Kaum ein Einwand gegen die Vergesellschaftung der Wohnungen privater Wohnungskonzerne wird so häufig vorgebracht wie die Kosten, die dadurch entstehen könnten. Vor allem Franziska Giffey hat sich im SPD-Wahlkampf um das Berliner Rathaus damit hervorgetan, wieder und wieder zu betonen, die »Enteignung würde Berlin 30 Milliarden Euro kosten«. Dieses Geld wolle sie lieber »sinnvoll für Wohnungsbau und Infrastruktur verwenden und es nicht Vermietern geben, die nicht fair mit ihren Mietern umgehen« (B.Z., 4.7.2021).
Gleichzeitig war es die Berliner SPD, die der umstrittenen Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen ihren politischen Segen gab und den Konzernen nur wenige Tage vor der Wahl gut 14 750 Wohnungen abkaufte. Und zwar zu einem Preis, der hochgerechnet auf die geschätzt 243 000 für die Vergesellschaftung vorgesehenen Wohnungen Kosten von 40 Milliarden Euro bedeuten würde.
Durch den am 26. September 2021 mit deutlicher Mehrheit gewonnenen Volksentscheid von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« wird die Diskussion um den Preis der Vergesellschaftung von Wohnungen privater Immobilienkonzerne konkret. Die eingangs zitierte Position von Franziska Giffey und der Berliner SPD zeigt, wie vehement und wie widersprüchlich diese geführt wird. Deutlich wird aber auch, dass die Entschädigungsfrage – neben der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit (vgl. Drohsel/Röhner in diesem Heft) – zu den brisantesten und im Ergebnis offenen Streitpunkten in der laufenden Debatte gehört.
Konfliktträchtige Kostenschätzung
Die immer wieder genannten »mindestens 30 Milliarden Euro« Entschädigungskosten gehen zurück auf die amtliche und von Beginn an umstrittene Schätzung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) vom März 2019. Demnach müssten die Wohnungskonzerne eine Entschädigung zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro erhalten, zuzüglich »Erwerbsnebenkosten« in Höhe von 180 Millionen Euro für die Wertermittlung sowie weiterer Kosten für die praktisch-organisatorische Umsetzung (Senatsverwaltung für Inneres und Sport 2019).
Schon kurze Zeit später wies »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« auf Unstimmigkeiten hin. Während die angegebene Obergrenze von 36 Milliarden Euro auf die Geschäftsberichte der betroffenen Unternehmen zurückgehe, habe die Verwaltung bei der Untergrenze von 28,8 Milliarden Euro angenommen, dass Wertsteigerungen, die nicht auf Eigenleistung der Unternehmen beruhten, möglicherweise herausgerechnet werden dürften. Die Initiative kritisiert, dass für diese Abschläge aber nur leistungslose Gewinne infolge von Bodenwertsteigerungen herangezogen wurden, nicht aber die Gebäudewertsteigerungen. Würden diese eingerechnet und würden die Tilgungs- und Zinsausgaben über einen Zeitraum von 45 Jahren korrekt berechnet, so die Initiative, läge der Schätzwert lediglich bei 18,1 Milliarden Euro (DWE 2019). Diese Summe sei vollständig aus den Mieteinnahmen finanzierbar – ohne jeden Zuschuss aus öffentlichen Mitteln. Die Mieten könnten dabei sogar noch um fast ein Euro pro Quadratmeter gesenkt werden.
Auf noch grundsätzlichere Defizite weist Fabian Thiel, Professor für Immobilienbewertung in Frankfurt am Main, hin. Die überschlagsartige Kalkulation des Senats sei »deutlich zu hoch« angesetzt, »vollkommen falsch« und »ins Blaue hinein geschätzt« (Thiel 2021, 390). Wenn Wohn- und Geschäftsräume sowie bebaute und unbebaute Grundstücke differenziert betrachtet, einheitliche Bewertungsverfahren angelegt und plausible Annahmen zu Wertanteilen und Kaufzeitpunkten getroffen würden, ergebe sich »eine gegenüber der Kostenschätzung des Senats um ca. 66 – 70 Prozent reduzierte Entschädigungssumme« (ebd.). Das entspricht einer Entschädigungssumme von nur etwa 9,5 Milliarden Euro.
Vergesellschaften zum Marktwert?
Die Kostenschätzung des Senats muss also als das gesehen werden, was sie ist: eine politische Schätzung, die vor allem die Wirkung hat, die Umsetzung des Volksbegehrens zu erschweren. Durch das zaghafte Herausrechnen leistungsloser Gewinne an den Immobilienpreissteigerungen ist der Senat selbst vom Verkehrswert – also dem aktuell auf dem Markt zu erzielenden Preis – abgerückt. Doch ist der Marktwert überhaupt der richtige Ausgangspunkt, um die Entschädigung zu berechnen? Immerhin ist die Vergesellschaftung (nach Art. 15 Grundgesetz [GG]) weder ein Kauf, noch darf sie mit Enteignungen (nach Art. 14 GG), wie sie zum Beispiel für den Autobahn- oder den Kohleabbau üblich sind, verwechselt werden.
In Enteignungsverfahren hat sich eine am Marktwert orientierte Summe durchgesetzt – auch, weil es dabei oft um die Existenzen der von Enteignungen unmittelbar betroffenen Haus- oder Landbesitzer*innen geht. Doch selbst in diesen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass eine »starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung« dem Grundgesetz fremd sei und der Gesetzgeber »je nach den Umständen [...] auch eine darunterliegende Entschädigung bestimmen« könne (zit. nach Wieland 2019, 23). Aus der Rechtsprechung könne, so Joachim Wieland (2021), außerdem abgeleitet werden, dass zwischen Eigentum aus Eigenleistung und leistungslos erlangtem Vermögen unterschieden werden muss. Vorgaben gäbe es aber weder zur Art der Berechnung noch zur Form der Auszahlung. Mehr gehe aus der Rechtsprechung nicht hervor, sondern müsse politisch ausgehandelt werden.
Diese politischen Spielräume gelten auch für den Vergesellschaftungsartikel 15, der in der Entschädigungsfrage auf den »Enteignungsartikel« 14 Abs. 3 GG verweist. Demnach sei die Entschädigung »unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen«. Doch anders als eine Enteignung, die an der Eigentumsordnung nichts Grundsätzliches ändert, sondern im »Interesse der Allgemeinheit« nur den Eigentümer austauscht, bedeutet die Vergesellschaftung die Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen oder Produktionsmitteln in eine ganz andere Eigentumsform, nämlich »in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« (Artikel 15 GG).
Dieser kategorische, verfassungsrechtliche Unterschied muss bei der Entschädigungsfrage berücksichtigt werden. Dabei lohnt ein Blick in die frühen Diskussionen um die Auslegung des noch jungen Grundgesetzes. Damals, zu Beginn der 1950er Jahre, hat der Verfassungsrechtler Helmut Ridder den Unterschied zwischen Enteignung und Vergesellschaftung in folgende Worte gefasst: Anders als mit einer Enteignung gerieten die Eigentümer*innen mit der Sozialisierung »der werdenden Ordnung gegenüber in einen Unrechtszustand«. Übertragen auf die Umsetzung der Forderungen von »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« bedeutet das, dass ab diesem Zeitpunkt ein Privateigentum an großen Wohnungsbeständen nicht mehr vorgesehen wäre. Ein Markt für die entsprechenden Wohnungen existierte dann gar nicht mehr, und entsprechend dürfe eben auch kein Marktwert als Ausgangspunkt für die Kompensation der Eigentümer*innen dienen. Eine Entschädigung sei natürlich trotzdem zu leisten, aber eben nicht als »gerechtes Subtrahieren vom vollen Wertersatz auf der einen« Seite, wie das bei Enteignungen der Fall ist, sondern als »gerechtes Addieren zum Nichts auf der anderen Seite« (zit. nach Thurn 2020).
Doch auch aus wirtschaftlicher Sicht scheint eine Entschädigung nach Verkehrswert »absurd«, so der Institutionenökonom Thorsten Beckers. Da die Wohnungskonzerne mit ihrem Marktanteil von etwa 15 Prozent und ihrem ungleich höheren politischen Einfluss wesentlich daran beteiligt waren, die Immobilienpreise in die Höhe zu treiben, wäre eine Kompensation zum Marktwert gleichbedeutend mit einer »Auszahlung des Barwerts der Macht« (Beckers/Vorwerk 2021, zit. nach Peter 2021). Das aber wäre das genaue Gegenteil eines gerechten Interessensausgleichs zwischen Konzernen und Allgemeinheit, wie es das Gesetz vorsieht.
Wege zur gerechten Entschädigung
Da der Vergesellschaftungsartikel nie angewandt wurde, gibt es für die Entschädigung der davon betroffenen Wohnungskonzerne keine Vorbilder. Sicher scheint: Sie darf nicht so niedrig sein, dass sie betroffene Unternehmen in den Konkurs treibt, und nicht so hoch, dass sie an den Verkehrswert heranreicht oder ihn gar überschreitet. Sicher ist außerdem: Alles Weitere ist Gegenstand politischer Aushandlung.
Die »AG Sozialisierung« (2021) um den Stadtsoziologen Andrej Holm hat in einem Thesenpapier vier Alternativmodelle vorgestellt, wie im Rahmen einer solchen politischen Aushandlung die Entschädigungshöhe berechnet werden könnte: nach »leistbarer Miete«, nach vereinfachtem Ertragswert, nach getätigten Investitionen der Konzerne oder nach ihren bestehenden Schulden. Allen Modellen liegen die Annahmen zugrunde, dass die Entschädigung 1. die Vergesellschaftung und damit die nachhaltige Bewirtschaftung zu leistbaren Mieten nicht verhindert; 2. den Landeshaushalt nicht langfristig belastet; 3. nicht im Widerspruch zur Schuldenbremse stehen darf; und dass 4. mit der Entschädigungssumme keine Spekulationsgewinne vergütet werden dürfen. Alle Modelle ergeben Entschädigungshöhen, die deutlich unter den von den Vergesellschaftungsgegner*innen propagierten 30 Milliarden Euro oder mehr liegen.
Vielversprechend scheint insbesondere der Weg, eine allgemein leistbare Miete zu bestimmen und die daraus folgenden Mieteinnahmen für die Entschädigungsberechnung zugrunde zu legen. Diesen Ansatz vertritt auch die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«. In ihrem »Faire-Mieten-Modell« geht sie davon aus, dass auch Menschen an der Armutsgrenze nicht mehr als 30 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens für die Bruttowarmmiete ausgeben sollten. Dabei kommt sie auf eine Nettokaltmiete von etwa 4 Euro pro Quadratmeter. Eine Entschädigungssumme, die eine solche »leistbare Miete« ermöglicht, dürfe entsprechend höchstens 8 Milliarden Euro betragen (DWE 2020). Die »AG Sozialisierung« bringt darüber hinaus eine »soziale Bewirtschaftung« ins Spiel, die Mieten von durchschnittlich 5 Euro nettokalt zugrunde legt. Diese läge dann zwischen der genannten Leistbarkeitsgrenze und einer am (für die städtischen Wohnungsgesellschaften weiterhin gültigen) Mietendeckel orientierten Miete von 5,95 Euro. Daraus ergibt sich eine Entschädigungssumme von 14,5 Milliarden Euro.
Wie die Vergesellschaftung finanzieren?
Neben der Höhe der Entschädigung ist auch die Form der Auszahlung sowie die Art ihrer Finanzierung offen. Anders als in öffentlichen und medialen Diskussionen oft suggeriert, muss die Entschädigungssumme keineswegs sofort und als Einmalzahlung aufgebracht werden. Auch längerfristige Schuldverschreibungen, wie von der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« vorgeschlagen (DWE 2021), wären denkbar, genauso wie Ausgleichsflächen oder Erbbaurechte, die mit einer langfristig abzahlbaren Entschädigung verrechnet werden könnten (Thiel 2021, 387).
Vor allem muss die Entschädigung nicht aus der Haushaltskasse gezahlt werden, denn mit der Vergesellschaftung übernimmt die öffentliche Hand ja auch Vermögenswerte und Mieteinnahmen, aus denen die Entschädigung finanziert werden kann. Dabei wäre eine potenzielle »Vergesellschaftungsdividende«, die durch eine Überführung der heute profitorientiert bewirtschafteten Wohnungen in Gemeinwirtschaft entstünde, erheblich: 37 Prozent der Mieteinnahmen, die etwa Vonovia im Jahr 2020 an ihre Aktionär*innen ausgeschüttet hat (vgl. Unger 2021), könnten eingespart und für Mietsenkungen, für Entschädigungszahlungen sowie mittel- bis langfristig auch für Ankäufe und Neubauten eingesetzt werden.
Unabhängig von der jeweiligen Höhe und Form der Entschädigung wären dennoch Kredite nötig. Diese könnten von einer Anstalt öffentlichen Rechts (A.ö.R.) aufgenommen werden, die nach Beschlusstext des Volksentscheids die vergesellschafteten Wohnungen übernehmen soll. Damit wären zwei Vorteile verbunden: Zum einen greift bei einer Kreditaufnahme durch staatseigene Unternehmen, die in einer selbstständigen Rechtsform organisiert sind, die Schuldenbremse nicht. Dies gilt beispielsweise auch im Fall des Schulbaus durch die landeseigene HOWOGE oder bei den U-Bahn-Bestellungen der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG A.ö.R. Zum anderen könnte die neue Wohnungsgesellschaft, für die das Land die Haftung übernehmen müsste, von den Finanzierungsvorteilen staatlicher Institutionen profitieren. Denn die Entschädigungssumme kann sich die A.ö.R. als besonders kreditwürdige öffentliche Institution am Kapitalmarkt zu deutlich günstigeren Konditionen leihen als beispielsweise die Wohnungskonzerne, die ihre Wohnungsbestände ja auch über Schulden finanzieren. Auf diese Weise könnten die Zinsen und Tilgungen aus niedrigeren Mieteinnahmen finanziert werden, als dass den Privaten möglich ist. So argumentiert auch Thorsten Beckers: »Wegen der geringeren Kapitalkosten der öffentlichen Hand ist ein Finanzierungskonstrukt problemlos möglich, das den Landeshaushalt nicht belastet, aber geringere Mieten ermöglicht.« (Beckers/Vorwerk 2021) Voraussetzung dafür bleibt, dass die Berechnung der Entschädigungssumme die künftigen Mietzahlungen nicht überschätzt – kurz: dass die Spekulation auf steigende Mieten anders als beim Marktwert nicht eingepreist wird.
Entschädigung und Finanzierung: eine politische Frage
All diese Überlegungen zeigen: Der Preis der Vergesellschaftung ist kein Schicksal, sondern eine Frage der politischen Aushandlung – und damit der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Mit mehr als einer Million Stimmen für den Volksentscheid hat die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« diese schon erheblich verschoben. Um die Vergesellschaftung tatsächlich umsetzen zu können, wird es darauf ankommen, ein Entschädigungsmodell zu finden, das die grundgesetzlich gebotene »gerechte« Interessensabwägung so trifft, dass sie die Gewinne für die Vielen und für das Allgemeinwohl deutlich über die von Konzernen und Aktionär*innen stellt. Eine aus politischen Gründen zu hoch angesetzte Summe verhindert genau das.