Im Gefolge des New Deal und des Zweiten Weltkriegs entstand in den USA eine neue Form der Elitenherrschaft: die power elite, wie C. Wright Mills sie in seinem 1956 erschienenen gleichnamigen Buch beschrieb. Sie kontrollierte den alten ›plutokratischen‹ Reichtum mittels Verwaltungseliten, Spitzenexperten, Großwissenschaftlern und Starintellektuellen, Gewerkschaftern, Konzernmanagern, politischen Generälen und vor allem ›politischen Direktoraten‹. Parallel erwuchs aus der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs und als Folge der asymmetrischen Systemauseinandersetzung eine permanent war economy, ein Militär-Industrie-Komplex: der Pentagon Capitalism (Melman 1970).

Er hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges und unter dem Einfluss der neuen Informationstechnologien ausgeweitet und stabilisiert. Beide Elitenkonfigurationen sind Exportschlager geworden. Nach dem Experten- und Technokratiekomplex der power elite und nach dem Militär-Industrie-Komplex hat sich seit den 1970ern eine dritte Form der Elitenherrschaft herausgebildet, ein Geldmachtkomplex. Geldmacht und Geldkreditketten spielen im Kapitalismus seit jeher eine zentrale Rolle. Doch hat die jüngste Entwicklung des Kapitalismus die Rolle des organisierten, vernetzten Superreichtums und damit die Möglichkeiten der unkontrolliert ausgeübten Geldmacht gewaltig gefördert und erweitert Bis in die 1970er nahm in den USA – auch im Vergleich zu anderen High-Tech-Nationen wie Japan oder denen der EU – die Produktivität stetig zu. Durch technischen Fortschritt konnten die gleichen Produkte immer kostengünstiger hergestellt werden. Damit waren auch die Profite kontinuierlich gestiegen und die Einkommensentwicklung der abhängig Beschäftigten verlief parallel dazu. Mit den Reaganomics setzte sich die Steigerung der Produktivität fort – nun im Zeichen der sich entfaltenden informationstechnologischen Revolution. Die Profite, auch im Bereich des Militär-Industrie-Komplexes, stiegen. Der prozentuale Anteil der US-Superreichen stieg – bis 2008 – auf das historische Spitzenniveau der Zeit vor dem New Deal. Die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten aber stagnierten und sanken seit Ende der 1990er Jahre; ihre Verschuldung explodierte. Steigende Produktivität, steigende Profite und sinkende Arbeitseinkommen führten zu einem Schub der Kapitalakkumulation bei den privaten und institutionellen Geldvermögen. Die Spekulation auf den Kapitalmärkten verdrängte realwirtschaftliche Investitionen.

Der Geldmachtkomplex und seine Akteure

Wie Macht und insbesondere Geldmacht ausgeübt werden, änderte sich von Grund auf. Die Eigentümer großer Geldmengen konnten mit Hilfe der neuen Informationstechnologien Geldmacht (dazu Verwertungs- und Verteilungsmacht) als eine neue Form globaler Souveränität realisieren, weltumspannend bis hin zur Möglichkeit eines financial fascism (Sennett 2004). Umgekehrt ist die kapitalistische Wissens- und Informationsgesellschaft nicht denkbar ohne dieses neue Gravitationszentrum eines Geldmachtkomplexes (Krysmanski 2004; 2009). In dessen Mitte finden wir eine historisch gewachsene, vernetzte ultra-reiche Klientel. Sie ist umgeben von Konzern- und Finanzeliten, die im Dienst und auf Rechnung dieser Klientel ständig neue Möglichkeiten der Kapitalakkumulation erkunden und erfinden – nicht ohne dabei in ständiger Konkurrenz untereinander an sich selbst zu denken. Ihnen wiederum zur Seite stehen politische Eliten bzw. politische Direktorate und Oligarchien, die gerade in der heutigen Situation mit neuen Umverteilungsmodellen experimentieren, die den gesellschaftlichen Reichtum weiterhin möglichst geräuschlos von unten nach oben transportieren, also ohne den sozialen Konsens allzu sehr zu gefährden. Das alles geht schließlich nicht ohne ein Heer untergeordneter Technokraten und Experten (versiert in analytischen, symbolischen und affektiven Spielarten des Wissens). Gesellschaftliche Macht zwischen den Polen hoch technisierter militärischer Gewalt und hoch informatisierter pekuniärer Potenz verdichtet sich also seit den 1990er Jahren zu einem Machtkern im Sinne einer neu strukturierten herrschenden Klasse, der die zentralen Konfigurationen des Militär-Industrie- und der Geldmachtkomplexes verbindet und vereinheitlicht. Ein solches Kraftfeld, das sich der allgemeinen Arbeitskraft, des Gesamts lebendiger gesellschaftlicher Produktivkräfte bemächtigt, muss hochgradig differenziert sein und Widersprüche und gegensätzliche Interessen in sich aufnehmen und austragen – und Orte finden, an denen das ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung zu organisieren ist. Besonders heikel ist die Situation für die Funktionseliten geworden, seit sich der innere Kern der Machtelite in der bürgerlich-medialen Öffentlichkeit durch die Intellektualität und Diskurskompetenz der Funktionseliten repräsentieren lassen muss. Denn die Machtelite hat heute alle Hände voll zu tun, ihre eigene Integrität zu organisieren. Während sie sich an den Orten der Wertschöpfung und Wertverteilung nicht in die Karten sehen lassen darf, muss sie an den öffentlichen Orten der Herstellung und Sicherung eines gesellschaftlichen Gesamtkonsens mit Hilfe der Funktionseliten die Karten so mischen (lassen), dass die Abhängigkeit des Machtkerns vom gesellschaftlichen Gesamtarbeiter nicht zurückverfolgt werden kann. Im gesellschaftlichen Bewusstsein muss vielmehr der umgekehrte Eindruck der Abhängigkeit des Gesamtarbeiters von denjenigen erzeugt werden, die ›Arbeitsplätze schaffen‹ oder ›gute Taten tun‹. Die Funktionseliten sind in diesen Machtspielen privat, um ihrer sozialen Existenz willen, an die Machtelite gefesselt; öffentlich aber, als Teil der lebendigen Arbeitskraft, sind sie dem gesellschaftlichen Gesamtarbeiter verbunden.

Verwertungs- und Verteilungseliten

Konzerneliten und politische Eliten kämpfen also um ihren Ruf, sofern sie innerhalb des Geldmachtkomplexes (oder in Bezug auf ihn) agieren und ihre Aufgaben der Kapitalakkumulation (Verwertungsmacht) und Konsensproduktion (Verteilungsmacht) wahrnehmen. Wie komplex das Machtgefl echt ist, in dem etwa die politische Elite dabei im unsicheren Bunde mit den anderen Eliten agieren muss, hat G. William Domhoff herausgearbeitet (2009a; 2009b). Präsident Obama schien in diesem Sinne für eine Verbindung dieser Aufgaben mit einer Restitution der Demokratie zu stehen und avancierte so zu einer Hoffnungsgestalt überall auf der Welt. Doch er »hat einen enormen Fehler gemacht. Statt die Serienplünderer und ihre Regulierer-Komplizen zur Rechenschaft zu ziehen, möchte er die Obligationen des Finanzsektors durch staatliche Garantien absichern und damit Verbindlichkeiten eingehen, die um ein mehrfaches größer sind als die US-Wirtschaft insgesamt. [...] Die Regierung bricht die Marktregeln des Kapitalismus, um die Rücksichtslosesten unter den Kapitalisten zu belohnen« (Klein 2009).

Wissens- und Informatierungseliten

Schließlich die vielschichtige, differenzierte Gruppe der Experten, Technokraten, Medienleute, Wohlfühlspezialisten: Sie wird künftig das Arsenal der dirty tricks ausbauen müssen, schreibt der Wall Street Journal-Autor Paul B. Farrell. Zunächst müsse auf Biegen und Brechen die Illusion eines neuen Aufschwungs erzeugt werden. Farrell spricht von rund 40 000 Washingtoner Lobbyisten, deren Einfluss den der 537 gewählten Abgeordneten und Senatoren bei weitem übertreffe. Deren Taktiken und Tricks konzentrieren sich zur Zeit auf Blockade aller wirklichen Bewegung und Veränderung; Aufrechterhaltung der offiziellen Rolle der rating agencies um jeden Preis; Verhinderung bzw. Begrenzung aller Regulierungen den Derivatehandel betreffend; Erfi ndung neuer Schlupfl öcher; Ausbau (statt Einschränkung) des Lobby-Systems; vor allem aber Fortsetzung des großen PR-Brainwashing unter der Überschrift: Der große Aufschwung steht kurz bevor (Farrell 2009)! Zugleich erhöhen sich bei dem Professionalisierungsgrad dieser Funktionseliten die Möglichkeiten demokratischer Planung sowie die Chancen der Befreiung einer von Idioten der Macht instrumentalisierten Technik und Wissenschaft – mit der etwa nach den Vorstellungen des Council on Foreign Relations und der Obama-Regierung zukünftige Klassenkämpfe in den Metropolen geführt und die Apparaturen der Macht befestigt werden sollen (Boot 2006; Norton-Taylor 2007). In diesem Sinne hat Obama jüngst das Zusammenspiel von Militär-Industrie- und Geldmachtkomplex neu definiert und eine Behörde des Weißen Hauses für Cyber Security angekündigt. »Diese zivile Behörde ergänzt die Pläne des Pentagon, ein militärisches Cyber Space-Kommando zu schaffen. Von regierungsoffizieller Seite hieß es dazu, dass die Vorbereitungen für die offensive und defensive Computer-Kriegsführung beschleunigt würden. Die neue Behörde des Weißen Hauses ist sowohl dem National Security Council als auch dem National Economic Council berichtspflichtig. Sie wird ein milliardenschweres Programm koordinieren, dass den Zugang zu Regierungscomputern beschränkt, die Computernetzwerke der Börsen und des Bankensystems schützt und sich um die Kontrollsysteme der Luftfahrt und viele andere Funktionen kümmert, die modernes Leben erst möglich machen.« (Sanger 2009) Nicht-öffentliche Machtnetzwerke und vordemokratische Geheimbünde und Intrigengewebe (einschließlich der dynastischen Komponente) haben immer eine wichtige Rolle gespielt. Im Informationszeitalter sind solche Netzwerke nicht einfach gestrickt, eröffnen aber den Superreichen Möglichkeiten des Mitmischens, wie wir sie seit den Zeiten des Hochfeudalismus nicht mehr kennen. Es ist dabei gerade der informelle – d.h. private – Charakter dieser Netzwerke, der Möglichkeiten der Koordination, Konzeptentwicklung und Planungskultur erschließt. Aber auch die Gegenkräfte vernetzen sich – öffentlich, im Internet: In Blogs wird von einer global collectivist society geschwärmt. »Wir unterschätzen, wie sehr die Kraft unserer kybernetischen Werkzeuge unsere Köpfe umbaut. Haben wir wirklich einmal geglaubt, dass wir täglich im Kollektiv virtuelle Welten konstruieren und bewohnen könnten, ohne dass dies unsere Weltsicht verändert? Die Kraft des Online-Sozialismus wächst. Diese Dynamik verlässt die Welt der Elektronen – vielleicht in Richtung Wahlen.« (Kelly 2009) Besonders interessant ist die Initiative Reimagining Society (2009), die von Linken wie Walden Bello, Noam Chomsky, Barbara Ehrenreich, Susan George, Naomi Klein u.v.a. unterstützt wird. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich Formen des elektronisch qualifizierten Klassenkampfs von unten ab, virulenter als Obamas Internet-WahlspendenSammlungen, bis hin zu zarten Parteipflänzchen wie der Piraten-Partei.

Brüchigkeit der Machtkomplexe

Entgegen allen Versuchen, die Krise des Geldmachtkomplexes und die damit einhergehende Krise des Militär-Industrie-Komplex durch PR wegzureden, steht eine Frage im globalen Raum: Was whole economy a Ponzi scheme? (»War die ganze Wirtschaft ein Pyramidenspiel«, Saft 2009). Derzeit braust die Entwicklung der Produktivkräfte über die fein gespannten Netze des GMK hinweg und lässt sie rechts liegen, (vgl. Paul Kennedy 2009). Damit stellt das kapitalistische ›System‹, entschleiert und historisiert, selbst die transkapitalistische Systemfrage. Und auch die Produktivkräfte im Militär-Industrie-Komplex nehmen inzwischen groteske Formen an. In dieser Situation müssen Versuche ernst genommen werden, im publizistischen Tagesgeschäft die innere Vernunft des (finanz-)kapitalistischen Systems doch noch zu retten. Damit ist zum Beispiel auf der konservativen Seite des Leitartikelwesens David Brooks beschäftigt. Er fragte, ob die Finanzkrise nicht durch eine Kombination von Gier und Dummheit der Beteiligten verursacht worden sei. Das Gier-Narrativ sieht in der US-Finanzkrise nur eine größere Version jener Krisen, welche emerging-market-Nationen seit Jahrzehnten immer wieder befallen haben: Eine Oligarchie übernimmt die Kontrolle. Die Oligarchen verlieren alle Maßstäbe und bauen ihr Imperium über einem gewaltigen Schuldenberg. Im Dummheits-Narrativ merken übermäßig selbstbewusste Banker nicht mehr, was sie eigentlich tun. »Das Gier-Narrativ legt den Schluss nahe, dass die Regierung den Finanzsektor rigoros restrukturieren sollte. Das Dummheits-Narrativ steht dieser Art von Radikalismus argwöhnisch gegenüber. Es folgt eher dem Gedanken, die wesentlichen Strukturen des Marktes zu erhalten, sie aber transparenter, verständlicher und geradliniger zu gestalten. Beide stimmen jedoch in einem überein: Die Banken sind zu groß geworden. Beide Narrative implizieren, dass wir in eine Zeit zurückkehren sollten, als Banken fokussierte Institutionen waren – eine Zeit, in der Sparkassen, Versicherungen, Maklerfirmen und Investmentbanken getrennte Leben führten.« (Brooks 2009) Diese Vision einer Selbstheilung des Geldmachtkomplexes ist eine rückwärts gewandte Utopie. Wir beobachten in der Krise ganz im Gegenteil einen Konzentrations- und Verdichtungsprozess – und die Veränderungschance besteht zunächst allein darin, diese Prozesse zu analysieren und auf diese Weise zu begründeten, den historischen ›Gesetzmäßigkeiten‹ angepassten Aktionsvorschlägen zu kommen. Und an dieser Stelle taucht wieder der Militär-Industrie-Komplex auf, in sich schnell wandelnder Gestalt. Der US-amerikanische Militärapparat wird derzeit zu einer weltumspannenden High-Tech-Kampfmaschine umgebaut, die in die Lage versetzt werden soll, zu jeder Zeit und an jedem Ort zentrale Macht- und Herrschaftsstrukturen staatlicher und nichtstaatlicher Gegner ›chirurgisch‹ auszuschalten. In diesem Sinne war die Rumsfeldsche Strategie im Irak ein ›Erfolg‹. Diese unter Obama beschleunigt etablierten hochkomplexen und effektiven Kapazitäten sind auch den Freunden und Feinden des US-amerikanischen Geldmachtkomplexes vollkommen bewusst. Und es ist mit Händen zu greifen, dass man sich danach verhält – von Moskau bis Peking, von Caracas bis Teheran. Dieses unerreichbare High-Tech-Drohpotenzial lagert über allen Regimes, die sich dem Empire verweigern. Das Drohpotenzial kann sich am besten gegen Macht- und Funktionseliten richten. Seymour Hersh beispielsweise, der unter anderem die Folterungen in Abu Ghraib aufgedeckt hat, deutete an, dass es verdeckte militärische Operationen gebe, die man als einen elite assassination ring bezeichnen kann: »Sie sind in bestimmte Länder gekommen, haben weder mit dem US-Botschafter noch mit dem örtlichen CIA-Chef Kontakt aufgenommen, haben bestimmte Leute, die auf ihrer Liste standen, aufgespürt, exekutiert und sind wieder verschwunden. Und das passiert in unser aller Namen.« (Black 2009) Who are the Shadow Warriors?, wird gefragt (Hallinan 2009). Und ein Oberst der US-Armee schlägt vor, im äußersten Falle auch Journalisten anzugreifen, die unautorisiert aus Kampfgebieten berichten (Scahill 2009). Das New Yorker Council on Foreign Relations passt die angelsächsische Aufklärungstradition diesen Tendenzen auf pragmatische Weise an. Sein langjähriger Präsident Leslie Gelb definiert Macht als »die Fähigkeit, mittels unserer eigenen Ressourcen und Position andere Leute dazu zu bringen, durch Druck oder Zwang Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen. [...] Globale Macht hat entschieden die Form einer Pyramide – mit den Vereinigten Staaten ganz oben allein an der Spitze, dann eine Stufe darunter eine Reihe von größeren Ländern (China, Japan, Russland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland und Brasilien) und dann abwärts weitere Stufen. Aber unter all diesen Nationen sind die USA die einzige wirklich globale Macht mit globaler Reichweite«. Gelb will von den neuen digitalen Machttechnologien nichts wissen. Er kann deshalb auch nichts anfangen mit dem Konzept einer soft power (Joseph Nye): »Überredungskunst, ein gutes Wertesystem und Führungsfähigkeit allein werden keinen fremden Machthaber veranlassen, Anweisungen zu folgen. Für mich ist soft power Vorspiel, nicht die Sache selbst.« (Gelb 2009, 23) Aber diese Verschmelzung von Geldmacht- und Militär-Industrie-Komplex wird Geld kosten, zu viel Geld. Schon im November 2008 hatte der bail-out mehr als 4,6 Billionen Dollar verschlungen, mehr als alle anderen imperialen Projekte der USA zusammen (Ritholz 2008).

Eine längere Version des Artikels findet sich unter: www.uni-muenster.de/PeaCon/ELITENundGMK-16-6-09.pdf