Eines vorweg: Die IG Metall bekennt sich nachhaltig und uneingeschränkt zu den Pariser Klimazielen. Nach Jahren des Zögerns und Zauderns muss das Tempo der Schritte zur Erreichung der (Zwischen-)Ziele deutlich erhöht werden. Allerdings: Es ist bislang viel über die Einhaltung dieser Ziele diskutiert worden, jedoch, insbesondere was den Mobilitätssektor betrifft, wenig darüber, mit welchen konkreten Maßnahmen diese Ziele erreicht werden können.
Die inhaltliche Maxime des Diskussionspapiers von Bernd Riexinger stellt zu Recht in den Mittelpunkt: Klimaschutz darf nicht auf Kosten der abhängig Beschäftigten gehen. Der ökologische Umbau der Wirtschaft muss sozial und demokratisch gestaltet werden, Beschäftigung und gute Arbeit müssen in einer ökologischen Wirtschaft erhalten und ausgebaut werden. Für die Unternehmen und ihre Beschäftigten in der Automobilindustrie, aber auch für die IG Metall stellt diese große Transformation wohl eine der größten Herausforderungen in ihrer Geschichte dar. Bis 2025 sollen die CO2-Emissionen von Nutzfahrzeugen um 15 Prozent, bis 2030 um 37,5 Prozent sinken. Dies kann nur gelingen, wenn ein Großteil der Fahrzeuge elektrisch betrieben wird. Eine andere Antriebstechnik ist nicht in der Lage, im vorgegebenen Zeitrahmen die eingeforderten Klimaziele zu erreichen.
Die Auswirkungen der Elektrifizierung der Antriebe sowie von Produktivitätssteigerungen auf die Beschäftigung werden erheblich sein. Ein reiner Elektroantrieb hat deutlich weniger Teile als ein Verbrenner und ist damit weniger beschäftigungsintensiv. Nach neuesten Zahlen der Nationalen Plattform Mobilität (NPM) aus dem Januar 2020 sind bis zu 410.000 Arbeitsplätze in der kommenden Dekade im Automobilbereich gefährdet.
Wir wollen, dass wir auch in Zukunft in Deutschland die Verkehrsmittel und Energieanlagen der Zukunft bauen – auf höchstem ökologischen und technologischen Niveau, mit qualifizierten Beschäftigten und zu guten Arbeitsbedingungen. Dazu bedarf es jedoch der notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen. Das bedeutet, dass sich die Investitionen im Automobilsektor aktuell im Kern darauf auf den Hochlauf der Elektromobilität und die sich ändernden Qualifikationsanforderungen zu konzentrieren haben. Die Einhaltung der Klimaziele kann nur gelingen, wenn bis zum Jahr 2030 sieben bis 10,5 Millionen E-Fahrzeuge auf den Straßen sind. Eine gewaltige Aufgabe. Dafür sind jedoch bis heute die Voraussetzungen bei Stromversorgung und -netzen sowie bei der Ladeinfrastruktur nicht gegeben. Momentan sind gerade einmal etwa 280.000 Elektroautos in der Bundesrepublik zugelassen.
Kurz: Ohne eine deutliche Ausweitung der Investitionen in Netzinfrastruktur und Speichertechnologien, in Ladeinfrastruktur und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) werden die Klimaschutzziele nicht zu realisieren sein. Der zusätzliche Investitionsbedarf, allein für die Finanzierung der Verkehrswende, wird auf circa 250 Milliarden Euro bis 2030 geschätzt. Dies erfordert eine Abkehr von der Haushaltspolitik der „schwarzen Null“ – und eine offensive staatliche Investitionspolitik, die sich neuen Finanzierungswegen nicht verschließt.
Die IG Metall hat detailliert die Bedingungen für die Transformation in den Betrieben untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass knapp die Hälfte der Unternehmen keine Strategie für diesen Transformationsprozess hat. Ein umfassender Mangel an Personalplanung und erfolgreichen Geschäftsmodellen dominiert die aktuelle Situation. Offensichtlich benötigen die Unternehmensleitungen zusätzliches Knowhow und mehr Zeit. Dies gilt – insbesondere in Bezug auf Weiterbildung – auch für die Beschäftigten. Wir wollen die Arbeitgeber zu einer strategischen Personalplanung verpflichten. Hierfür ist es für die IG Metall auch wichtig, dass Betriebsräte ein erweitertes Mitbestimmungsrecht bekommen, um Weiterbildung einzufordern.
Bei den beschriebenen Umbruchprozessen geht es um strukturelle Veränderungen, die ganze Wirtschaftsbereiche und Branchen betreffen. Deshalb fordern die Gewerkschaften konkrete arbeitsmarkt- und strukturpolitische Hilfen für betroffene Regionen und Beschäftigte im Strukturwandel. Dafür braucht es ein Bündel begleitender arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen: Dazu gehören die schnelle Erleichterung des Zugangs zur Kurzarbeit, eine Kostenentlastung der Unternehmen (Erstattung der Sozialabgaben) dann, wenn Kurzarbeit mit Qualifizierung verbunden wird, und eine verlängerte Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld (24 Monate). Darüber hinaus braucht es ein neues Instrumentarium, das Transformationskurzarbeitergeld. Das bestehende Qualifizierungschancengesetz bietet zwar die Möglichkeit, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren berufliche Tätigkeit durch Strukturwandel bedroht ist, im Rahmen eines fortbestehenden Qualifikationsverhältnisses weiterzubilden, es setzt jedoch am einzelnen Beschäftigten an und nicht an kollektiver Betroffenheit von Veränderungen. Nach wie vor fehlt ein Instrument, das es ermöglichen würde, Fachkräfte in von Strukturwandel betroffenen Bereichen in einem kollektiven Rahmen zu begleiten und die Betriebsparteien systematisch in diese Prozesse einzubeziehen.
Von zentraler Bedeutung für den Industriestandort Deutschland ist der Erhalt der industriellen Wertschöpfungsketten. Die Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie ist stark ausdifferenziert und durch eine breite regionale Verteilung geprägt. Die Fahrzeugfertigung erfordert den Zukauf von Teilen, Komponenten, Rohstoffen sowie Maschinen und Anlagen, sodass auch Branchen, die vordergründig wenig mit dem Automobilbau zu tun haben, an der Herstellung von Kraftfahrzeugen beteiligt sind und davon profitieren. Im Laufe der Jahre haben die Unternehmen hier Systemkompetenzen aufgebaut, um der zunehmenden Verflechtung von Herstellern, Komponenten und Systemlieferanten sowie Maschinenbauern aus verschiedenen Industrie- und Dienstleistungszweigen gerecht zu werden.
Diese charakteristisch enge Systemlandschaft der deutschen Automobilindustrie ist weltweit einzigartig. Die einzigartigen Wertschöpfungsketten sind auch die Basis für erfolgreiche Produkte im Zuge der Dekarbonisierung bzw. des Hochlaufs der Elektromobilität. Deswegen bedarf es regionaler Strukturkonzepte sowie regionaler Transformationszentren, in denen Firmen, Gewerkschaften, Arbeitsagentur und Weiterbildungsträger mit dem Ziel zusammenarbeiten, regionale Transformationspläne zum Erhalt industrieller Kerne zu entwickeln. Zur Umsetzung solcher Pläne braucht es aber auch eine Förderung durch Strukturhilfen des Bundes und der Länder. Zudem ist die Auflage eines sogenannten Dachfonds zur Erleichterung des Zugangs zu Eigen- und Fremdkapital für Zuliefererunternehmen geboten.
Das Entscheidende ist, dass es uns gelingt, aus dem technologischen und ökologischen Fortschritt auch einen sozialen Fortschritt zu machen. Während der Zeit des Umbaus des Mobilitätssektors muss der Zugang zu Mobilität für alle Teile der Bevölkerung – gerade auch für die unteren Einkommensschichten – erhalten bleiben. Ansonsten wird das Verständnis für die bevorstehenden und erforderlichen tiefen Einschnitte in den Alltag der Menschen rasch schwinden. Mittlerweile steigt zum Beispiel die Zahl der Pendler genau wie die zurückgelegten Distanzen überproportional bei Menschen mit niedrigem Einkommen. Nicht mehr die Reichen ziehen aufs Land, sondern immer mehr ärmere Haushalte werden durch rasant steigende Mieten in die Peripherie verdrängt. Die Kombination aus stark angestiegenen Mieten und drohender Erhöhung der Mobilitätskosten stellt insbesondere für die unteren vier Einkommensdezile eine sich verschärfende Problematik dar. Auch daran wird deutlich: Klimaschutz ist immer auch eine Verteilungsfrage. Wird dies unterschlagen, werden die klimapolitischen Ziele und Initiativen auf Widerstand stoßen.
Das im Papier angesprochene „grundsätzliche Umsteuern“ in der Mobilitätspolitik bedarf entsprechender Strategien. Zentral hierbei ist der Ausbau des ÖPNV. Ohne Zweifel muss das Verhältnis von Kollektiv- und Individualverkehr in der Bundesrepublik neu ausbalanciert werden. Der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung ist massiv zu forcieren, da ohne sie die Verkehrswende nicht gelingen kann. Gleichwohl wird auf absehbare Zeit der automobile Individualverkehr gerade auf dem Land noch eine zentrale Rolle spielen. In der Stadt hingegen wird das Automobil in naher Zukunft eine deutlich geringere Rolle einnehmen. Gerade die Digitalisierung wird es ermöglichen, die Vernetzung zwischen Stadt und Land, zwischen kollektiven Verkehrsträgern und dem Auto deutlich zu verbessern. Es geht somit um eine Gleichzeitigkeit, um einen effizient organisierten Dreiklang des Hochlaufs der Elektromobilität, des Ausbaus des ÖPNV sowie der effektiven Verknüpfung der unterschiedlichen Verkehrsträger.