Die Kulisse für Wahlen in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland bildet eine tiefe ökonomische Krise, die sich ursprünglich am US-amerikanischen Finanzkollaps von 2007-08 entzündete. Diese Kernschmelze brachte Immobilienblasen überall in Europa zum Platzen – insbesondere in Spanien und Irland -, und Ökonomien vom Baltikum bis ans Mittelmeer liefen aus dem Ruder. Länder wie Irland, Griechenland, Spanien und Portugal erlebten die Implosion ihrer Banken, den Sturz ihres BIP, und ihre Arbeitslosenraten erreichten Werte, die seit der Großen Depression in den 1930ern nicht mehr gesehen worden waren. Schuldenstände gingen durch die Decke. Die Antwort der EU auf die Krise war eine Blaupause des sogenannten "Washington consensus", den der IWF den verschuldeten lateinamerikanischen Ländern in den 1990er Jahren verordnet hatte: massive Einschnitte bei den Regierungsausgaben, Massenentlassungen und zweistellige Steuererhöhungen für KonsumentInnen. Doch statt Schulden zu streichen und den Ökonomien Starthilfe zu geben, bewirkten die auf Lateinamerika angewandten IWF-Restriktionen exakt das Gegenteil. Kürzungen, Entlassungen und hohe Steuern ließen die Mehrheit verarmen, was wiederum die Ökonomien abrutschen ließ und die Schuldenstände weiter erhöhte. Das Rezept bedeutete eine Katastrophe, aus der Lateinamerika sich bis heute herauszuwinden versucht. Für ein enges Spektrum von Banken, Spekulanten und multinationalen Unternehmen war es jedoch eine gute Strategie. US-amerikanische, britische, deutsche, niederländische und französische Banken halfen dabei, Immobilienblasen aufzupumpen, indem sie zinsgünstiges Kapital in einen Boom des Bausektors fließen ließen. Diese Banken wussten ganz sicher, dass sie eine Blase erzeugten – und die Preise für Bauland in Spanien und Irland stiegen um 500 Prozent. Doch ihre Schulden - das wussten sie - würden von der öffentlichen Hand übernommen werden. Die Zeche zahlten die Steuerzahler bzw. die öffentlichen Haushalte, indem sie „Rettungskredite“  erhielten und dafür die Kontrolle der Troika - des IWF, der Europäischen Zentralbank und der europäischen Kommission - akzeptierten ebenso wie jene Bedingungen, die in den 1990ern die Lateinamerika untergehen ließen. Die Geschichte hatte sich auf einem anderen Kontinent wiederholt.

Komplexe Fronten

In den anstehenden Wahlen wird die Politik der Troika gegen die Anti-Austeritätsbewegungen stehen. Soll diesen Bewegungen Erfolg beschieden sein, so werden sie sich zuerst gegen die Mythenbildung richten müssen, derzufolge die gegenwärtige ökonomische Krise durch zu hohe Renten, Löhne und öffentliche Ausgaben bedingt sei – statt durch verantwortungslose Spekulationen durch Banken und Financiers. Und gegen den Mythos, die konsequente Austritt zeige Früchte, das Wachstum kehre zurück. Und die Bewegungen werden dies in einer politischen Arena tun müssen, in der ihre Gegner praktisch alle Massenmedien kontrollieren. Niemals haben so Wenige so vieles kontrolliert, das so Viele betrifft. Die Linke muss v.a. an zwei Fronten kämpfen: zuerst gegen die Politiken der Troika, und zweitens gegen eine anschwellende Tendenz von rassistischen und zunehmend gewalttätigen rechten Bewegungen, die sich in opportunistischer Weise eine Anti-Austeritätsrhetorik angeeignet haben. Die offen neo-nazistische Goldene Morgenröte in Griechenland und der faschistische Front National in Frankreich mögen die EU-Politik angreifen, doch haben sie nichts gemein mit Organisationen wie Griechenlands Syriza, Irlands Sinn Fein, Spaniens Podemos oder Portugals Linksblock. Größe zählt im anstehenden Kampf. Da Griechenland nur 1,3 Prozent des BIP der EU ausmacht, konnte die Troika es zur Wahl zwischen, wie es der frühere Syriza-Finanzminister Yanis Varoufakis ausdrückt, „Selbstmord oder Erschießung“ zwingen – Selbstmord, falls Syriza eine weitere Runde von Austeritätsmaßnahmen akzeptieren würde, oder Erschießung der Banken und der Finanzstruktur des Landes, falls diese Akzeptanz ausbliebe. Da es sich um eine kleine Ökonomie handelt, würde Griechenlands Tod kaum eine Wellenbildung in der EU auslösen. Syriza musste die Niederlage der Erpressung hinnehmen. Eine ähnliche Situation besteht für Irland und Portugal. Nicht jedoch für Spanien. Spaniens Wirtschaft steht an 14. Stelle im Weltmaßstab und ist die fünftgrößte innerhalb der EU. Diese zum Bankrott oder zum Austritt aus der Eurozone – der 19 Länder, die statt nationaler Währung den Euro benutzen - zu bringen, würde mehr als eine kleine Erschütterung auslösen: too big to exit. Es könnte das gesamte Unternehmen zum Kentern bringen. Deswegen waren die Austeritätsmaßnahmen, welche die Troika Spanien aufzwang, schwerwiegend, doch nicht so bedrückend wie jene, die Irland, Portugal und Griechenland aufgebürdet wurden. Neben dem Versuch, die schlimmsten Aspekte des Troika-Programms zu mildern, steht die gegen Austerität gerichtete Linke vor einer existentiellen Frage: Sollen die verschuldeten Länder in der Eurozone bleiben, oder sollten sie zum Rückzug aufrufen und zu nationalen Währungen zurückkehren? Die Eurozone hat sich als Desaster für die meisten ihrer Mitglieder erwiesen, ausgenommen Deutschland und, zu einem gewissen Grade, Österreich und die Niederlande. Trotz gemeinsamer Währung gibt es keine geteilte Verantwortlichkeit für die Resultate der wirtschaftlichen Ungleichheit. In den Vereinigten Staaten zahlen große Ökonomien wie Kalifornien für kleine wie Mississippi, in der Annahme dass ein gemeinsamer innerstaatlicher Markt eine gute Sache ist. In der Eurozone steht jeder für sich allein – und wer Probleme hat, kann sich den Schuldenhaien von der Troika anvertrauen. Das Terrain der Wahlen ist überaus komplex. Wiewohl der Widerstand gegen Austeritätsprogramme diesen Bewegungen ein gemeinsames Ziel gibt, ist die politische Geografie in jedem einzelnen Land eine andere.

Griechenland (Wahlen am 20. September)

Syriza hat die Wahlen gewonnen und sich gespalten. Fünfundzwanzig ehemalige Syriza-Abgeordnete haben die Partei „Volkseinheit“ gegründet und zum kompromisslosen Widerstand gegen die Forderungen der Troika und das von Syriza verhandelte Memorandum aufgerufen. Obwohl Alexis Tsipras von seiner vorherigen Linie abwich, jegliche neuen Austeritätsmaßnahmen zurückzuweisen, zeigen Umfragen und das Ergebnis der Wahl, dass er weiterhin populär ist. Die rechte Nea Demokratia und die Mitte-links-Formation PASOK, die zuvor Griechenland dominiert hatten, sind diskreditiert, und die zentristische Potami konnte sich nicht klar von den Parteien des Systems abgrenzen und als Alternative präsentieren. Die Linke muss sich nun weiterentwickeln und Wege finden, um die anstehenden Spannungen zwischen Umsetzung des Memorandums und sozialen Ansprüchen der Bevölkerung produktiv zu bearbeiten. Weitere Spaltungen sind mit Blick auf die Troika brandgefährlich. Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende, und es gibt kreative Wege, der Troika Widerstand zu leisten, ohne sich ihr frontal entgegen zu stellen. Ein Bürgerkrieg innerhalb der griechischen Linken indes wäre desaströs.1

Portugal (Wahlen am 4. Oktober)

Portugal wird derzeit von der Koalition aus rechter (postfaschistischer) Volkspartei und der rechtskonservativen Sozialdemokratischen Partei regiert, die über 132 der insgesamt 230 Sitze im Parlament verfügt. In Umfragen liegen die oppositionellen Sozialisten, die momentan 74 Mandate im Parlament inne haben, aber Kopf an Kopf mit der regierenden Koaltion. Die Sozialisten hatten das Austeritätsprogramm eingeführt, sich jedoch inzwischen dagegen gewandt. Zwei weitere Formationen, die linke Vereinte Demokratische Koalition (United Democratic Coalition), ein Bündnis der Kommunistischen Partei mit den Grünen, das im Augenblick über 16 Sitze verfügt, und der Linksblock, der acht Sitze hält, kämpfen mit weiteren Splittergruppen und Neugründungen der Linken um die Stimmen des linken Lagers und der Anti-Austeritätsbewegungen (vgl. Heilig 2015; Noronha 2015). Mit hoher Wahrscheinlichkeit wir die rechte Koalitionsregierung fallen. Die Bildung einer Mitte-links-Regierung wird jedoch schwierig werden. Dem Linksblock droht mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung eine weitere Spaltung. Die Kommunistische Partei kann auf eine stabile Wählerbasis setzen, lehnt jedoch eine Zusammenarbeit mit den unzuverlässigen Sozialisten ab. Offen bleibt, wie sich die Sozialistische Partei selbst entwickelt. Wird - nach der Wahl Jeremy Corbyns bei Labour - der in der Opposition eingeschlagene Anti-Austeritätskurs konsequenter fortgesetzt oder kehrt die Partei in Regierungsverantwortung zurück zur ambivalenten Haltung eines Renzi oder Hollande?

Spanien (Wahlen im Dezember 2015)

Die politische Situation in Spanien ist im Fluss. Die regierende rechte Volkspartei steht aufgrund mehrerer großer Korruptionsskandale und ihrer enthusiastischen Unterstützung für die Austeritätspolitik unter Druck. Die Popularität der Sozialistischen Partei ist nach ihrem tiefen Fall unlängst wieder etwas gestiegen, jedoch waren es die Sozialisten gewesen, die als erste die Austeritätspolitik eingeführt hatten. Die Unterstützung für die Anti-Austeritätspartei Podemos stagniert zur Zeit, gleichwohl wurden in Madrid, Barcelona, Cadiz und Zaragoza BürgermeisterInnen gewählt, die von Podemos gestellt bzw. unterstützt wurden. Mit Linkspopulismus und klugen Medienstrategien versucht Podemos wieder Schwung in eine Kampagne zu bringen, die zuletzt nicht gut lief, begründet durch viel Streit angesichts des straffen Führungskurses bei der Aufstellung von Wahllisten und im Umgang mit anderen linken Organisationen (vgl. Candeias 2015). Hinzukommt, dass mit der neuen Partei Ciudadanos eine weitere populistische Alternative die Bühne betreten hat. Auch wenn ihre gegen ImmigrantInnen und Abtreibung gerichtete Haltung und ihre rechts-liberalen ökonomischen Positionen sie eindeutig rechts positionieren, halten sie eben viele WählerInnen der rechten Mitte davon ab, Podemos zu wählen. Bei Umfragen legten sie zuletzt stark zu (vgl. ebd.). Was auch immer geschieht - im spanischen Staat herrscht nicht länger ein Zwei-Parteien-System, und die Linke wird eine Schlüsselrolle bei jeglicher Koalitionsbildung spielen. Einen einzigen Joker gibt es in der Wahl: das neu aufgelegte „Gesetz zum Schutz der Bürgersicherheit“,2 welches die Volkspartei durchs Parlament peitschte. Es zielt darauf, Demonstrationen, Kritik an der Regierung und freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Erkennbar fokussiert es auf die Unterdrückung einer zivilgesellschaftlichen Mobilisierung vor den Wahlen.

Irland (Wahlen im April 2016)

"Unbeständig" ist der einzige Begriff, mit dem sich Umfragen in der Irischen Republik beschreiben lassen. Die Wirtschaft wächst, doch das Austeritätsregime der Troika wirkt immer noch verheerend. Über 100.000 von Hypotheken Betroffene sind zahlungsunfähig, und seit 2008 sind etwa 40.000 zumeist junge Menschen nach Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und in die Vereinigten Staaten geflohen, was für die Insel einen lähmenden brain drain bedeutet. Gegenwärtig regiert eine zentristische Koalition aus Fine Gael und Labor, doch wird sich dies nach den Wahlen wahrscheinlich ändern. Umfragen zeigen Fine Gael bei 28 und Labor bei 7 Prozent. Die linke Anti-Austeritätspartei Sinn Fein Party liegt mit 21 Prozent an zweiter Stelle - Kopf an Kopf mit der rechts-liberalen Fianna Fáil. In der Tendenz ist die Unterstützung für Sinn Fein seit letztem Jahr jedoch leicht zurückgegangen. Die Popularität ihres Vorsitzenden Gerry Adams ist hingegen gestiegen. Schließlich gibt es noch einen Mix aus unabhängigen Parteien, die von Grünen bis zu Sozialisten reichen und von insgesamt 24 Prozent der WählerInnen unterstützt werden (vgl. Fertl 2015). Die meisten vertreten eine Position gegen die Austeritätspolitik und sind potentielle Koalitionspartner für eine linke Regierung. Auch hier dürfte eine Regierungsbildung allerdings nicht einfach werden.

Solidarität zeigen

Die Linken muss nicht nur die enorme Macht der Troika zu bekämpfen, soziale Dienstleistungen wieder herstellen und Jobs schaffen, sondern auch die Gefahr eines wachsenden Rassismus bekämpfen. Mitten in einer akuten Flüchtlings- und Einwanderungskrise muss sie für dafür eine humane und solidarische Lösung finden, der sich bisherige Regierungen verweigerten. Da das Aufkommen von Flüchtlingen weit überwiegend aus den unverantwortlichen Politiken von Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland in Afghanistan, Libyen und Syrien resultiert, muss die Linke die Bewegung der Flüchtenden mit den diesen selbstverursachten Fluchtursachen und damit die Verantwortung Europas verdeutlichen. Nichts davon wird leicht werden und die bestehende Uneinigkeit wird es noch schwerer machen. Derweil kann die Linke andernorts nicht erwarten, dass kleine Länder wie Griechenland, Portugal und Irland dem internationalen Kapital und den europäischen Institutionen aus eigener Kraft die Macht entreißen. Seit dem Aufstieg des Nazismus hat es keine so drückende Notwendigkeit für internationale Solidarität gegeben wie derzeit. Auf sehr reale Weise sind wir heute alle GriechInnen, SpanierInnen, PortugiesInnen und IrInnen. Der Beitrag erschien zuerst bei Portside und wurde aktualisiert. Übersetzung Corinna Trogisch.  

Literatur

Candeias, Mario, 2015: Zwischen Marke und verbindender Partei, RLS-Standpunkte Nr.13, Mai 2015 Fertl, Duroyan, 2015: Irland: Der Ruf nach einer neuen Linken Kraft wird lauter, in: LuXemburg-online, Februar 2015 Heilig, Dominic 2015, Athen ist nur schwer zu exportieren. Die Krise der Linken in Portugal nach der Wahl in Griechenland Noronha, Ricardo, 2015: Portugal: Alles ruhig an der westlichen Front?, in: LuXemburg-online, August 2015  

Anmerkungen

1 vgl. LuXemburg, Griechenland-Special 2 La ley Mordaza. Ein Maulkorb für die Demokratiebewegung in Spanien, in: Luxemburg, H. 2/2015, 84-87