»Whatever it takes«, was immer es auch koste. Mit diesen großspurigen Worten hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Mitte März das Gesetz zur Entlastung der Krankenhäuser angekündigt. Er werde die Kliniken mit den Kosten der Corona-Krise nicht allein lassen. Gekommen ist es nun im beschlossenen Gesetz aber anders. Denn weder die enormen Umsatzeinbußen durch freigeräumte Betten noch die erwarteten Mehrkosten durch die Covid-19-Patient*innen werden – schenkt man den Krankenhausgesellschaften Glauben – ausreichend refinanziert. Es wird also nicht eine Grundlage für die Absicherung der Gesundheitsversorgung in Zeiten der Krise geschaffen. Gerettet wird stattdessen die DRGs – das 2003 eingeführte Finanzierungsmodell (Diagnosis Related Groups; kurz: DRG), mit dem Patient*innen anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet werden. Ausgerechnet jenes Finanzierungsmodell im Krankenhauswesen also, das die jetzige Misere im Gesundheitssystem maßgeblich verursacht hat. Seit Jahren findet aufgrund des dadurch entstandenen Kostendrucks in den Krankenhäusern ein Abbau von (Behandlungs-)Kapazitäten, die Ausgliederung von Reinigungsdiensten und Laboren zur Diagnostik sowie der Abbau von Personal insbesondere in der Pflege statt. Ohne diese Entwicklung wäre das System wesentlich besser für die Pandemie gewappnet gewesen. Und dies meint nicht nur die materiellen Ressourcen der Krankenhäuser, sondern – noch viel wichtiger – ihre menschlichen. Denn Zeitdruck und Personalmangel haben über Arbeitsverdichtung bereits in den letzten Jahren zu einer massiven Erschöpfung insbesondere der Pflegekräfte geführt. Dies alles droht sich in der aktuellen Krise erneut zu verstärken. Erneut sol die lückenhafte Gesundheitsversorgung auf Kosten der Beschäftigten gerettet werden.
Festhalten an den DRGs – auch in der Krise
Dass das DRG-System wesentlich für die jetzige Krise verantwortlich sind, wird deutlich, hält man sich noch einmal seine Wirkungsweise vor Augen. Spätestens seit Einführung der Finanzierung über Fallpauschalen stehen in deutschen Kliniken der betriebswirtschaftliche Gewinn und nicht mehr die Bedürfnisse von Patient*innen oder eine gute Versorgung im Vordergrund. Das Verfahren zwingt die Krankenhäuser dazu, für jede Patientin einen höchstmöglichen Erlös zu erzielen. Anstatt die entstandenen Kosten der Behandlungen zu refinanzieren (Selbstkostendeckungsprinzip), werden nur noch Pauschalen übernommen. Das bedeutet: Je geringer der Kostenaufwand für eine Behandlung ist, und das heißt vor allem je weniger Personal eingesetzt wird, umso höher ist der Gewinn, der mit einem „Fall“ erzielt werden kann. Umgekehrt schreibt ein Krankenhaus rote Zahlen, wenn die Kosten der Behandlungen über den dafür veranschlagten Pauschalen liegen. Die Folgen dieses Systems sind seit vielen Jahren zu beobachten: Ein massiver Abbau von Personal, insbesondere in der Pflege, aber auch die Auslagerung von Putz- und Reinigungsdiensten oder etwa von Laboren zur Diagnostik. Ebenso wie ein Abbau von (Behandlungs-)Kapazitäten. All dies hat dazu geführt, dass die Krankenhäuser auf die jetzige Krise strukturell nicht gut vorbereitet sind. Nicht mit ausreichend Personal. Und ebensowenig mit genügend Ressourcen.
Mit dem jetzigen Gesetz, das vorgibt, ein Hilfspaket für die Kliniken zu sein, hält Spahn an dieser Finanzierungsform fest. Damit ist auf er massive Kritik gestoßen, unter anderem vonseiten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem Interessen- und Dachverband von Spitzen- und Landesverbänden der Krankenhausträger. Dieser bemängelt, dass die Kosten für die Schaffung von Intensivbetten, der finanzielle Mehraufwand für Personal oder für Schutzausstattung (wie Atemmasken) zu niedrig veranschlagt sind, vor allem aber fordert er, das Fallpauschalen-System bis Ende des Jahres auszusetzen. Dies ist insofern erstaunlich, als die Krankenhausgesellschaften in der Vergangenheit keine Verbündeten im Kampf gegen die DRG war. Mit der jetzigen Krise jedoch wachsen die wirtschaftlichen Unsicherheiten und somit die Angst, dass nicht alle Kliniken die Pandemie wirtschaftlich überstehen werden. Zugleich ist die Hoffnung der Krankenhäuser, dass der unliebsame bürokratische Aufwand, den das DRG-System bedeutet, mit seiner Aussetzung gleichsam mitbeseitigt werden kann. Dass Spahn mit seinem Hilfspaket an diesem festhält, wird entsprechend entsetzt kommentiert: Es sei eine „herbe Enttäuschung und ein Schlag ins Gesicht“ – so der einvernehmliche Tenor aller Landeskrankenhausgesellschaften in einem Brandbrief an die Bundesregierung. Auch nach leichten Nachbesserungen wird an der grundsätzlichen Kritik festgehalten. Damit ist auf zwei wesentliche Gefahren verwiesen: Die Aufrechterhaltung des Fallpauschalen-Systems in der Krise („Whatever it takes“) gegen jede Vernunft sowie die Gefahr, dass es nach dem jetzigen Ausnahmezustand „Krisenverlierer“ unter den Krankenhäusern geben könnte.
Permanente finanzielle Unsicherheit der Kliniken gefährdet die Gesundheitsversorgung
Natürlich sind auch die Rufe der Krankenhäuser mit Vorsicht zu genießen. Denn es scheint bisher nicht klar, ob die finanziellen Zusagen durch das Hilfspaket für die Krankenhäuser tatsächlich zu gering ausfallen. Auch die Klagen der Krankenhäuser sind also interessenpolitisch motiviert und spiegeln nicht unbedingt wieder, dass die Finanzen tatsächlich nicht ausreichen werden. Vielmehr müssen die Häuser auch im „Normalfall“ stets mit dem wirtschaftlichen Risiko rechnen, dass die Kosten für die durchgeführten Behandlungen über den veranschlagten Pauschalen liegen und sie rote Zahlen schreiben. In der jetzigen Krisen spitzt sich diese Unsicherheit jedoch zu – denn kein Haus hat zuvor Covid 19-Behandlungen durchgeführt. Diese Unsicherheiten wollen die Krankenhäuser vermeiden und rufen daher nach Selbstkostendeckung. Anstatt jedoch alle entstandenen Kosten, wie gefordert, einfach zurückerstattet zu bekommen, kann es nunmehr passieren, dass die Häuser Verluste machen und ein Krankenhaus in Folge dessen aus betriebswirtschaftlichen Gründen geschlossen wird. Nicht die Planung von Versorgungsbedarfen entscheidet folglich über das Bestehen von Klinikstandorten, sondern der Markt. Dies ist schon ohne Krise der Fall. In der jetzigen Situation aber erhöht das Festhalten an den DRGs das wirtschaftliche Risiko, denn noch ist unklar, wer durch die aktuellen Hilfen unterstützt wird und wer unter die Räder kommt. Ganz unabhängig davon, ob die Finanzmittel ausreichen werden, verweisen die Krankenhäuser mit ihrem Aufruf gegen eine Finanzierung nach DRGs in Zeiten der Krise folglich auf einen wesentlichen Punkt. Und dieser bleibt auch ganz ohne Ausnahmezustand richtig: Die Finanzierung der Krankenhäuser nach DRGs, also nach Pauschalen für Behandlungsfälle, schafft eine permanente finanzielle Unsicherheit für die Kliniken.
Hinzu kommt, dass die DRGs sogenannte Vorhaltekosten, wie sie im Fall freier Betten entstehen, nicht berücksichtigen. Gerade dies hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass alle „überschüssigen“ Kapazitäten abgebaut wurden. Denn finanziert werden durch die DRGs nur durchgeführte Behandlungen, nicht jedoch das Vorhalten von Kapazitäten. Um das Freiräumen der Betten für die Krankenhäuser attraktiv zu machen, werden im Gesetz zur finanziellen Entlastung ebendiese Vorhaltekosten – entgegen der Logik der DRGs – nun daher beziffert und für jedes freie Bett eine Tagespauschale von 560 Euro veranschlagt. Allerdings beklagen die Kliniken, dass das den Ausfall der Erlöse nicht deckt. Für sie ist es also finanziell nicht attraktiv, zumindest aber nicht abschätzbar, wie sich die Verschiebung der geplanten Behandlungen auswirken wird.
Beides hat fatale Folgen für die Gesundheitsversorgung: Die Unsicherheit mit Blick auf die Finanzierung führt dazu, dass die Krankenhäuser zögern, geplante Behandlungen (und damit auch eingeplante Einnahmen) zu verschieben und benötigte Betten freizuräumen. Zwar gibt es (noch) keine offiziellen Zahlen dazu, immer wieder wird aber berichtet, dass insbesondere private Klinikbetreiber aus wirtschaftlichen Überlegungen an geplanten Operationen festhalten. Das ist unverantwortlich vonseiten der Krankenhausbetreiber und der Politik, die hier nicht ausreichend gegensteuert: Denn mit jedem belegten Intensivbett und jeder nicht verschobene Operation heute wird in Kauf genommen, dass es morgen zu einer Überlastung der Bettenkapazitäten und einer Situation kommen kann, in der lebensrettende Behandlungen aufgrund fehlender Ressourcen versagt werden müssen. Und dies nicht nur wegen eines Mangels an Betten, sondern auch wegen fehlendem Personal. Mit dem Festhalten an Fallpauschalen in der aktuellen Situation erhält Spahn also nicht nur an einem System fest, das bereits in den letzten Jahren für einen massiven Abbau von Personal und Kapazitäten sowie einen extremen Kostendruck und Konkurrenzkampf zwischen Krankenhäusern verantwortlich war. Vielmehr wird auch die Bewältigung der jetzigen Krise gefährdet.
Der Ruf nach Selbstkostendeckung kommt daher nicht nur aus Richtung der Krankenhäuser. Auch ver.di fordert etwa nicht nur die jetzige Aussetzung dieses Systems, sondern verweist ebenso auf eine grundlegende Kritik an den DRGs. Dies ist in dieser Form ebenfalls neu und zeigt neue Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse auf, die auch Chancen bieten, die Krise zu bearbeiten.
Der drohende Wegfall von Krankenhäusern
Da die Finanzierung nach Selbstkostendeckungsprinzip verweigert wird, droht die gegenwärtige Krise die Situation im Gesundheitssystem noch zu verschärfen. Denn wenn das wirtschaftliche Risiko auch in der Krise bestehen bleibt (weil die Refinanzierung weiterhin über Fallpauschalen erfolgt), könnte es passieren, dass einige Kliniken anschließend wirtschaftlich schlechter dastehen – insbesondere dann, wenn die Kosten für den Corona-Mehraufwand tatsächlich zu gering veranschlagt sein sollten. Das Festhalten des Gesundheitsministeriums am DRG-Modell lässt sich daher nur mit der Befürchtung erklären, zu diesem maroden System nicht zurückkehren zu können, ist es erst einmal abgeschafft. Denn ihre Legitimation hat es längst verloren – nicht zuletzt wegen der wiederholten Streiks der Pflegekräfte in den letzten Jahren.
Gerade weil in der gegenwärtigen Situation der Glaube an ein marktwirtschaftlich reguliertes Gesundheitswesen offensichtlich schwindet, soll wohl die Abschaffung der DRG um jeden Preis verhindert werden. Mit Zwang wird hier ein System aufrechterhalten, dessen Konsens längst zu zerbröseln begonnen hat. Dabei wird auch eine „Kapazitätsbereinigung“ in der Krankenhauslandschaft nach Ende der Krise einkalkuliert. Immerhin war es das erklärte Ziel der neoliberalen Agenda, zuletzt formuliert durch die Bertelsmann Stiftung im Sommer 2019, Krankenhäuser zu schließen, da es davon in Deutschland (im europäischen Vergleich) zu viele gäbe. Eine gute Gesundheitsversorgung sei mit nur halb so vielen Kliniken möglich.
Das Hilfspaket für die Krankenhäuser hält also an neoliberalen Prämissen fest, die sich gegen die Interessen von Beschäftigten und Patient*innen richten. Wenn die systemischen Ursachen für den Kostendruck nicht beseitigt werden, droht nicht nur ein Krankenhaussterben ex post. Engpässe in der Gesundheitsversorgung entstehen aktuell auch dadurch, dass das bekannte Modell der Krisenbewältigung auch in Bezug auf die menschlichen „Ressourcen“ fortgesetzt wird. Denn wieder einmal sollen die Beschäftigten durch Mehrarbeit und trotz Erschöpfung die Misere im Krankenhauswesen kompensieren.
Erschöpfte Held*innen der Nation
So erhalten Beschäftigte im Gesundheitssystem mit der Corona-Krise zwar große Aufmerksamkeit – wobei es vor allem Pflegekräfte sind, denen der gesellschaftliche Dank besonders gebührt. Sie werden gar zu „Held*innen der Nation“ stilisiert. Der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags Mathias Döpfner schrieb dazu in einem Kommentar in der Bild-Zeitung (13.3.2020), dass sie es sind, "die unsere Hand halten, wenn wir Angst haben vor einer schmerzhaften Behandlung, die uns aufmuntern, wenn wir vor einer OP in düstere Gedanken sinken, oder die uns trösten, wenn wir allein auf der Station liegen und uns einsam fühlen". Zugleich aber werden das Arbeitszeitgesetz zum Schutz der Beschäftigten sowie die Pflegepersonaluntergrenzen in den Krankenhäusern bis auf Weiteres ausgesetzt. Dies erhöht den Druck auf die Arbeitsbedingungen in einem Bereich, in dem schon vor der Krise die Mehrzahl der Beschäftigten unter Überlastung litt. Denn die DRG haben nicht nur zu finanziellen Risiken für die Kliniken, sondern auch zu einem massiven Druck und zu Erschöpfung in der Pflege geführt. Der Zustand, über den der Chef des Springer-Verlag resümiert, ist also längst schon weit weg von der Realität des Krankenhausalltags. Hier herrschen nicht Fürsorge und Trost, sondern vor allem Arbeitsverdichtung und Zeitdruck. Mit der Anrufung als „Held*innen der Nation“ soll also – anders lässt es sich kaum erklären – das „letzte Potenzial“ einer weiblich* konnotierten Fürsorglichkeit und Aufopferung gehoben werden. Noch einmal sollen die Pflegenden aus Sorge um die Patient*innen ihre eigenen Grenzen überschreiten und folglich ausbaden, dass die Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren politisch heruntergewirtschaftet wurde.
Dies aber stößt bei den „Held*innen“ selbst gleich in doppelter Weise auf Empörung. Einerseits sind die Reserven in der Pflege längst aufgebraucht. Denn seit Jahren schon klagen und kämpfen Pflegekräfte gegen zunehmende Arbeitsverdichtung. Sie sind also bereits über ihre Grenzen gegangen. Andererseits aber wird auch das Ideal einer tröstenden, aufopferungsvollen und fürsorglichen Pflege nicht mehr ohne Weiteres geteilt: „Weg vom Mutter-Theresa-Image. Wir sind professionell Pflegende“ oder „Er suggeriert ein Bild von Pflege, gegen das ich mich seit Jahren wehre“ oder „Seit wann sind Pflegefachkräfte eigentlich Seelsorger*innen? [...] Die haben so viel Wichtigeres zu tun. Man sollte stattdessen die Arbeitsbedingungen in der Pflege endlich mal verbessern und die Leute anständig bezahlen“ – so heißt es etwa in einer Facebook-Diskussion zu besagtem Bild-Zeitung-Kommentar.
Die Forderung nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen anstelle von billigem Lob für die Pflege macht deutlich, dass den Beschäftigten das Ausspielen traditionell weiblich* zugeschriebener Fähigkeiten gegen die Zumutungen und Anforderungen des Arbeitsalltags in den Krankenhäusern durchaus bewusst ist. Sie wehren sich also gegen die Nutzbarmachung einer unterstellten Barmherzigkeit und gegen die Erwartung, für ein „Taschengeld“ gewissermaßen rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Sie wehren sich damit auch gegen ein Bild von Pflege, das gesellschaftlich immer noch (zu) oft mit der uneigennützigen und gehorsamen Diakonisse oder Schwester verbunden wird. Zu Recht. Denn es braucht einen angemessenen Lohn und gute Arbeitsbedingungen statt „nur“ Klatschen für lau – worauf unter anderen das Berliner Bündnis für mehr Personal verweist (#systemrelevant). Sich jedoch dabei ganz vom Bild einer „fürsorglichen Pflege“ zu verabschieden, die Sorge um die seelischen, psychischen und emotionalen Bedürfnisse von Patient*innen also zu verneinen, wäre falsch. Denn diese Aspekte sind wesentlicher Teil der Qualität von Pflege. Es sind gerade die oft unsichtbar bleibenden Dimensionen, die diese zu „mehr“ machen als einem Hilfsberuf für die Ärzt*innen.
Dass Aspekte wie Sorge, Empathie und Anteilnahme gegenwärtig verstärkt abgewertet werden zu Gunsten allein von ärztlichen und technischen Fähigkeiten, liegt ebenfalls in der Logik der DRGs begründet: Denn ärztlich-heilkundliche Tätigkeiten lassen sich besser vereinbaren mit den Klassifikationssystemen der DRGs und im Rahmen ihrer Kriterien der Profitabilität. Ein ganzheitlich gestalteter Pflegeanspruch wird dabei zu Gunsten technisch-funktionaler Tätigkeiten fragmentiert und um Elemente der Fürsorge beraubt. Dies aber führt zu neuen Ausschlüsse und Abwertungen: Denn diese Tätigkeiten werden an Hilfskräfte oder Angehörige delegiert, schlechter bezahlt und tendenziell unsichtbar. Die Folgen sind neuen Spaltungen in den Arbeitsbeziehungen. Die Aufwertung und Anerkennung der Pflege in dieser Form der Professionalisierung zu suchen, ist also ein trügerisches Versprechen.
Eine demokratische Bedarfsplanung muss her
In der gegenwärtigen Krise wird mehr als deutlich, dass wirtschaftliches Kalkül dem Interesse an einer guten Gesundheitsversorgung und Pflege entgegensteht. Eine Finanzierung nach Pauschalen schafft ein strukturelles Finanzrisiko und enormen Druck, Kosten einzusparen und dies führt zu massiven Erschöpfungen beim Personal. Bereits vor der Corona-Krise kam es aufgrund von Personalmangel oder Zeitdruck immer wieder zu Hygienemängeln, was die Sterberaten in den Krankenhäusern in die Höhe trieb. Dass Überlastung Menschenleben gefährdet, wird aktuell besonders plastisch und auch, dass eine gute und bedarfsgerechte Versorgung nicht zusammengehen kann mit einer Ausrichtung auf Gewinn. Gesundheitsversorgung ist eine soziale Infrastruktur und als solche muss sie etwa auch für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten. Ob ein Krankenhausstandort geschlossen oder erhalten wird, darf sich ausschließlich nach Kriterien der Bedarfsplanung richten und nicht nach der wirtschaftlichen Situation eines Krankenhauses. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Art der Behandlungen: Auch diese dürfen sich nicht an wirtschaftlichen Kriterien orientieren – danach, welche Diagnose und welche DRG mehr Erlös verspricht oder wie lange die Patient*innen auf den Stationen verbleiben.
Obwohl in der gegenwärtigen Krise weiter an einer neoliberalen Orientierung in der Gesundheitspolitik festgehalten wird, bietet die jetzige Situation Chancen, nicht nur das schädliche Finanzierungssystem der Krankenhäuser zu Fall zu bringen, sondern auch gesellschaftliche Bündnisse auszubauen und für eine andere Gesundheitsversorgung im Sinne sozialer Infrastrukturen zu kämpfen. Der Ruf nach Selbstkostendeckung kommt daher nicht nur aus Richtung der Krankenhäuser. Auch ver.di fordert die jetzige Aussetzung der Fallpauschalen und hat darüber hinaus eine grundlegende Kritik an der vorherrschenden Krankenhausfinanzierung geübt. Es ist vor allem den beeindruckenden Streiks der Pflegekräfte in den vergangenen Jahren zu verdanken, dass sich das Pflegebudget der Krankenhäuser seit 2020 (wieder) an den tatsächlichen Kosten orientieren soll. Damit haben sie einen wichtigen politischen Sieg errungen und das neoliberale Fallpauschalen-System praktisch geschwächt. Dies ist in dieser Form ebenfalls neu und zeigt Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse in der gegenwärtigen Krise auf, welche mögliche Chancen für ihre Bearbeitung bereithalten.
Diesmal kommt die Kritik nicht nur von Seiten der Beschäftigten und der Bündnisse für mehr Personal, sondern aus einer breiten gesellschaftlichen Debatte, die nicht zuletzt von den Krankenhäusern angetrieben wird. Dieses Möglichkeitsfenster muss nun genutzt werden, um eine demokratische und bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung und eine andere Finanzierung einzufordern. Die kollektiven Beifallsbekundungen für die Pflege sind dafür ein Anfang und bergen politisches Potenzial. Aber sie müssen übergehen in eine aktive Unterstützung der Auseinandersetzungen auch nach der Krise. Dafür ist es jedoch wichtig, die Bedeutung und den Inhalt von Pflege und Gesundheit gesellschaftlich neu zu verhandeln. Denn nur eine empathische, fürsorgliche und verstehende Pflege, deren Professionalität nicht allein in medizinischen Aspekten besteht, wird auf Solidarität von Patient*innen und der Gesellschaft als Ganzes treffen und in ihrem eigenen Interesse liegen. Für eine solche gute und demokratische Gesundheitsversorgung lohnt es sich dann für alle zu kämpfen.