Ihr sagt, dass der Flugverkehr ein massives Gerechtigkeitsproblem darstellt – warum?
Die fünf bis acht Prozent Klimawirkung durch die zivile Luftfahrt gehen auf die Kappe einer sehr kleinen Anzahl von Vielflieger*innen. Circa 90 Prozent der Weltbevölkerung saßen noch nie in einem Flugzeug und werden es durch restriktive Visaregelungen oder Armut auch weiterhin nicht können. Fliegen ist auch Teil einer »imperialen Lebensweise«, von Produktions- und Konsummustern, die auf der grenzenlosen Aneignung von Natur und Arbeitskraft beruhen und die Schäden auslagern. Die Kosten werden nicht nur auf zukünftige Generationen oder andere Regionen abgewälzt, sondern werden auch hier bei uns überproportional von jenen getragen, die sie nicht verursachen. Dabei geht es auch um Lärm, Ultrafeinstaub und Gesundheitsprobleme rund um Flughäfen. Die Expansion der Flughäfen zerstört vielerorts die Biodiversität und führt zu Vertreibungen. Wir wissen von rund 1 200 Flughafenprojekten weltweit und haben in unserem Environmental-Justice-Atlas bisher 60 Konflikte im Detail dokumentiert.
Wie bei den Benzinpreisen oder dem Kohleausstieg wird auch beim Fliegen darüber gestritten, was sozial gerecht ist. Wie lässt sich verhindern, dass hierzulande vor allem die verzichten, die wenig haben und sich auf den seltenen Flug in den Urlaub freuen? Was tun, damit Klimapolitik nicht als »unsozial« diskreditiert wird – Stichwort Gelbwestenprotest?
Das Stichwort Gelbwestenprotest ist spannend: Die haben ja gerade gefordert, statt des Autobenzins das Flugbenzin höher zu besteuern – denn das würde vor allem jene treffen, die viel fliegen: die Wohlhabenden. Leute wie Bill Gates oder Paris Hilton produzieren durch ihr Herumjetten erstaunliche 10 000-mal höhere Emissionen als der Durchschnitt, hat kürzlich eine Studie herausgefunden 5. Ein Prozent der Brit*innen ist verantwortlich für zehn Prozent der Auslandsflüge, zehn Prozent der Passagiere für die Hälfte aller Auslandsflüge. Die Kosten dafür tragen alle: alle Steuerzahler*innen, die die Subventionierung mittragen, und erst recht diejenigen, die in Einflugschneisen oder in von der Klimakrise besonders gebeutelten Regionen wohnen. Auch die Beschäftigten in der Flugbranche leiden unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen – Billigflieger-Angestellte und Bodenpersonal am meisten. Würden Löhne erhöht werden, gäbe es Billigflieger nicht mehr. Die Gerechtigkeitsfrage lässt sich sehr gut anhand des Flugverkehrs verdeutlichen – eine Aufgabe der Linken, die noch viel zu sehr vernachlässigt wird. Deshalb kann die Luftfahrtindustrie noch immer die Mär von der »Demokratisierung des Fliegens durch Billigpreise« hochhalten.
Mit der neuen Klimadebatte ist das Fliegen ja inzwischen zum Politikum und – Stichwort Flugscham – zur moralischen Frage geworden. Wie seht ihr die Debatte?
Vielen erscheint es völlig normal, zu fliegen. Obwohl das im weltweiten Vergleich nicht der Fall ist und es bis vor zwei Jahrzehnten auch hierzulande nicht war. Flugverkehr zu problematisieren heißt, diese Normalität, die Freiheit am Himmel, die Form von schnellem Tourismus und Weltaneignung infrage zu stellen – ein heißes Pflaster. Im letzten Jahr ist eine neue Dynamik in der Debatte entstanden, die den Begriff »Flugscham« bekannt gemacht hat. Obwohl wir uns gegen diesen Begriff gewehrt haben, bekamen wir ständig Interviewanfragen dazu und wurden als Teil der Flugscham-Bewegung eingeordnet. »Flugscham« individualisiert aber das Problem und reduziert Bürger*innen auf Konsument*innen. Während sich Einzelne schämen, zu fliegen, wird der Blick nicht auf die Strukturen gerichtet, die den Flugverkehr so ungerecht bevorteilen. Und so ist leider das Fliegen noch immer das mit Abstand preisgünstigste Verkehrsmittel für weite und zum Teil sogar kurze Distanzen. Es bringt also wenig, Individuen für falsches Verhalten zu verurteilen. Scham passiviert auch eher, als dass sie zum Engagement für neue Spielregeln motiviert. Allerdings: Ob ich fliege oder nicht, hat den größten Einfluss auf meinen ökologischen Fußabdruck. Weiter zu fliegen, bis sich die Spielregeln ändern, ist auch keine Lösung. Persönliche Entscheidungen und Geschichten von Reisen per Zug oder Schiff können Menschen inspirieren. Und kultureller Wandel ist nicht zu unterschätzen, wenn wir die imperiale Lebens- und Produktionsweise überwinden wollen. Ohne eine öffentliche Debatte und die Erkenntnis einer kritischen Masse, dass es sich auch ohne Flüge leben lässt, wird es kaum Politikveränderungen geben. Wir sprechen aber lieber von einem »Stay-Grounded-Movement«, einer »terranen Bewegung«, wenn man so will, statt von »Flugscham«.
Wer sind die treibenden Kräfte dieser Bewegung? Wer ist Teil eures Netzwerks? Seht ihr euch vor allem als NGO oder seid ihr in konkreten sozialen Kämpfen verankert?
»Stay Grounded« ist eine Dachorganisation von inzwischen 150 Initiativen aus aller Welt, darunter Klimagerechtigkeitsgruppen wie »Am Boden bleiben« in Deutschland, Bürgerinitiativen gegen Flughafenausbau im Globalen Norden und Süden, NGOs, Gewerkschaften und Pro-Bahn-Initiativen. Es begann 2016 mit einer Initiative von Klimaaktivist*innen gegen eine dritte Landebahn in Wien. Dabei merkten wir, dass Flugverkehr noch ein unbeschriebenes Blatt ist und kaum NGOs dazu arbeiteten. Viele Bürgerinitiativen funktionieren eher nach dem Prinzip »not in my backyard«, und es fehlte jede überregionale Vernetzung. 2018 stießen wir mit unserem Positionspapier zur Reduktion von Flugverkehr (Stay Grounded 2018) eine neue Debatte an. Dass inzwischen über 200 Organisationen ein Papier unterstützen, das die Illusion von »Green Growth« und Emissionshandel aufdeckt und nicht »umweltfreundliches Fliegen«, sondern eine Reduktion des Flugverkehrs fordert, war ein Erfolg. Seither sind wir stetig gewachsen und es gründen sich laufend Initiativen, die auf unsere Analyse zurückgreifen. Bisher haben wir vor allem die lokale Arbeit unserer Mitglieder unterstützt, insbesondere im globalen Süden, wo ein neuer Flughafen oft Tausende Existenzen bedroht und darüber kaum international berichtet wird. Aktuell bereiten wir jedoch eine eigene Kampagne, »Let’s stay grounded!« vor, mit der wir im April 2020 an die Öffentlichkeit gehen.
Wie müsste denn eurer Meinung nach eine Regulierung des Flugverkehrs aussehen, die effektiv und sozial gerecht ist, hierzulande und im globalen Maßstab?
Wir haben im Dezember 2019 eine Broschüre herausgebracht mit dem Titel »Degrowth of aviation. Reducing air travel in a just way.«, die demnächst auf deutsch erscheint (Stay Grounded 2019). Zuvor haben wir auf einer Konferenz mit über 150 Menschen aus Bewegungen, Wissenschaft und NGOs über eine Vielzahl von Maßnahmen diskutiert und dabei Klimagerechtigkeit als zentralen Maßstab angelegt. Gerecht sind demnach all jene Maßnahmen, die erstens Verkehr reduzieren, aber weiterhin Mobilität und kulturellen Austausch ermöglichen; die zweitens die unfaire Bevorteilung und Macht der Flugindustrie beseitigen und die drittens reiche Vielflieger*innen stärker in die Verantwortung nehmen als die, die selten fliegen. Viertens müssen sie einen gerechten Strukturwandel einleiten, auch für die Beschäftigten im Flug- und Tourismussektor. Und fünftens dürfen sie nicht zu neuen Problemen führen wie im Falle von Offset-Projekten und Agrartreibstoffen.