Wir sind in einer zunehmend unberechenbaren und von öko-sozialen Krisen geschüttelten Welt angekommen, die sich aber nicht angemessen in den politischen Strategien und öffentlichen Debatten spiegelt. Nach wie vor teilt der klimapolitische Mainstream die Prämisse: Die Pariser Klimaziele sind durch öko-technologische Modernisierungen zu erreichen, ohne den Gesamtbedarf an Energie und materiellen Ressourcen gezielt, rasch, politisch – über die üblichen systemischen Effizienzgewinne hinaus – zu verringern. Im Falle des Verfehlens der Ziele sind unausgereifte technologische Lösungen wie das Absaugen von CO2 vorgesehen. Das ist ein höchst riskanter Weg. 

Unser Alternativvorschlag – Strategien einer sozialökologische Reduktion (söR): Sie zielt – ergänzend zur ökotechnologischen Dekarbonisierung des industriellen Stoffwechsels – auf eine möglichst direkte und rasche Reduktion des Energiebedarfs und Naturverbrauchs durch Strategien eines ökologisch gezielten, demokratisch legitimierten und sozial gerecht verringerten Umfangs von ökonomischen Aktivitäten, vorrangig in solchen Bereichen und durch solche Veränderungen, die Lebensqualität und Gemeinwohl nicht beeinträchtigen, sie eher verbessern. Eine solche Idee, erst recht ihre politische Umsetzung, kann teilweise auf jüngere Erfahrungen mit Politiken der kollektiven Einschränkung (Corona, Gaskrise) aufbauen, hat aber mit heftigem Widerstand aus vielen Richtungen zu rechnen. Dem sollte – so unser zweiter Vorschlag – präventiv entgegengetreten werden, indem die Widersprüche, deren mögliche Lösungsansätze und ihre Risiken offensiv thematisiert werden.

Die klimapolitische Lage – Ökologische Modernisierung wird nicht reichen

Trotz der im Vergleich zur Vorgängerregierung ambitionierten Klimapolitik der deutschen Ampel-Koalition und auch der EU, zeigt sich, dass die Strategie der »Ökologischen Modernisierung«, die ökologische Krise im Wesentlichen mit wachstumsbasierten öko-technologischen und industriepolitisch flankierten Maßnahmenbündeln zu beantworten, nicht genügen wird.

Eine in Tempo und Maß hinreichende Entkopplung zwischen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ökologischem Fußabdruck ist sehr unwahrscheinlich: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste Deutschland in den nächsten 27 Jahren eine CO2-Reduktion von jährlich etwa drei Prozent (bezogen auf 1990) erreichen. Von 2010 bis 2019 wurden in Deutschland jährlich etwa ein Prozent eingespart. Lediglich bei der Rezession 2020 (ein Minus des BIP von 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr) waren es neun Prozent weniger. Empirisch ist festzustellen, dass Reduktionen von drei bis vier Prozent nur in Zeiten ökonomischer Reduktionen erreicht wurden (Kallis 2018). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Ressourcen: Die Rohstoffproduktivität ist zwar von 2000 bis 2016 um 35 Prozent gestiegen. Da die Wirtschaft im selben Zeitraum aber um 39 Prozent wuchs, erhöhte sich der Ressourceneinsatz im In- und Ausland um drei Prozent (Statistisches Bundesamt 2021). Grund dafür, dass die Gesamtwirkung von ressourcensparenden Innovationen systematisch überschätzt wird, ist das Ignorieren diverser Rebound-Effekte. Diese entstehen etwa, wenn Effizienzsteigerungen bei einzelnen Produkten zu Ersparnissen führen, die dann für andere Produkte ausgegeben werden. Materielle Rebounds werden verursacht durch erhöhten Bedarf an (neuen) Rohstoffen und Infrastrukturen bei Basisinnovationen oder durch die parallele Nutzung von Altem und Neuem. Dazu kommen Umsetzungsschwierigkeiten. Schon heute fehlen etwa materielle und personelle Ressourcen bei der energetischen Gebäudesanierung, die um den Faktor 4 gesteigert werden müsste. Der Ausbau öffentlicher Infrastruktur (etwa Mobilität und Energienetze) erfordert zudem eine planungsrechtliche Beschleunigung, die auf demokratisch legitimierte Widerstände stoßen wird. 

Weiterhin wird deutlich, dass die Strategie der technischen Modernisierung entgegen ihrem impliziten Versprechen, ansonsten könne alles so bleiben wie es ist, nicht ohne Einschränkungen an anderer Stelle zu haben sein wird (Herrmann 2022), da sie finanzielle und materielle Ressourcen bindet. Dies manifestiert sich an den aktuellen Auseinandersetzungen um das neue Gebäudeenergiegesetz. Dabei geht es nicht nur um Präferenzen für den einen oder anderen technischen Weg – ob also etwa „H2 ready“-Gasthermen oder Fernwärme besser sind als direkt ökostrombasiertes Heizen mit Wärmepumpen. Sichtbar wird auch die soziale Frage: Der durch Oppositionsparteien, Medien und soziale Netzwerke populistisch verstärkte Unmut und Widerstand großer Bevölkerungsteile entzündete sich vor allem an der realen oder empfundenen Aussicht, fürs Heizen mehr ausgeben zu müssen als in der fossilistischen Vergangenheit, in der billige Gaskessel und billiges Gas ausreichten. Diese Externalisierungspraxis bzw. „imperiale Lebensweise“ droht nun zu Ende zu gehen. Die meisten Gegner*innen einer beschleunigten Heizenergiewende hätten hier durchaus finanziellen Spielraum, gehören sie doch zum wohlhabenderen Teil der Bevölkerung. Ärmere Hausbesitzer*innen und Mieter*innen hingegen sind ohnehin schon bis zum Anschlag belastet und jede weitere Kostenerhöhung kann sie in finanzielle Existenzangst stürzen.

Der prototypische Fall des Konflikts um das Gebäudeenergiegesetz zeigt, dass wir um eine Reduktion des Umfangs des Konsums nicht herumkommen, da auch rein technische Maßnahmen aufgrund ihrer Kosten mit Reduktionen woanders verbunden sein werden. Allerdings wirft dies gravierende Fragen nach der sozio-ökonomischen Struktur einer solchen Reduktion auf.

 „Sozialökologische Reduktion“  ̶  Leitideen des transformativen Ansatzes

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, eine transformative Strategie politisch zu entwickeln, die über eine weitgehend an technologischem Wandel orientierte „ökologische Modernisierung“ hinausgeht  ̶  „Sozial-ökologische Reduktion“ (söR) (ausführlicher dazu: Adler 2023). Ihr Kern: Problematischer Naturverbrauch wird gezielt reduziert, indem auch der Umfang der Wirtschaftstätigkeit, wenn nötig, begrenzt wird. Das bedeutet eine Umkehr der bisher in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft hegemonialen Perspektive, die sich daran orientiert, wie ein als gegeben unterstellter und tendenziell wachsender Bedarf an Energie und Rohstoffen durch ökoeffizientere Technologien bereitgestellt werden kann. Im Konfliktfall mit ökologisch-planetaren Grenzen bleiben typischerweise ökonomische Parameter prioritär und ökologische (Schutz-)Ziele werden nach unten korrigiert bzw. auf eventuell künftig industriell verfügbare (problematische) Technologien verlagert. Im Gegensatz dazu würde söR beinhalten:  Der ökologisch relevante Umfang wirtschaftlicher Aktivitäten wird gegebenenfalls eingeschränkt, indem als besonders schädlich (an-)erkannte Produktions- bzw. Konsumtionssektoren gezielt begrenzt werden. 

SöR umfasst auch rein technische Modernisierungen, ist jedoch direkter, politisch verbindlicher, radikaler: Bedarfe an Naturverbrauch sind rasch und spürbar zu verringern – möglichst ohne die verschlungenen „Umwege“ ökomodernisierender Innovationen und Investitionen mit ihren erheblichen materiellen Fußabdrücken, Renditeerwartungen, Rebound-Effekten, Wachstumstreibern und -abhängigkeiten. An erster Stelle braucht es Praktiken und Politiken des Unterlassens und Vermeidens, des Rückbaus und Abwickelns, des Priorisierens, Deckelns und Kontingentierens, nicht zuletzt auch des Verbietens.

SöR ist in ihrem Verhältnis zur hegemonialen ökomodernistischen Strategie einerseits Kritik und Alternative, insofern sie deren Anspruch negiert, allein oder primär die Öko-Krisen durch technologische Innovationen bei fortgesetztem BIP-Wachstum bearbeiten zu können. Zugleich aber ermöglicht, ergänzt und unterstützt sie deren Anliegen, weil diese bei sozialökologisch reduzierten Bedarfen an Energie etc. realistischer zu erreichen sind.  Idealerweise ist eine solche Reduktion von Produktion und Konsumtion zugleich mit Gewinnen an Gemeinwohl und Lebensqualität für Mehrheiten verbunden. Nichtsdestotrotz wäre dies ein voraussetzungsreicher und folgenschwerer Einschnitt in kulturelle Gewohnheiten und soziale Verhältnisse. Deshalb sind mögliche Gegenreaktionen und Konsequenzen vorausschauend zu diskutieren (s.u.).

Orientierend für eine im nationalen wie globalen Maßstab gerechte politische Gestaltung von Prozessen einer söR sollten aus unserer Sicht sein:
 

  • das Vorsorgeprinzip: Klimaschutz statt Abhängigkeit von unausgereiften, riskanten Technologien; institutionelle Vorkehrungen für sozioökonomische Stabilität im Falle eines sinkenden BIP (UBA 2018);
  • das Verursacherprinzip als Regulativ der Verteilung von Reduktionskosten – Gruppen mit dem größten ökologischen Fußabdruck tragen auch den höchsten Anteil.
  • Demokratie: Was als „systemrelevanter Bedarf“ und was als entbehrlich oder überflüssig gilt, wäre an gesellschaftlich und demokratisch auszuhandelnden sozialen Kriterien (Gebrauchswert, Bedürfnisnähe, Gemeinwohl, soziale Gerechtigkeit) zu bemessen und ist nicht durch übergeordnete ökonomische „Ziel-Werte“ (BIP, Wachstum, internationale Wettbewerbsfähigkeit) tabuisiert. 


Diese Art von Reduktion ist ein Gebot primär für Länder des globalen Nordens. Sie ist aber auch für den globalen Süden relevant, speziell für die sogenannten Schwellenländer und die imperiale Lebensweise ihrer wachsenden Mittel- und Oberschichten.

Erste Ansätze direkter Reduktionspolitiken

Kurzfristig wirksame Reduktionen könnten ordnungspolitisch auf unterschiedliche Weise erreicht werden, etwa durch:
 

  • Einschränkungen bis hin zu Verboten ökologisch besonders skandalöser Konsumptionen und Praktiken (Privatflugzeuge, Inlandsflüge, SUV im Stadtgebrauch, gesundheitsgefährdende und Greenwashing-Werbung, Verpackungen),
  • Verbote oder Moratorien für Investitionen, die ökologisch besonders schädliche Pfadabhängigkeiten zementieren (z. B. neue Flugplätze, Autobahnen), 
  • kontinuierlich sinkende Obergrenzen für ökologisch problematische Naturverbräuche (z.B. Flächenversiegelung, Rohstoffentnahmen) oder Tempolimits,
  • Wegfall ökologisch schädlicher Subventionen.


Zu stärken wären hingegen reproduktive und regenerative Dienstleistungen, die auf Bildung, Gesundheit und Pflege (Care-Ökonomie), auf Klimaschutz und -anpassung, auf öffentlich öko-effizient verfügbare Basisgüter (Mobilität etc.) gerichtet sind. Gleiches gilt für Innovationen, welche die Nutzungsdauer oder -intensität von Produkten erheblich verbessern können (etwa reparaturfreundliche, gemeinschaftlich genutzte langlebige Güter und Infrastrukturen). Wichtig sind auch „Suffizienzpolitiken“ (Zahrnt/Schneidewind 2013), die langfristig materiell kompensatorischen oder Statuskonsum einschränken können.

Es geht also nicht um moralische Verzichtsappelle, sondern um politische Regulierungen, um Suffizienz- oder „Postwachstumspolitiken“ (Adler/Schachtschneider 2017), die reduktive Produktionen und Praktiken ermöglichen oder erleichtern, und damit einen kulturellen Wandel von „Normalität“ fördern.

Widersprüche und „dicke Bretter“ sozialökologischer Reduktion 

Angesichts zunehmender öko-katastrophaler Ereignisse wäre es eigentlich rational, wenn relevante Bevölkerungsgruppen viel drastischere politische Interventionen fordern, als die beispielhaft genannten Reduktionen. Aber dem ist nicht so. Forderungen nach söR greifen das herrschende, an stetiges Wachstum gekoppelte Wohlstandsverständnis an, werden daher entweder ignoriert oder provozieren heftige Gegenwehr. Dies wirft auch die Frage nach der Akzeptanz solcher Vorschläge bei möglichen Allianzpartnern wie etwa den Gewerkschaften auf. Der lange Zeitraum, in dem söR hegemonial werden könnte, steht zudem in deutlichem Widerspruch zur klimapolitischen Dringlichkeit schneller Reduktion. Daraus entsteht die Frage, ob ein solcher Umbruch zum Weniger auf demokratischem Weg überhaupt erreichbar wäre (vgl. dazu auch Candeias 2022). 

SöR und wachstumsunabhängiger Wohlstand

SöR wird vermutlich als Affront zu neoliberalen, wohlstandschauvinistischen oder grün-modernistischen Werten und Grundüberzeugungen wahrgenommen und bekämpft werden, als Einstieg in eine Entwicklung, die Freiheit und Marktwirtschaft, Wachstum, Wohlstand und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefährde. Insbesondere die letztgenannten W-Worte verfangen bei vielen Menschen und wecken Befürchtungen.

Das BIP oder sein Wachstum zu reduzieren, ist kein vorrangiges Anliegen von söR. Es zielt auf einen klimapolitisch notwendigen, sozial gerechten und rasch zu verringernden Naturverbrauch durch Produktion und Konsum. Auf Branchenebene allerdings ist ein gezieltes ökonomisches Schrumpfen sehr wahrscheinlich, würden beispielsweise die oben genannten Vorschläge verwirklicht. Das muss jedoch keineswegs zwangsläufig zu einer volkswirtschaftlichen BIP-Schrumpfung mit den üblicherweise befürchteten sozial und ökonomisch destabilisierenden Folgen für Arbeitsmarkt, Staatsfinanzen etc. führen. Denn die Parallelität des dekarbonisierenden Umbaus der Wirtschaft, von Klimaschutz und -anpassung, des Ausbaus des Care-Bereichs und anderer arbeitsintensiver Sektoren oder auch ein verstärkter Export von Öko-Technik führt zunächst „nur“ zu veränderten Relationen in der Branchen- und Beschäftigtenstruktur und den jeweiligen Anteilen am BIP. Unkontrolliertes BIP-Schrumpfen hingegen könnte politisch verhindert werden.

Pauschales BIP-Wachstum kann kein eigenständiges politisches Ziel mehr sein. Selbst eine klimaneutrale Wirtschaft kann nicht permanent expandieren, ohne ökologische Lebensgrundlagen zu zerstören. Die bestehende soziale Infrastruktur im sozialstaatlich gezähmten Kapitalismus hängt allerdings am Tropf des BIP-Wachstums  ­ relativ sichere Arbeitsplätze und Erwerbseinkommen, Steuereinnahmen von Staat und Kommunen, mit denen Sozialsysteme und öffentliche Aufgaben finanziert werden. Deshalb stellt sich die Frage, wie sie wachstumsunabhängig funktionieren können, ohne bei schrumpfendem BIP und damit verringerten Steuereinnahmen zu „kriseln“. Zum Problem wachstumsunabhängiger Stabilität wird seit über zehn Jahren in der wachstumskritischen Wissenschaft und Szene rege geforscht und debattiert. Die Ergebnisse zeigen u.a.: Die Sozialsysteme müssen vorsorglich darauf eingestellt werden. Es ist prinzipiell möglich, etwa das Renten- und Gesundheitssystem für eine nicht wachsende Ökonomie umzugestalten. Allerdings wird dies nicht ohne beträchtliche Umverteilungen von oben nach unten gehen.

Ein beliebtes Argument gegen eine Stärkung der hier vorgeschlagenen nichttechnologischen Wege ist weiterhin: Der Druck auf technologische Innovationen werde verringert, Deutschland erleide Verluste als technologisch führende Industrieund Exportnation, damit letztlich an weltpolitischer Geltung und nationalem Wohlstand.[1] Dem kann einiges – hier nur fragend – entgegengehalten werden:  Ist es nicht ohnehin an der Zeit, das hiesige enorme technisch-innovative Potenzial umzuorientieren von Luxusprodukten wie SUVs für die globale Oberschicht oder von Rüstungsgütern auf  ökologisch nachhaltige Produkte, Technologien, öko-effiziente  systemische Lösungen (Energie, Mobilität, Abwasser) mit hohem Gebrauchswert für Bedürfnisse der Mehrheit der Weltbevölkerung im globalen Süden mit seinen rasanten industriellen Modernisierungs- und Urbanisierungsprozessen? Dies könnte zugleich Teil einer Neu-Positionierung der geopolitischen Rolle der Bundesrepublik sein – jenseits der proklamierten System-Rivalität USA, EU – China (vgl. Solty 2022).

Die hegemoniale Sozialnorm von „Wohlstand“ ist seit den 1950er/60er Jahren stark geprägt durch einen wachsenden Naturverbrauch, bedingt durch zunehmenden materiellen Wohlstand breiterer Schichten und befeuert durch sozial-kulturelle Modernisierungsdynamiken wie Individualisierung, „Verwettbewerblichung“ auch vieler außer-ökonomischer Lebensbereiche, eine „innerweltliche“ Maximierung von Events und Erlebnissen im zeitlich begrenzten eigenen Leben (Rosa 2012). Um die konsumlastige Wohlstandsnorm grundlegend, längerfristig und gemeinsam mit ihren tiefergehenden sozial-kulturellen Ursachen zu verändern, bedarf es einer sozial-ökonomischen Struktur, in dem für die Lebensqualität relevante Ressourcen verlagert sind:
 

  • generell zugunsten übergreifender Rahmenbedingungen individuellen Wohlbefindens (Klimaschutz, -anpassung, Frieden, Sicherheit und andere Grundbedürfnisse, Chancen langfristiger Lebensplanung);
  • von individuell per Besitz/Eigentum/Geld verfügbaren/erreichbaren Gütern/Leistungen hin zu allgemein/kollektiv/leicht zugänglichen Infrastrukturen für „Basisgüter“ des guten Lebens (Skidelsky/Skidelsky 2012) wie etwa Gesundheit, individuelle Entfaltungsoptionen, soziale Anerkennung, nicht instrumentelle Freundschaften, soziale und ökonomische Sicherheit;
  • von materiell-konsumtiven, konkurrenten und individualisierten Formen und Medien der Bedürfnisbefriedigung hin zu sozialen, kollektiven und ideellen. Dies schließt wesentlich eine in sozialer, ökologischer und persönlichkeitsförderlicher Hinsicht als sinnvoll angesehene (Erwerbs-)Arbeit ein, ohne permanenten Leistungsdruck, mit gesicherter sozialer Anerkennung.


In ihrem Zusammenwirken können diese Tendenzen längerfristig das hegemoniale gesellschaftliche Verständnis von Wohlstand und gutem Leben in Richtung Nachhaltigkeit verändern – ohne dominante Verlust- oder Verzichtserfahrungen für Mehrheiten. Erforderlich dafür sind wirtschaftsdemokratische regulierende Eingriffe in private Verfügungsrechte der Unternehmen, ein aktiver, vorausschauend handelnder Staat und der politische Druck einer starken Zivilgesellschaft.

SöR behindert gewerkschaftliche Umverteilung? 

Sozialökologische Reduktionen und deren mögliche Konsequenzen für den Umfang des BIP und damit auch für manche Arbeitsplätze, stehen in einem Spannungsfeld zu Orientierungen und Politiken von Gewerkschaften. Denn höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sind unter Bedingungen von Konjunktur und hohen Wachstumsraten leichter durchzusetzen. Es könnte somit schwierig werden, Gewerkschaften als wichtige Partner in einer auch sozialökologisch reduktiv orientierten Transformationsallianz zu halten. Wichtig werden deshalb Strategien, die über in Tarifkämpfen zu erringende Einkommenserhöhungen hinausgehen und sich mit söR-Anliegen überlappen. Dazu gehört z.B. das gewerkschaftliche Engagement für „Gute Arbeit“. Was letztlich als Konsumwunsch erscheint oder als Freizeitbedürfnis artikuliert wird (in das man sich nicht hineinreden lassen möchte) und einen bestimmten Bedarf an käuflichen Gütern hervorbringt, wird zu einem beachtlichen Teil in und von den Arbeitsverhältnissen „produziert“. Fremdbestimmter Leistungsdruck, Über- oder Unterforderung, defizitäre Anerkennung als „Leistende“ oder als Person und andere Bedingungen, die Fähigkeiten und Bedürfnisse in Arbeitsprozessen unzulässig einschränken, erzeugen Wünsche nach Kompensation in der Konsum- und Freizeitsphäre. Erfolge im Kampf für „Gute Arbeit“ (Urban 2018) können kompensatorischem oder Statuskonsum entgegenwirken. Insbesondere gendergerecht und flexibel verkürzte Erwerbsarbeitszeiten oder Wahlmöglichkeiten zwischen mehr Einkommen oder weniger Arbeitszeit entsprechen Interessen der Lohnabhängigen und können Naturverbrauch in Produktion und Konsum verringern. Staatliche Sozial- und Steuerpolitik kann gewerkschaftliche Verteilungskämpfe entlasten, etwa durch sozialstaatlich regulierte Mindest- und Maximaleinkommen, Formen eines „Grundauskommens“ oder andere Konzepte eines kostenlosen oder günstigen Basisverbrauchs für alle, Mietendeckel etc., ermöglicht durch steuerliche Umverteilungen. Das sind Beispiele für eine generelle Tendenz: Gewerkschaften sind (wieder) stärker gesellschaftspolitisch gefordert in Bezug auf ein breiteres Interessenspektrum von Lohnabhängigen. Fraglich ist allerdings, ob solche an sozialökologischer Transformation orientierten, progressiven gesellschaftlichen Forderungen jenseits von Tarifpolitik bei der mobilisierungsbereiten Mitgliedschaft ausreichend Akzeptanz finden.

SöR und Zeitdruck

Historisch einzigartig für einen zu gestaltenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel ist das extrem enge Zeitfenster, in dem wirksame Schritte eingeleitet werden können, um die Erderwärmung noch nicht-katastrophisch einzudämmen. Der enge Zeithorizont macht söR als Ergänzung zu öko-technischen Modernisierungen einerseits attraktiv, da der politische Weg ihrer Umsetzung formal gesehen rasch erfolgen kann. Zugleich aber erschwert er diesen Weg. Denn er ist an die Bereitschaft zu einem Maß von Verhaltensänderungen – zumindest an deren Akzeptanz – geknüpft, die „normalerweise“ größere Zeiträume benötigen. Das klimapolitisch wünschenswerte Tempo des Wandels übersteigt vermutlich bei großen Bevölkerungsgruppen Grenzen des Zumutbaren, der Anpassung an Neues und des Verlernens eingeschliffener Praktiken.

Streit um das „angemessene“ Transformationstempo wird so zum Gegenstand keineswegs nur parteipolitischer, sondern zunehmend kulturell-identitärer Kämpfe (gehören wir zu den „abgehobenen Grünen“ oder zu den „kleinen Leuten“), aktuell z.B. sichtbar im Konflikt um die Fristen des Austauschs von Heizungstechnik. Klimapolitisch sinnvolle Lösungen, die aber sozial verunsichern und ärmere Schichten auch finanziell überfordern, werden von konservativen, rechtspopulistischen Kräften als übertrieben („Klimahysterie“) gebrandmarkt und für ihren politischen Aufstieg genutzt. Die Folgen sind Verzögerung und Verwässerung.

Wird aber das Tempo des Klimaschutzes gedrosselt, ist dies für klimabewegte Aktivisten unzumutbar und provoziert sie zu verzweifelten Rebellionen gegen den von ihnen empfundenen klimapolitischen Stillstand. Allerdings können sich auch hier die Gegenkräfte als Schutzmacht gegen die Überforderung der „kleinen Leute“, der „vielen Pendler*innen“ und gegen „extremistische Erpressungsmethoden“ der Klimaaktivist*innen inszenieren. Das Tempo des Klimaschutzes wird im Ergebnis weiter gebremst und die Technikfixierung als anscheinend bequemere Alternative zu Verhaltensänderungen verstärkt.

In den Konflikten um das Tempo und die Wege des Wandels begegnen sich Kräfte mit ungleicher Diskurs- und Gestaltungsmacht. Die pro-aktiven öko-sozialen Akteure sind hauptsächlich auf rationale Argumentationen angewiesen. Sie beziehen sich auf wissenschaftliche Analysen und Szenarien, auf die historische und aktuelle Klimaschuld der früh industrialisierten Länder, auf die Risiken unzureichenden und die Vorteile rechtzeitigen Handelns. Sie adressieren (utopische) Vorstellungen alternativer gesellschaftlicher Verhältnisse und sozialer Praktiken oder sie verweisen auf zu erkämpfende Bedingungen für künftige gesellschaftliche Verallgemeinerungen sozial-ökologischer Praktiken. Die Protagonist*innen des Beharrens, Verzögerns, Verwässerns hingegen können sich als Interessenvertreter*innen von schutzbedürftigen, durch den Wandel überforderter oder benachteiligter Gruppen darstellen. Sie warnen zudem vor Gefahren des Abwanderns von Unternehmen wegen zu strenger Regulationen, betonen den „winzigen“ Zwei-Prozent-Anteil Deutschlands an den globalen Treibhausgas-Emissionen etc. Auf komplexe Argumentationen können sie verzichten, nicht zuletzt im Vertrauen auf die Mächte der kollektiven Verdrängung und des (gegenwärtig noch bequemen) Festhaltens am Gewohnten („Klimaschutz durch Technologie statt Verzicht“).

Aus solchen Konstellationen folgern einige Öko- und Klima-Engagierte: Im Rahmen westlicher, parlamentarisch-demokratischer politischer Systeme, die von Mehrheitsentscheidungen abhängig sind, ist es kaum möglich, die notwendigen drastischen Reduktionen im noch möglichen Zeitrahmen durchzusetzen. Sie suchen nach Alternativen, auch unter dem Label „Öko-Diktatur“. Dass im Ergebnis heutiger Politiken katastrophische Klimaverhältnisse entstehen können, die tatsächlich in eine Art von Öko-Diktatur münden, ist nicht auszuschließen. Aber das ist weder erstrebenswert noch alternativlos. Unterschätzt werden Potenziale, um auf demokratischen Wegen söR akzeptabler zu machen. Das betrifft z.B.:
 

  • die Fähigkeit sozialer Bewegungen, lokaler Initiativen, kritischer Wissenschaft, auch von Umweltverbänden, Gewerkschaften, Kirchen oder von sozialen Medien herrschende Normalitäten zu irritieren und den kulturellen Boden für veränderte Mehrheitsmeinungen zu bereiten;
  • die Erweiterung der sozialen Basis soziale Basis und Akzeptanz für söR, indem die „Kosten“, transparent und vertrauensbildend bei einkommensschwächeren Gruppen, nach dem Verursacherprinzip nach oben umverteilt werden, ebenso durch
  • die Faktizität kleiner paradigmenverändernder Beispiele für kollektiv verbindliche Reduktion (z.B. während der Corona-Pandemie).


Die drei geschilderten Widerspruchsfelder werden sich kurzfristig nicht auflösen lassen. Aber es gibt diverse Ansatzpunkte, sie diskursiv und politisch zu bearbeiten und die öffentliche Debatte um sozialökogische Reduktionen im Spannungsfeld der o.g. W-Worte auf eine argumentative Ebene zu bringen. 

Anknüpfungspunkte: „Verwandtschaften“ und neue Erfahrungen

SöR ist kein akademisch ersonnenes Konstrukt, sondern eine mehr oder weniger explizite Konsequenz oder politisches Ziel diverser sozial-ökologisch sensibler und transformativer Konzepte, Strömungen, sozialer Bewegungen. Das Spektrum umfasst u.a.:
 

  • wachstums- bzw. kapitalismuskritische Ansätze oder Initiativen (z.B. Postwachstum, Suffizienz, starke Nachhaltigkeit, Ökosozialismus),
  • Forderungen sozialer Bewegungen (Degrowth, Klimagerechtigkeit, Gemeinwohlökonomie etc.),
  • Strömungen innerhalb von Parteien (Grüne, LINKE, SPD), auch öko-sozial sensible Gruppierungen in staatlichen Verwaltungen,
  • programmatische Ziele und Debatten in großen NGOs (z.B. BUND), auch in Gewerkschaften (Kampagne für „Gute Arbeit“, Öffnungen zur Klimagerechtigkeitsbewegung). 


Vor allem jedoch haben neue Krisenerfahrungen in Alltag und Politik scheinbare Selbstverständlichkeiten irritiert und Dringlichkeiten und Möglichkeiten für politisch induzierten Wandel spürbarer werden lassen. Mit Flutkatastrophen und Hitzesommern, Corona und Energiekrise ist eine stärkere ökonomische Rolle des Staates, regulatorische Eingriffe in Marktmechanismen, persönliche Gewohnheiten und „Freiheiten“ verbunden. Knappheiten, Abhängigkeit von fragilen globalen Wertschöpfungsketten, politische Kontingentierungen und Priorisierungen (Systemrelevanz) ersetzten unbegrenzte Verfügbarkeiten auf „freien Märkten“. Debatten um gedeckelte (z.B. Strom, Wärme) oder sozial gestaffelte (z.B. Mobilität) Preise für Grundgüter wurden Teil des wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurses. Eine Rückkehr zu früheren Normalitäten scheint ungewiss. Angesichts neuer Dringlichkeiten und Chancen wäre auch zu diskutieren, ob söR ein Konvergenzpunkt und explizite politische Konsequenz vielfältiger sozialökologischer Bewegungen und Initiativen sein kann  ̶ eine zusammenführende, bündelnde Basis gemeinsamer politischer Aktivitäten, ohne die theoretisch-weltanschauliche, kulturelle Eigenart und Eigenständigkeit der jeweiligen Protagonist*innen in Frage zu stellen.