Zu ihrem 40. Geburtstag haben die Grünen ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Damit verstetigen sie einen Kurs, für den die Parteispitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck von Anfang an stand: der Weg in eine „ökologische Moderne“. Schwammig genug, um sich bei vielen Fragen nicht allzu sehr festlegen zu müssen. Aber konkret genug, um ein Angebot an verschiedene, auch im Widerspruch zueinander stehende Gruppen zu machen: Industrie, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Beschäftigte, Klimabewegte und viele mehr. Linke Politik ist das nicht – und das ist auch nicht der Anspruch der Grünen. Ein genauerer Blick auf die Debatten auf der 45. Bundesdelegiertenkonferenz zeigt, dass es linke Forderungen bei den Grünen schwer haben. Das überrascht nicht, die Grünen wollen regieren und legen sich nicht fest, mit wem sie sich das gut vorstellen können. Die Chancen auf eine grüne Regierungsbeteiligung stehen nicht schlecht.
Die Diskussion zum Grundsatzprogramm
Der Entwurf des neuen, mittlerweile vierten Grundsatzprogramms der Grünen trägt den Titel „…zu achten und zu schützen: Veränderung schafft Halt“ und ist eine Aktualisierung des Parteiprogramms im Sinne des realpolitischen Kurses der Parteispitze. Der Bundesvorstand skizziert den Weg in die „ökologische Moderne“. Das beinhaltet einen neuen Wohlstandsbegriff, der sich auch an Lebensqualität und Klimaschutz misst. Sie fordern ein neues Arbeitsrecht mit fairen Löhnen und besserem Arbeitsschutz. Existenzsichernde Sozialleistungen sollen Schritt für Schritt zusammengeführt werden. Eine Garantie soll für alle gelten, deren eigenes Vermögen und Einkommen nicht ausreicht – aber „eigenes Tätigwerden muss sich immer lohnen und honoriert werden.“ Das Programm beinhaltet auch die Idee einer Republik Europa.[1]
An vielen Stellen aber bleiben die Forderungen schwammig, Konkretionen wären Angelegenheiten des Wahlprogramms, so eine Begründung auf der Bundesdelegiertenkonferenz. Trotz fehlender Kontur können sich die Parteivorsitzende und ihre Unterstützer*innen weitgehend auf Mehrheiten verlassen, der Entwurf und ihr Regierungskurs werden mitgetragen. Der linke Flügel hingegen ist geschrumpft und kann nicht nur auf dieser Bundesdelegiertenkonferenz, sondern schon seit Jahren keine Entscheidungen mehr für sich gewinnen.[2]
Durchsetzen können sich linke Positionen, wie sich vergangenes Wochenende bestätigte, nur, wenn sie von der Parteiführung eingebunden werden oder in Ausnahmen eine Mehrheit in der Basis finden.
Wegweisende Entscheidungen
Mehr als 1 300 Änderungsanträge wurden an den Entwurf gestellt. Die allermeisten wurden durch Verhandlungen und modifizierte Übernahmen im Vorfeld erledigt („geeint“, wie es bei den Grünen heißt). Beim Abschnitt zu Grundwerten und dem Kapitel zu Nachhaltigkeit gab es entsprechend wenig spannende Abstimmungen, obwohl dort mit der Formulierung zum 1,5-Grad-Ziel eine der strittigsten Fragen verhandelt wurde. Im Ursprungstext stand, Leitlinie der Politik sei das Klimaabkommen von Paris, „das vorsieht, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen.“ Vielen Mitgliedern war das zu wenig. Vor der Abstimmung gab es einen Kompromiss. Im Programm heißt es jetzt: „Zentrale Grundlage unserer Politik ist das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht des Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit“. Es sei daher notwendig, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Beim Wirtschaftskapitel wurde grundsätzlich diskutiert. Schon die Überschrift stand zur Debatte: Sozial-ökologische Marktwirtschaft sollte in sozial-ökologisch Wirtschaften geändert werden. Der Einbringer beteuerte, er sei wie viele andere Antragsteller gar nicht gegen Marktwirtschaft, ihnen sei der Bezug aber zu altbacken. Baerbock hielt die Gegenrede. Sie nennt den Begriff der sozialen Marktwirtschaft „ein bisschen angestaubt”, aber die Grünen wollten diese nun ökologisch umbauen und das „nicht den Neoliberalen überlassen”. Gut 40 Prozent der Delegierten stimmten dafür, dass der ursprüngliche Titel bleibt. Auch zum Wirtschaftswachstum gab es eine Kontroverse. Die Grüne Jugend beantragte, den positiven Bezug zu streichen. Katharina Dröge, wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, hielt die Gegenrede: Es ginge beim Klimaschutz doch um viel mehr als um eine einfaches „Ja oder Nein“ zu Wachstum. Die Grünen dürften sich vor dieser Frage nicht drücken, sondern müssten differenziert antworten. Das könne auch bedeuten, dass einige Wirtschaftszweige schrumpfen, andere aber wachsen müssten. Auch diesmal konnte sich der Bundesvorstand durchsetzen, trotz vieler Gegenstimmen. Ein Änderungsantrag aus dem antragsstarken Ortsverband Friedrichshain-Kreuzberg wollte Grund und Boden durch ein Renditeverbot der Spekulation entziehen. Die Gegenrede hielt Chris Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Ohne Rendite funktioniere es nicht, auch nicht für Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat. Deshalb solle die Rendite beschränkt, aber nicht verboten werden. Das sahen über 70 Prozent der Delegierten auch so und stimmten gegen das Renditeverbot. Bereits im Vorfeld hatte die Berliner Abgeordnete Katrin Schmidberger mit 53 Unterstützer*innen (inkl. Kühn) beantragt, den Satz „Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein” zu streichen. Stattdessen wollen sie ein „soziales Gewerbemietrecht” und ein „soziales Mietrecht, das den unterschiedlichen Wohnungsmärkten gerecht wird.” Eine Änderung, die im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz vom Bundesvorstand übernommen wurde. Es wurde auch beantragt, die Schuldenbremse grundsätzlich abzulehnen bzw. die „gesetzlichen Regeln für die Begrenzung der Kreditaufnahme“ aus dem Text zu streichen. Die Grünen hätten sich mit den „Gewerkschaften und Arbeitgebern wie dem BDI” dafür eingesetzt, dass sich der Wind in der Debatte dreht, das solle nicht kleingeredet werden, wurde in der Gegenrede argumentiert. Auch hier stimmten über 70 Prozent gegen die Änderung, der Text blieb also gleich. In der letzten Abstimmung zum Wirtschaftskapitel ging es um eine Zuspitzung der vom Bundesvorstand vorgeschlagenen Formulierung zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften. Der Einbringer argumentierte, dass die Formulierung im Vergleich zum Bundestagswahlprogramm aufgeweicht sei, in dem nämlich Öffentlich-Private Partnerschaften noch abgelehnt werden. Die Gegenrede hielt der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek: Er könne zukünftig nicht ausschließen, dass etwa bei digitalen Projekten Zusammenarbeit notwendig sein könnte. Die vorgeschlagene Zuspitzung wurde mit gut 60 Prozent abgelehnt. Im Kapitel Bildung und Forschung gab es eine Diskussion zur Genforschung. Habeck warb dort für den Antrag des Bundesvorstands. Es ginge darum, „forschungs - und wissenschaftsfreundlich, aber kritisch in der Anwendung” zu sein. Über 70 Prozent der Delegierten stimmten Habeck und damit dem Aufweichen einer der bisherigen Grundpfeiler grüner Politik, das Genforschung grundsätzlich abzulehnen ist, zu. Ebenfalls diskutiert wurde über die Haltung der Grünen zur Kooperation von Wissenschaft und militärischen Einrichtungen. Im Entwurf des Bundesvorstandes wurden derartige Kooperationen nicht prinzipiell ausgeschlossen. Doch 60 Prozent der Delegierten stimmten gegen einen Antrag, der diese Haltung in Frage stellen wollte. Auch Studiengebühren schließt das Grundsatzprogramm nicht aus. Hier wurde ebenfalls erfolglos versucht, das zu ändern. Die Forderung, Bildung von wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu entkoppeln, wie ein Antrag formulierte, wurde auch abgelehnt. Angenommen wurde ein Antrag der forderte, dass nicht nur Lehr – und Lernmittel, sondern auch der Zugang zu Kitas und Schulen kostenfrei sein soll. Sehr strittig war, dass im Ursprungstext keine Volksentscheide als Instrument der direkten Demokratie mehr vorgesehen waren, sondern lediglich Bürgerräte. Diesmal war die Opposition gut organisiert. Michael Kellner sprach sich für einen Änderungsantrag von Gründungsmitglied Lukas Beckmann aus, auch die Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion in Bayern, Katharina Schulz, hielt eine Fürrede – sehr ungewöhnlich für diese Bundesdelegiertenkonferenz. Robert Habeck setzte sich für die Version des Bundesvorstands ein. Volksentscheide seien gar nicht immer progressiv und man brauche ein Instrument, das in die Zeit passe, meinte er. Bürgerräte hätten den entscheidenden Vorteil, Parlamente beeinflussen zu können, ohne über diesen zu stehen. Außerdem wären Volksentscheide im ersten Grundsatzprogramm gar nicht konkret erwähnt gewesen. Das wirkte, als habe er nicht wirklich Vertrauen in Initiativen und Bürgerbewegungen. Jürgen Trittin unterstützte Habeck mit bombastischen Argumenten. Knapp über 50 Prozent stimmten am Ende für die Variante des Bundesvorstands. Damit sind Volksentscheide nicht Teil des grünen Grundsatzprogramms. Zum Thema Polizei hatte die Grüne Jugend einen Änderungsantrag gestellt, der teils übernommen wurde. Der Satz „Polizei und Sicherheitsorgane garantieren die Sicherheit im Inneren” wurde gestrichen, neu aufgenommen wurde die Forderung nach unabhängigen Polizeibeauftragten. Nicht übernommen wurde die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht. Die zentrale Auseinandersetzung beim sozialpolitischen Kapitel drehte sich um die Frage, ob die Grünen ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern sollten oder nicht. Im Ursprungstext war das bedingungslose Grundeinkommen nicht vorgesehen, sondern eine sanktionsfreie Garantiesicherung. Der u.a. von Frank Bsirske verteidigte Text des Bundesvorstandes wurde von den Delegierten dennoch geändert. Zwei Änderungsanträge standen zur Auswahl, die Mehrheit stimmte für die Variante „Verdeckte Armut wird überwunden. Dabei orientieren wir uns an der Leitidee eines bedingungslosen Grundeinkommens”. Die vor allem von Annalena Baerbock beworbene Garantiesicherung blieb aber ebenfalls im Text. Bundesvorstandsmitglied Ricarda Lang, die das sozialpolitische Kapitel einleitete, setzte dabei linke Akzente: Von der Überwindung von Hartz IV über bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne für systemrelevante Beschäftigte bis zur Altersarmut bei Frauen. Zusammengefasst: Gegen den Antrag des Bundesvorstands wurde die Leitidee des bedingungslosen Grundeinkommens im Programm verankert. Nicht ins Programm geschafft haben es Volksentscheide als Instrument direkter Demokratie, obwohl sich auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner dafür einsetzte. Viele Änderungsanträge aus der Mitgliedschaft, die das Programm konkretisiert oder nach links verschoben hätten, wurden nicht angenommen. Eine Ausnahme ist der kostenlose Zugang zu Kitas und Schulen.
Gute Aussichten auf das Superwahljahr
Die Grünen liegen in den Umfragen zur Bundestagswahl derzeit zwischen 17,5 und 20 Prozent. Das ist viel, war aber bis zum Frühjahr mehr. Mitte 2019 lagen sie bei über 25 Prozent und damit deutlich vor der SPD, jetzt ist der Vorsprung nur noch gering. Dem grünen Selbstbewusstsein tut das keinen Abbruch. Und tatsächlich läuft es an vielen Stellen gut: Die Mitgliederzahlen sind stark gestiegen und liegen mittlerweile bei über 100 000, in einigen Landesverbänden haben sie sich seit 2016 verdoppelt. Im Osten sind sie weiterhin schwächer aufgestellt. Der von Baerbock und Habeck seit ihrer Wahl 2018 vorangetriebene Imagewandel scheint gelungen. Auch finanziell läuft es rund. Für den Bundestagswahlkampf planen sie 10 Millionen Euro ein. Zusätzlich modernisieren sie ihre Bundesgeschäftsstelle. Die Grünen sind regierungswillig, und das nicht nur auf Bundesebene: Bei 13 von 18 Landtagswahlen haben sie sich im Anschluss an einer Regierung beteiligt, mit sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen von 30,3 Prozent (Baden-Württemberg) bis 5,2 Prozent (Sachsen-Anhalt) und mit CDU, SPD, FDP und der LINKEN als Koalitionspartnerinnen.
Wahl
Ergebnis der Grünen
Regierung
Bürgerschaftswahl Hamburg 2015
12,3 Prozent (+1,1)
SPD, Grüne
Bürgerschaftswahl Bremen 2015
15,1 Prozent (-7,4)
SPD, Grüne
Landtagswahl Baden-Württemberg 2016
30,3 Prozent (+ 6,1)
Grüne, CDU
Landtagwahl Rheinland-Pfalz 2016
5,3 Prozent (-10,1)
SPD, FDP, Grüne
Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2016
5,2 Prozent (-1,9)
CDU, SPD, Grüne
Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern 2016
4,8 Prozent (-3,9)
SPD, CDU
Abgeordnetenhauswahl Berlin 2016
15,2, Prozent (-2,4)
SPD, LINKE, Grüne
Landtagswahl Saarland 2017
4,0 Prozent (-1,0)
CDU, SPD
Landtagswahl Schleswig-Holstein 2017
12,9 Prozent (-0,3)
CDU, Grüne, FDP
Landtagwahl Nordrhein-Westfalen 2017
6,4 Prozent (-4,9)
CDU, FDP
Bundestagswahl 2017
8,9 Prozent (+ 0,5)
Union, SPD
Landtagswahl Niedersachsen 2017
8,7 Prozent (-5,0)
SPD, CDU
Landtagswahl Bayern 2018
17,6 Prozent (+ 9,0)
CSU, Freie Wähler
Landtagswahl Hessen 2018
19,8 Prozent (+ 8,7)
CDU, Grüne
Bürgerschaftswahl Bremen 2018
17,4 Prozent (+2,3)
SPD, Grüne, LINKE
Europawahl 2019
20,5 Prozent (+ 9,8)
Landtagswahl Sachsen 2019
8,6 Prozent (+2,9)
CDU, Grüne, SPD
Landtagswahl Brandenburg 2019
10,8 Prozent (+4,6)
SPD, CDU, Grüne
Landtagswahl Thüringen 2019
5,2 Prozent (-0,5)
LINKE, SPD, Grüne
Bürgerschaftswahl Hamburg 2020
24,2 (+11,9)
SPD, Grüne
Die Umfragewerte sind im Bund nach der Bundestagswahl 2017 langsam angestiegen und haben im Herbst 2018 einen Sprung gemacht, die höchsten Werte erreichten die Grünen im Juni 2019 mit dem Erstarken der Klimabewegung. Das bildet sich auch bei den Ergebnissen in den Ländern und bei der Europawahl ab. Die Partei profitiert weiter davon, dass sie mit den Themen Umwelt und Klimaschutz assoziiert wird und dieses Thema in den letzten Jahren wichtiger geworden ist. 13,9 Prozent der Befragten geben an, dass sich die Politik aktuell am meisten um dieses Thema kümmern soll, bei den Grünen-Wähler*innen sind es 41 Prozent. Den Grünen wird dabei am ehesten zugetraut, die Klimakrise zu bewältigen: 41 Prozent der Befragten halten sie bei der Umwelt – und Klimapolitik für die kompetenteste Partei[3].
Derzeit an erster Stelle der wichtigen Themen steht aber der Bereich Soziales/Renten/Wohnen mit 24,9 Prozent[4].
Es lohnt sich daran zurück zu denken, dass die Grünen schon einmal Umfragerekorde brachen und dann wieder eingesackt sind: Nach der Fukushima-Katastrophe 2011 stiegen die Werte auf über 25 Prozent und sanken dann wieder in den einstelligen Bereich. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Grünen nun dauerhaft eine größere Rolle spielen werden. Sie stellen sich als Bündnispartei auf, die auf unterschiedliche Teile der Gesellschaft zugeht.[5]
Sie geben sich als Garantin von mehr Klimaschutz und mehr Vielfalt, dazu kommt ein stärkeres sozialpolitisches Profil. Damit machen sie vor allem der SPD Konkurrenz, die dem Versprechen der ökologischen Modernisierung der Grünen wenig entgegensetzen kann und mit ihren politischen Angeboten oft aus der Zeit gefallen scheint. Wie ökologisch und sozial die Politik der Grünen tatsächlich ist, steht freilich auf einem anderen Blatt. In der Bundesregierung hängt das auch damit zusammen, mit wem sie regieren wollen. Klare Signale gibt es für keine Koalitionsoption, die Grünen kämpfen für sich selbst. Das wird auch im Wahlkampf voraussichtlich so bleiben. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner betonte auf der Bundesdelegiertenkonferenz, die Grünen wollten die CDU aus dem Kanzleramt befördern. Doch immer wieder sucht die Parteispitze den medialen Austausch mit der Union, besonders stachen dabei die Glückwünsche zum 75. Geburtstag der CDU hervor[6].
In Richtung SPD und LINKE bleiben solche öffentlichen Kontaktaufnahmen aus. Die Anhänger*innen der Grünen sind in dieser Frage gespalten. Im Rahmen des Politbarometers von Forschungsgruppe Wahlen gaben zum Beispiel im Januar 2020 53 Prozent aller Befragten und 46 Prozent unter den Anhänger*innen der Grünen an, dass sie eine erfolgreiche Zukunft eher mit einem Kurs Richtung Mitte sehen. Nur zehn Prozent von allen und ebenso viele von den eigenen Wähler*innen glauben, dass ein Kurs stärker nach links der erfolgreichere ist. Schwarz-Grün ist in Umfragen insgesamt derzeit die bevorzugte Koalition, knapp hinter einer Großen Koalition und deutlich hinter Grün-Rot und Grün-Rot-Rot. Wichtiger ist geworden, wie sich die Klimabewegung und andere Bewegungen zu den Grünen verhalten. Gelingt es, sie einzubinden? Oder lassen die Grünen mit ihrem Regierungskurs und aufgeweichten Positionen zu viel Platz für Konkurrenz? Entschieden ist das nicht. Einerseits kandidieren Aktive von Fridays for Future und Ende Gelände für die Grünen[7].
Andererseits tritt in Baden-Württemberg eine Klimaliste zur Landtagswahl an und mit der Initiative „united4bundestag“ hat sich eine neue Meta-Partei gegründet, die Klimaschutz zum Querschnittsthema macht: Kleine Parteien wie die Piraten und Volt schließen sich zusammen, um gemeinsam die 5-Prozent-Hürde zu überspringen. Die Mandate wollen sie anschließend untereinander aufteilen. Ihr Ziel: Die sozialgerechte Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ins Parlament bringen[8].
Für die Grünen ist das noch nicht bedrohlich, aber dennoch ein Zeichen, dass ihnen mit ihrem derzeitigen Kurs effektiver Klimaschutz nicht unbedingt zugetraut wird.
Die Weichen sind gestellt
Das neue Grundsatzprogramm der Grünen überrascht nicht. Bis auf wenige Ausnahmen setzte sich der Bundesvorstand mit seinem Plädoyer für die „ökologische Moderne“ durch, Anträge der Basis hatten geringe Chancen. Die sozialpolitischen Akzente lassen sich aber weniger als Angebot denn als Kampfansage an SPD und LINKE verstehen: Die Grünen wollen auch dieses Politikfeld stärker bei sich verorten und damit Konkurrenten überflüssig machen. Die ansonsten auffällige Konturlosigkeit des nun verstetigten Regierungskurses stellt die Weichen für das kommende Jahr und zeigt: Die Grünen wollen regieren und sind bereit, dafür viele Kompromisse einzugehen.
Der Bereich Strategie & Grundsatzfragen in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE erstellt regelmäßig Informationsmaterialien zu politisch relevanten Themen, Kontroversen und Ereignissen. Diese sind für Interessierte öffentlich zugänglich: https://filebox.die-linke.de/index.php/s/Qr6BByzALLqFjmT .
[1] Der Entwurf wurde näher ausgeführt im Kurzinfo „zu achten und zu schützen“: Die Grünen, ihr neues Grundsatzprogramm und die Corona-Krise, Juni 2020. Zu finden unter diesem Link: https://filebox.die-linke.de/index.php/s/Qr6BByzALLqFjmT
[2]Mitgestalten reicht ihnen nicht mehr – Die Grünen als Bündnispartei. Kurzinformation des Bereichs Strategie und Grundsatzfragen, November 2019