In den vergangenen Jahren waren Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern oft nur schwer auszumachen. Niemand wollte über Rassismus reden; niemand wollte über Armut reden.“

Sauda Baraka hat sich um einen Sitz im Schulaufsichtsrat von Bridgeport (Connecticut) nicht bemüht, um sich damit für höhere Ämter zu bewerben. Als ihre Kinder die öffentliche Schule in Bridgeport besuchten, sah sie sich selbst schlicht als engagierte Mutter – bis sie 2004 von der Republikanischen Partei angeworben wurde, für den Rat1 zu kandidieren. In Connecticut sind jeweils drei Sitze in den Schulräten für Oppositionsparteien reserviert. Bridgeport ist seit langem von der Demokratischen Partei dominiert und diese Sitze fielen an die Republikaner. Baraka kandidierte und gewann den Sitz.

Nachdem sie vier Jahre lang für mehr finanzielle Unterstützung und Transparenz in der Schulpolitik gekämpft hatte, setzten sie die Republikaner „vor die Tür“, erklärte sie gegenüber In These Times. „Ich nehme an, sie waren mit meiner Politik nicht einverstanden.“

Sie stand gegen konzernfreundliche Bildungsreformen und machte sich damit bei den Demokraten der Stadt genauso wenig Freunde. Wie vielerorts steht Schulprivatisierung bei beiden Parteien auf der Agenda. Doch Baraka gab nicht auf. Sie  nahm sich vor, in jenem Jahr als Unabhängige anzutreten. Doch dann erfuhr sie über persönlichen Kontakt von der Working Families Party Connecticut, in der eine Bewerbung auf die Oppositionssitze im Schulaufsichtsrat bereits diskutiert wurde. „Ich mochte den Graswurzelprozess“, sagt Baraka. „Mir gefiel, was sie sagten. Mir gefiel ihr Programm. Ich konnte mich mit so ziemlich allem, was sie machten, identifizieren.“ Also ließ sie sich 2009 für die Working Families Party (Arbeiterfamilienpartei, WFP) aufstellen und gewann neben einer weiteren WFP-Kandidatin, Maria Pereira, einen der Sitze.

Nach jahrelangen Kämpfen in Bridgeport gelang es der WFP in den Wahlen 2013, sich eine Mehrheit im neunköpfigen Schulaufsichtsrat zu sichern: zwei Mitglieder von der WFP und drei Demokraten, die von der WFP unterstützt wurden, mit Baraka als Vorsitzende.

Und das war nur einer der Erfolge der Partei in jenem Herbst. Der wichtigste war wohl die Wahl von Bürgermeister Bill de Blasio und einer progressiven Kandidatenliste in New York City: Mit Letitia James, die auf dem Posten des Public Advocate als erste Schwarze ein stadtweites Amt bekleidet, und Melissa Mark-Viverito, die erste Latina auf dem Posten der Sprecherin des New Yorker Stadtrats. Es ist zu erwarten, dass diese WFP-Kandidaten eine progressive Politik in New York vorantreiben, darunter eine Verlängerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine Reichensteuer zur Finanzierung eines allgemeinen Zugangs zu Krippenplätzen und vieles mehr.

Durch die Wahlsiege in New York City hat sich die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie die WFP Einfluss an den Wahlurnen und in der Legislative auf städtischer und staatlicher Ebene ausübt: Sie nutzt Schlupflöcher in lokalen Wahlsystemen, sie stärkt die bestehende Basis progressiver Wählerinnen und Wähler, um so als dritte Partei zu Erfolgen zu kommen.

Doch gerade wie die WFP ihre Macht außerhalb vom liberalen New York einsetzt, ist einer genaueren Betrachtung wert. Wenn in der Öffentlichkeit die Unzufriedenheit mit den Demokraten der politischen Mitte zunimmt, stellt sich die Frage, ob dies Möglichkeiten für eine dritte Partei eröffnet – und zwar nicht über einen großen Namen als Präsidentschaftskandidaten, sondern durch Wachstum von unten. Und wenn dabei Erfolge verzeichnet werden können, ist die WFP dann auch in der Lage, die nationale Politik wieder zugunsten der kleinen Leute, weg von dem „1 Prozent“ zu beeinflussen?

„Verbundwahl“ und Stimmenfusion

In den Bundesstaaten Connecticut, New York und Oregon konnte sich die WFP über die „Verbundwahl“ einen Platz auf den Wahlzetteln sichern. Verbundwahl ist in acht Bundesstaaten möglich und erlaubt es, dass Kandidaten von unterschiedlichen Parteien gleichzeitig unterstützt werden: die New Yorker konnten für Bill de Blasio sowohl über die Demokraten als auch  über die WFP stimmen. Auf diese Weise können Wähler nicht nur einen Kandidaten unterstützen, sondern auch die Ideale einer Partei, ohne dass die aussichtslose Stellung der Partei die Wahlentscheidung „verdirbt“ – was häufig gegen kleine Parteien vorgebracht wird. Mehrparteien-Unterstützung für einen bekannten Kandidaten kann der Partei zu den notwendigen Mindeststimmen verhelfen, um bei den nächsten Wahlen automatisch wieder auf den Wahlzettel zu kommen, ohne erneut den aufwändigen Antragsprozess durchlaufen zu müssen. Eigenständig auf den Wahlzetteln vertreten zu sein, erlaubt es der Partei außerdem – auch wenn sie davon selten Gebrauch macht –, eigene unabhängige Kandidaten aufzustellen und auf die Unterstützung von Wählern zu bauen, die die WFP kennen und schätzen.

Die Vorgängerpartei der WFP war die New Party. Diese war 1990 von Dan Cantor und Joel Rogers gegründet worden, um Verbundwahl auf nationaler Ebene durchzusetzen und so aus der Sackgasse des Zweiparteiensystems herauszukommen. Die Klage gegen das Verbot der Verbundwahlen wurde vom Obersten Gerichtshof abgewiesen, die New Party zerfiel. Dennoch entschloss sich Cantor, zusammen mit Bob Master von den Communications Workers of America2 und Jon Kest von ACORN3 weiter auf Verbundwahl zu setzen, wo sie erlaubt war. 1998 gründeten sie in New York die Working Families Party.

Ein großer Teil der Macht, den sich die WFP – durch Themenkampagnen oder Siege in Vorwahlen4 – erarbeitete, hatte mit der Verbundwahl nichts zu tun, so dass viele dieser Taktiken auch in Staaten exportiert werden konnten, in denen dieser Wahlmodus gar nicht zur Verfügung steht. Cantor, Bundesvorsitzender der WFP sagt: „So sehr uns Verbundwahl am Herzen liegt, für den Fortschritt des Projekts ist sie gar nicht wesentlich.“

Entsprechend hat die WFP mittlerweile auch in New Jersey, Pennsylvania und Washington DC, wo keine Verbundwahl möglich ist, ihre Arbeit als „Unabhängige Politische Organisation“ aufgenommen. Sie plant Themenkampagnen wie zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, setzt zur Unterstützung ihrer Anliegen Amtsinhaber unter Druck und baut Kandidaten für Vorwahlen und allgemeine Wahlen auf.

Das Entscheidende ist laut Cantor, sich in Bundesstaaten mit oder ohne Verbundwahl eine unabhängige Machtbasis aufzubauen, die die politische Debatte wieder in eine progressive Richtung lenken kann. Die Tea Party habe nicht nur die Republikaner nach rechts gedrängt, sondern auch die Demokraten.

Wo sich die großen Parteien – wie beispielsweise in der Unterstützung einer konzernfreundlichen Bildungsreform – einig sind, kann sich eine dritte Partei mit den Ideen und Themen profilieren, die andernfalls unter den Tisch fallen würden. In Oregon zum Beispiel, hat die WFP mit lokalen Studierendengruppen gemeinsam einen alternativen Plan für die Universitätsfinanzierung ausgearbeitet. Sie gewannen die Unterstützung eines von der WFP getragenen Demokraten, und schließlich wurde die Maßnahme einstimmig das Landesgesetz übernommen. Die Partei arbeitet zurzeit an einem Gesetzentwurf zur Gründung einer staatlichen Bank, die die öffentlichen Gelder nicht an der Wall Street, sondern in Oregon investieren und Bürgern aus Oregon billigere Kredite gewähren soll. Solche Vorschläge kommen kaum von Seiten der großen Parteien, die selbst auf Länderebene große Kampagnenzuschüsse von großen Banken erhalten.

Im ganzen Land unterstützt die Partei Forderungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Anhebung des Mindestlohns. Auch wenn diese Initiativen ursprünglich nicht auf die WFP zurückgehen, hat die Partei in ihrem 15-jährigen Bestehen in den Staaten, in denen sie aktiv ist, genügend Einfluss gewonnen und kann Politiker und Kandidaten zur Positionierung drängen. Mit WFP-Unterstützung gewählte oder zu Wahlen antretende Politiker haben einen Anreiz, sich hinter WFP-Positionen zu stellen – für sie bedeutet das Unterstützung durch Personal (und Organisierung) im Wahlkampf und dass sie als „Progressive“ wahrnehmbar sind–.

„Macht hat eine ideologische Seite und die Seite unmittelbarer politischer Muskelmasse“, sagt Cantor. „Ist man wirklich in der Lage, die für einen Kampf nötigen Energien, Ideen, Leute, Geld, Taktik, Moral und Freiwillige aufzubringen? Ob es sich bei dem Kampf nun um eine thematische Kampagne oder einen Wahlkampf handelt, die WFP kann beides; das freut uns.“

Das Modell Oppositionssitze

In Bridgeport entschied sich die WFP mit unabhängigen Kandidaten anzutreten. Das war anders als die übliche Vorgehensweise, bei der sie progressive Kandidaten in den Vorwahlen der Demokraten für sich gewann oder unterstützte. Doch die gesicherten Plätze für die Oppositionsparteien boten eine neue Möglichkeit für eine dritte Partei, weiter Land zu gewinnen.

Das war nicht einfach. Nach den Wahlsiegen der WFP-Kandidaten setzte Baraka, nun mit Pereira an ihrer Seite, den von ihr begonnenen Kampf gegen die Agenda der Ratsmehrheit fort, forderte stärkere Finanzierung von Programmen und mehr Transparenz in den Vorgängen. Niemand erwartete, dass sich die demokratische Ratsmehrheit selbst abschaffen würde, aber genau dies geschah. Die damalige Ratsvorsitzende Barbara Bellinger forderte mit Unterstützung von fünf weiteren Ratsmitgliedern und dem Bürgermeister von Bridgeport, dass das Landesbildungsministerium den gesamten Schulaufsichtsrat der Stadt selbst ernennen sollte. Das oberste Gericht des Staates entschied, dass dieser Vorgang gegen die Verfassung verstieß, doch der ernannte Rat hatte bereits einen neuen provisorischen Aufsichtsbeamten eingesetzt: Paul Vallas, berühmt (oder berüchtigt) für seine Zeit in New Orleans, Philadelphia und Chicago, wo er Lehrer entließ und für Vertragsschulen5 eintrat. Der Bürgermeister von Bridgeport Bill Finch und seine Verbündeten in Sachen Vertragsschulen setzten 2012 die Abschaffung der Schulaufsichtsratswahlen auf die Tagesordnung und ließen diese trotz 200.000$ von Michelle Rhees „StudentsFirst“ und 25.000$ vom ehemaligen Bürgermeister New Yorks und Milliardär Michael Bloomberg mit wehenden Fahnen untergehen.

Nach dieser Episode, sagt Lindsay Farrell von der WFP Connecticut, war klar, dass die Partei mehr als zwei Vertreterinnen im Rat benötigte. „Zusätzlich zu unseren Kandidaten wollten wir strategisch Leute in den Vorwahlen der Demokraten stärken, die mit den Amtsträgern aus unserer eigenen Partei an einer progressiveren Agenda zusammenarbeiten würden.“

Drei neue Ratsmitglieder gewannen nach WFP-Unterstützung in den Vorwahlen der Demokraten und dann in den allgemeinen Wahlen. Zusammen mit Baraka, die nun den Ratsvorsitz innehat, und einem weiteren WFP-Mitglied haben sie eine Mehrheit im Rat. Eine Mehrheit gegen Vertragsschulen, „Teach for America“ und andere Elemente der konzernfreundlichen Schulreformagenda – und vielleicht auch eine neue Blaupause für den Parteiaufbau.

Neues Territorium

Der Schulaufsichtsrat von Bridgeport war nicht das einzige Gremium, in dem es bei den Wahlen 2013 zu einer Umbesetzung kam. Im Herbst brachten die Wähler überall im Land ihre Unzufriedenheit mit der üblichen Zweiparteienpolitik zum Ausdruck. Die Sozialistin Kshama Sawant gewann einen Sitz im Stadtrat von Seattle, ein weiterer Sozialist, Ty Moore, gelang beinahe ein Sieg in Minneapolis, und eine unabhängige Gewerkschaftsliste gewann zwei Dutzend Ratssitze in Lorain County, Ohio. Überall im Land hört man Rufe nach Unabhängigkeit von der Demokratischen Partei, am lautesten aus Chicago, wo die Lehrergewerkschaft mit anderen Beschäftigten- und Community-Gruppen eine unabhängige politische Organisation gründet.

Das alles könnten gute Nachrichten für die Ausweitung der WFP sein. In Pennsylvania zum Beispiel inspirierten die Ereignisse von Bridgeport Andi Perez – den Geschäftsführer der Jugendorganisation „Youth United for Change“ – die sich für Verbesserungen in den öffentlichen Schulen der Stadt einsetzt –, sich an der Gründung eines neuen WFP-Landesverbands zu beteiligen.

Zwar gibt es kein Verbundwahlrecht, aber ein WFP-Verband kann sich auf anderen Wegen Geltung verschaffen: Kandidaten in den Vorwahlen unterstützen, Aktionen um Themen wie Löhne, Steuern oder Schulfinanzierung organisieren und ggf. Kandidaten für den Stadtrat von Philadelphia aufstellen, in dem es Oppositionssitze ähnlich wie in Bridgeport gibt.

In einem polarisierten Staat wie Pennsylvania, wo die Städte fest in der Hand des Parteiapparats der Demokraten sind und die ländlichen Gebiete häufig extrem rechte Politiker wie den republikanischen Gouverneur Tom Corbett unterstützen, könnte eine dritte Partei die vorgefassten Meinungen durchaus durcheinanderwirbeln. Das ist jedenfalls die Hoffnung von Gabe Morgan. Er und die von ihm geführte Gewerkschaft, die örtliche Dienstleistungsgewerkschaft SEIU 32BJ, Bezirk Pennsylvania, beteiligen sich am Aufbau eines WFP-Verbands. Davor waren sie Teil eines Bündnisses in Pittsburgh, das in den Stadtratswahlen 2013 Vertreter des demokratischen Parteiapparats verdrängte. Dieses Bündnis hatte eine Liste von Herausforderern unterstützt, die schließlich die Wahlen gewann und den neuen Bürgermeister von Pittsburgh, Bill Peduto, stellte. Auch wenn die WFP selbst keinen Anteil daran hatte, sind diese Bemühungen für Morgan ein Vorbild dafür, was er mit der WFP erreichen möchte.

„Ziel ist eine Organisation, die wirklich versucht, für die Leute aus der Arbeiterklasse in Philadelphia zu sprechen“, sagt er. „Damit das funktioniert und Sinn ergibt, muss so eine Organisation vor Ort gut verankert sein. Was wir in Philadelphia aufbauen, wird nicht genauso aussehen wie in New York oder Pittsburgh oder Connecticut.“

Der neue Verband hat bereits ein Kandidatenforum für Demokraten organisiert, das Corbett als Gouverneur herausfordern will. Der Blick richtet sich vor allem darauf, das stark beschädigte Schulsystem in Philadelphia wieder in Gang zu bringen. Unter der gegenwärtigen Landesregierung wurden Gelder drastisch gekürzt, Programme eingestellt und Schulen dicht gemacht. Die WFP möchte auch Verbesserungen bei den Niedriglohnjobs am Flughafen Philadelphia erreichen und die liberalen – „liberal im schlechten Sinne“, sagt Morgan – Steuersenkungen für Unternehmen zurücknehmen. Denn sie führen zur Gentrifizierung von Wohnquartieren, ohne dass Geld zurück in die örtlichen Schulen fließt.

Für Perez ist der Zusammenschluss in der WFP ein Weg, um bereits bestehende Bündnisse zu festigen: zwischen Gewerkschaften und Community-Organisationen, zwischen Individuen und Institutionen. Es geht darum, diese ganzen progressiven Akteure zu etwas Größerem zu verbinden – einer wachsenden Partei. „Wir können unsere Macht nur aufbauen, indem wir zusammenarbeiten“, sagt sie.

Die nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse

Um diese Macht auch wirklich aufzubauen, muss sich, davon ist Gabe Morgan überzeugt, der WFP-Verband in Pennsylvania „über Spaltungen hinweg – nicht nur unter Gewerkschaftsmitgliedern, sondern auf alle Angehörige der Arbeiter_innenklasse“ ausdehnen. Heutzutage gehören die Wenigsten einer Gewerkschaft oder einer anderen Organisation an. Wenn die WFP eine Massenorganisation werden will, die diesen Namen auch verdient, muss es ihr gelingen, die zunehmend atomisierte Arbeiter_innenklasse zu erreichen.

Selbstverständlich wäre die WFP ohne die Unterstützung großer Gewerkschaften und Community-Gruppen nicht zu dem geworden, was sie heute ist. ACORN und Communications Workers of America spielten eine Schlüsselrolle dabei, die Partei ins Rollen zu bringen; und 32BJ in New York ist seit den Anfängen dabei. Bertha Lewis, frühere Vorsitzende von ACORN und heute Gründerin und Präsidentin des Black Institute6, erklärt: „Eines unserer Prinzipien war, dass man, um [der WFP] anzugehören, eigene Mitglieder mitbringen musste… man wirklich Leute organisieren, Aktionen stemmen und draußen aktiv sein musste.“

Cantor spricht von einem „gesunden Gleichgewicht“ zwischen beiden Ansätzen. „Man benötigt institutionelle Akteure“, sagt er. „Ich glaube, es ist Aufgabe der jeweiligen Organisatoren in den Staaten, eine gewisse Harmonie zwischen den Interessen der Institution und Organisationen und der einzelnen Aktivist_innen zu bewahren – wobei Erstere Beziehungen und Ressourcen und eine große Zahl von Leuten einbringt, während Letztere Energie und Ideen beisteuern.“

Ein Gleichgewicht zu finden zwischen bestehenden Institutionen und den Bedürfnissen von Aktivist_innen, die keiner Gewerkschaft oder Community-Organisation angehören, kann eine ziemliche Herausforderung sein, sagt Michael Hirsch, ein altgedienter Arbeitskampfaktivist, ehemaliger Gewerkschaftsredakteur und WFP-Mitglied. Im Jahr 2000 war er an der Gründung einer der ersten von New Yorks WFP-Gruppen in Manhattans East Side beteiligt. Die Aktiven trafen sich monatlich und machten Hausbesuche in der Nachbarschaft zu Themen und Kandidat_innen, die von der Partei unterstützt wurden. Solche Bemühungen sind laut Hirsch „chaotisch und schwierig und erfordern viel Einsatz“, werden aber unbedingt gebraucht. Möglicherweise bieten sie ein Modell, mit dem die Partei eines Tages auch in konservativeren Gebieten Fuß fassen kann. Also in Gegenden, in denen Community-Organisationen und Gewerkschaften wenig präsent sind, aber die Beschäftigten vielleicht ein offenes Ohr für höhere Löhne und bessere Gesundheitsversorgung und Schulen haben.

Da sich die Strategie der Partei häufig um Siege bei den Vorwahlen dreht, fällt das einfachste Kriterium für die Partei-„Mitgliedschaft“ weg: Man will natürlich nicht, dass sich Leute als WFP-Mitglieder registrieren lassen, wenn es sie davon abhält, an internen Wahlen der Demokratischen Partei teilzunehmen. Doch wie Cantor erläutert, gibt es eine „ganze Palette an Beteiligungsmöglichkeiten“ für Leute, die die WFP unterstützen möchten: von E-Mail-Listen und Geldspenden bis zum Beitritt in Ortsgruppen, der Teilnahme an einer Kandidatenauswahl oder einem Kandidatentreffen. Auch ein „Freiwilligenvertrag“ kann unterschrieben werden, mit dem man sich zu einer bestimmten Anzahl von Hausbesuchen oder Wahlwerbeanrufen für Kandidat_innen verpflichtet. „All dies ist wertvoll“, sagt Cantor.

Wenn die Partei über ihr vertrautes Terrain hinausgeht, ist Cantor zufolge „die große Herausforderung: Finden wir eine Form für die Organisation, mit der sich die Leute identifizieren können, mit der sie sich wohlfühlen und die sie mit ihren Füßen und Portemonnaies unterstützen?“

Die Cuomo-Frage

In New York, der Geburtsstadt der Partei, hat sich der Staub um die Stadtratswahl noch kaum gelegt. Doch selbst wenn de Blasios Sieg durchaus gefeiert wird, taucht in der WFP häufig die Frage nach einem anderen New Yorker Demokraten auf: die nach Gouverneur Andrew Cuomo.

Seit Gründung der Partei wurde ihre Kandidatenwahl schon häufig von Linken kritisiert. Aber das geschah noch nie mit so großer Empörung wie bei der Entscheidung, Cuomo zu unterstützen, der nicht nur im Wahlkampf, sondern auch im Amt als Gouverneur für eine konservative Wirtschaftspolitik stand. Doch die New Yorker Gouverneurswahlen sind für die WFP der Schlüssel, um auf den Wahlzetteln zu stehen. Die Regeln dieses Staates schreiben vor, dass Parteien automatisch bei den nächsten Wahlen auf dem Wahlzettel stehen, wenn sie mindestens 50 000 Stimmen in den Gouverneurswahlen erhalten – so geschehen1998, als die Partei zum ersten Mal einen Kandidaten der Demokratischen Partei, Peter Vallone, unterstützte. Obwohl Vallone in jenem Jahr gegen George Pataki verlor, erreichte die WFP 51 325 Stimmen und war seitdem in der Lage, ihren Platz auf den Wahlzetteln zu behalten. Sollte sie diesen Platz verlieren, müsste sie erneut den Antragsprozess durchlaufen.

Die Partei befürchtete, ohne Unterstützung für Cuomo 2010 nicht auf 50 000 Stimmen zu kommen. Cuomo nutzte die Situation aus und brachte die WFP dazu, seine ganze Agenda zu unterschreiben, einschließlich Steuersenkungen und Einfrieren der Löhne. Cuomo gelang ein leichter Sieg, und die WFP behielt ihren Platz auf den Stimmzetteln. Unklar blieb, ob dies zur Gesamtstimmenzahl der Partei beigetragen hatte. Der Soziologe und Autor für In These Times Peter Frase, ist die Zahlen durchgegangen und kam zu dem Ergebnis, dass Cuomo in fast jedem Bezirk weniger WFP-Stimmen erhielt als jeder andere in diesem Staat von der WFP unterstützte Kandidat. Als Eliot Spitzer hingegen im Gouverneursrennen 2006 von der WFP unterstützt wurde, erhielt er mehr Stimmen über die WFP als die Kandidat_innen der Partei auf niedrigeren Ebenen. Es lässt sich zwar nicht  beweisen, dass ein unabhängiger WFP-Kandidat über die Hürde von 50 000 Stimmen gekommen wäre. Doch Frase verweist darauf, dass die Grüne Partei 59 906 Stimmen auf ihren unabhängigen Kandidaten, Howie Hawkins, vereinen konnte. Das wiederum deutet darauf hin, dass es für eine dritte Partei durchaus möglich war, mit einem linken Herausforderer den Platz auf den Wahlzetteln zu behalten.

Cuomo stellt sich 2014 zur Wiederwahl auf, und die Partei steht unter großem Druck seitens der Cuomo-Befürworter wie auch seitens seiner Gegner. Doch sowohl regional wie bundesweit ist das politische Klima komplett verschieden von der Situation der vorangegangen Wahl Es lässt sich kaum ein Kandidat denken, der mit seiner Botschaft weiter von der gegenwärtigen Situation entfernt wäre als Cuomo. Seine letzte Großtat zum Zeitpunkt der Drucklegung war der Versuch, etwa 613 Mio. $ von den 13 Mrd. $ aus dem Vergleich im JP-Morgan-Chase-Hypothekenbetrugsfall, die zweckgebunden zur Unterstützung für Hausbesitzer gedacht waren, in die allgemeinen Staatsfinanzen zu lenken, um damit teilweise Steuersenkungen auszugleichen.

Solche Aktionen, wie auch die Schaffung von Krippenplätzen ohne entsprechende Steuererhöhung für Reiche um dies finanzieren zu können, stehen gegen de Blasio, der Reichensteuer in den Mittelpunkt seiner Kampagne gestellt hatte. Häufig wird das als Aufeinanderprallen zweier Egos dargestellt. Doch es geht um etwas Allgemeineres: womöglich um eine Verschiebung der Prioritäten und der Macht.

Deshalb geht es bei der Cuomo-Frage auch um mehr als nur um einen Kandidaten. Es geht um die Machtfrage und darum, wer sie innehat – innerhalb wie außerhalb der WFP. In gewisser Hinsicht geht es um die Zukunft der WFP-Strategie.

Für Hirsch kann es nur eine Antwort geben: einen eigenen Kandidaten gegen Cuomo aufzustellen. „Es ist riskant, aber die Sache ist es wert, dieses Risiko einzugehen“, sagt er. Der Weg nach vorne sei schwer, aber nicht unmöglich. Er fährt fort: „Das hieße, wir müssten die Gewerkschaften davon überzeugen, sich nicht einverstanden zu erklären. Wir müssten versuchen herauszufinden, ob Gewerkschaften bereit sind, mit Cuomo zu brechen. Das hieße, wir müssten Linke, die sich nicht in Wahlkämpfe einbringen, genau dazu ermutigen.“

Die Gewerkschaften hatten sich 2013 jedenfalls nicht einverstanden erklärt. SEIU 32BJ New York unterstützte im Bürgermeisterrennen die frühere Stadtratssprecherin Christine Quinn; die United Federation of Teachers (UFT) hielt sich an den ehemaligen Rechnungsprüfer und Nominierten der Demokratischen Partei von 2009 Bill Thompson. Wieder andere schlugen sich auf die Seite des Rechnungsprüfers John Liu. 1199SEIU und die Community-Gruppe New York Communities for Change, ebenfalls Mitgliedsorganisationen der WFP, unterstützten de Blasio. Die WFP sprach wegen des Konflikts keine eigene Empfehlung für die Vorwahlen aus.

Es wird nicht leicht, Gewerkschaften von dem Bruch mit einem Gouverneur zu überzeugen, der sich allem Anschein nach sicher auf eine Wiederwahl zubewegt. Gerade deshalb ist es nach Hirschs Überzeugung für die Linke wichtig, ihm einen Herausforderer entgegenzustellen.7 Es wäre auch nicht das erste Mal, dass die WFP mit einigen ihrer wichtigsten Mitgliedsorganisationen uneinig wäre. In Oregon bekam der WFP-Plan zur Finanzierung der höheren Bildung Pay It Forward heftigen Gegenwind seitens der Lehrergewerkschaft American Federation of Teachers, zu der auch UFT gehört. Cantor spricht aus Erfahrung: „Wenn man eine Organisation gründet und die Beteiligten schon eine Weile zusammenarbeiten und Vertrauen aufbauen, dann kann man auch mal uneins sein, ohne dass alles zusammenbricht.“

Eine Entscheidung über die Wahlempfehlung wird in den kommenden Monaten getroffen werden. Vorhersagen sind sicher noch verfrüht, doch mit Sicherheit wird die Partei gegenüber Cuomos Politik nicht stumm bleiben. Kürzlich hieß es in einer Pressemitteilung: „Der Trickle-down-Ansatz des Gouverneurs mit all den Steuersenkungen für Vermögende und Unternehmen dient nur dazu, die Position New Yorks als Welthauptstadt der Ungleichheit zu festigen.“

Am Ende läuft alles darauf hinaus, wie Macht aufgebaut werden kann. Dazu sind Bündnisse und Vertrauen notwendig, ebenso institutionelle Unterstützung und enthusiastische AktivistInnen, viel Organizing und vielleicht am wichtigsten die Bereitschaft, sich auf die richtigen Auseinandersetzungen einzulassen.

Bertha Lewis weiß vielleicht besser als alle anderen, wie schwierig solche Kämpfe werden können. Doch ihrer Meinung nach sind sie es wert: „In den vergangenen Jahren konnte man manchmal keinen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern ausmachen. Niemand wollte über Rassismus reden, niemand wollte über Armut reden. Diese ganze Diskussion, die heute überall im Land über Ungleichheit geführt wird, wurde möglich, weil [Gruppen wie die WFP] an ihren Prinzipien und Ideen festhielten und ständig wiederholten: „Es gibt Ungleichheit, es gibt Ungleichheit, es gibt Ungleichheit“

„Da haben wir unsere Stärke entdeckt“, sagt sie.

Zuerst erscheinen bei In These Times. Aus dem Englischen von Daniel Fastner.

1 Das „school board“ in den USA ist ein Gremium aus Parteien, Verwaltungsbeamten und übernimmt Teile der Bildungspolitik und ihrer konkreten Umsetzung in einer Region / Stadt / einem Bundestaat.

2 Gewerkschaft der Beschäftigten in der Telekommunikation.
3 „Association of Community Organizations for Reform Now“ war die größte Organisation, die sich von und für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen organisiert hat. Von 1970 bis 2010 wuchs die Organisation auf 175 000 Mitgliedsfamilien und war in 850 Nachbarschaften in 75 Städten für bessere Wohnungen, Schulen, Arbeitsbedingungen und Gesundheitsversorgung u.v.m. mobilisiert.

4 In den USA können sich Wählerinnen und Wähler für eine Partei registrieren lassen und dann in den Vorwahlen auf die Kandidaten-Auswahl Einfluss nehmen. Hier stehen sich oft unterschiedliche politische Linien innerhalb der großen Parteien gegenüber.

5 Private Schulen, die mit öffentlichen Geldern betrieben werden und sich mit den staatlichen Behörden auf bestimmte Bildungsziele (vertraglich) einigen.

6 Eine Organisation, die Forschung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und durch Aktionen und Mobilisierungen die Interessen der Blacks vertreten.

7 Der Artikel ist aus dem März 2014. Inzwischen hat Cuomo die Wahl zum Gouverneur gewonnen: Bei der Primary am 9. September konnte er sich relativ komfortabel gegen die parteiinternen Konkurrentin Zephyr Teachout, eine Universitätsprofessorin, durchsetzen. In Umfragen lag Cuomo deutlich vor dem Bezirksrat Rob Astorino, der von den Republikanern nominiert wurde. Am Wahltag siegte Cuomo mit 54 Prozent über Astorino, für den sich 40 Prozent der Wähler aussprachen. Allerdings verlor Cuomo mehr als acht Prozent gegenüber seinem Ergebnis von 2010.

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