Cantor spricht von einem „gesunden Gleichgewicht“ zwischen beiden Ansätzen. „Man benötigt institutionelle Akteure“, sagt er. „Ich glaube, es ist Aufgabe der jeweiligen Organisatoren in den Staaten, eine gewisse Harmonie zwischen den Interessen der Institution und Organisationen und der einzelnen Aktivist_innen zu bewahren – wobei Erstere Beziehungen und Ressourcen und eine große Zahl von Leuten einbringt, während Letztere Energie und Ideen beisteuern.“
Ein Gleichgewicht zu finden zwischen bestehenden Institutionen und den Bedürfnissen von Aktivist_innen, die keiner Gewerkschaft oder Community-Organisation angehören, kann eine ziemliche Herausforderung sein, sagt Michael Hirsch, ein altgedienter Arbeitskampfaktivist, ehemaliger Gewerkschaftsredakteur und WFP-Mitglied. Im Jahr 2000 war er an der Gründung einer der ersten von New Yorks WFP-Gruppen in Manhattans East Side beteiligt. Die Aktiven trafen sich monatlich und machten Hausbesuche in der Nachbarschaft zu Themen und Kandidat_innen, die von der Partei unterstützt wurden. Solche Bemühungen sind laut Hirsch „chaotisch und schwierig und erfordern viel Einsatz“, werden aber unbedingt gebraucht. Möglicherweise bieten sie ein Modell, mit dem die Partei eines Tages auch in konservativeren Gebieten Fuß fassen kann. Also in Gegenden, in denen Community-Organisationen und Gewerkschaften wenig präsent sind, aber die Beschäftigten vielleicht ein offenes Ohr für höhere Löhne und bessere Gesundheitsversorgung und Schulen haben.
Da sich die Strategie der Partei häufig um Siege bei den Vorwahlen dreht, fällt das einfachste Kriterium für die Partei-„Mitgliedschaft“ weg: Man will natürlich nicht, dass sich Leute als WFP-Mitglieder registrieren lassen, wenn es sie davon abhält, an internen Wahlen der Demokratischen Partei teilzunehmen. Doch wie Cantor erläutert, gibt es eine „ganze Palette an Beteiligungsmöglichkeiten“ für Leute, die die WFP unterstützen möchten: von E-Mail-Listen und Geldspenden bis zum Beitritt in Ortsgruppen, der Teilnahme an einer Kandidatenauswahl oder einem Kandidatentreffen. Auch ein „Freiwilligenvertrag“ kann unterschrieben werden, mit dem man sich zu einer bestimmten Anzahl von Hausbesuchen oder Wahlwerbeanrufen für Kandidat_innen verpflichtet. „All dies ist wertvoll“, sagt Cantor.
Wenn die Partei über ihr vertrautes Terrain hinausgeht, ist Cantor zufolge „die große Herausforderung: Finden wir eine Form für die Organisation, mit der sich die Leute identifizieren können, mit der sie sich wohlfühlen und die sie mit ihren Füßen und Portemonnaies unterstützen?“
Die Cuomo-Frage
In New York, der Geburtsstadt der Partei, hat sich der Staub um die Stadtratswahl noch kaum gelegt. Doch selbst wenn de Blasios Sieg durchaus gefeiert wird, taucht in der WFP häufig die Frage nach einem anderen New Yorker Demokraten auf: die nach Gouverneur Andrew Cuomo.
Seit Gründung der Partei wurde ihre Kandidatenwahl schon häufig von Linken kritisiert. Aber das geschah noch nie mit so großer Empörung wie bei der Entscheidung, Cuomo zu unterstützen, der nicht nur im Wahlkampf, sondern auch im Amt als Gouverneur für eine konservative Wirtschaftspolitik stand. Doch die New Yorker Gouverneurswahlen sind für die WFP der Schlüssel, um auf den Wahlzetteln zu stehen. Die Regeln dieses Staates schreiben vor, dass Parteien automatisch bei den nächsten Wahlen auf dem Wahlzettel stehen, wenn sie mindestens 50 000 Stimmen in den Gouverneurswahlen erhalten – so geschehen1998, als die Partei zum ersten Mal einen Kandidaten der Demokratischen Partei, Peter Vallone, unterstützte. Obwohl Vallone in jenem Jahr gegen George Pataki verlor, erreichte die WFP 51 325 Stimmen und war seitdem in der Lage, ihren Platz auf den Wahlzetteln zu behalten. Sollte sie diesen Platz verlieren, müsste sie erneut den Antragsprozess durchlaufen.
Die Partei befürchtete, ohne Unterstützung für Cuomo 2010 nicht auf 50 000 Stimmen zu kommen. Cuomo nutzte die Situation aus und brachte die WFP dazu, seine ganze Agenda zu unterschreiben, einschließlich Steuersenkungen und Einfrieren der Löhne. Cuomo gelang ein leichter Sieg, und die WFP behielt ihren Platz auf den Stimmzetteln. Unklar blieb, ob dies zur Gesamtstimmenzahl der Partei beigetragen hatte. Der Soziologe und Autor für In These Times Peter Frase, ist die Zahlen durchgegangen und kam zu dem Ergebnis, dass Cuomo in fast jedem Bezirk weniger WFP-Stimmen erhielt als jeder andere in diesem Staat von der WFP unterstützte Kandidat. Als Eliot Spitzer hingegen im Gouverneursrennen 2006 von der WFP unterstützt wurde, erhielt er mehr Stimmen über die WFP als die Kandidat_innen der Partei auf niedrigeren Ebenen. Es lässt sich zwar nicht beweisen, dass ein unabhängiger WFP-Kandidat über die Hürde von 50 000 Stimmen gekommen wäre. Doch Frase verweist darauf, dass die Grüne Partei 59 906 Stimmen auf ihren unabhängigen Kandidaten, Howie Hawkins, vereinen konnte. Das wiederum deutet darauf hin, dass es für eine dritte Partei durchaus möglich war, mit einem linken Herausforderer den Platz auf den Wahlzetteln zu behalten.
Cuomo stellt sich 2014 zur Wiederwahl auf, und die Partei steht unter großem Druck seitens der Cuomo-Befürworter wie auch seitens seiner Gegner. Doch sowohl regional wie bundesweit ist das politische Klima komplett verschieden von der Situation der vorangegangen Wahl Es lässt sich kaum ein Kandidat denken, der mit seiner Botschaft weiter von der gegenwärtigen Situation entfernt wäre als Cuomo. Seine letzte Großtat zum Zeitpunkt der Drucklegung war der Versuch, etwa 613 Mio. $ von den 13 Mrd. $ aus dem Vergleich im JP-Morgan-Chase-Hypothekenbetrugsfall, die zweckgebunden zur Unterstützung für Hausbesitzer gedacht waren, in die allgemeinen Staatsfinanzen zu lenken, um damit teilweise Steuersenkungen auszugleichen.
Solche Aktionen, wie auch die Schaffung von Krippenplätzen ohne entsprechende Steuererhöhung für Reiche um dies finanzieren zu können, stehen gegen de Blasio, der Reichensteuer in den Mittelpunkt seiner Kampagne gestellt hatte. Häufig wird das als Aufeinanderprallen zweier Egos dargestellt. Doch es geht um etwas Allgemeineres: womöglich um eine Verschiebung der Prioritäten und der Macht.
Deshalb geht es bei der Cuomo-Frage auch um mehr als nur um einen Kandidaten. Es geht um die Machtfrage und darum, wer sie innehat – innerhalb wie außerhalb der WFP. In gewisser Hinsicht geht es um die Zukunft der WFP-Strategie.
Für Hirsch kann es nur eine Antwort geben: einen eigenen Kandidaten gegen Cuomo aufzustellen. „Es ist riskant, aber die Sache ist es wert, dieses Risiko einzugehen“, sagt er. Der Weg nach vorne sei schwer, aber nicht unmöglich. Er fährt fort: „Das hieße, wir müssten die Gewerkschaften davon überzeugen, sich nicht einverstanden zu erklären. Wir müssten versuchen herauszufinden, ob Gewerkschaften bereit sind, mit Cuomo zu brechen. Das hieße, wir müssten Linke, die sich nicht in Wahlkämpfe einbringen, genau dazu ermutigen.“
Die Gewerkschaften hatten sich 2013 jedenfalls nicht einverstanden erklärt. SEIU 32BJ New York unterstützte im Bürgermeisterrennen die frühere Stadtratssprecherin Christine Quinn; die United Federation of Teachers (UFT) hielt sich an den ehemaligen Rechnungsprüfer und Nominierten der Demokratischen Partei von 2009 Bill Thompson. Wieder andere schlugen sich auf die Seite des Rechnungsprüfers John Liu. 1199SEIU und die Community-Gruppe New York Communities for Change, ebenfalls Mitgliedsorganisationen der WFP, unterstützten de Blasio. Die WFP sprach wegen des Konflikts keine eigene Empfehlung für die Vorwahlen aus.
Es wird nicht leicht, Gewerkschaften von dem Bruch mit einem Gouverneur zu überzeugen, der sich allem Anschein nach sicher auf eine Wiederwahl zubewegt. Gerade deshalb ist es nach Hirschs Überzeugung für die Linke wichtig, ihm einen Herausforderer entgegenzustellen.7 Es wäre auch nicht das erste Mal, dass die WFP mit einigen ihrer wichtigsten Mitgliedsorganisationen uneinig wäre. In Oregon bekam der WFP-Plan zur Finanzierung der höheren Bildung Pay It Forward heftigen Gegenwind seitens der Lehrergewerkschaft American Federation of Teachers, zu der auch UFT gehört. Cantor spricht aus Erfahrung: „Wenn man eine Organisation gründet und die Beteiligten schon eine Weile zusammenarbeiten und Vertrauen aufbauen, dann kann man auch mal uneins sein, ohne dass alles zusammenbricht.“