Luigi Pantisano wäre 2020 fast Oberbürgermeister von Konstanz geworden. Seine Wahlkampagne hat viele neue Methoden ausprobiert. Wir werfen mit ihm einen Blick in den Werkzeugkasten.

Du bist als linker OB-Kandidat im konservativen Baden-Württemberg angetreten. Hast du gedacht, dass du eine ernsthafte Chance hast?

Luigi Pantisano: Als wir Anfang 2020 die Kandidatur verkündet haben, waren wir zehn Aktive. Unser Ziel war ein »gutes Ergebnis«, wir dachten, es sind vielleicht 20 Prozent drin. Dass die Kampagne so eine großartige Dynamik entfaltet, hätten wir nicht erwartet. Am Ende waren über 200 Leute aktiv … 

… und es waren 45,1 Prozent.

Ja, es gab wirklich so etwas wie eine gesellschaftliche Mobilisierung, auch wenn das für eine Kommunalwahl hochtrabend klingt. Unser Bündnis wurde sehr breit unterstützt, von politischen Initiativen und Vereinen, von Gewerkschafter*innen, von Kunst- und Kulturschaffenden bis hin zu lokalen Unternehmen, kleinen Geschäften und Restaurants. 

Wie habt ihr angefangen?

Meine Kampagne ist nicht vom Himmelgefallen. Ich war fünf Jahre Quartiersmanager in einem benachteiligten Stadtteil in Konstanz. Ich kenne die Stadt und viele Menschen kennen mich. Die Idee der Kandidatur entstand im Gemeinderat, aus den Reihen der LINKEN, der Grünen und einer ökoliberalen Wahlliste. Wir haben dann zuerst mit den Bewegungen der Stadt, mit Fridays for Future, der Seebrücke, Black Lives Matter gesprochen. Wir haben gefragt, was ihnen wichtig ist und ob sie mich unterstützen würden. »Luigi Pantisano für Konstanz« wurde dann eine überparteiliche Plattform, auf der sich jede und jeder für ökologische und soziale Politik engagieren konnte. 

Es fällt auf, dass das Logo der LINKEN auf deinen Plakaten nicht zu sehen war. 

OB-Wahlen sind in Baden-Württemberg Personenwahlen, das ist ganz normal. Selbst Fritz Kuhn hat bei der OB-Wahl in Stuttgart vor acht Jahren als ehemaliger Parteivorsitzender auf das Grünen-Logo verzichtet. Ich habe mich überall als Mitglied der LINKEN vorgestellt. Uns war aber nicht das Logo wichtig, sondern, etwas in Bewegung zu bringen. Auch unser Programm ist in einem offenen Prozess entstanden.  

Welche Forderungen standen im Zentrum? 

Am Anfang standen meine drei festen Grundsätze: der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, eine solidarische und soziale Gesellschaft und gelebte Demokratie. Davon ausgehend haben wir die Probleme in Konstanz unter die Lupe genommen. Es gibt hier zwar ein großes ökologisches Bewusstsein und Konstanz hat als erste Stadt den Klimanotstand ausgerufen, aber es folgten keine konkreten Maßnahmen. Weitere Probleme sind der starke Autoverkehr und eine städtische Infrastruktur, die von den großen Ketten dominiert wird. Viele legen hier Kapital in Immobilien an. Die Mieten sind stark gestiegen und Kulturprojekte wurden verdrängt. 

Wie habt ihr das Programm entwickelt? 

Auf Basis der Grundsätze haben wir alle aufgerufen, ihre Vorschläge einzubringen. Über 100 E-Mails gingen bei uns ein. Die Entwürfe konnten in Pads bearbeitet und in Online-Veranstaltungen diskutiert werden. Daraus ist ein umfassendes Programm entstanden, in das viele Konstanzer*innen ihr Wissen einbringen konnten. 

Wie wir wissen, ist Papier geduldig. Wie habt ihr damit gearbeitet?

Programmatik muss in politischen Konflikten sichtbar werden. Im Mai 2020 gab es eine Auseinandersetzung im Gemeinderat, ob Konstanz bis 2030 klimapositiv werden soll. Am Ende gab es ein Patt und die Gegenstimme des OB war entscheidend für die Ablehnung. Das war eine Steilvorlage für mich. Bei jeder Veranstaltung habe ich gesagt, dass ich mich für dieses Ziel einsetze. 

Wie war die Kampagnenarbeit organisiert? 

Unsere Strukturen waren sehr offen: um mich herum ein kleines Team von Vertrauten und darüber hinaus offene Arbeitsgruppen, etwa für die Online-Kampagne, den Programmprozess und die Pressearbeit. Wir haben alles auf einer Online-Arbeitsplattform geplant, auf Slack, es gibt aber auch Open-Source-Alternativen wie Rocket.Chat oder Mattermost. Wir hatten einen für viele offenen Google-Kalender und eine Cloud für Materialien. In offenen Strukturen lässt sich die Arbeit auf mehr Schultern verteilen. Am Ende hatten zehn Leute Zugriff auf meine Mails. Dieses Vertrauen hat sich ausgezahlt. 

Wie sahen eure Arbeitstreffen aus? 

Wir konnten uns wegen der Pandemie lange nur online treffen. Im Laufe des Sommers waren dann physische Treffen möglich. Wir wollten, dass unsere Treffen Spaß machen, haben uns draußen an schönen Orten getroffen. Diese Athmosphäre hat geholfen, gute Ideen zu entwickeln und auch den digitalen Austausch später erleichtert. 

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Den Austausch im Google-Kalender? 

Als wir mehr wurden, haben wir Messenger-Chatgruppen genutzt. Wir waren bei Telegram, heute würde ich aus Datenschutzgründen Signal empfehlen. Eine Chatgruppe hieß »Luigis Straßenbande« mit über 100 Leuten. Da ging es um schnelle und unkomplizierte Unterstützung für Aktionen. Eine andere hieß »Netzfeuerwehr«, für Support in digitalen Kommentarschlachten. Jenseits dieses Kerns gab es natürlich das offene Bündnis »Luigi Pantisano für Konstanz«. In Google Docs konnten sich alle für Infostände eintragen. Die Unterstützer*innen haben wir per Newsletter regelmäßig über Aktionen informiert. 

Wie sah eure Öffentlichkeitsarbeit aus? 

Wir hatten unterschiedliche Kanäle und Formate: einen Standardflyer im Design der Kampagne, den wir 40 000-mal verteilt haben, und Buttons, Taschen und Sticker im gleichen Design. Natürlich gab es ein Video mit mir als Kandidat, aber auch Themenvideos für die Online-Kampagne. Die sollten natürlich gute und fähige Leute produzieren. Eine befreundete Fotografin war bei fast jeder Aktion dabei, um die Stimmung in die sozialen Medien zu transportieren. Das hat viele motiviert, mitzumachen. Irgendwann passierten plötzlich Dinge, die wir nicht geplant hatten. Leute haben auf Instagram eigene Grafiken gebastelt. Oder Plätzchen mit meinem Konterfei gebacken. Da habe ich gemerkt, dass die Kampagne Flügel bekommt. Wir haben aber auch die klassischen Formate bedient und Infostände gemacht. Das lief trotz Corona super. Genauso wichtig waren Demonstrationen, etwa Gegendemos zu den Querdenkern. Und wir haben systematischen Haustürwahlkampf betrieben. 

Was heißt systematisch? 

Wir sind gezielt in bestimmte Gegenden gegangen, haben die Gespräche in einer App geplant und die Ergebnisse festgehalten. Wir konnten dafür die App der Grünen nutzen. Mit 40 Leuten haben wir allein zwischen dem ersten Wahlgang und der Stichwahl an rund 10 000 Haustüren geklingelt. Später konnten wir sehen, dass wir da besonders gut abgeschnitten haben. Ein anderes wichtiges Format waren die Gartengespräche.

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Was hat es damit auf sich? 

Größere Veranstaltungen waren wegen Corona kaum möglich, auch keine Wohnzimmergespräche. Daher die simple Idee, das nach draußen zu verlegen: Menschen konnten mich mit ihren Nachbar*innen und Freund*innen in den Garten einladen. Das hat super funktioniert. Die ersten politischen Gartengespräche haben wir noch selbst organisiert. Danach haben mich die Leute von sich aus eingeladen. Am Ende habe ich fast 80-mal mit zehn bis 20 Menschen für anderthalb Stunden diskutiert und 1 000 Konstanzer*innen persönlich kennengelernt. Meine Grundhaltung war: Ich höre zu und nehme Anregungen auf. Das hat mir auf öffentlichen Podien sehr geholfen. Ich musste mich kaum mehr vorbereiten, ich kannte die Probleme ja aus erster Hand. Irgendwann sagten die Leute: Der Pantisano kennt die Stadt besser als unser Oberbürgermeister. 

Habt ihr noch mehr Gesprächsformate ausprobiert? 

Wir hatten auch Online-Formate, das »Gespräch am Mittwoch«, wo ich mich jede Woche mit einem Menschen aus Konstanz live unterhalten habe. Und wir haben hartnäckig bei Vereinen und Institutionen um ein Kennenlerngespräch gebeten. Von der Aids-Hilfe bis zum Start-up oder der IHK – ich bin überall hingegangen. Am Ende des Wahlkampfes gab es nur noch zwei Sorten Konstanzer*innen: die, die mit mir gesprochen hatten, und die, die jemanden kannten, der mit mir gesprochen hat. 

Habt ihr Gruppen gezielt angesprochen? 

In der Pandemie ist es schwierig, ältere Menschen zu erreichen. Darum habe ich einen persönlichen Brief an die über 60-Jährigen geschrieben, den wir mithilfe der Wählerdaten vom Amt rund 20 000-mal verteilt haben, aus Kostengründen übrigens von Hand. Für die Jüngeren haben wir auf Youtube Werbung geschaltet. Das hat nicht viel gekostet und war sehr effektiv. Außerdem hatte ich ein Profil auf Tinder, um mich vorzustellen. Das kam gut an, bis es vom Anbieter gelöscht wurde. 

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Am Ende gab es auch eine konservative Gegenkampagne. 

Pünktlich vor dem ersten Wahlgang titelte die Lokalzeitung »Wie links ist Luigi Pantisano?«. Daneben ein Foto mit mir vor einem besetzten Haus. In Immobilienkreisen und Teilen der CDU hieß es: »Der tut ganz brav, aber der besetzt Häuser und will Enteignungen.« Die Story wurde sogar vom Spiegel aufgegriffen, lokale Unternehmer warnten vor einer »Öko-Diktatur«. Da war es wichtig, Unterstützung quer durch die Stadtgesellschaft zu haben. 

Du lagst dann im ersten Wahlgang mit 38,3 Prozent auf Platz 1. 

Das war ein großartiges Glücksgefühl. Vor allem, weil das die Arbeit der vielen Unterstützer*innen belohnt hat. In der Stichwahl hat dann sicher eine Rolle gespielt, dass die SPD nicht mich, sondern den CDU-Kandidaten gestützt hat. Aber es ist müßig, zu spekulieren. Wir haben alles gegeben und sind stolz auf alles, was wir bewegt haben.

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