Heutige sozial-ökologische Umbruchsprozesse sind in der öffentlichen Debatte eng mit Fragen einer ökologischen Moral verbunden. Sind deutsche Konsument*innen und (Industrie-)Beschäftigte global nicht ohnehin privilegiert und sollten für den Klimaschutz höhere Preise und neue Unsicherheiten akzeptieren? Wollen Automobilbeschäftigte ihre Jobs verteidigen, wird ihnen schnell unterstellt, Reformblockierer zu sein. Gleichzeitig diskutiert die Politik CO2-Verbrauchssteuern, die nicht-nachhaltige Lebensstile – also momentan so ziemlich alle – finanziell belasten sollen. Während klimafreundlichere Konsumentscheidungen für einkommensstarke Schichten kein Problem sind, fragen sich viele, wie sie denn den letzten Euro zweimal umdrehen sollen. Über industrielle Verschwendung, aberwitzig strukturierte Transportwege und Wertschöpfungsketten, über Dienstwagenprivileg und Privatjets, Diesel- und Kerosinsubventionen, Luxusvillen, Militär und Rüstung wird vergleichsweise wenig gesprochen. Ein anderes Beispiel ist das Neun-Euro-Ticket im Nahverkehr, das den großen Bedarf an bezahlbarer Mobilität zeigt und einen Einstieg in die Verkehrswende markieren könnte. Doch unter den Bedingungen einer jahrzehntelang heruntergesparten Infrastruktur mündete die hohe Nachfrage in verspäteten und überfüllten Zügen, überlastetem Personal und gefrusteten Reisenden. So wirkte das Ticket stellenweise als gute Werbung für die individuelle Automobilität.
Doch sozial-ökologische Transformationskonflikte können auch größere Krisenprozesse induzieren. Geraten ganze Industrien unter Druck, können ganze nationale Entwicklungsmodelle in Schwierigkeiten kommen. Man stelle sich vor, aus ökologisch vernünftigen Klimaschutzerwägungen gerieten nicht nur die fossile, sondern auch die batterieelektrische Autoproduktion und darüber hinaus auch der überdimensionierte globale Warentransport und das exportgetriebene Wachstumsmodell in die Kritik. Potenziert werden solche Probleme der ökologisch-ökonomischen Krisengefahren durch die nach wie vor massiv aufgeblähten Renditeansprüche im Finanzsektor, die bei substanzieller Umweltpolitik eigentlich entwertet werden müssten.
Was für den Verkehrssektor gilt, lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten. Wo wir auch hinschauen, unter den sozialen und ökologischen Beschränkungen kapitalistischer Bedingungen scheint der ökologische Transformationsdruck überall Klassenkonflikte zu verschärfen. Die Klimakrise birgt daher enormen gesellschaftlichen Sprengstoff und stellt die gesellschaftliche Linke vor gewaltige Aufgaben.
Ein ökosozialistischer Pol und Klassenpolitik
Aktuell wird die Krise vor allem durch ökologische Modernisierungsprojekte bearbeitet. Gerade weil diese weder sozial verträglich noch ökologisch ansatzweise hinreichend sind, liegen hier Interventionsfelder für eine ökosozialistische Linke. Denn wie die Transformationskonflikte ausgehen – ob sich die Gegensätze zwischen sozialer und ökologischer Frage verfestigen oder ob sich Ansätze einer ökosozialistischen Klassenpolitik herausbilden –, ist offen und hängt von den konkreten Akteurs- und Konfliktkonstellationen ab. Entscheidend für ihre Verläufe ist allerdings auch das politische Framing. Dieses bietet ein Interpretationsangebot an, worum eigentlich gestritten wird. Zerstören die »Öko-Spinner« Industrie und Jobs? Oder können gewinnorientierte Unternehmen weder Nachhaltigkeit noch Erwerbssicherheit langfristig organisieren?
Der gegenwärtige politische Diskurs bildet tendenziell die Spaltung der herrschenden Eliten selbst ab: Auf der einen Seite steht ein liberaler Ökomodernismus, der versucht, sozial zweifelhafte und ökologisch unzureichende Wachstumskompromisse zu organisieren. Dabei nimmt er mit Austerität, Lohnsupression und Entlassungen im Namen des Klimaschutzes nicht selten Formen eines ökologischen Klassenkampfs von oben an. Auf der anderen Seite ein konservatives bis rechtsautoritaristisches, tendenziell anti-ökologisches Spektrum, das Klasseninteressen sozialdemagogisch anerkennt und mit einer anti-ökologischen Agitation und Programmatik verbindet. Eine ökosozialistische Linke muss sich in scharfer Abgrenzung zu beiden Positionen aufstellen. Ihr Herzstück und strategischer Fluchtpunkt muss der schnellstmögliche sozialverträgliche und ökologisch tragfähige Um- und Rückbau des industriellen Apparates und der Ausbau sozialer Infrastrukturen sein. Damit die Linke in diesen Konflikten nicht zwischen dem grün-liberalen und dem rechts-autoritären, anti-ökologischen Block zerrieben wird, braucht es einen eigenständigen ökosozialistischen Pol. Dieser muss (1) vom Standpunkt der gesellschaftlichen Arbeit her gedacht und aufgebaut werden; (2) ganzheitlich konzipiert werden und gesellschaftspolitisch auf eine ökosozialistische Transformationsperspektive verweisen und (3) ein ökosozialistisches populistisches Framing bedienen, das in scharfer Abgrenzung zu den beiden falschen Alternativen die sozial-ökologische Polarisierung in eine ökosozialistische Polarisierung wenden kann.
Standpunkt der Arbeit
Der Position der Menschen in ihrer sozialen Rolle als Arbeiter*innen kommt im Aufbau eines ökosozialistischen Pols eine Schlüsselrolle zu. Denn die Position in der Hierarchie des Kapitalverwertungsprozesses und der gesamtgesellschaftlichen und betrieblichen Arbeitsteilung ist gleichzeitig eine Position in der Regulierung des arbeitsvermittelten Stoffwechsels. Mit jeder Position gehen unterschiedliche Machtressourcen einher, in die kapitalistische Produktion und damit in den kapitalistisch überformten Stoffwechsel einzugreifen. Aus dieser Perspektive kommen auch Beschäftigte jener besonders klimaschädlichen Branchen in den Blick, denen häufig keine progressive Rolle in klimapolitischen Strategien zugesprochen wird. Doch statt den Kauf von SUVs anzuprangern, wäre es besser, wenn diese gar nicht erst produziert würden (Dörre et al. 2020, 55). Und genau in den Fragen, Was, Wie und Wozu eigentlich produziert wird (ebd., 45), halten die (Auto-)Beschäftigten die strategisch zentralen Machtressourcen für einen nachhaltigen Wirtschaftsumbau. Sie können direkt und organisiert in den Arbeits-, Produktions- und damit Stoffwechselprozess eingreifen und haben, zumindest potenziell, die Macht, die Produktion anders, also demokratischer und ökologischer zu gestalten. Die bereits erwähnte Auseinandersetzung um das Bosch-Werk in München ist nicht nur paradigmatisch für die Krise der Autoindustrie und die kommenden sozial-ökologischen Transformationskonflikte, sondern ebenso für eine progressive klassenkämpferische Allianz zwischen Belegschaften und Klimaaktivist*innen (Heinisch 2021). Mit der Werkschließung konfrontiert, forderten die Beschäftigten mit Unterstützung der Klimaaktivist*innen eine Umstellung auf ökologische Produktion und entwickelten dafür konkrete Alternativvorschläge.
Aus einer solchen ökosozialistischen Perspektive werden die Beschäftigten solcher Sektoren von Schuldigen, die umweltschädliche Dinge produzieren, zu Transformationsakteur*innen, die nicht nur das Know-how, sondern potenziell auch die ökonomische (Streik-)Macht haben, einen ökologischen Wirtschaftsumbau auf der Ebene des konkreten Arbeitsprozesses gegen die Interessen des Kapitals durchzusetzen.
Eine ganzheitliche Strategie
Die Kämpfe gegen Entlassungen in der Autoindustrie oder für bessere Arbeitsbedingungen im Nah- und Fernverkehr weisen heute schnell über die Betriebsebene hinaus und können nur durch ihre gesellschaftliche Politisierung überhaupt erfolgreich sein. Hierin liegen enorme Chancen für neue, schlagkräftige sozial-ökologische Allianzen zur Durchsetzung weiter reichender (sozial-)ökologischer Forderungen. Gelingt es Kämpfen in der strukturell kriselnden Autoindustrie etwa nicht, sie als Kämpfe um einen grundlegenden nachhaltigen Industrieumbau zu führen, droht andernfalls ein Tod auf Raten, weil der Beschäftigungsabbau nur aufgeschoben, aber nicht verhindert werden kann (Röttger/Wissen 2017). Kämpfe für einen besseren öffentlichen Nah- und Fernverkehr prallen dagegen schnell an die Wand politisch verknappter öffentlicher Finanzen, wenn nicht das Austeritätsdogma gebrochen wird. Geld ist faktisch genug da, die Finanzierung öffentlicher Aufgaben und ebenso eine wirklich nachhaltige Mobilitätswende ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung und der Kräfteverhältnisse.
Ökosozialistische Fortschritte können nur mit einem ganzheitlichen, verbindenden Ansatz erreicht werden, denn die faktischen Bezüge von Betriebs- und Gesellschaftspolitik, von Kämpfen in der Autoindustrie zu denen bei Bus- und Bahnbetrieben und von diesen Themen zur Klimakrise und zur Notwendigkeit einer echten Nachhaltigkeitswende entstehen nicht von allein. Kämpfe zu verbinden bedeutet jedoch nicht, sie einfach irgendwie zu addieren, sondern, ein Problemfeld (hier Mobilitätswende) entlang eines strategischen Horizontes ganzheitlich von seinen verschiedenen Seiten zu bearbeiten. Linke Parteien und Klimaaktivist*innen müssten die Organisierung der Beschäftigten in der Autoindustrie, den Ausbau der öffentlichen Mobilität und den Klimaschutz verbindend unterstützen und entsprechende Bündnisse zwischen Gewerkschaften, Verbraucher*innenorganisationen und Klimaaktivist*innen anschieben. Für die Autoindustrie heißt das, nicht auf E-Mobilität, sondern auf eine Konversion hinzuwirken und den Umbau sozialpolitisch abzufedern, etwa in Form eines Rechts auf gesellschaftlich und damit auch ökologisch sinnvolle Arbeit. Betriebs- und Tarifkämpfe in Verkehrsbetrieben sollten dagegen aus der Klima- und Nutzer*innenperspektive unterstützt werden. Bessere Arbeitsbedingungen bewirken ein attraktiveres Angebot und eine ökologisch wünschenswerte höhere Nutzung. Und nur eine gemeinsame Allianz aus Beschäftigten und Klimaaktivist*innen kann den notwendigen Infrastrukturausbau und dessen Finanzierung erkämpfen. Wichtig ist dabei, die überbetrieblichen/gesellschaftspolitischen Fragen, etwa die Verbindungen zur Autoindustrie (und vice versa), zu Forderungen etwa eines Infrastruktur- und Personalausbaus im Nah- und Fernverkehr, zum gesamtwirtschaftlichen ökologischen Umbau (und dem insgesamt riesigen Bedarf an Arbeit und Know-how) und zu den kapitalistisch gesetzten Grenzen dieser Aspekte auf der Unterstützung von Arbeitsplatzerhalt und besseren Arbeitsbedingungen aufbauend in die Kämpfe einzubringen. Die Kämpfe für den industriellen Umbau, für ein Recht auf Arbeit und für deren sozialverträgliche intersektorale Umverteilung und die dafür notwendige Demokratisierung der Arbeit und der Produktion setzen Profitzwang und Marktlogik perspektivisch Grenzen und ermöglichen eine ökosozialistisch transformative Politik. Die legitimen Beschäftigungs-, Betriebs- und Lohninteressen zunächst solidarisch anzuerkennen und zu unterstützen ist die Bedingung, um überhaupt ernsthaft Fragen der Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus, der globalen Klimagerechtigkeit oder eines system change stellen zu können.
Ein ökosozialistischer Populismus
Die Verbindungslinien zu diesen überbetrieblichen und gesellschaftspolitischen Fragen sowie die Bezüge der verschiedenen Konflikte zueinander muss ein ökosozialistisches populistisches Framing ziehen, das die systemischen Ursachen der Krisen und Konflikte mit den alltäglichen Verwerfungen in Bezug setzt. Gemeint ist ein aktivierender sozialistischer statt eines sozialdemokratischen Stellvertreter- oder gar eines rechten Populismus. Ein linker Populismus (Goes/Bock 2017) kombiniert eine populare sozial-ökologische Programmatik mit einer populistisch verdichtenden politischen Ansprache. Es geht darum, an die sozialpopulistischen Deutungen im Massenbewusstsein, die auch in Bezug auf die Klimakrise bestehen, anzuknüpfen und sie progressiv weiterzutreiben. Eine Ahnung des systemischen Charakters der Klimakrise, eine Kritik an den ökologisch widersprüchlichen und sozial ungerechten Scheinlösungen des Ökomodernismus sowie an der Ausklammerung der größten Klimasünder*innen aus der Umweltdebatte sind Ansichten, die im Massenbewusstsein heute weit verbreitet sind. Allzu oft finden diese jedoch keine politische Verdichtung und Repräsentation, die diesem Unbehagen eine progressive programmatische Alternative bieten könnte. In diese Lücke stößt dann schnell eine anti-ökologische und reaktionäre Elitenkritik. Ein ökosozialistischer Populismus sollte dabei auch auf die klassenspezifischen Ungleichheiten des Umweltverbrauchs und der Vulnerabilität gegenüber Umweltrisiken hinweisen und auf eine gerechtere Verteilung der Lasten drängen. Hier kann auch eine Kritik an Lebensstilen ansetzen, die das verbreitete Unbehagen an der Nichtnachhaltigkeit der eigenen Lebensführung aufnimmt. Aus einer individuellen muss jedoch eine kollektive Konsumkritik werden, die damit zwangsläufig eine Produktions- und Systemkritik einschließt. Die Tatsache, dass wir gezwungen sind, unsere alltägliche soziale Reproduktion mangels Alternativen auf Kosten der Umwelt abzusichern, gilt es zu politisieren. Für eine breitere Akzeptanz der notwendigen Veränderungen in den Lebens- und Konsumgewohnheiten muss nicht nur die Frage nach dem Angebot und der gesellschaftlichen Versorgungsinfrastrukturen auf die politische Agenda gesetzt werden, es sollte auch der enorm umweltschädliche exzessive Luxuskonsum der Superreichen problematisiert werden. Wird ökologischer Verzicht gegenüber Normal- und Geringverdiener*innen propagiert, während die Lebensstile der Reichsten keine Debatte wert sind, sind Anerkennungsdefizite vorprogrammiert und die Ablehnung von Umweltpolitik ist nicht weit.
Trotz der Verschiedenartigkeit der zu verbindenden konkreten Konflikte ist es essenziell, auf den gemeinsamen Kern der Probleme zu verweisen und so der Vereinzelung einen koordinierten sozial-ökologischen Aufbruch entgegenzusetzen. Die Forderungen nach Konversion und dem Ausbau der öffentlichen Versorgungsinfrastrukturen sowie die Abwehr von CO2-Verbrauchssteuern müssen auf Gemeinsames verweisen: Nämlich auf die soziale und ökologische Sackgasse liberaler und rechter Vorschläge und auf die Perspektive einer Demokratisierung und Ökologisierung der Wirtschaft, die diese durchbrechen kann. Nur dann können sich die Kämpfe gegenseitig befruchten und praktische, solidarische Verbindungen über Branchen, Beschäftigtengruppen und kulturelle Milieus hinweg entstehen. Die sozial-ökologische Problematik in den aktuellen Transformationskonflikten verweist letztlich auf den Kern der sozialistischen Idee: Auf die Demokratisierung und Vergesellschaftung der Produktion und der Arbeit, die nur konflikthaft gegen Kapitalinteressen durchgesetzt werden können. Ein solches Framing muss sich damit sowohl von den ökomodernistisch-liberalen sowie von fossil-rechtsautoritären Konzepten abgrenzen und beide als ökologisch unzureichende und sozial ungerechte Projekte kapitalistischer Eliten brandmarken. Diese Pole befeuern sich gegenseitig und ziehen ihre Kraft aus den Defiziten der jeweils anderen. Auf diese fatale Polarisierung darf sich die Linke nicht einlassen, sondern muss einen eigenständigen ökosozialistischen Pol entwickeln, der soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit sozialistisch transformativ verbinden kann.