktion und welche Arbeit sie sinnvoll finden (vgl. Henriksson 2013). Denn viele Beschäftigte in den Betrieben der Autoindustrie und bei den Zuliefererfirmen sind geübt in der Just-in-time-Produktion von Einzelteilen für hochkomplexe Produkte. Letztlich könnten diese Erfahrungen statt für den Bau von SUV für die Entwicklung und Herstellung von klimafreundlichen Fähren genutzt werden, die Menschen sicher übers Mittelmeer befördern und dabei auch noch das Wasser vom Plastikmüll befreien. Für diese demokratischen Konversionsprozesse braucht es bestimmte arbeitspolitische Rahmenbedingungen. Zusätzlich zu dem vorgeschlagenen Weiterqualifizierungsgeld könnte Beschäftigten beispielsweise ihr Einkommen garantiert werden, wenn sie sich in betriebliche Konversionsprozesse einbringen. Dafür braucht es öffentliche Investitionen. Und diese sollten, so wie im linken GND vorgeschlagen, gekoppelt sein an demokratische Eigentumsformen, durch die Entscheidungsmacht und Profite umverteilt werden. An die Stelle des ewigen Wachstumsstrebens träte damit endlich eine Gemeinwohlorientierung.
Mobilitätswende heißt mehr, als PKW auszubremsen
Abschließend sei herausgestellt: Der Umbau der Autoindustrie ist keine Kleinigkeit. Und doch geht es bei der Mobilitätswende nicht nur ums Auto. Ein enormer Anteil der Emissionen im Transportsektor verdankt sich schließlich dem Güterverkehr und dieser wächst trotz verbesserter Technologien aufgrund des stetig steigenden Warenumschlags. 75 Prozent der Verkehrsleistung im Gütertransport wird durch Lkw auf Straßen erbracht. Die Mobilitätswende muss daher in einen größeren Kontext gestellt werden: Der extrem energieintensive und zugleich unglaublich billige Transport von Waren sowie die weiten Wege der globalisierten Wirtschaft gehören auf den Prüfstand. Auch dabei ist eine Perspektive jenseits ewigen Wirtschaftswachstums unausweichlich, wenn wir der Klimakrise wirkungsvoll begegnen wollen.
Außerdem muss neben ÖPNV und Bahnverkehr die Förderung des Fahrrad- und Fußverkehrs eine zentrale Rolle spielen, beispielsweise durch den Ausbau von sicherer, attraktiver Fahrradinfrastruktur und eine fußgängerzentrierte Stadtentwicklung – und zwar flächendeckend und sozial flankiert, damit die erhöhte Lebensqualität in den autofreien Zonen nicht zu neuen Verdrängungsprozessen führt. Ein weiterer zentraler Punkt einer sozialökologischen Mobilitätswende ist die absolute und gerechte Reduzierung des Flugverkehrs (vgl. Stay Grounded/Kollektiv Periskop 2019). Denn der Flugverkehr ist nicht nur eine extrem emissionsintensive und um sich greifende, sondern auch eine global sehr ungleich genutzte Form der Mobilität. Beide Aspekte sind im linken GND bislang nicht ausreichend berücksichtigt.
Wie schaffen wir es, diese Vision einer Mobilitätswende wahr werden zu lassen? Es ist wichtig, dass es parlamentarische Kräfte gibt, die dieses Ziel auf institutioneller Ebene, im Lokalen wie auch auf Bundesebene, voranbringen, die radikale realpolitische Lösungen ausbuchstabieren und gelebte Alternativen absichern. Gleichzeitig wird es angesichts der Mehrheits- und Kräfteverhältnisse erst einmal um Überzeugungsarbeit und ein Zurückdrängen der fossilen Mobilitätsweise gehen. Und hier ist viel Bewegungsarbeit gefragt, sowohl in den Gewerkschaften als auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung – und hoffentlich in Zusammenarbeit dieser beiden Bewegungen.