Nach vier Jahren steht fest: Der von der US-Regierung betriebene Regime Change in Venezuela ist endgültig gescheitert. Die vor allem von den USA und der rechten Vorgängerregierung Iván Duques in Kolumbien unterstützte Rechtsopposition war in dieser Zeit weder in der Lage, den Sturz von Präsident Maduro mit gewalttätigen Destabilisierungs- und Putschversuchen herbeizuführen.[1] Auch die Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten und der EU, die sich in ihren Folgen gegen die Lebensbedürfnisse der Bevölkerung richtet, brachte nicht die gewünschten Ergebnisse.

Drei der vier bedeutendsten Oppositionsparteien des Rechtsbündnisses „Einheitliche Plattform“ (Plataforma Unitaria) lösten daraufhin die von ihnen installierte „Übergangsregierung“ auf und schassten den selbsternannten „Interimspräsidenten“ Juan Guaidó (vgl. Amerika21, 2.1.2022). Die Entscheidung wurde auf einer virtuellen Sitzung von Oppositionsabgeordneten in der Nationalversammlung getroffen, die, obwohl ihr Mandat offiziell im Januar 2021 ausgelaufen war, ein weitgehend zeremonielles Parallelparlament zur neugewählten Nationalversammlung aufrechterhalten haben und dessen Mandat ohne jede Wahl jährlich selbst verlängerten. Der ehemalige Abgeordnete Alfonso Marquina erklärte, dass die „Figur der Übergangsregierung nicht dazu beiträgt, die Ziele des venezolanischen Volkes zu erreichen" und rief dazu auf, die Strategie „neu zu definieren" und „die Kräfte wieder zu vereinen".

Der »Interimspräsident«

Rückblick: Am 23. Januar 2019 kürte sich der damalige Präsident der Nationalversammlung, Juan Guaidó, mit Unterstützung rechter und konservativer Parteien Venezuelas zum „Interimspräsidenten“. Er berief sich auf Artikel 233 der Verfassung, der die Vorgehensweise für den Fall einer Vakanz des Präsidentenamtes regelt. Diesbezüglich argumentierte die Rechtsopposition, dass die Präsidentenwahl 2018 von Maduro „illegitim“ gewonnen worden sei, ignorierend, dass Artikel 233 zunächst vorsieht, das Amt an den Vize zu übergeben, ebenso, dass die Dauer einer Interimspräsidentschaft laut Verfassung höchstens 90 Tage beträgt und bis zum Ende der Frist Neuwahlen organisiert werden müssen.

Innerhalb des Landes hatte diese Anmaßung keinerlei Auswirkung. Die Regierung verblieb bei Maduro und der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV), während Guaidó Schatteninstitutionen installierte, um den Sturz der Regierung Maduro zu betreiben. Schon in den Tagen nach der Selbstinthronisierung im Januar 2019 zeigte sich, dass sein Putschversuch nicht Ausdruck eines spontanen Aufstands einer breiten Bevölkerungsmehrheit in Venezuela war, sondern Teil eines von den USA unterstützten Regime Change. Der ehemalige Sicherheitsberater Donald Trumps im Weißen Hauses, John Bolton, gestand in einem Interview mit dem US-Sender CNN ein, „bei der Planung von Staatsstreichen in verschiedenen Ländern geholfen" zu haben. Bolton nannte keine Details, aber zwischen 2018 und 2019 befürwortete er ein militärisches Eingreifen der USA in Venezuela (Amerika21, 16.7.2022). Innerhalb weniger Stunden wurde Guaido von den USA und den rechts-konservativen Regierungen Lateinamerikas anerkannt, danach folgten Deutschland und die meisten EU-Staaten – weltweit waren es 60 Staaten, die den Coup legitimierten. 

Umstrittene Außenpolitik

In Deutschland war dieses Vorgehen umstritten. Die Jurist*innen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages stellten in einem Gutachten unter dem Titel „Rechtsfragen zur Anerkennung des Interimspräsidenten in Venezuela“ im Februar 2019 fest: „Die Anerkennung des Oppositionspolitikers Guaidó als venezolanischen Interimspräsidenten stellt (…) eine Abkehr von der bisherigen Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland dar. Bislang war es jahrelange deutsche Staatspraxis, lediglich Staaten anzuerkennen und keine Regierungen oder Präsidenten.“

Fakt ist: Von den vielen diplomatischen Tiefpunkten in der Geschichte des Auswärtigen Amtes (AA) konzentriert sich ein erheblicher Teil auf Südamerika. Beispielhaft ist die wohlwollende Akzeptanz des faschistischen Putsches gegen Salvador Allende sowie der Umgang mit den Opfern der Colonia Dignidad, aber auch die Untätigkeit und Indifferenz der zuständigen Beamten am Werderschen Markt in Berlin angesichts der schweren Folter und Ermordung linksgerichteter deutscher Staatsbürger*innen durch die argentinische Militärjunta. Im November 2019 rechtfertigte und legitimierte das AA den Putsch der weißen Elite gegen den ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales. Die Art und Weise, wie die Bundesregierung und vorneweg das Auswärtige Amt unter Leitung von Heiko Maas (SPD) trotz besseren Wissens Guaidó und dessen korrupte Umgebung jahrelang gegen alle völkerrechtlichen Gepflogenheiten als „Präsident“ anerkannte, steht für einen weiteren „Fehlgriff“ bundesdeutscher Außenpolitik in Südamerika.

Unterstützung des Westens: viel investiert, wenig Erfolg

Trotz erheblicher Unterstützung des Westens konnte Guaidó die in ihn gesetzten Erwartungen des damaligen US-Außenministers Mike Pompeo und dessen Sonderbeauftragten für die „Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela“, Elliott Abrams, Maduro zu stürzen und durch eine wirtschaftsfreundliche Regierung zu ersetzen, nicht erfüllen. Weder beim Militär noch unter den Sicherheitskräften hatte der „Interimspräsident“ Rückhalt, seine Macht endete an den Türen der von Maduro entmachteten Nationalversammlung. In der Praxis übte der Rechtspolitiker innerhalb Venezuelas nie irgendeine politische Macht aus; dennoch bekam sie von den USA und dessen Verbündeten die Kontrolle über im Ausland unrechtmäßig beschlagnahmte Vermögenswerte des venezolanischen Staates. 

Dazu gehören beispielsweise die acht Milliarden Dollar schwere Tochterfirma Citgo des staatlichen Erdölunternehmens PDVSA in Houston/USA sowie 31 Tonnen nationale Goldreserven, die in der Bank of England lagern. Im August 2022 entschied das Oberste Gericht Großbritanniens zu Gunsten des „Interimspräsidenten" und wies den Versuch der venezolanischen Zentralbank (BCV) zurück, die Kontrolle über die Goldreserven des Landes wiederzuerlangen.[2] Erst jüngst bewilligte der US-Senat 50 Millionen US-Dollar für Programme zur „Demokratieförderung" in Venezuela für das Jahr 2023.[3]

Mittlerweile haben zahlreiche internationale Protagonisten des selbst ernannten „Interimspräsidenten“ offiziell oder stillschweigend ihre Unterstützung eingestellt. Die EU hatte schon im Januar 2022 teilweise ihren Kurs korrigiert und Guaidó in einer Erklärung aller EU-Mitgliedstaaten nicht mehr als „Übergangspräsidenten“, sondern nur noch als „ehemaligen Vorsitzenden der Nationalversammlung“ und „privilegierten Gesprächspartner“ bezeichnet. Auch das Auswärtige Amt in Berlin, das ihn auf seiner Internetseite als „Interimspräsidenten“ vorgestellt hatte, löschte den Eintrag Ende Januar 2021. Im Oktober des vergangenen Jahres forderten in der Generalversammlung der von Washington dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) 19 der 33 Mitgliedsländer, die Vertreter von Guaidós Exilregierung nicht mehr zuzulassen. Die sogenannte Lima-Gruppe, in der sich 2017 vierzehn lateinamerikanische Staaten gegen das Maduro-Regime zusammengeschlossen hatten, löste sich auf. Der neugewählte linksgerichtete Politiker Gustavo Petro in Kolumbien leitete im vergangenen Jahr eine Normalisierung der Beziehungen zu Caracas ein. Dies wird nun auch vom brasilianischen Präsidenten Lula da Silva erwartet.

Misswirtschaft und Sanktionen

Zu Guaidós Scheitern hat maßgeblich beigetragen, dass in Folge des Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen Wirtschaftssanktionen gegen Russland für die USA und ihre Verbündeten der Anreiz, mit Venezuela wieder ins Geschäft zu kommen, stark gewachsen ist. Venezuela verfügt über die größten bekannten Öl-Reserven auf der Welt, fördert allerdings nur einen Bruchteil. 

Die wichtigste Industrie des Landes leidet unter Korruption, mangelnden Investitionen und Innovationen sowie der Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte. Der Druck der US-Sanktionen verstärkte den Produktionsrückgang von durchschnittlich 1,9 Millionen Barrel Rohöl pro Tag 2017 auf nur noch 200 000 pro Tag im Dezember 2020. Damit wurde der Transfer von Erdöleinnahmen über staatlich finanzierte Sozialprogramme in private Kaufkraft verringert, was eine Verschlechterung des materiellen Lebensstandards in fast allen sozialen Schichten zur Folge hatte.[4] Viele Beschäftigte des öffentlichen Sektors nahmen Zweitjobs an oder wanderten in den privaten Sektor oder ins Ausland ab. Auch aufgrund der desolaten Versorgungslage haben seit 2015 rund sieben Millionen Venezolaner*innen ihre Heimat verlassen.[5]

Auswirkungen von Währungsspekulationen, deren Ursachen bis ins Jahr 2002 zurückgehen, verschärften seit 2013 die wirtschaftlichen Probleme. Das Währungskontrollsystem kam unter Druck, als der Schwarzmarktdollar auf das Zehnfache des offiziellen Werts von 6,3 Bolívares (BsF) für einen US-Dollar emporschoss, was Händlern enorme Spekulationsgewinne ermöglichte, die die staatlich subventionierten Waren nicht im Inland verkauften, sondern massenhaft – die Regierung schätzt 30-40 Prozent – über die Grenze nach Kolumbien schmuggelten, um sie dort zum vielfachen Preis zu verkaufen. Dies führte zu Versorgungsengpässen bei Waren des täglichen Bedarfs – die Inflationsrate stieg zeitweilig auf über 56 Prozent. Den Kaufkraftverlust versuchte die Regierung durch die Steigerung des Mindestlohns auszugleichen. Doch dies reichte nicht aus, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Die kumulierte Inflation erreichte 2018, 2019 und 2020 jeweils 130 000, 9 584 und 2 961 Prozent. Nach Angaben der venezolanischen Zentralbank (BCV)  ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes seit 2015 um mehr als zwei Drittel geschrumpft.

Ab 2018 schlug die Regierung Maduro einen liberaleren Weg ein, um die Inflationsspirale unter Kontrolle zu bringen. Zu den Maßnahmen gehörten die Aufhebung von Preis- und Devisenkontrollen, Steuererleichterungen für Importe, eingefrorene Kredite, eine stärkere Beteiligung des Privatsektors an staatlichen Unternehmen und eine De-facto-Dollarisierung. Verschiedene – allerdings auch umstrittene – wirtschaftspolitische Maßnahmen ermöglichten es, die eigene Nahrungsmittelversorgung von nur 20 Prozent des nationalen Bedarfs im Jahr 2017 auf 89 Prozent im Jahr 2021 zu erhöhen.

Die Erdölproduktion stieg zwischen Januar und September 2022 um 27,09 Prozent (zwischen 600 000 und 700 000 Barrel pro Tag). Es wird erwartet, dass die Produktion und der Export weiter ansteigen werden, da der US-Konzern Chevron seine Tätigkeit im Land wieder aufgenommen hat, nachdem das US-Finanzministerium eine begrenzte Befreiung von den Sanktionen genehmigte. Am 3. Januar dieses Jahres verschiffte der Konzern eine 500 000 Barrell-Ladung schweres Hamaca-Rohöl, Bestimmungsort war die Raffinerie des Unternehmens in Pascagoula, Mississippi. Es war die erste Lieferung in die USA seit 2018. Ein Jahr zuvor hatte Ex-Präsident Donald Trump die ersten Sanktionen gegen das Land verfügt.

Bereits am 5. März 2022 besuchten Vertreter der Regierung Joe Bidens Venezuela. Es sei vor allem um die „Energiesicherheit“ der USA gegangen, bestätigte die damalige Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jennifer Psaki. Inzwischen genehmigte Biden einige Lockerungen bei den US-Sanktionen gegen Venezuelas staatlichen Ölkonzern PDVSA. (vgl. INFOsperber, 1.12.2022).

Rechte Opposition verändert ihre Strategie

Der symbolische Dolchstoß ins Herz von Guaidós Legitimität erfolgte möglicherweise auf dem COP27-Gipfel im vergangenen November in Ägypten, wo Maduro Gespräche mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry und europäischen Staatsoberhäuptern wie dem französischen Präsidenten Macron führte, der ihn demonstrativ „Präsident“ nannte.

Zeitgleich diversifizierte die rechte Opposition in Venezuela ihre Strategie. Der Schritt, Guaidó in die Wüste zu schicken, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Oppositionskräfte sich wieder an Wahlen beteiligen wollen, um die regierende PSUV bei den für 2024 geplanten Präsidentschaftswahlen herauszufordern. Die Rahmenbedingungen für die Wahlen wurden in einem Dialog zwischen der bolivarischen Regierung und Teilen der Opposition Ende November 2022 in Mexiko-Stadt unter Aufsicht norwegischer Vertreter*innen festgelegt. Wichtig dabei: Schon bei ihrer ersten Verhandlungsrunde unterzeichneten beide Seiten eine Vereinbarung über die Freigabe von drei Milliarden Dollar für die Lebensmittelversorgung und soziale Projekte. Dafür soll ein Fonds eingerichtet werden, der von den Vereinten Nationen verwaltet wird. In den sollen Teile der Gelder fließen, die auf internationalen Konten liegen, zu denen nur Guaido Zugriff hatte und die nun von der beschlossenen Kommission verwaltet werden sollen.

Mittlerweile haben sich die zehn wichtigsten Oppositionsparteien darauf geeinigt, im Juni 2023 Vorwahlen abzuhalten, um einen Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im Jahr 2024 zu bestimmen. Die PU-Bündnispartei „Voluntad Popular“ will dazu noch einmal Guaidó ins Rennen schicken. Laut einer Umfrage der Andres Bello Universität in Caracas vom November 2022 gaben jedoch lediglich sechs Prozent der Venezolaner*innen an, für diesen stimmen zu wollen.