Der aktuelle Ebola-Ausbruch in Westafrika ist die größte Epidemie seit der Entdeckung des Virus im Jahr 1976. Ebola war lange Zeit eine exotische, selten und begrenzt auftretende Erkrankung in wenigen ländlichen Gebieten im tropischen Afrika. Nun ist daraus eine dramatische Krise geworden, von der vor allem drei Länder besonders stark betroffen sind: Guinea, Liberia und Sierra Leone. Wer wissen will, wie das passieren konnte, kommt um einen Blick auf den gesellschaftlichen Kontext nicht herum: In der aktuellen Krise verdichten sich wie in einem Brennglas die Fragen globalisierter Ökonomie und struktureller Machtverhältnisse, humanitär begründeter Sicherheitsdiskurse und internationaler Solidarität. Nur wenn man die strukturellen Ursachen solcher Epidemien in Rechnung stellt, lässt es sich vermeiden, die Verantwortung allein bei bösartigen Killerviren und den direkt betroffenen Gesellschaften und Menschen zu suchen. Nur so werden längerfristige Handlungsoptionen denkbar, die nachhaltig etwas verändern, statt immer nur auf die nächste Katastrophe zu reagieren.

Risiko Globalisierung

Der gesellschaftliche Kontext spielt bereits bei den unmittelbaren Infektionsursachen eine Rolle. So leben in Guinea, Sierra Leone und Liberia viele Menschen von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Ihre Lebensgrundlage wurde durch land grabbing – den Ankauf von Land für großflächige Agrarrohstoffproduktion wie Palmölplantagen– und Ressourcenausbeutung von Diamanten, Rutil, Bauxit und anderen Rohstoffenmassiv eingeschränkt. Durch solche Verdrängungsprozesse weichen die Menschen in zuvor unbesiedelte Waldgebiete aus und kommen dort stärker mit den potenziellen Überträgern des Virus, etwa Affen oder Fledermäusen, in Kontakt. Das Virus wird schneller vom Tierwirt auf den Menschenwirt übertragen (vgl. Farmingpathogens 2014). Solche ökonomischen Entwicklungen sind keine isolierten lokalen Dynamiken, sondern eng verbunden mit einer globalisierten Welt, in der Gewinne und Verluste massiv ungleich verteilt sind. Bereits mit der kolonialen Eroberung und Durchdringung der westafrikanischen Küstenregionen wurde eine Plantagenwirtschaft etabliert, die auf die Bedürfnisse der Kolonialmächte und nicht auf eine lokale Nahrungsmittelsicherheit ausgerichtet war. Die damit geschaffenen Probleme wurden durch die millionenfachen Zwangsverschleppungen von Sklaven noch verstärkt. In den 1990er Jahren fand diese Ausbeutungsökonomie einen erneuten grausamen Höhepunkt, als eine Reihe von Bürgerkriegen in den aktuell Ebola betroffenen Ländern ausbrach. Da es um Diamantenvorkommen und -ausbeutung ging, waren die entsprechenden internationalen Akteure ebenfalls in die Konflikte verstrickt (medico international 2014a).

Armut Tötet

Die Übertragung der Erreger von Mensch zu Mensch wiederum ist Teil einer ›Ökonomie des Risikos‹, die Arme in beengten Wohn- und Lebensverhältnissen höheren Infektionsrisiken aussetzt. Während Wohlhabende es sich leisten können, in großzügigen Häusern zu leben und eigene Fahrzeugen zu haben, wohnen in den Armenvierteln teils ganze Familien in winzigen Hütten und fahren in übervollen Sammelbussen. Auch sind Arme in stärkerem Maße auf innerfamiliäre Solidarität im Krankheitsfall angewiesen, da ein großer Teil der funktionierenden Gesundheitseinrichtungen längst privatisiert wurde. In der aktuellen Krise wird der Ebola-Virus besonders häufig durch die Pflege von erkrankten Angehörigen übertragen, sodass häufig ganze Familien nacheinander erkranken und sterben. Im Extremfall eskaliert ein solches ›Risiko Armut‹ in massiven Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Der militärisch durchgesetzte cordon sanitaire um den größten Slum Westafrikas, den Stadtteil Westpoint in Liberias Hauptstadt Monrovia, ist hierfür ein offenkundiges Beispiel. Andere Restriktionen der Mobilität sind weniger medial sichtbar, haben aber zum Teil dramatische ökonomische Folgen: So kamen während der aktuellen Krise große Teile des Güterverkehrs in den drei Ländern zum Erliegen, was die Versorgung der Städte mit Nahrungsmitteln aus den ländlichen Regionen gefährdet.

Sicherheit für wen?

Die restliche Welt nahm die – sich bereits seit Ende 2013 ausbreitende – Epidemie erst zur Kenntnis, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den aktuellen Ausbruch von Ebola am 8. August 2014 zum »Gesundheitsnotstand von internationaler Besorgnis« erklärte. Die Einschätzung des UN-Sicherheitsrates vom 15. Oktober desselben Jahres, die Epidemie gefährde die »globale Sicherheit« (UN 2014), befeuerte die Berichterstattung. Eine ähnlich weitreichende Aussage hatte der Sicherheitsrat zuletzt im Jahr 2000 zur damaligen Situation von HIV/AIDS getroffen. Diese Art von Sicherheitsdiskurs stellt ein äußerst zweischneidiges Instrument internationaler Politik dar. Einerseits mobilisiert er potenziell Aufmerksamkeit, Ressourcen und Unterstützung für die betroffenen Menschen und Länder: Im aktuellen Fall wird nun über den Einsatz von US-Soldaten, über kubanischen Ärzte-Teams sowie über mögliche Logistikbrücken der deutschen Bundeswehr nach Westafrika gesprochen. Gleichzeitig befördert er jedoch einen humanitär begründeten Interventionismus, der wie im Fall von Naturkatastrophen den lokalen Behörden und Gesellschaften rasch das Heft des Handelns aus der Hand nehmen kann (vgl. medico international 2013). In welchem Ausmaß Quarantänemaßnahmen für konkrete Ebola-Verdachtsfälle sinnvoll sind, wird bei der WHO und in einschlägigen Fachgremien kontrovers diskutiert. Dass ziemlich schnell der überwiegende Teil der Flugverbindungen in die betroffenen Länder eingestellt wurde, geschah jedoch gegen die ausdrückliche Empfehlung der WHO-Experten. Wie die Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung hat auch dies die wirtschaftliche Lage in betroffenen Ländern weiter verschärft. Innerhalb des Sicherheitsdiskurses spielen potenziell ›zu uns‹ kommende infizierte Menschen eine große Rolle. Diese Fokussierung führt zu einer fast panischen Abwehrhaltung gegenüber Fremden, etwa afrikanischen Flüchtlingen und MigrantInnen, ganz gleich ob sie schon jahrelang in Deutschland leben oder wo sie genau herkommen. Hinzu kommt eine Übertechnisierung der eigenen Sicherheitsbedürfnisse: Im Rahmen der aktuell geplanten Freiwilligeneinsätze von Deutschen wird ein kompletter Airbus umgebaut, um infizierte Helfer unter Hochsicherheitsbedingungen nach Deutschland evakuieren zu können. Zugleich fehlt es dem Gesundheitspersonal vor Ort immer noch an Grundsätzlichem wie ausreichender Schutzkleidung, häufig sind noch nicht einmal Handschuhe und Mundschutz vorhanden. Antworten auf die vor Ort viel dringlicheren ›sicherheitsrelevanten‹ Fragen werden durch die hiesige Debatte verstellt. Wie ist ein menschenwürdiger Abschied von Sterbenden und Toten möglich, wenn die Angehörigen sie nicht mehr berühren und wichtige Rituale der Vorbereitung auf die Beerdigung nicht mehr durchführen dürfen? Einen Umgang mit solchen Alltagsproblemen zu finden, ist aber wesentlich für eine erfolgreiche Bekämpfung der Epidemie. Im hiesigen Diskurs spielt dies kaum eine Rolle.

Vertrauen als Ressource

In der Situation einer Epidemie ist es essenziell, über Infektionsrisiken aufzuklären und zu begründen, warum bestimmte Maßnahmen notwendig sind, um Infektionsketten zu unterbrechen und Ansteckungsrisiken zu vermeiden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn in der Bevölkerung ein Mindestmaß an Vertrauen in die guten Absichten der eigenen Regierung, Behörden und gegebenenfalls ausländischen Helfer vorhanden ist. Und wenn die Menschen konkrete positive Erfahrungen machen, den Eindruck gewinnen, dass ihnen in Gesundheitsstationen und Krankenhäusern geholfen wird. Das Vertrauen in staatliche Autoritäten ist nach einem jahrelangen Bürgerkrieg mit nur wenigen verurteilten Kriegsverbrechern jedoch weitgehend zerstört. Zu einer desolaten öffentlichen Infrastruktur kommen Eliten, die sich in erster Linie um ihr eigenes, statt um das Gemeinwohl sorgen. Wer den Staat noch nie in einer fürsorglichen Rolle erlebt hat, ist ihm gegenüber begründet misstrauisch. In einer solchen Konstellation sind Gerüchte darüber, dass die Desinfektionsteams, die öffentliche Marktplätze und die Umgebung von Krankenhäusern reinigen, in Wirklichkeit die Krankheit erst verbreiten, weniger irrational, als sie auf den ersten Blick scheinen mögen. So berichtete Paul Bangura, einer der Partner von medico international in Sierra Leone, dass viele Menschen nicht einmal die Nahrungsmittel der Regierung annehmen. Sie vermuten, dass mit ihnen etwas nicht stimme. Bereits zu Beginn der Epidemie machte das Gerücht die Runde, die Regierung würde sich extra viel Zeit lassen, auf die Krise zu reagieren, weil der Distrikt, in dem die ersten Ebola-Fälle auftraten, bei den letzten Wahlen mehrheitlich die Opposition unterstützt hatte (medico international 2014b).

Zerstörung sozialer und ökonomischer Infrastrukturen

Soziale Infrastrukturen in der Region wurden jahrzehntelang vernachlässigt, weil die Gewinne aus dem staatlich organisierten Abbau reicher Bodenschätze vorwiegend in die Taschen der lokalen Eliten flossen. Gleichzeitig geht die desolate Situation öffentlicher Daseinsvorsorge auf das Konto des neoliberalen Washingtoner Konsensus und der daraus resultierenden internationalen Politik. Die Länder des Südens wurden seit den 1980er Jahren gezwungen, ihre exportorientierten Ökonomien möglichst niedrig zu besteuern, freie Kapitalflüsse zu ermöglichen und ihre Haushalte durch niedrige öffentliche Investitionen zu sanieren. Nun sind die dramatischen Folgen dieser Politik zu beobachten: Vernachlässigte Gesundheitseinrichtungen wurden zu Infektionszentren. Sie waren materiell nicht in der Lage, auch nur die Mindestregeln einer hygienischen Krankenversorgung einzuhalten. In Sierra Leone kommt auf 30 000 Patienten ein Arzt – das entspricht etwa einem Prozent der Ärztedichte in Deutschland. Das Ausmaß der Epidemie überfordert die schwachen Strukturen und schwächt sie zusätzlich durch die vielen Erkrankungen und den Tod Hunderter GesundheitsarbeiterInnen, die sich bei der Pflege der Kranken infiziert haben.

Aufgaben und Herausforderungen

Die hauptsächlich betroffenen Länder brauchen dringend kurzfristige Unterstützung bei der Krankenversorgung, Aufklärung und Vermeidung von Neuinfektionen. Gleichzeitig müssen die Lebensgrundlagen derjenigen gesichert werden, die besonders unter den Quarantänemaßnahmen leiden – etwa all jene, deren ökonomische Basis von Mobilität und täglichen Kleinsteinkommen abhängt und die keine Reserven zum Ausgleich von Einkommensausfällen haben. Insbesondere lokalen Organisationen in den Krisenländern verfügen hier über Erfahrungen, die es zu würdigen gilt. Viele Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich in den letzten Jahren in diesen Ländern um die Einhaltung der Menschenrechte, die Rechte von Flüchtlingen oder den Zugang von armen und marginalisierten Menschen zur Gerichtsbarkeit gekümmert haben, sind aktuell in der Ebola-Aufklärung aktiv. Sie versuchen, die strukturellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Epidemie erfolgreich eingedämmt werden kann. Sie gilt es noch viel stärker in die Planungen und Maßnahmen zur Bewältigung der Krise einzubinden. Indem ihre Arbeit gestärkt wird, könnte man das aktuelle Modewort von der ›Good Governance‹ mit Leben füllen und einen Politikwandel hin zu mehr Transparenz und Verantwortlichkeit der lokalen Behörden und politischen Systeme einleiten. Zugleich sollten wir die langfristigen Perspektiven nicht aus dem Auge verlieren. Für einen nachhaltigen Aufbau funktionierender und patientenzentrierter Gesundheitsdienste müssen auch international verlässliche Strukturen geschaffen werden. Statt einer kurzfristigen Programmfinanzierung, die einzelne Gesundheitsaufgaben übernimmt, müsste es eine dauerhafte Finanzierungssicherheit für jene Länder geben, die eine solche soziale Infrastruktur nicht aus eigenen Mitteln aufbauen können. Die Idee einer verbindlichen und nicht mehr nur auf freiwilligen karitativen Zuschüssen beruhenden Gesundheitsfinanzierung bringt medico international zusammen mit anderen seit etlichen Jahren in die internationale Debatte ein (vgl. Gostin et al. 2011). Ein Großteil der medizinischen Forschung beruht auf den finanziellen Gewinnanreizen eines auf Patenten basierenden Vergütungssystems. Forschungsfinanzierung müsste von Profitinteressen entkoppelt werden. Über einen Weg dahin wird bei der WHO und anderswo seit vielen Jahren gestritten. Echte Reformvorschläge werden jedoch von interessierter Seite ausgebremst – zum Beispiel der Versuch, ein Abkommen zu verabschieden, dass die Staaten verpflichten würde, feste Beiträge für eine öffentlichen Forschung bereitzustellen und damit gezielt die Entwicklung von Lösungen für vernachlässigte Krankheiten anzugehen. Hier agieren viele ›Erste-Welt‹- Staaten als fürsorgliche Beschützer ›ihrer‹ privaten Pharmaunternehmen. Auch auf der Ebene der globalen Gesundheitspolitik macht Ebola akuten Handlungsbedarf deutlich: Die WHO ist die internationale Institution, die den Auftrag hat, in internationalen Gesundheitskrisen koordinierend tätig zu werden. Durch jahrelange Mittelknappheit gerade in ihrer Katastrophenabteilung ist sie jedoch stark geschwächt. Die finanzstarken Mitgliedsländer haben schon lange überwiegend auf einzelne Projekt- und Programmfinanzierung umgestellt, um mehr Einfluss auf die WHO zu nehmen. Auch hier ist weiterhin Druck von außen nötig, um in den aktuell laufenden Reformprozessen eine größere Unabhängigkeit gegenüber ihren eigenen Gebern zu erreichen. Zugleich sollte die Einflussnahme von korporativen Interessen (etwa der Pharma- und Nahrungsmittelindustrie oder anderer Akteure wie der Gates-Stiftung) auf die Urteile und Arbeitsebenen der WHO minimiert und öffentlich kritisiert werden. Solchen Druck aufzubauen, kann nur gelingen, wenn die Menschen vor Ort gegenüber ihren eigenen Behörden und Verantwortlichen gestärkt werden, so wie es aktuell das Network Movement for Justice and Development in Sierra Leone macht. Die Aufklärungsarbeit zu Ebola verbinden sie mit einer Mobilisierung der Gemeinden für eine bessere gesundheitliche Infrastruktur. Aus solchen lokalen Initiativen könnten im besten Fall auch regionale und internationale Bewegungen entstehen. Das People‘s Health Movement beispielsweise versucht den Kampf der Akteure vor Ort zu unterstützen und ihre Stimme auf der Ebene der internationalen Debatten und Entscheidungen hörbar zu machen. Dieser Bewegung und ihren Verbündeten geht es darum, dem ›Menschenrecht auf Gesundheit‹ auf verschiedenen Ebenen zur Durchsetzung zu verhelfen. Zum weiterlesen: umfangreiches Dossier von medico international zum Thema, mit Berichten von Partnern aus Sierra Leone und Analysen des People’s Health Movement.