Ihr bezeichnet den Flugverkehr als »schädlichstes Verkehrsmittel überhaupt«. Doch der Passagierflugverkehr verursacht nur rund 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen, weit weniger als etwa Energiewirtschaft, Industrie oder Landwirtschaft. Warum habt ihr euch zum Ziel gesetzt, gerade das Fliegen anzugreifen?

Diese Zahl wird von der Industrie und den Staaten rauf- und runtergebetet. Dabei werden aber viele Aspekte übersehen. Erstens: Es geht nicht nur um CO2. Wenn Kerosin in der Atmosphäre verbrannt wird, hat das viele andere Effekte, weshalb der Anteil des Luftverkehrs an der globalen Klimawirkung eher bei 5 bis 8 Prozent anzusiedeln ist. Im neuen Bericht des Umweltbundesamtes ist das nachzulesen (Umweltbundesamt 2019a, 2019b). Zweitens: Während für die meisten anderen schädlichen Wirtschaftssektoren klar ist, dass sie reduzieren müssen, wächst die Luftfahrt munter weiter. Laut Öko-Institut könnten 2050 22 Prozent der CO2-Emissionen vom Fliegen kommen, und wenn die gesamte Klimawirkung berücksichtigt wird, noch mehr (Cames et al. 2015). Auf technische Lösungen brauchen wir in den nächsten Jahren nicht hoffen: Seit Jahrzehnten verspricht die Flugindustrie das Blaue vom Himmel und liefert nicht. Viele der Scheinlösungen führen zu neuen Problemen, wie das Kompensieren durch Offsetting[1], die Nutzung von Agrartreibstoffen  und der immense Energiebedarf, falls synthetische Treibstoffe (Power-to-Liquid) eingesetzt würden. Drittens ist die militärische Luftfahrt bei alledem noch nicht eingerechnet, über die es wenig Zahlen gibt.

Ihr sagt, dass der Flugverkehr ein massives Gerechtigkeitsproblem darstellt – warum?

Die fünf bis acht Prozent Klimawirkung durch die zivile Luftfahrt gehen auf die Kappe einer sehr kleinen Anzahl von Vielflieger*innen. Circa 90 Prozent der Weltbevölkerung saßen noch nie in einem Flugzeug und werden es durch restriktive Visaregelungen oder Armut auch weiterhin nicht können. Fliegen ist auch Teil einer »imperialen Lebensweise«, von Produktions- und Konsummustern, die auf der grenzenlosen Aneignung von Natur und Arbeitskraft beruhen und die Schäden auslagern. Die Kosten werden nicht nur auf zukünftige Generationen oder andere Regionen abgewälzt, sondern werden auch hier bei uns überproportional von jenen getragen, die sie nicht verursachen. Dabei geht es auch um Lärm, Ultrafeinstaub und Gesundheitsprobleme rund um Flughäfen. Die Expansion der Flughäfen zerstört vielerorts die Biodiversität und führt zu Vertreibungen. Wir wissen von rund 1 200 Flughafenprojekten weltweit und haben in unserem Environmental-Justice-Atlas bisher 60 Konflikte im Detail dokumentiert.

Wie bei den Benzinpreisen oder dem Kohleausstieg wird auch beim Fliegen darüber gestritten, was sozial gerecht ist. Wie lässt sich verhindern, dass hierzulande vor allem die verzichten, die wenig haben und sich auf den seltenen Flug in den Urlaub freuen? Was tun, damit Klimapolitik nicht als »unsozial« diskreditiert wird – Stichwort Gelbwestenprotest?

Das Stichwort Gelbwestenprotest ist spannend: Die haben ja gerade gefordert, statt des Autobenzins das Flugbenzin höher zu besteuern – denn das würde vor allem jene treffen, die viel fliegen: die Wohlhabenden. Leute wie Bill Gates oder Paris Hilton produzieren durch ihr Herumjetten erstaunliche 10 000-mal höhere Emissionen als der Durchschnitt, hat kürzlich eine Studie herausgefunden 5. Ein Prozent der Brit*innen ist verantwortlich für zehn Prozent der Auslandsflüge, zehn Prozent der Passagiere für die Hälfte aller Auslandsflüge. Die Kosten dafür tragen alle: alle Steuerzahler*innen, die die Subventionierung mittragen, und erst recht diejenigen, die in Einflugschneisen oder in von der Klimakrise besonders gebeutelten Regionen wohnen. Auch die Beschäftigten in der Flugbranche leiden unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen – Billigflieger-Angestellte und Bodenpersonal am meisten. Würden Löhne erhöht werden, gäbe es Billigflieger nicht mehr. Die Gerechtigkeitsfrage lässt sich sehr gut anhand des Flugverkehrs verdeutlichen – eine Aufgabe der Linken, die noch viel zu sehr vernachlässigt wird. Deshalb kann die Luftfahrtindustrie noch immer die Mär von der »Demokratisierung des Fliegens durch Billigpreise« hochhalten.

Mit der neuen Klimadebatte ist das Fliegen ja inzwischen zum Politikum und – Stichwort Flugscham – zur moralischen Frage geworden. Wie seht ihr die Debatte?

Vielen erscheint es völlig normal, zu fliegen. Obwohl das im weltweiten Vergleich nicht der Fall ist und es bis vor zwei Jahrzehnten auch hierzulande nicht war. Flugverkehr zu problematisieren heißt, diese Normalität, die Freiheit am Himmel, die Form von schnellem Tourismus und Weltaneignung infrage zu stellen – ein heißes Pflaster. Im letzten Jahr ist eine neue Dynamik in der Debatte entstanden, die den Begriff »Flugscham« bekannt gemacht hat. Obwohl wir uns gegen diesen Begriff gewehrt haben, bekamen wir ständig Interviewanfragen dazu und wurden als Teil der Flugscham-Bewegung eingeordnet. »Flugscham« individualisiert aber das Problem und reduziert Bürger*innen auf Konsument*innen. Während sich Einzelne schämen, zu fliegen, wird der Blick nicht auf die Strukturen gerichtet, die den Flugverkehr so ungerecht bevorteilen. Und so ist leider das Fliegen noch immer das mit Abstand preisgünstigste Verkehrsmittel für weite und zum Teil sogar kurze Distanzen. Es bringt also wenig, Individuen für falsches Verhalten zu verurteilen. Scham passiviert auch eher, als dass sie zum Engagement für neue Spielregeln motiviert. Allerdings: Ob ich fliege oder nicht, hat den größten Einfluss auf meinen ökologischen Fußabdruck. Weiter zu fliegen, bis sich die Spielregeln ändern, ist auch keine Lösung. Persönliche Entscheidungen und Geschichten von Reisen per Zug oder Schiff können Menschen inspirieren. Und kultureller Wandel ist nicht zu unterschätzen, wenn wir die imperiale Lebens- und Produktionsweise überwinden wollen. Ohne eine öffentliche Debatte und die Erkenntnis einer kritischen Masse, dass es sich auch ohne Flüge leben lässt, wird es kaum Politikveränderungen geben. Wir sprechen aber lieber von einem »Stay-Grounded-Movement«, einer »terranen Bewegung«, wenn man so will, statt von »Flugscham«.

Wer sind die treibenden Kräfte dieser Bewegung? Wer ist Teil eures Netzwerks? Seht ihr euch vor allem als NGO oder seid ihr in konkreten sozialen Kämpfen verankert?

»Stay Grounded« ist eine Dachorganisation von inzwischen 150 Initiativen aus aller Welt, darunter Klimagerechtigkeitsgruppen wie »Am Boden bleiben« in Deutschland, Bürgerinitiativen gegen Flughafenausbau im Globalen Norden und Süden, NGOs, Gewerkschaften und Pro-Bahn-Initiativen. Es begann 2016 mit einer Initiative von Klimaaktivist*innen gegen eine dritte Landebahn in Wien. Dabei merkten wir, dass Flugverkehr noch ein unbeschriebenes Blatt ist und kaum NGOs dazu arbeiteten. Viele Bürgerinitiativen funktionieren eher nach dem Prinzip »not in my backyard«, und es fehlte jede überregionale Vernetzung. 2018 stießen wir mit unserem Positionspapier zur Reduktion von Flugverkehr (Stay Grounded 2018) eine neue Debatte an. Dass inzwischen über 200 Organisationen ein Papier unterstützen, das die Illusion von »Green Growth« und Emissionshandel aufdeckt und nicht »umweltfreundliches Fliegen«, sondern eine Reduktion des Flugverkehrs fordert, war ein Erfolg. Seither sind wir stetig gewachsen und es gründen sich laufend Initiativen, die auf unsere Analyse zurückgreifen. Bisher haben wir vor allem die lokale Arbeit unserer Mitglieder unterstützt, insbesondere im globalen Süden, wo ein neuer Flughafen oft Tausende Existenzen bedroht und darüber kaum international berichtet wird. Aktuell bereiten wir jedoch eine eigene Kampagne, »Let’s stay grounded!« vor, mit der wir im April 2020 an die Öffentlichkeit gehen.

Wie müsste denn eurer Meinung nach eine Regulierung des Flugverkehrs aussehen, die effektiv und sozial gerecht ist, hierzulande und im globalen Maßstab?

Wir haben im Dezember 2019 eine Broschüre herausgebracht mit dem Titel »Degrowth of aviation. Reducing air travel in a just way.«, die demnächst auf deutsch erscheint (Stay Grounded 2019). Zuvor haben wir auf einer Konferenz mit über 150 Menschen aus Bewegungen, Wissenschaft und NGOs über eine Vielzahl von Maßnahmen diskutiert und dabei Klimagerechtigkeit als zentralen Maßstab angelegt. Gerecht sind demnach all jene Maßnahmen, die erstens Verkehr reduzieren, aber weiterhin Mobilität und kulturellen Austausch ermöglichen; die zweitens die unfaire Bevorteilung und Macht der Flugindustrie beseitigen und die drittens reiche Vielflieger*innen stärker in die Verantwortung nehmen als die, die selten fliegen. Viertens müssen sie einen gerechten Strukturwandel einleiten, auch für die Beschäftigten im Flug- und Tourismussektor. Und fünftens dürfen sie nicht zu neuen Problemen führen wie im Falle von Offset-Projekten und Agrartreibstoffen.[2]

Welche Maßnahmen wären denn aus eurer Sicht die wichtigsten und dringlichsten? In der Öffentlichkeit wird vor allem über die CO2-Steuer diskutiert.

Steuern sollten in der Tat als ein Lenkungs­instrument eingesetzt werden. Aktuell ist Flugverkehr steuerlich gegenüber anderen Verkehrsträgern bevorzugt, obwohl er die schädlichste Fortbewegungsart ist. Es gibt keine Steuern auf Kerosin, keine Mehrwertsteuer auf Tickets, Flughäfen zahlen so gut wie nie Grundsteuer und Flugzeugbauer werden massiv subventioniert. Das muss sich ändern. Ob die Steuer dann Kerosinsteuer oder CO2-Steuer heißt, ist meiner Meinung nach zweitranging. Sie müsste jedenfalls die ganze Klimawirkung (und nicht nur die des CO2) berücksichtigen. Es ist jedoch klar, dass ein Instrument nicht alles lösen wird, sondern nur ein Zusammenspiel an Maßnahmen: neben den Steuern zum Beispiel eine progressive Vielfliegerabgabe (Frequent Flyer Levy oder auch Air Miles Levy). Sie könnte Rückhalt in der Bevölkerung bekommen, da sie vor allem die hauptsächlich reichen Vielflieger*innen tangieren würde. Konkret könnte das bedeuten, dass mein erster Flug in vier Jahren abgabenfrei ist, beim zweiten 150 Euro, beim dritten 300 Euro und beim vierten 600 Euro anfallen. Menschen mit Migrationshintergrund können so regelmäßig ihre Familie auf einem anderen Kontinent besuchen. Die Einnahmen könnten in einen »Just Transition Fonds« fließen. Für eine Umsetzung fehlt aber noch einiges – am dringendsten wären wie in Großbritannien gute Studien darüber, wer mit welcher Einkommensklasse wie viel fliegt. Auch müsste die Umsetzung Datensicherheit garantieren. Darüber hinaus sind ordnungsrechtliche Maßnahmen wie der Stopp des (Aus-)Baus weiterer Flughäfen, das Verbot von Kurzstreckenflügen oder auch Werbeeinschränkungen effektiv, die es niemandem erlauben, sich freizukaufen. Dies müsste auch auf europäischer Ebene geschehen. Wir müssen die Angst vor Verboten verlieren – aber vielleicht auch einen anderen Begriff verwenden, der zeigt, dass klare Limits fair und effektiv sind.

Du hast die Beschäftigten in der Flugindustrie schon angesprochen. Viele werden Angst haben, durch solche Maßnahmen ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Inwiefern habt ihr Kontakt zu Gewerkschaften im Flugsektor?

In Großbritannien haben wir zwei progressive Gewerkschaften als aktive Mitglieder. Die Public and Commercial Services Union (PCS) vertritt Beschäftigte am Flughafen Heathrow und stellt sich dennoch gegen dessen Ausbau. Sie arbeitet an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten und tauscht sich mit uns über Konzepte eines gerechten Übergangs aus. In anderen Ländern gab es Treffen zwischen Mitgliedsorganisationen und Gewerkschaften, aber es ist meistens schwer, auf einen Nenner zu kommen, weshalb manchen die Motivation dazu fehlt. Dabei sollten wir dringend kooperieren und gemeinsam überlegen, wie in den nächsten Jahren mit Umschulungen und anderen Maßnahmen der Schritt weg von der Flugindustrie hin zur Bahn und zu öffentlichem Verkehr getan werden kann.

Stichwort öffentlicher Verkehr: Wenn das Fliegen in eurem Sinne stark reduziert wird, was sind die Alternativen, sowohl für den Personen- wie für den Güterverkehr? Und zwar solche, die sich alle leisten können? Unter den jetzigen Bedingungen treffen die Verbote zwar alle gleichermaßen, aber die teuren Alternativen stehen nur wenigen zur Verfügung.

Alles, was in weniger als vier Stunden mit dem Zug erreichbar ist, sollte nicht geflogen werden, heißt es häufig. Das ist unserer Meinung nach zu wenig, wenn wir die Klimakrise ernst nehmen. Um aber innerhalb von einem Tag oder zwei Tagen bzw. Nächten bequem Strecke zurückzulegen, braucht es unkomplizierte Buchungssysteme, bessere Anbindungen, sozial gerechte Preise und komfortablere Bahnhöfe. Ideen wie die eines bezahlbaren Jahrestickets für den ÖPNV inklusive der Bahn sind sehr sinnvoll. Vor allem das Nachtzugsystem müsste ausgebaut werden. Es gibt auch zunehmend abenteuerlustige Reisende, die gerne andere Kontinente mit dem Schiff bereisen würden. Das ist derzeit kaum möglich – hier wäre der Ausbau einer ökologischen Passagier- und Frachtschifffahrt nötig. Der Wissenschaftler Stephan Rammler weist sogar auf die Zukunft von Zeppelinen hin. Letzten Endes muss aber auch Suffizienz eine Rolle spielen. Manchen Konferenzen kann man dann eben nur online beiwohnen und man kann nicht mehr so weit in den Urlaub fahren. Wir müssen uns damit abfinden, nicht ständig über Güter aus aller Welt zu verfügen. Der Flugverkehr ist so verwoben mit unserem Wirtschaftssystem, dass seine Schrumpfung mit einem generellen Systemwandel einhergehen müsste: einer Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen, anderen Formen des Reisens und entsprechend auch anderen Arbeitsweisen und Arbeitszeiten.

Das Gespräch führte Hannah Schurian.

[1] Offsetting ist die sogenannte Kompensation von Emissionen durch Projekte, die meist im globalen Süden beheimatet sind, wie z. B. Wasserkraftwerke oder Baumplantagen

[2] Agrar- oder Biotreibstoffe werden aus Pflanzen hergestellt, wie beispielsweise Palmöl: Ihre verstärkte industrielle Nutzung kann Umwelt- und Nahrungsmittelkrisen befeuern.

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