„Die Flüchtlingskrise bringt für viele Kommunen eine dreifache Belastung: Sie sind hoch verschuldet, müssen einen ausgeglichenen Haushalt erreichen und dann auch noch die Flüchtlinge unterbringen. […] Man muss die Bevölkerung vorsichtig darauf vorbereiten, dass bestimmte Dinge [zusätzliche Sozialleistungen] zwar schön sind, wir sie uns in Zukunft aber nicht mehr leisten können.“ (zit. nach Welt, 27.1.16).
Mit diesen Worten warnte der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg im Januar 2016 im Vorfeld eines Treffens der Spitzenvertreter der Kommunen mit der Bundeskanzlerin vor massiven Einschränkungen in der kommunalen Infrastruktur, wenn die Zahl der Geflüchteten nicht reduziert würde. Das Zitat verdeutlicht, inwiefern das, was gemeinhin als „Flüchtlingskrise“ tituliert wird, der Zivilgesellschaft jenseits medialer Debatten vor allem auf lokaler Ebene begegnet. Fragen der Versorgung und der gesellschaftlichen Teilhabe von Geflüchteten stellen sich in erster Linie auf der Ebene des „lokalen Staates“, wie Felix Wiegand in LuXemburg 1/2016 argumentiert.
Nach Jahrzehnten neoliberaler Deregulierung, kommunaler Austerität und der daraus resultierenden strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen war dieser lokale Staat allerdings schon lange vor der Ankunft einer großen Anzahl von Geflüchteten ‚belastet’. Die Hilflosigkeit vieler Kommunen im Sommer 2015 lenkte lediglich neue Aufmerksamkeit auf die massiven Einschnitte in öffentlichen und sozialen Einrichtungen wie Kitas, Krankenhäusern, Schwimmbädern oder Beratungsstellen, von denen die lokale Bevölkerung bereits seit Jahren betroffen war. Die „Flüchtlingskrise“ brachte also die Krise der öffentlichen Daseinsvorsorge nur erneut zum Vorschein.
Diese Überforderung der Kommunen wurde jedoch schnell zum Politikum: Sie wurde nicht nur von rechter Seite ausgenutzt, „um alte und neue Bewohner*innen gegeneinander auszuspielen und Geflüchtete für eine real vorhandene Misere verantwortlich zu machen“ (Wiegand 2016), sondern – so zeigt das obige Zeit – auch von Politik und Verwaltung. In dieser Gemengelage kam den zahlreichen Willkommensinitiativen, die zum Teil schon ab 2011 entstanden waren, die aber insbesondere nach dem Sommer der Migration großen Zulauf erfahren hatten (Karakayali/Kleist 2015 u. 2016), eine höchst ambivalente Rolle zu: Nicht selten wurden die Freiwilligen ins Feld geführt, um genau diese Überforderung zu betonen und im Zweifel als Argument für die Einführung von Obergrenzen oder für eine verschärfte Abschiebepraxis in Anschlag zu bringen. So verkündete beispielsweise Finanzminister Schäuble Ende letzten Jahres:
„In der Flüchtlingskrise hat Deutschland enorme Hilfsbereitschaft gezeigt. Noch auf Jahrzehnte wird man im Ausland mit uns die Bilder vom Münchener Hauptbahnhof verbinden. Aber wenn wir diese Hilfsbereitschaft erhalten wollen, müssen diejenigen wieder gehen, die kein Recht haben zu bleiben.“ (zit. nach Zeit, 3.12.16)
Laura Graf weist auf die widersprüchliche Rolle des Freiwilligenengagements in der Transformation des Asylregimes hin, wenn sie schreibt, dass „die öffentliche Wahrnehmung von Hilfe und Engagement […] von Beginn an mit den Narrativen der Überforderung und der Krise verschränkt“ war und „mit Blick auf seine antizipierte Erschöpfung verhandelt“ wurde (Graf 2016). Viele Freiwillige sind jedoch gar nicht ‚überfordert’ oder ‚erschöpft’, sondern vor allem frustriert von einer unterfinanzierten, oft wenig kooperativen, undurchsichtigen bis repressiven Verwaltung. Außerdem sind einige Engagierte wütend auf eine Politik, die die politischen Dimensionen des freiwilligen Engagements nicht anerkennt und/oder diesem Engagement zuwiderlaufende Ziele verfolgt.
Anhand von qualitativen Interviews und Online-Umfragen mit freiwillig Engagierten, die am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) durchgeführt wurden, soll diese Gemengelage genauer in den Blick genommen werden. Der Artikel will sowohl das Narrativ der „Überforderung“ der Freiwilligen kritisch beleuchten, also auch den im Sommer der Migration entstandene Diskurs um die vermeintlichen „Chancen“ des Zuzugs von Geflüchteten für Kommunen in der Infrastrukturkrise.

„Dorn im Fleisch der Verwaltung“?
Was Willkommensinitiativen mit der Krise sozialer Infrastruktur zu tun haben